36. Das erste Jahr

Eindrücke vom Schmetterlingssegeln

Curaçao, Mo., 24.04. Filmen ist gar nicht so einfach. Muss ich bei André Abbitte leisten. Gestern war ich nämlich Schnorcheln und GoProFilmen am Jeremi Beach, Empfehlung u. a. von Melisa, der guten Fee im Büro der Curaçao Marina. Gordon und Louise vom Nachbarboot hatten einen Wagen gemietet und mich bis zur Busstation in Otrabanda mitgenommen. Dort Kreuzfahrtschiff gecheckt, Norwegian Cruising Line klang vielversprechend. Aber sie fahren nicht nach Europa, nur zurück in die Staaten; gefrühstückt und auf den Bus E3 gewartet. Dann Riesenstau, ganz Curaçao hatte augenscheinlich die gleiche Idee: anderthalb Stunden für knapp über 30 km; Riesenfloats, Sattelschlepper mit ausgebauter Ladefläche, gigantischer PA und teilweise sogar die Bands an Bord, fahren selbstverständlich nur Schritttempo. Irgendwo unterwegs findet am Abend eine Riesenparty statt. Traveller im Bus: nippen am Haschisch-Aufguss aus goldglänzendem Trinkbecher, der zwischen ihnen rumgeht. Ausstieg (»Bushalte« heißen die Busstopps auf Curaçao) fast verpasst. Jeremi Beach ist schön, aber nicht atemberaubend. Auf den Felsen im Norden wird gerade eine Ferienhauskolonie entwickelt, gebaut, vermarktet. Am Strand schwimmen verendete Fischchen (4 cm) schulenweis und verfaulen auf dem Sand. »Wenn es dort drüben auch so stinkt, fahren wir an einen anderen Strand!«, unverkennbar eine genervte Münchnerin. (Ein Strand südlich, in Lagun, wo Gordon und Louise waren, herrschte das gleiche Bild, hab ich heute erfahren).

Jedenfalls: Schnorchelsachen ausgepackt, Proberunde geschwommen. Flossen und Schnorchel funktionieren gut, Brille kannte ich schon. Fische von armlang bis winzig, auch die wogenden Rhabarberblätter. Vor allem aber: die 4cm-Winzlinge schwimmen in ausladenden Schwärmen, die zwar nachgeben, aber nicht wirklich ausweichen. Kann man durchschwimmen. Wollte ich unbedingt auf Video haben. Also beim zweiten Ausflug GoPro angeworfen. Storyboard: Die ersten nagelneuen Strandhäuser, dann abtauchen, den Felsen entlang, dann unter dem Fels auftauchen (Steindach nur wenig über dem Wasser), dann ein großer Fels, der im Wasser liegt, unter dem größere Fische dümpeln, dann durch den Schwarm Winzlinge. Doch es kam anders: die Winzlinge schwärmten vor einer kaum meterbreiten Kluft im Fels, mit angehaltenem Atem (Wellen, Felsen) durchgeschnorchelt, mitten durch den in der Sonne blinkenden Schwarm. Hätte atemberaubende Aufnahmen geben müssen. Nur: die Kamera war nicht angeschaltet. Stattdessen aufgenommen: vier Minuten Flossen abschnallen, zum Strand gehen (kopfüber: Kamera baumelte am Handgelenk), Kamera auf der Liege ablegen und Männerbeine vor Sandstrand. Wieder einmal: Bilder, die man nicht geschossen hat. Ansonsten ist Jeremi ganz nett, Sonnenliegen kosten ein paar Euro, Schatten extra. Aber eben nicht umwerfend. Wie auch die Insel (so weit ich sie gesehen hab): Hügelig, an der Westküste reiht sich ein Tafelberg an den nächsten. Zwischen den Hügelketten breite Ebenen, alles grün, aber Busch, Macchia, Gestrüpp. Viele Kakteen: trocken. An der Landstraße verstreute Kneipen, Läden, Supermärkte, jeweils mit großem Parkplatz davor. Wirkt irgendwie amerikanisch.
Rückweg mit dem Bus klappt reibungslos, Königin-Emma-Brücke will in dem Moment aufgehen, als ich sie passiert habe. Musste gefilmt werden (diesmal mit dem Handy).

Weltweit einzigartiges Schätzchen von 1888

Total pragmatisch sind die Leute von Willemstadt: Punda, Spitze, heißt das diesseitige Ufer, Otrabanda, andere Seite, der gegenüberliegende Stadtteil. Wie in Kölle eben: Hey (Stadt) und Schäl sick.

