V. Karibik (32.)

Arbeitsplatz am Port de Plaisance, le Marin. (ELLI in der Bildmitte, kaum zu erkennen)

32. Martinique

Di., 28.03.2023, Port du Plaisance, Marina au Marin, Martinique. Der Arbeitsplatz im Workspace blue-working liegt über dem Hafen, Blick auf die Marina und (irgendwo in der Bildmitte) auch auf die LISBETH. Und kostet € 25 am Tag, Wifi und Strom (und Kaffee) inklusive. Superpraktisch.
Wir haben die zweite Nacht an einer Boje verbracht, jeden Tag Dinghyrudern an Land mit den entsprechenden Absprachen. Klappt aber einigermaßen reibungslos. Gestern hab ich uns für einen Platz am Steg einzubuchen versucht, ist abgelehnt worden, heute läuft die Anfrage für einen Bojenplatz (bis Oktober). Mal sehen, ob es klappt. Wenn ja, erkunde ich die Insel noch ein paar Tage und suche mir dann eine Passage nach Europa. Wenn nicht, muss ein Plan B her.

Bessere Zeiten: André und Alba

Auf Barbados haben wir nach unserer Nacht an Land, Speickstown, gute 20 Minuten Fußweg von der Marina Port St. Charles, wo es außer einem einzigen Restaurant (und der Immigration) rein gar nichts gibt (Ferienwohnungen mit Bootsanlegestellen, gated community), am nächsten Nachmittag in Richtung Bridgetown aufgemacht, zwei Stunden herrliches Segeln mit Seitenwind. So jedenfalls die äußeren Bedingungen. Ohne Windsteuerung wollten wir Rudergehen und andere Segelstellungen als das ewige Passatwindsegeln austesten. Und Vorschoten bedienen und Wenden fahren und all sowas. Irgendwas lief aber schief, Alba hat keinen geraden Kurs hinbekommen, wollte sich aber auch nichts sagen lassen, sondern hat sich gegängelt gefühlt. Was ich falsch gemacht habe, kann ich nicht rauskriegen, weil mir Antworten verweigert werden. Aus Andeutungen (»mitten im Manöver!«) schließe ich, dass mein Fehler war, Alba anzubrüllen, die Vorschot nicht zu früh loszuwerfen, weil Gustaves Wenden ohnehin schwierig genug waren … Jedenfalls war miese Stimmung an Bord. Gustave hat uns in den Careenage Old Schoner Port gefahren, dort war aber kein Platz am Pier, alles voller Charterkatamarane für die Tagesausflügler von den Kreuzfahrtschiffen. In der Carlisle Bay direkt südlich gehen wir vor Anker. Nach zwei Nächten und zwei Abenden in der Stadt (Marlene und Alba schneiden mich, reden nicht mit mir) vor den BCC, den Barbados Cruising Club verholt, wo es zwar auch keinen Ponton für das Dinghy gibt (Anlanden am Strand und vor allem Ablegen vom Strand war kein bisschen trivial, auch wenn die Minibrandung höchstens 20cm hoch war: Mich hat es ebenso wie die anderen quergeschlagen und ins Meer geschubst, Wasser im Dinghy und alle Klamotten durchnässt. Vor dem BCC ist zwar auch Strand, aber wir sind besser und koordinierter geworden im raschen Hochzerren des Beiboots auf den Strand). Im BCC gibt es Duschen, eine (Snack-) Bar mit herrlicher Terrasse und superfreundliches Personal. Ninja, der Hafenmeister des Clubs, hat uns direkt bei der Ankunft von unserem geplanten Ankerplatz verjagt, ist aber dann mit seinem Kajak herausgepaddelt und hat uns einen perfekten Platz zugewiesen (und außerdem für die WeedliebhaberInnen an Bord speziellen Kaffee (»this is not for you!«) mitgebracht. Superfreundlich eben. Vierundzwanzig Stunden vor der geplanten Abfahrt kam André pünktlich (wenn auch abgehetzt, meine Signalnachrichten haben ihn nicht erreicht, obwohl sie bei mir als zugestellt angezeigt worden sind,) von seiner mehrtägigen Inselerkundung zurück. Hellauf begeistert von Barbados (»ein klasse erstes Ziel in der Karibik«), der Landschaft, den Leuten. Er könnte sich sogar vorstellen, hier zu leben (und eine deutsche Bäckerei aufzumachen). Andrés Begeisterung war ansteckend. Deshalb sind wir, nachdem wir am Nachmittag die Ausreiseformularitäten geklärt hatten (Taxi in die Stadt, anderthalb Stunden Warten, bis die Kasse aufmacht, Mittagessen bei Millie, Zoll, Immigration (kein Ausreisestempel!), Rückfahrt wieder Taxi) noch am Abend losgezogen: Oistin Bay ist ihm als lohnendes Ausflugsziel empfohlen worden, den Süden der Insel hatte er, wegen Zeitdruck, nicht mehr geschafft. Also blitzartig Sachen gepackt und um halb sieben ins ZR (Sammeltaxi) geklettert für die härteste Taxifahrt der Welt (18 Mann im Minibus, bauchfellwummernde Musik, der Fahrer holt alles aus dem Toyota-Bus, der, gefühlt ohne Kupplung, mit ausgeleiertem Getriebe und kreischendem Motor für irgendeine Rallye durch Wohngebiete und schmale 90°-Einmündungen zu trainieren schien, außerdem Jagd auf die einparkenden Mietwagen der Touristen machte. Wegsehen war nicht, nur Erdulden. Die Passagiere nahmen es stoisch; nur als ich in einer abrupten Linkskurve ins offene Fenster greifen musste, um nicht abzuheben, grinste der junge Mann neben mir sachte.
Rausgeworfen (die Geduld des Fahrers entsprach seinem Fahrstil) wurden wir allerdings nicht am WhattheTruck, unserem Imbissziel, sondern in Oistin Bay Garden, eine staubige Busstation und am Strand ein Markt aus Fressbuden, laute Musik, Bier- und Bratendüfte überall. Breakdance und Publikumsanimation auf einer Riesenbühne – das Rhythmusgefühl des schwarzen Jungmannes ist eben unübertroffen. Wogegen (außer dem expliziten Rassismus) im Prinzip nichts zu sagen ist. Nur: Alle Besucher waren weiße Urlauber, Typ Kreuzfahrtteilnehmer (von den wir im Hafen von Bridgetown beim Warten auf unsere Ausreiseabfertigung die wohlbeleibtesten und spärlichst bekleideten in reicher Auswahl bewundern konnten). Also nichts wie weg.
Der Foodtruck, den André empfohlen bekommen hatte, liegt drei km Fußmarsch entfernt. Taxi erhandelt. Sehr gut gegessen, auf der Wiese/Parkplatz neben dem Grillstand/Kochcontainer, wo sie herrliche Grillgerichte zaubern. War jeden Aufwand wert. Nur Bier gab es keins.
Also auf den Rückweg gemacht. In drei Kneipen geschaut (1. nur Backwaren; 2. machen in fünf Minuten zu (aber zwei Gläser Rum (und 11 Minifläschchen Bier) waren drin); 3. filmreife Bretterbude von Bar, Wirtin im Blümchenkleid mit buntem Tuch um den Kopf geknotet wie aus Onkel Toms Hütte, drei Gäste sitzen im Halbdunkel um einen niedrigen Tisch, ihr Kreolisch verstehen wir nicht. Jedoch: wunderbar passende Musik (Südstaaten-Schnulzen); es gab noch eine 4. Kneipe, vielversprechend abgerockt, aber die haben wir uns verkniffen.)
Sandy Beach macht seinem Namen alle Ehre, ein Musikpavillion (Rückzugsoption bei Regen), ein paar Picknicktische, Bäume und Meeresrauschen (um etwas zu sehen, ist es inzwischen zu dunkel). Sechs Bier waren noch zu killen. Wunderschön.
Nacht auf Isomatte unter Baum, morgens wurde André in den Rücken gezwickt: die irritierenden Löcher im sandigen Grasboden waren gar nicht von Wühlmäusen, sondern von handtellergroßen, hurtig flinken Krabben!
Aufbruch im ersten Licht, das Meer ist weit, der Strand wild bewegt, aber sandig. Die Bäckerei auf dem Rückweg hat schon offen, süßen Kuchen und Schinkensandwiches (halbgares Schweinefleisch; seit gestern hab ich Gicht im linken Knie).
Der Weg zurück, zwölf Kilometer an der Südküste der Insel entlang, führt durch Oistins (Ferienwohnungen, Boutiquehotels, Märchenstrände), Hastings (dito, ein halbes Jahrhundert älter) und Worthing. Für jede Pause (alle vier km) hab ich mir vorgenommen, ein Taxi zu nehmen, falls ich nicht mehr kann. Ging aber immer wieder. Letzte Pause auf einem nicht mehr bebauten Meergrundstück, die Brandung hat sich nach und nach die Uferbefestigung zurückerobert, malerisch verfallen. Und dann noch Kultur: das George-Washington-Haus; der erste US-Präsident hat auf seiner einzigen Auslandsreise Barbados besucht; superteurer Saft im angeschlossenen Café. Aber das Beste: das Denkmal, neben riesiger Pferderennbahn und alter Garnison, liegt kaum 200m hinter dem BCC! Eine abschüssige Straße hinab (ein altertümliches Feuerwehrauto schnauft herauf) und wir sind an der Tanke, die unsere Einkaufsmöglichkeit darstellt, zwei Minuten Weg vom Cruising Club!