Am Mittwoch, das bekam ich heute bestätigt, kommt die LIESEL aus dem Wasser, vielleicht schon morgens um acht. Muss noch viel passieren bis dahin, räumen und packen vor allem. Was bis jetzt schon passiert ist: Mittwoch (18.04.) mittags angekommen, nachmittags Zoll und Immigration erlaufen. Donnerstag Großsegel abgeschlagen. Freitag Mitfahrgelegenheit mit Willi zum Supermarkt. Nachmittags Groß geflickt (Latte eingepasst, Lattentasche nachgenäht) und gefaltet, Genua dito. SailClearAccount eingerichtet. Freitag Salon (»the square«) geräumt, Tisch abgebaut, 2½ Eimer (14 l) aus Salonbilge getupft. Boden angeschliffen und lackiert. Samstag (22.04.) Niedergänge und -treppen klarlackiert (gevarnished). Abends in der Captains‘ Bar, rappelvoll wegen Boxkampfübertragungen. Sonntag Jeremi Beach.

Freitagabend (21.04.) war großes Boatyard-Grillen. Veranstaltet von Melisa (Boatyard-Sekretärin), ihre Tochter (ca. 10) war auch da, ihr Sohn (ca. 20) hat gekocht: Cheeseburger, Grillspieße, Hühnerteile, Nudelsalat, spicy cabbage (scharfes eingelegtes Rotkraut: lecker!). Jede Menge SeglerInnen kennengelernt: Kathy (USA) und Serge (franz. Kanada), Dave (Brite), noch zwei Amerikaner, Steve und Laura,  und Dirk haben mich unter die Fittiche genommen und Bier ausgegeben. Paul und Herta, Holländer. Matthieu (ca. 20), den ich auf mindestens drei verschiedenen Booten hab arbeiten sehen, Guido (Chido), Holländer, auf dem selbstgebauten Boot seines Vaters unterwegs, dessen junge Frau hier ihr Baby geboren hat, dessen Mutter hier lebt. Und das Münchner Paar (Hans und Marion), beim Anlegen in blütenweißem Segleroutfit, altklug (Bordfunkgerät auf den Ohren), unbelehrbar («Den Stromkasten hab ich gar nicht gesehen!«), blendendweiße Yacht, shiny & new, aber keine einzige Leine vernünftig vorbereitet (zu kurz, unklar, nicht festgemacht). Typisch Münchner halt. (»Obacht, mir san aa aus Mencha!«, warnt Charlie, ein anderer Segler.) Die am nächsten Morgen ab sieben Uhr morgens SÄMTLICHE Segel nacheinander knarrend (elektrisch) ausfahren und sorgfältig abspritzen. Und Gordon und Louise vom Nachbarboot. Gordon schmirgelt und ölt jetzt zum bereits dritten Mal seine vorher schon makellos aussehenden Fußbretter, am liebsten morgens ab sechs (allerdings geräuschlos). Und Moritz (Schweizer), hat mit seinem Boss monatelange Urlaube vereinbart. Und Jens, unabhängig durch eine Erbschaft, der sich hier ein Boot gekauft hat und es seit acht Monaten herrichtet. Und ein französisches Paar, das im Yard liegt und den Unterboden abkratzt (und auch die Segel wäscht – ich glaube, ich bin ein schlechter Segler: hab meine Segel noch nie gewaschen!). Willi, Holländer, der mich zum Supermarkt mitgenommen hat (weil seine Holzwerkstatt dort ganz in der Nähe liegt), Daniele, noch ein Franzose, superstolz auf sein hochkompliziertes Aluschiff (Seitenschwerter, drei Ruder, Dinghygarage), sich aber mit seiner Frau nicht einigen kann, wie Planen gefaltet werden sollen. Lustiges Völkchen eben.

Do., 22.04. Königstag, höchster Feiertag in Curaçao. Und allergrößte Hitze. Heute früh Handläufe zum zweiten Mal geölt. Um neun, als die Hitze anfing, zum Glück fertig gewesen. Und im Schatten des aufgebockten Bootes einen Blechschutz für das Salonluk gekniffen, gefeilt und gebohrt (weil sich das Holz sonst an den vorstehen Bolzen des Schlosses stößt).  Cockpitpersenning aufgezogen, um wenigstens ein bißchen Schatten zu haben. Jens verabschiedet, geduscht – und schon wieder schweißgebadet.  Jetzt Filmchen zusammenstellen, diesen Blog schreiben – und ab ins Getümmel: es soll so eine Art Volksfest geben. Außerdem ist es so heiß (am notebook läuft das Gebläse ständig), dass der Rechner langsamer buchstabiert, als ich tippe – hab ich noch nie erlebt, dass er wegen Hitze die Leistung derart runterfährt … 

Königstag!

Der höchste Feiertag auf Curaçao bietet Stände mit Kosmetika oder Klamotten, ein wenig Kinderbespaßung wie Wasserrutschen, aber vor allem: Party! DJs legen alle paar Meter auf, im Stadtpark spielt sich eine Band warm, im Ausgehviertel Pietersmaai reiht sich ein Ausschank, eine Tanzfläche, eine Musikbühne an die nächste. Man trägt orange.

Dauert ewig: Haulout

Gestern kam die LIESEL aus dem Wasser, untenrum sah sie richtig sauber aus, sehr befriedigend. Nur die Kielunterseite ist abgeschliffen, auch rostig. Wollte ich selber machen. Hat mir der Boatyard-Manager JayJay eine attraktive Schätzung vorgelegt (300 $ US), hab ich die Reparatur vergeben. Weil ich genug zu tun habe. Vorgestern hab ich das Dinghy in den Innenraum gehievt, ebenso das Bimini. Der Salon ist jetzt der totale Verhau. Und angefangen, das alte Wasser aus den Kanistern zu leeren, weil ich Sorge habe, dass es schlecht wird. Jetzt fehlt noch:  Bb-Wasserkanister leeren, Vorratsschrank entmüllen (alles, was verschimmeln kann), Kühlschrank ausräumen. Furler, Mastwinschen und Hydrovane in Plastiktüten verkleben, Batterie abklemmen, Dieseltank randvoll machen, Gas abdrehen. Irgendwann in den nächsten Tagen kommt das Schiff in die storage, das Depot, ein drahtzaunabgespannter und nachts hell beleuchteter Bereich (auch: Zollverschluss) ein paar Meter den Hügel weiter hoch. Dort werden die Yachten bei Hurrikanwarnung auch gegen den Boden abgespannt.

Mindestens bis Ende September (Hurricaneseason) bleibt die ELLI dort. Und zur Not auch länger.

Heißt für euch: Dieser Blog macht Pause. Wenn ihr AbonnentIn seid, werdet ihr benachrichtigt, sobald es weitergeht (Tut mir übrigens leid für die vielen Aktualisierungen und dass ihr jedesmal eine Nachricht bekommt. Sind stets nur winzige Änderungen, weil ich so viel vergesse, oder nachgelieferte Videos. Könnt ihr getrost ignorieren). Alle anderen: Schaut einfach um Weihnachten wieder rein, ob sich was getan hat.
Bis dahin, Alles Gute und liebe Grüße

Ulrich.

Hurrikanvorsorge

In einer Woche hab ich das erste Jahr voll (Abfahrt am 08. Mai 2022). Bilanz nach elf Monaten: Ich hab eine Menge gelernt, bin vielleicht nicht mehr der völlig unerfahrene Segler, als den ich mich noch immer sehe. Ich hab einen Ozean überquert und die ersten schwachen Stürmchen abgewettert. Die ELIZABETH ist ein Herzchen von einem Schiff, in besserem Zustand (bis auf die Schiffbruchschäden) als ich sie gekauft habe, absolut zuverlässig und seegängig – am Schiff scheitert es nie. Die Hydrovane war die beste Investition ever (und die teuerste). Ich hab jede Menge Leute getroffen, einen Haufen Geschichten gehört, ein paar davon sogar wahr. Ich hab von neuen Gegenden (Kapverden, Karibik) zumindest einen ersten Eindruck, ich hab neue Welten erschnuppert (Einhandsegler) und bin in neue Universen mit ureigenen Regeln gefallen (Boathitchhiker). Nina (Cornelia) ist die erste und einzige der vorab zugesagten MitseglerInnen geblieben. Mit ihr und allen anderen hab ich beste Erfahrungen gemacht. Und alle haben die ELLI geliebt und sich superwohl und sicher auf ihr gefühlt. Ich hatte sagenhaftes Glück und tolle Erlebnisse, die ich nie vergessen werde (sonst kann ich sie hier nachlesen.) Ich hab Delphine, Wale, Schildkröten gesehen, Kolibris und Vögel, deren Namen ich nicht kenne. Ich hab sensationelle Mond- und Sonnenauf- und -untergänge erlebt.

Gästebuch:

Der Hafen von Willemstad, hinterste Ecke

Im übrigen bin ich der Meinung, Oceansouth gehört aus dem Verkehr gezogen. Und Traveller A. schuldet mir 30 €.

35. Curaçao

Wallilabou Bay, St. Vincent
Piraten!

(Aber nur als Pappfiguren: Wallilabou ist die Bucht, in der der erste Teil von Fluch der Karibik gedreht worden ist (jedenfalls ein paar Außenaufnahmen). (Ostermontag, 10.04.)