Segelt gern: Gustave

Aufbruch am späten Nachmittag, unsere letzten Barbados-Dollars gehen für Abschiedsgetränke und Ninjas Trinkgeld drauf und wir lichten den Anker. Alba hat sich entschlossen, nicht mehr mit mir zu reden, vor allem keine Anweisungen von mir entgegenzunehmen und bleibt deshalb an Land zurück.

Rauschende Nachtfahrt für die knapp über 100 nm nach Martinique, halber Wind, Speed teilweise fast 8 kn. Wir steuern von Hand, Gustave und André haben die ersten Wachen, für meine (00:00 bis 03:00) lasse ich Georgie ran. Am Vormittag sind die typischen Pitons (dschungelbewachsene Rundberge) von St. Lucia zu sehen, um die Mittagszeit kommt Martinique in Sicht. Wir umkurven die Südspitze in heftigem Wellengang und laufen gegen vier in die lange, komplizierte Zufahrt nach Le Marin ein (»Don’t try to enter the approach at night!«).

Was haben wir die Tage gezählt -auf dem Atlantik

Anlegen an der Tanke ist nicht. Böse Überraschung: für einen Platz am Steg oder an einer Boje hätten wir reservieren müssen. (André: Soviel zu einem Skipper, der sich mokiert über Traveller, die sich nicht vorher informieren; aber selbst ahnungslos in eine überfüllte Marina einläuft … – hat er leider Recht.) Es ist Sonntag (Marinabüro geschlossen) und der mittelfreundliche (und vor allem kaum verstehbare, außer Französisch/Kreole wird hier keine andere Sprache gesprochen) Marinero geleitet uns zu einer Boje und macht uns fest.
Le Marin ist ein übervoller Yachthafen hinter weiten (und vollen) Ankerbuchten mit angeschlossenem Dörfchen, dabei die zweitgrößte Stadt der Insel. Aber für Yachties steht alles bereit: Ausrüster, Segelmacher, Reparaturservice, Bars, Restaurants. Abendliches Picknick mit André am Strand (Leberpastete, Baguette, Pflaumenkuchen, Bier).
Am Montagmorgen einbuchen in die Marina mit der grummeligsten Sekretärin der Karibik, Frühstück in der französischen Feinbäckerei („Wir haben doch noch Brot“ – aus Barbados), Gustave bringt zwei riesige Trommeln Wäsche auf den Weg und in den Trockner. Abends sind er und Marlene Essen mit Freunden, Rückfahrt ans Boot erst gegen elf. Aber heute früh, ich wollte um zehn im workspace sein, haben sich alle brav aus den Federn geschält und wir sind um elf an Land gewesen.

Ach ja: Film über die Passage gibt es wohl keinen. André (Fotograf, Kameramann) war überaus bereit, mit der GoPro zu filmen (»Inzwischen gibt es aber weit leistungsfähigere Modelle«) und hat auch oft herrlich draufgehalten. Nur leider hatte ich zuletzt einen extremen Zeitraffer-Modus eingestellt. Hab ich vergessen, André (»Nee, nee, alles klar«) mitzuteilen. Also sind alle Schnipsel exakt 00:00 sek lang. Und damit unbrauchbar. Hatte allerdings einen Vorteil: Das Überspielen zur Sicherung aufs Notebook ging ratzfatz.

31. Ab Mindelo

Marina Mindelo, St. Vincent, Kapverden (Foto: André)

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Höchst beeindruckendes Debüt: stilsicher eigene Stimme, Figurenstimmen glaubhaft und unterscheidbar, bewegende Geschichte, organisch strukturiert erzählt. Und, trotz superschwierigem Thema (zerplatzte Lebensträume) dennoch stimmig (märchenhaftes) positives Ende gefunden. Wunderbar (fing mich aber erst beim zweiten Mal anfangen).
Oliver Schröm (Ulmer Autor!): Die Cum-Ex-Files (wieder). Funktioniert auch beim zweiten (oder dritten?) Mal Lesen als sicherer Aufreger, Entrüster, Empörer. Spannend erzählt, sauber recherchiert, angemessen komplex erklärt, wagemutig offen genannte Namen. Aber: wie im Titel („und wie ich ihnen auf die Schliche kam“) nimmt sich der Autor viel zu wichtig. Journalisten goutieren das anscheinend (Deutscher J.-Preis).