Die Fahrt von Fort de France hierher war alles andere als trivial. Erstmal zwei von drei Manövern verkackt: Ablegen gegen den Wind, Motor schiebt gut gegen die beiden Achterleinen, so dass ich die Muringleine am Bug loswerfen kann. Aber dann, entlasten der Achterleine zum Nachbarn hat nicht geklappt, der Wind von vorn hat mich sofort vertrieben; also hektisch die zweite Achterleine eingeholt, die gute LIZZY stand schon ziemlich schräg, und aus der Marina gedampft. Anlegen an der Tanke (um den badge, den Funkknopf, der die Tore zum Steg aufschließt, abzugeben) angelegt »like a pro«, so Jeanneau, der Marinero vom Dienst, der meine Leinen übernimmt. Beim Ablegen aber Regel 3 (oder 8? Jedenfalls noch aus Poole) gröblich missachtet: Vor dem Ablegen Strom und Wind prüfen! Ich hätte ablandigen Wind gehabt, einfachster Ableger der Welt, einfach Leinen los und warten, bis das Schiff vom Steg getrieben wird. Aber nein, Gegenwind erwartet, Eindampfen gegen Achterspring vorbereitet, Bugleine losgemacht – und sofort fängt das Boot an abzutreiben. Drückt mit dem Heck (Fender) gegen den Steg, kehrt sich aber soweit ab, dass der ungefenderte Spiegel (und das Ruder der Hydrovane!) gegen den Steg gedrückt werden, Achterleine kommt mächtig unter Spannung. Gerade kann ich sie (mit Hilfe eines anderen, herbeigeeilten Marineros) loswerfen und dampfe ab, quer zum Steg. Sah sicher nicht gut aus. Außerdem hing die Achterleine noch im Wasser, was mir der Helfer auch noch zurufen musste – peinlich. Aber nix passiert, Georgie (um den ich gefürchtet hatte) steuert unbeirrt.
Draußen vor der Ausfahrt aus der Bucht steht eine üble, kurze Welle, sicher anderthalb Meter. Das BETSYBABY wird heftig durchgeschüttelt, scheint es aber (kommt mir vor) zu genießen, nach einer Woche Marina wieder in Bewegung zu sein. Taucht aber, bei allem heftigen Stampfen, immer wieder ihren Anker in die ankommende Welle und nimmt hektoliterweise Wasser in die Bugwanne über (hier hab ich nachgesehen: sicher wieder 15 l Wasser in der Salonbilge. Irgendwann muss ich rauskriegen, warum die ELLI bei schwerer See Wasser zieht). Kräftiger halber Wind (Bf 5-6) macht gute Fahrt. Aber auf dem Weg brechen sich die Wogen. Erst suche ich nach einer Lücke, aber die Brecher gehorchen keiner Regel, tauchen überall auf; scheint also keine Untiefe zu sein, sondern einfach fiese, kurze Welle. Also kurzentschlossen mittendurch, Kurs 187° (bei 15° Missweisung sind das 201° auf dem Kompass). ELLI stellt sich als durchaus nicht die lahme Ente heraus, die sie bei schwachem Wind wohl sein soll: kämpft sich mit bis zu 7 kn durch die kabbelige See. Und macht das bravourös. Inzwischen wird es dunkel. Schon bevor die Lichter von Martinique unterm Horizont verschwinden, tauchen die von St. Lucia auf. Dessen Küste passiere ich eigentlich viel zu nahe (2 nm), aber der Westindies-Führer warnt vor westlichen Strömungen zwischen den Inseln, die einen leicht versetzen können … Wind frischt noch mehr auf, könnte man reffen. Bin ich aber zu faul zu, drehe nur die Genua ein paar Windungen ein, verringert sich die Fahrt auf 6 kn. Gut genug.
Zwischen drei und fünf am Morgen schläft der Wind komplett ein, Nachtclubwummern schallt herüber. Und Georgie weiß nicht mehr, wohin. Eine Stunde von Hand „gesteuert“, dann kommt wieder Wind auf und ich kann George das Feld überlassen und mich hinlegen. Anderthalb Stunden später liegen die unverkennbaren Pitons (Hügelberge im Süden der Insel: Grand Piton, Petit Piton (nicht: Tetons, sorry, André!) noch immer querab! Der Wind  scheint sich gedreht zu haben, wir sind 240°, also steil nach Westen gesegelt!
Lässt sich korrigieren; im ersten Licht (ca. 05:30h) meine ich im Grau dunkle Bergsilhouetten ausmachen zu können. Das muss St. Vincent sein.

Nicht der Vulkan

Tatsächlich  sind die Berge der Insel anderthalb Stunden später deutlich  zu erkennen, jetzt brauche ich nur noch der Küste entlangzufahren … Festmachen in Wallilabou (den Namen musste ich mir aufschreiben, konnte ich mir einfach nicht merken. Schlimmer war nur noch Barrouaillie, der nächstliegende Ort, wo es einen Geldautomaten gibt).