Turtle Beach (Foto: André)

Hab ich schon erwähnt, dass der gleichförmig blaue Atlantik durchaus Zeit zum Lesen lässt? Tut er jedenfalls. Heute ist der neunte Tag und wir haben noch nicht mal die Hälfte geschafft.

Passatsegel (Fotos: André)
Leerer Kreis

Wenn unter den Arabern des Maghreb die Wüste „leeres Viertel“ heißt, sollte der Atlantik um den 15. Breitengrad wohl leerer Kreis heißen. Es ist der elfte Tag und wir haben seit Tagen (drei? fünf?) kein einziges anderes Schiff gesehen. André hat den dritten Fisch gefangen, diesmal eine Art Dorade (Dorade heißen auf Französisch die Mahi-Mahis, die wir bisher an der Angel hatten). Im Abendlicht glänzen die dichter werdenden Felder des Sargasso-Tangs golden im tiefblauen Wasser, die gute Elli zieht unter ausgebaumten Passatsegeln ihre ruhige Bahn, derzeit mit über fünf Knoten, nur rollt sie manchmal unangenehm. Die Tage verlaufen gleichförmig, mit Avocadokernschnitzen und -schleifen und Zeichnen (Marlene, Gustave), mit Angeln (André) und Lesen (Alba, ich, André). Vormittags wird das Bimini ausgerollt, abends eingefahren, weil wir Sternenhimmel und Mondauf- und -untergänge sehen wollen. Der gute Mond ist abnehmend, aber kurz nach Vollmond erleuchtet er noch immer traumhell den Umkreis. Gestern gab es Whiskey, weil wir nach Längengraden die Hälfte geschafft haben, bei 41°30´. Nach tatsächlicher Distanz haben wir bereits mehr als die Hälfte, weil wir seit den Kapverden viel Süd gemacht haben. Jetzt, bei 13°32´, geht es straks nach Westen, 270°, Barbados‘ Nordspitze liegt auf 13°20´.

Potheads of the Caribbean
Gustave flicht Marlene Braids (Foto: André)

Auch Hippies machen Haarpflege, kaum zu glauben. Wie Gustave, mit seinen seit drei Tagen eingeflochtenen Braids sie heute entflocht, dann aus großem Tiegel Haarkur auftrug, im Nachmittagslicht auf dem Heckbrett saß und seine Haare knetete, erinnerte schon an Johnny Depp und seinen Kajalstrich. Weil der Wind den ganzen Tag über direkt von hinten kam (gestern: halber Wind, wir nur vor dem Vorsegel, die Genuas gedoppelt nach Lee) und wir bis zu sechseinhalb Knoten draufhatten, haben wir das geplante Baden (Segel eindrehen, Schiff treiben lassen) auf einen windstilleren Tag verschoben. Und Gustave musste seine Haarkur mit dem Eimer auswaschen. Abwasch scheint ein Problem zu sein, jedenfalls hat Marlene André dazu hingetrickst („Wir haben das diskutiert“ –Marlene erinnert sich anders), dass er trotz Übelkeit unter Deck den Abwasch macht. Hat er gemacht, aber dafür gekotzt, der arme Kerl. Abgesprochen war das nicht. Aber eigentlich ist die Passage traumhaft, im Augenblick spielt sogar die Batterie mit, die sich kaum entlädt und nach zwei Tagen noch immer auf 12,2 V steht. Frühestens Morgen müssen wir wieder die Maschine starten und eine Stunde Batterie laden. Abendessen (sonst der Höhepunkt des Tages, aber, weil wir so spät kochen, meistens im Dunkeln eingenommen) fällt heute wohl aus, weil Gustave noch um vier einen ausgiebigen Pasta-Snack gezaubert hat. Soll mir recht sein. Heute nur zwei Zigaretten: Ich bin dran [am Rauchenaufhören].

Von wegen: neue Papierchen gefunden. Drauf wie eh und je.