Festgemacht wird auf St. Vincent (vor Anker oder) an einer Boje, mit einer langen Heckleine zum Ufer (oder den Restpfählen eines vom Hurrikan zerstörten Anlegers). Kann kein Mensch alleine, also kommen hilfsbereite Linehandler im Motorboot (oder auf altersschwachen Surfboards) und befestigen die Taue. Nur das Heck gegen den Wind in Richtung Strand ziehen muss der Skipper schon selber. Mein Helfer bringt mich auf seinem Surfboard sogar zum Dinghy-Steg (20 Caribbean Dollar fürs Anlegen, 10 für Abholen und mich wieder aufs Schiff bringen). Im Strandrestaurant (über und über mit Filmpostern, -devotionalien, Requisiten und Selfie-Gelegenheiten (aufrecht stehende leere Särge, Pranger und Galgen samt Henkersknotentau, überlebensgroße Figur des Jack Sparrow) dekoriert), selbst noch halbe Kulisse mit nachgemachtem Mauerwerk und Scheinfassade, gibt es einen Kaffee auf Kredit. Sensationell. Auf dem Weg zum Klo hängen privatere Bilder, Keira Knightley und Johnny Depp mit Schaulustigen, vor allem Kinder.
Kurzer Spaziergang über den Hügel nach Barrouaillie, es ist Ostersonntag und aus allen Kirchen und Gebetshallen dringt aufgeregtes Predigen oder hymnischer Gesang. Auf dem Sportplatz jagt eine Gruppe junger Männer aufgeregt einen Iguana [Echse] (Beinlang). Im leeren Supermarkt weiß die Aushilfe nicht , wo Zoll und Immigration sind (fragt aber bereitwillig eine Passantin: soll in der Bucht sein, wo ich herkomme). Insgesamt macht St. Vincent (Linksverkehr) einen überaus sympathischen Eindruck, auch wenn die Häuser wild über die Hügel hingewürfelt und teilweise, obwohl noch nicht fertiggestellt, bereits Ruinen sind. Im Sonntagsstaat, auf dem Rückweg vom Gottesdienst, sieht keine(r) wirklich arm aus. Und Autos und Motorräder preschen über die schmale Landstraße, als ob Spritpreise kein Thema wären …
Zurück im Johnny-Depp-Strandrestaurant meine Schulden bezahlt und mich zum Lesen und Ruhen aufs Boot verzogen (mit Hilfe des ebenfalls ausbezahlten Linehandlers Bub).
Heute, Montag, losgerudert, sobald es hell genug war (andauernd kommen Leute, vor allem Jugendliche, mit Angeboten ans Boot: Obst, Gemüse, Müll wegbringen, frischer Fisch; zum Teil bitten sie auch um milde Gaben (Spaghetti, Tafel Schokolade, Rest Glasmatte und Epoxy, um das altersschwache Surfbrett zu flicken) ; einer jedenfalls hat mir den Schnorchelspot am Ausgang der Bucht empfohlen, hinter dem Felstorbogen).

Rechts hinten: Felsbogen; links vorne: Krabbe

Traumhaft. Fische von winzig bis armlang, weißschwarz gestreifte Seeschlange, vor allem aber riesige, rhabarberartige Blätterpflanzen (oder Tiere?), die sich in den (überseeischen) Wogen sanft bauschen und bäumen. Hab ich schon erwähnt, dass die Bucht von Wallilabou überirdisch schön ist, Wasser kristallklar, Sand dunkelgrau (Vulkaninsel!), Landschaft dichtgrün bewachsene steile Hügel, Menschen überfreundlich, Währung schwach (1 Eastern Caribbean Dollar = 0,34 €).

Eher: Filmen vom Dinghy aus


Nach dem Schnorcheln Full English Breakfast im Strandrestaurant (dafür ist dann der Bojenplatz frei [dachte ich, stand so im Führer]), WiFI checken (für Telefonieren am Nachmittag, Abend in D.), Lesen.
Am Strand spricht mich Kenny an. Er führt Touren zum Gipfel des La Soufrière, Vulkan. Die schwierigere Strecke (laut Führer) von Osten aus. Geht um 06:00 Morgen früh los. Durch Marihuana-Plantagen, soll gefährlich sein. Bestreitet Kenny lautstark. Sein Kumpel Buddy kommt auch mit. Schaun wer mal. Also jetzt (22:01) besser schlafen.