»Dass ein Mann so einfühlsam die Gefühle einer Frau nachempfinden und exakt beschreiben kann – ungewöhnlich und selten.«

Top-Bücherfrau

So ähnlich hat eine der Bücher-Influencerinnen D.H. Lawrence Lady Chatterley´s Lover beschrieben. Tatsächlich sind Connies Gefühle (und nicht nur die) ausführlich geschildert, nicht immer klingen sie erwachsen und emanzipiert, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt. Explizit, auch in den erotischen Schilderungen, skandalös zu seiner Zeit (1920er). Pornographisch? Nach unseren Maßstäben keineswegs. Spannende Geschichte, multiperspektivisch erzählt, lauter runde Hauptfiguren, auch die unsympathischen, gut getroffene Nebenfiguren (alles Intellektuelle bzw. Schreiber), saftige Sprache, Derbyshire-Dialekt kaum verständlich. Mellors (die Titelfigur) ein Bilderbuchheld; bodenständig, klassenbewusst, lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Heißer Lover, aber durchaus nicht nur geleckt gutaussehend, nach heutigem Geschmack. Wunderbare Lektüre, gut gealtert (erst 1960er entkriminalisiert worden und herausgekommen).

3 lustige Travellergeschichten, 1 rührende und 1 schäbige

Traveller, also Reisende mit ganzganz kleinem Budget, die sich durchaus nicht als Touristen bezeichnen lassen wollen, haben mich schon vor vierzig Jahren genervt. Hatte gehofft, da hätte sich was geändert. Hat es nicht. Traveller reisen superbillig, essen mit den Einheimischen (oder aus dem Container), erleben alle viel intensiver als die Pauschaltouristen, die nur für vierzehn Tage in ein Land kommen. Beispiele? – Gerne:
Traveller X., durch Pech (Portemonnaie geklaut) geldlos auf der Fähre von Spanien (la peninsula) nach Gran Canaria gelandet, bekommt vom Retaurantpersonal Wasser ausgegeben, dazu anderthalb Kilo Nudelsalat (den hatte er aber nach drei Mahlzeiten satt (die Überfahrt dauert 32 Stunden), erschleicht sich ein Frühstück, indem er reklamiert, für so etwas (labbriger Toast, ungesalzenes Rührei) könne man kein Geld verlangen – und bekommt es umsonst. Beschweren tut er sich aber trotzdem über die Fährfahrt, vor allem aber darüber, dass es im Ruheraum der ersten Klasse nicht erlaubt sei, auf dem Boden zu schlafen, „obwohl da genug Platz war.“ (Auf meiner Fährfahrt schliefen überall Leute, ausdrücklich NICHT zum Schlafen ausgeschildert waren genau drei Sitzgelegenheiten, alle im Bereich der Essensausgabe. Fand ich damals aus ästhetischen wie hygienischen Gründen durchaus nachvollziehbar.) Jedenfalls: bornierter hätte sich auch der schlimmste TUI-Billigtourist nicht aufführen können.
Travellerin Y. fängt, als sie (in Italien) beim Tauchurlaub darauf hingewiesen wird, dass man im Club nicht oben ohne gehe, eine Diskussion an; über Natürlichkeit und ob ihr Körper abgelehnt werde. Dass das Gesetz Genderdiskrimierung verbiete und Männer auch keine Oberteile tragen müssten … Travellerin Y. will übrigens in Südamerika veganes Straßenessen verkaufen („muss man in Europe zu viele Vorschriften beachten“). Als ob es in den Ländern nicht Straßenküchen zuhauf gäbe, auch vegane Gerichte …
Travellerin Z. fragt im Motown (um zu klären, ob sich die Ausgabe für einen Drink lohne), ob die dort einfache oder doppelte shots in ihre Drinks gäben. – Verstand der Wirt nicht: Sie schenken soviel aus wie man will.– Schon, aber einfache oder doppelte? – Bis man stopp sagt eben. – Aber wie viel?
Da sind mir persönlich die Pauschaltouristen lieber, die sich zwar ebenso andauernd beschweren, aber zumindest Geld in den Ländern lassen, die sie besuchen (und ab und zu einen Reiseführer konsultieren – gilt unter Travellern als uncool. Erfahrungen muss man nämlich selber machen, nur dann zählen sie).
»In Spanien musst du unbedingt Paella probieren!«, wurde Travellerin Q. empfohlen. Hätte aber 21 € gekostet. War ihr zu viel. Und wie Reis mit Gemüse schmeckt, weiß Travellerin Q. aus Erfahrung, sie hat oft genug „Reis mit Scheiß“ selbst gekocht. – Komplett ironiefrei erzählt, eher sogar stolz und als Beispiel dafür, dass man sich (teure) Erfahrungen auch schenken kann. Fehlten mir die Worte.
Traveller R. hat eine schrecklich schwierige Überfahrt von La Linea/Gibraltar hinter sich, 20 Tage, Flauten und stürmische Winde, die sie (Ehepaar mit kleiner Tochter, das zweite Kind ist unterwegs) zwangen, in einem marokkanischen Hafen Schutz zu suchen, wo sie von den örtlichen Fischern gewaltsam vertrieben wurden, später im Außenhafen angesichts gefährlicher Brandung die Kette kappen und den Anker zurücklassen mussten, um das Schiff zu retten. Und nach dem Ende des Unwetters Markierungsboje, Kette und Anker nicht mehr finden konnten, weil inzwischen ein Baggerschiff das Hafenbecken durchpflügt hatte. Ohne Anker steht das fragile Leben der Segler (sie haben alles verkauft, besitzen nur das Schiff; Marinagebühren können sie sich nicht oft leisten) auf der Kippe. Und Traveller R. (»Es ist nur Geld. Geld kann ich wieder verdienen.«) kommt für einen neuen Anker und neue 70m Kette auf, verballert dafür nahezu sein komplettes Reisebudget. Unglaublich edel und rührend. Aber dass die Segler dieses unerhörte Geschenk auch noch angenommen haben, finde ich nicht in Ordnung. Solange man noch eine Yacht sein eigen nennt, ist arm sein relativ.
»Die wissen, dass wir kein Geld haben.« – »Der hätte niemals Geld von uns genommen.« TravellerIn S. und T. verstehen nicht, dass ich es angemessen finde, einem Hafenmeister, der uns eingewiesen, uns Zugang zum Yachtclub ermöglicht und den Code für die Toiletten/Duschen gegeben hat, ein Trinkgeld aus der gemeinsamen Kasse dalassen will. »Wir haben einen Joint zusammen geraucht, das ist völlig ausreichend.« Sagen die Traveller, die eine Kranken- und Sozialversicherung haben, die in einem halben Jahr genug Geld verdienen können, um ein Jahr unterwegs zu sein, die eine Botschaft im Rücken haben, die sie zur Not aus fast jedem Land der Welt nach Hause holt, die einen Pass haben, mit dem sie nahezu ohne Umstände in so gut wie jedes Land der Welt einreisen dürfen, zu einem Fünfzigjährigen ohne Einkommen (»alle im Club arbeiten ehrenamtlich« (Zaunpfahl!?)), der auf einer geschenkten vor Anker liegenden alten Yacht wohnt und nichts von dem oben genannten hat, wahrscheinlich noch nicht mal einen Pass. Und der nie im Leben darauf hoffen kann (aber davon träumt, wie fast alle), solche Reisen zu unternehmen. Welche Eurozentrik, anzunehmen, dass die Reiserzählungen (Ich-Perspektive) von Mitte-Zwanzig-Jährigen interessant genug für den Mann sein könnten, dass er darüber vergisst, dass er auch leben muss. Oder in anderen Worten: Das ichbezogene Schmarotzertum der sogenannten Traveller, das selbstvergessene Anbiedern, die selbsternannten Freundschaften zu den Einheimischen (alles ironiefrei vorgetragen und niemals ohne den abschätzigen Verweis auf die sogenannten Pauschaltouristen) – widert mich an. (Kreuzfahrt-) Touristen, selbst die in den unmöglichsten Aufmachungen (transparenter Pareo über nassem Bikini) auf dem Weg vom Taxi durch den Zoll zum Schiff, lassen wenigstens Geld in den Ländern, die sie nicht wirklich besuchen. Traveller verlassen den Hafen ebenfalls nur ungern (ist alles zu teuer), aber wenigstens fühlen sie sich überlegen. Traveller? – Betteltouristen, more like it.