Buddy, Kenny
Fehlen die Superlative

Mi, 12. 04., Wallilabou. Wenn ich Martinique schon wunderschön fand, dann gehen mir für St. Vincent die Superlative aus (wahrscheinlich ist der Vergleich nicht fair: in Fort de France lag ich in der Nähe der Hauptstadt, hier an der weniger entwickelten Leeküste in einer verträumten Bucht). Jedenfalls: die Insel ist überirdisch schön, ein Paradies. Gestern wie vereinbart um sechs zu Kennys Platz am Strand (der auch von anderen Linehandlern genutzt wird) gerudert und mein Guide kam so (fast) pünktlich wie ich. Erste Szene: Eine Bretterbude am Straßenrand stellt sich als kleiner Laden und die Bushaltestelle des Kaffs heraus. Schon frühmorgens (die Tage sind kurz) scheinen alle auf den Beinen. Die Ladenbesitzerin (Riesenbusen, löchriges T-Shirt) gibt Rum (»very strong rum«) in selbstabgefüllten kleinen Flaschen aus, zum Frühstück werden dazu Joints geraucht. Ein Hahn besteigt eine Ente (???), von der er zuvor einen Nebenbuhler verscheucht hat. Hunde streunen, eine Ziege wird über die Straße gezerrt. Während des einstündigen Wartens auf den Bus nehmen auch Kenny und Buddy ihre ersten Morgenschlucke. (Um den Kater vom Vorabend zu dämpfen). Kennys Augen sind blutunterlaufen, scheint aber ihr üblicher Zustand zu sein. Als der Bus (Collectivo) kommt, fährt er uns (samt Machete) über die schmale Küstenstraße durch die wildeste und schönste Landschaft, die man sich vorstellen kann: steile, grüne Hänge, eine Haarnadelkurven reiht sich an die nächste, Berg und Tal. Kleine Ortschaften drängen sich in die engen Flusstäler, bunte Häuser kleben an den steilen Hängen, tropische Vegetation. Die Buspassagiere sind bunt gemischt, ein Schulmädchen (mit gelb-violettem, ersichtlich selbstgenähten Quastenhut), eine Sekretärin oder Angestellte in Bluse und blauem Rock, Bauarbeiter. An einer Bude wird der Helfer des Fahrers losgeschickt, Brot zu kaufen, kommt zurück und die Fahrt geht kupplungskreischend und bremsenquieteschend weiter. Auf einem Kamm, weitab von jedem Ort: ein Gefängnis, ebenfalls bunt (hellblau) getüncht. Die Endstation liegt im Nirgendwo, fast am Ende der Straße (es gibt keine durchgehende Verbindung um das Nordwestende der Insel herum – dort schickt der Vulkan seine Lavaflüsse und Aschenströme ins Meer). Knappe halbe Stunde  Fußweg (Rinder sind mitten im Grünen angebunden, Ziegen meckern irgendwo, unter Mangobäumen). Kenny und Buddy versorgen mich, wir essen die Früchte direkt aus der Hand (reife Mangos kann man mit den Fingernägeln schälen). An einem breiten Flußlauf, zugleich die einzige Kiesgrube der Insel, (überall sonst ist es verboten, Sand, Kies oder Steine vom Strand zu holen) endet auch der letzte unbefestigte Weg. Im breiten Flußbett verteilt sich das Wasser in einzelne lebhafte Bäche. Schuhe ausziehen? Meine Wanderschuhe sind wasserdicht, versichere ich Kenny. Aber dann, in einem wadenhohen Bach, erwischt es mich doch: von einem glitschigen Stein abgerutscht, den nächsten verfehlt, wirft es mich breitseits ins Wasser. Handy zum Glück in der oben liegenden Schenkeltasche. Der Rest (Hose, Stiefel, T-Shir)t durchnässt. Macht aber nichts, noch herrscht angenehme Wärme. (Klar hab ich eine wasserdichte Handyhülle dabei, aber eben nicht eingesetzt, Blödmann ich). Frühstück im kiesigen Flussbett. Meine Führer haben ebenfalls eine Dose (Sardinen, ich: Pastete) und Brot dabei.


Am Meer entlang, erst schiefergrauer Sand, dann runde, basketballgroße Roller (die grünmähnig bewachsenen sind glitschig) geht es auf die graue Sandmöräne zu, die vom letzten Ausbruch (zwei Jahre her) zurückgeblieben ist. Doch schon vorher zweigt ein Trockental ab, eine Klamm mit turmhohen Sand- und Kieswänden, an der engsten Stelle kaum zwei Schultern breit. Bizarr schön windet sich das trockene, ebene Flußtal sanft den Berg hinauf.

Dann geht es über Rundlinge in den Dschungel. Erdweg, steil, zwischen den hüfthohen Gräsern kaum zu sehen (Brennnesseln gibt es anscheinend nicht auf der Insel). Möchte man bei Regen nicht machen, diesen Pfad. Bananenpalmen, Mangobäume, Avocadobäume, Brotfruchtbäume, Büsche mit Soursop (Kinderkopfgroße, stumpfstachelige kürbisartige Früchte, die nach drei oder vier Tagen Lagerung weich und genießbar werden (sollen, haben wir erst auf dem Rückweg mitgenommen)). Der Weg (offiziell ist er gesperrt, wahrscheinlich seit dem letzten Ausbruch) zieht sich den Kamm des Vulkans hoch, fällt oft nach beiden Seiten hunderte Meter tief in den Abgrund und erinnert stark an die Hexenkesselwanderung in Santo Antao (der Titel der wildesten und schönsten Wanderung ist seit gestern nicht mehr unumstritten). Weiter oben stampfen wir durch kleine Roosa-Wälder (die ganzen Bezeichnungen muss ich nachschlagen, soblad ich funktionierendes Internet habe), übermannshohe bambusähnliche Stengel, die zum Bauen verwendet werden und sich dafür besser eignen als Bambus, sagt Kenny.

Unter einem riesigen Feigenbaum wird endlich der halfway point erreicht. Wir sind seit dem Strand (Meereshöhe!) anderthalb Stunden unterwegs.
Bald wird die üppige Vegetation dünner, aufgrund der Höhe, aber vor allem wegen den Nachwirkungen der extremen Hitze des letzten Ausbruchs.