Im Square (Foto: André)
Drei Wochen

21 Tage sind echt lang. Zu fünft (André ist am Ende doch mitgefahren) auf 10m2 auch eng. Haben wir aber insgesamt gut hingekriegt, gut gekocht und gegessen, Glück mit dem Wetter gehabt, durchgehend Wind, teilweise auch stärker, aber immer aus der richtigen Richtung. Jeder hatte seinen Zeitvertreib. Gustave hat Avocadokerne geschnitzt, geschliffen, mit Halbedelsteinen versehen (das Holz schwindet beim Trocknen und fixiert die Einschlüsse) und zu takeln versucht, leider waren meine alten Falle zu hart und unflexibel dafür. Und in den Wachen gezeichnet.

Marlene hat gezeichnet, mit Wachskreide koloriert, auch geschnitzt (Vulva mit Glitzerstein als Klitoris), André hat Musik gehört auf seinem supersparsamen Handy, Alba hat gekocht, gefühlt vier Mal am Tag, und gelesen. Ich hab gelesen. S. Hustvedt: Was ich liebte (wieder). Geht noch immer gut, genau beobachtet, toll geschrieben, bewegend und voll tiefer Einsichten über die Liebe und das Leben. T.C. Boyle Wassermusik (wieder). Geht leider gar nicht mehr. Die Leichtfüßigkeit der Neunziger, der skurile Sarkasmus, die unmotivierte Grausamkeit und Blutrünstigkeit, die tragischen Slapstickeinlagen der Figuren, die seichte Mischung aus Körpersäften und Dreck (cf. Barock), aus Gesellschaftssatire und armer Thor (cf. Simplicissimus) – irgendwie nicht gut gealtert. N. Hornby Juliet, naked. Geht immer wieder und wird immer wieder gehen.

Gustave, Schnorchler. Im Hintergrund: Sargasso-Weed (Foto: André)

Immer gab es Musik (so lange die Akkus hielten), immer wieder gab es traumhafte Sonnen/ Mondunter- und -aufgänge, oft theatralisch schön. Bilder, die ich nicht geschossen habe: Sonnenaufgang, alles ist pastellig erleuchtet, Gustave (Wache vor mir) und ich starren wortlos ins anschwellende Licht. André stellt sich stumm zwischen uns, drei Männergesichter im Profil im sanften, bräunlichen Morgenlicht: wäre sicher ein schönes Foto geworden.

Regel 25: Yachties tend to smell

Margareth, „Follow that boat”
Superplatz: im Bug (Foto: André)

Endlich mal eine Regel, die nicht zutraf: Zwar haben die meisten von uns nur einmal mit Meerwasser aus dem Eimer „geduscht“ (und einmal im Atlantik gebadet, auf 5000m), aber ich hab die gesamte Zeit keinerlei Körpergeruch wahrgenommen (außer meinen eigenen: heftig!). Kein Sturm, keine Flaute, keine Schäden am Schiff, kein Segel gefetzt (obwohl die beiden Genuas manchmal heftig geschlagen, sogar geknallt haben), keine besonderen Vorkommnisse. Einmal Frischwasser ins Toilettenbecken gepumpt, weil der Hahn nicht geschlossen war, einmal ist der Glasdeckel der Wokpfanne heruntergefallen und zerschellt. Regeln waren schwierig. Dass man stets Schwimmweste trägt und außerhalb des Cockpits mit Sicherheitsleine eingepiekt ist, scheint nicht leicht einzusehen zu sein, jedenfalls schwer zu befolgen. Dass Messer nicht offen herumliegen dürfen, dass man nichts ins Spülbecken stellt, dass man sein Geschirr direkt nach Gebrauch mit Meerwasser vorspült, dass man auf Toilette nicht nur abpumpt, sondern auch zwischenspült, dass man den Gashahn nach Gebrauch zudreht … eigentlich war ich immer der Papa, Nörgler, Polizist, Aufpasser. Der Spießer aus dem Lehrbuch eben. Einmal wurde in der Vorschiffkabine geraucht. Bin ich böse geworden. Tacheles zu reden wurde nicht sehr geschätzt, Reden überhaupt zunächst abgelehnt, eine Gesprächsrunde unter strengen Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Regeln fand ich unbefriedigend und sinnlos. Aber: Alles Nörgeln auf hohem Niveau, wir hatten eine schöne, meist harmonische Überfahrt mit atemberaubenden Segeleindrücken. In der letzten Nacht ist auf der Nachtwache irgendwas schiefgelaufen und wir sind 4´ (4 nm) nach Süden abgekommen. Ließ sich aber rasch ausbügeln. Wache ernstnehmen, ab und zu Kurs und Segelstellung und den Horizont beobachten scheint auch nicht jeden Travellers Sache zu sein. Aber selbstverständlich war ich gottfroh (und hab das in der Heiopei-Dankesrunde auch angesprochen), dass ich nicht alleine fahren musste. Obst und Gemüse gab es fast bis zum letzten Tag, wegwerfen mussten mir fast gar nichts, Gustave hat nur ab und zu die faulen Stellen vom Kohl geschnitten.

Einzelheiten? – Hier (Auszug aus dem Logbuch):