Lavafluss (und Kenny)

Vom Kammweg aus fällt der Blick in das kluftige Tal, durch das sich die Lava ihren Weg gebahnt hat (und an einer Stelle wie ein Wasserfall gestürzt und gebrochen ist, bizarr!) und später vom Ascheregen (der inzwischen weggespült, aber am Rand des Tals noch in dutzendmeterdicken Schichten aufgehäuft liegt) begraben wurde. Eine halbe Stunde geht es durch toten Wald, weißgebleichte Stämme, denen die Hitze der Gaswalze jegliches Grün ausgebrannt hat, der Boden ohne jeden Bewuchs und deutlich am verwittern (ausgeschwemmt werden).

Kenny bleibt zurück, die letzte halbe Stunde hinauf zum Krater, über Kies und Geröll (aber fest) machen Buddy und ich alleine. Über den nackten Kamm bläst heftiger Südwestwind, der einen wegzuwehen droht, also besser am rechten Rand des Pfads, halb gegen den Wind gewandt seitlich stapfen (damit zur Not noch ein Sicherheitsschritt nach links bleibt). Dann fängt es an, nach Schwefel zu riechen, nach einem Scheingipfel liegt endlich der Krater unter uns. Es ist halb eins. Sehr unwirtlich und sehr schön. Im Krater schwelen Fumarolen, schwefelig gelb ziehen sich Lavastandsspuren um den fast kreisförmigen Krater, manchmal, sagt Kenny später, ist sogar rotglühende Lava zu sehen (oder ahnen). Neblige Wolken peitschen über den Kraterrand, drum herum liegen die grünen Berge, ihre Flanken bis hinab zum Meer, blaues Wasser und zahllose Segelschiffe friedlich im Sonnenschein.

Commander McLean

Nach kurzer Pause auf dem unwirtlich windigen Kraterrand geht es vorsichtig über den jetzt doch oft lockeren sandigen Kies zurück zu Kenny im toten Wald.
Rast aber erst am Halfwaypoint unter der knorrigen Feige. Ich teile meine zweite Ration, lege mich auf das schmerzende Kreuz, muss wohl auch eingeschlafen sein, denn die beiden wecken mich: Wenn wir den Bus zurück kriegen wollen, müssen wir im Tal sein, bevor die Bauarbeiter Feierabend machen. Unser Bus, stellt sich jetzt nämlich heraus, war gar kein öffentlicher, sondern der Zubringer für die Straßenbauer, die dabei sind, die Landstraße in den Nordwesten zu verlängern …

Der Weg zurück

Rückweg wie immer kürzer als Hinweg, jetzt endlich tausend Fotos geschossen [die Reihenfolge oben ist nicht chronologisch], zurück in der Klamm, wo es nur noch fast eben weitergeht, große Erleichterung. Dass ich nicht öfter an diesem Tag vor Freude geschrien habe, lag allein daran, dass ich nicht alleine war, sondern in Begleitung …

Enttäuschung 1: Kein Laster (der uns hätte mitnehmen können) lädt Kies im Kiesgruben-Flussbett. Enttäuschung 2: Zwar lärmen noch einige Baumaschinen, aber der Zubringerbus der Bauarbeiter ist schon weg. Also Fußmarsch zum nächsten Dorf (Fitz-Hughes), zum Glück gibt es bald eine Kneipe (Cola und Kippen für mich, Rum und Kippen für die Jungs) und im anliegenden übernächsten Dorf (Chateaubelair, womit die diesen Namen verdient haben, ist mir schleierhaft) soll auch ein Bus fahren. Enttäuschung 3: Wird aber nur ein Taxi, etwas teurer. Enttäuschung 4: der Minibus hat tiefgrau abgedunkelte Scheiben, von der sagenhaften Landschaft der Hinfahrt ist kaum etwas zu sehen (und schon gar nicht zu filmen). Zurück am Lädchen mit der originellen Wirtin (Naseschneutzen wie eine Wilde, hat mich schon am Morgen geschockt), inzwischen hat sich eine kleine Gesellschaft eingefunden und sitzt auf der Bank am Laden, Kenny wird entlohnt, Buddy verabschiedet, kurzer Spaziergang zum Dinghy, kurzer Sprung ins Wasser vom Boot, Abendessen im Johnny-Depp-Restaurant am Wasser: endlich bekomme ich den Fish creole, nach dem ich mich schon seit Tage erkundigt habe: sehr lecker. Muss ich erwähnen, das ich nach 8 km reiner Wanderung (sicher fast achthundert Höhenmeter) und ebensolangem Rückweg fix und alle bin? Muss ich nicht. Jedenfalls wie tot in die Koje gefallen und bis fast 6 Uhr geschlafen, es war schon hell! Und mein Rücken tut auch heute noch weh. Jammern auf hohem Niveau.