28.2.,15:30h ab Mindelo, São Vincente, Kapverden. Nicht ohne ausführliches Tänzchen auf dem Steg (Video folgt leider NICHT: s.u.) und Abschied von Julian und Amanda von der DARSHAN, die eigentlich schon vor uns losgefahren sein wollten. Mindelo liegt auf 24°59‘, Barbados auf 59°38‘, wir hatten also 25 Längengrade (à fast 60 nm) vor uns: unfassbar weit.
Tagelang Wind stabil aus NE, Passatsegel oben, manchmal schlägt die kleinere, stb am Großbaum ausgefierte Lee-Genua, lässt sich aber durch Lose geben oder dichter holen meist beheben. Sonst fast ereignislose Tage, Etmale um hundert und bis zu 120 nm [Die Bezeichnung Etmal scheint veraltet zu sein, jedenfalls steht sie (André fragte im Rahmen seiner täglichen wohlbedachten Frage nach) nicht im Handbuch – meine Segelstunden sind einfach vierzig Jahre her, Warschauen sagt auch kein Mensch mehr.]
Fr., 03.03. (Tag 4) beim Überschreiten des 30. Längengrades stellen wir die Uhr eine Stunde zurück (wie alle 15°), damit die Nachtwachen nicht allmählich zu Tagwachen werden. André hat das Angelzeug klargemacht und mehr oder weniger sofort (45‘) eine Dorade gefangen, gar nicht mal so klein. Gustave erschlägt, ich steche ins Auge, Gustave nimmt aus. Drei Filets für die Nicht-Veganer (Jungs), superlecker. War eigentlich ein Mahi-Mahi (franz.: Dorade), weiblich (Kaviarbeutel), die beim Zusehen ihre Regenbogenfarbe verloren hat und bleich silbrig wurde. Der (Fast-) Vollmond geht kulissenkontrastfarben auf und unter und erleuchtet das Deck dazwischen fast taghell (Sterne entsprechend weniger). Am Samstag ET [Etmal] 140nm, obwohl das Logbuch keinen besonders kräftige Wind verzeichnet. Am Sonntag erleuchten fluoreszierende Quallen unser Fahrwasser nach Monduntergang.

Mo, 06.03. (Tag 7) drei Stunden unter Motor, die Batterien entladen sich sonst zu sehr. Alle ziehen allerdings für das Energiesparen brav an einem Strang, nachts schalten wir sogar das Navigationslicht aus. Am Mittwoch zeitgleich (oder fast) Sonnenunter- und Mondaufgänge (oder umgekehrt). Vollmond und dramatische Bilder. Fliegende Fische fast andauernd zu sehen und fast täglich auch an Deck (bzw. in Andrés Koje, der den zappelnden und lautstark flappenden Eindringling wieder rauswirft), vertrocknend. Am Biminigestell schieben sich die Sicherungsstifte aus dem Gestänge. Mit Schlauchklemmen repariert. Donnerstags der zweite Mahi-Mahi, größer und gieriger (mit einem kompletten und mehreren halbverdauten kleineren Fischchen im Bauch).

Freitag, 10.03 (Tag 11). Die geschaffte halbe Strecke (nach Längengraden, die Südstrecke von den Kapverden zum 15. Breitengrad ignorieren wir einfach) feiern wir mit Whiskey (bis auf André, der Nachtwache hat und Whiskey eh nicht so gerne mag, ebensowenig wie Schokolade(!)). Samstag gibt’s den dritten Fisch, diesmal eine Dorade und in der Vollmondnacht tanzen Alba, Marlene und Gustave auf dem Deck (vorbildlich in Schwimmweste und Sicherungsleine). 45°, also Bordzeit eine Stunde zurück. Dienstag backt Alba einen Kuchen aus geschichteten Pfannkuchen (und ihr Betttuch weht (nach ca. 10h im Wind) über Bord). Mi (15.03., Tag 16) regnet es (höchstens eine Stunde). Am Freitag ist Badetag, wir rollen die Genuas ein, blockieren das Steuerrad eingeschlagen und bringen eine lange Leine aus. Dennoch treibt die ELLI mit bis zu einem kn. Zwei Stunden Superspaß mit Sprüngen vom Heckbrett. Mit Taucherbrille ist ein Päärchen neugieriger Fische an der Schleppleine zu sehen. Und die Entenmuscheln am Unterwasserschiff, Tentakeln derzeit ca. drei cm. Endlich ein perfekter Sonnenuntergang ohne störende Horizontwolken: die goldene Mandarine taucht strahlend in ihren Saft. Am Samstag kommt uns ein Frachter entgegen (eine von drei Begegnungen, kein einziges Segelboot dabei).

Am So., 19.03. (Tag 20) ist ab 23:00h der Widerschein der Lichter von Barbados am Horizont, am Montag umkurven wir im ersten Licht die Nordspitze der Insel in den aufgepeitschten Wogen fast aller Kaps, um 08:30 machen wir an der Marina Port St. Charles fest, werden zum Wartesteg umdirigiert, wo wir warten müssen, bis die Behörden (Polizei, Gesundheit, Immigration, Zoll – alle in ein und demselben Büroraum) aufmachen. Um halb elf sind wir offiziell drin und angekommen. Nachmittags geht’s ins Städtchen; jeder für sich. Es soll Alkohol getrunken worden sein.

Immigration? Hier rechts (Foto: André)