Heute Rücken

Die Schießerei von 2016 auf einem Katamaran, ein Toter, ein Schwerverletzter, in genau dieser Bucht, unter der Wallilabou und die gesamte Insel noch heute leiden, soll nach Kennys Informationen eine Vorgeschichte gehabt haben: Von Mora (? Mayreau?), einer der Grenadineninseln, sei ein Schnellboot hier herüber gekommen, es ging um irgendeine Rachestory. Jedenfalls, so Kenny, war es keiner von hier. Und wie ich die Leute hier einschätze, jeder kennt jeden, mein Dinghy lag einen kompletten Tag lang unberührt am Strand, tendiere ich dazu, das zu glauben. Jedenfalls hat jeder auf St.Vincent, bis hinauf zum Gouverneur, einen Hals auf die Typen. Und der Tourismus ist seither nie mehr auf das Niveau aus der Zeit davor gekommen. Kenny hat übrigens zwei Brüder, die nach England zur Armee gegangen sind, und zwei Schwestern in Kanada. Falls er in ein paar Jahren, wenn ich hoffentlich noch einmal hierherkomme, nicht mehr da ist, ist er ins Mutterland ausgewandert, für das die Bewohner von St. Vincent kein Visum, nicht mal einen Pass benötigen (die verstorbene Königin ist noch auf allen Scheinen der hiesigen Währung, EC [Eastern Caribbean Dollar] abgebildet). 

Kleine Glücke

Fr. 14.04., 12°58’N, 63°04’W: zwischen der Perlenkette der Windward Islands (franz: Antilles) und Südamerika liegt eine ganz schön große Fläche Meer: 470 nm nach Curaçao. Heute ist der zweite Tag.
Am Mittwoch war erst einmal Ruhetag angesagt. Dabei gaben gar nicht Po oder Beine den Geist auf, wie ich befürchtet hatte (oder mein angeschlagenes linkes Knie). Nein: der Rücken. Also einen Tag lang geschont, nur gelesen, zum Frühstück ins Strandrestaurant, zurück aufs Boot und noch mehr lesen. C. Alexander: Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty. Weil: St. Vincent war die erste Insel, auf die Kptn Bligh (nach seiner zweiten, erfolgreichen Brotfrucht-Mission, seine Setzlinge brachte, und damit die Verbreitung der Pflanze in der neuen Welt einleitete … (hochgestochen). Bligh war kein Charles Laughton. Zwar zum Jähzorn neigend, aber nicht bösartig. Die Meuterer waren vor allem jung, verwöhnt/verzärtelt (aus gutem Haus) und zum ersten Mal freizügig, ungezwungen, lustvoll verführt worden. Muss eine für einen Engländer unwiderstehliche Mischung gewesen sein. Jedenfalls: Die Sage ist sehr viel mehr von (den romantischen Bearbeitungen, vor allem aber den zeitgenössischen Dramatisierungen und Zeitungsberichten) den einflussreichen Familien der Christians und der Heywoods manipuliert/bestimmt worden als vom pflichtbewusst-sturen Kapitän Bligh. Großes Lektürevergnügen, wieder.

Versteckt sich gut:
die schickste Krabbe der Welt

Nachmittags um vier machen Zoll und Immigration auf. Also wieder fein gemacht (vorher Winschen geschmiert, Schäkel, Karabiner) und aufgewartet. Mittelgroßer Anschiss: das Büro war auch über Ostern auf, ich hätte längst dort aufschlagen müssen. Erledigen aber alles klaglos. Ich brauche nur 141 EC, hab aber rein gar kein Bargeld mehr. Hilft mir gnädigerweise der Wirt (und Bojenvermieter) aus, streckt mir das Geld vor und rechnet es über die Kreditkarte ab. Dass ein kleines Zettelchen mit den Öffnungszeiten im Fenster des schmucklosen Büros keine schlechte Idee wäre, nimmt der Immigrationsbeamte in Uniform gnädig als Vorschlag entgegen. »Your suggestion will be take into consideration.«
Jedenfalls bin ich nach einem Saft und der Abrechnung mit dem Wirt und dem Müllwegbringen pünktlich zum Sonnenuntergang wieder auf dem Boot. In der guten Stunde Licht, die danach noch bleibt, das Dinghy hochgehievt, gesäubert, gefaltet und an seinen Platz zwischen Oberwant und Relingstütze geklemmt zu haben, wenn einem so viel Gutes widerfährt, das ist schon … in meinem Fall den Rest des Bergeracs von gestern wert.

Außerdem ist vor mir zum ersten Mal (in meinem Leben?) der Hut gezogen worden. Merkwürdiges Gefühl. Nachmittags haben an der Boje neben mir vier (oder fünf? Eine Frau hat geschwächelt und ist vom Boot geführt worden) amerikanische Paare (alle schlank, alle Männer in Shorts und Basecaps, alle Frauen blond, mit langen Haaren und Mittelscheitel) auf einem gecharterten Katamaran festgemacht.  (Mormonen? »We don’t drink alcohol,« zum Linehandler.) Riefen wir uns Grüße zu. »Did you cross the Atlantic in this small thing?« (meint er die ELLI). Und auf mein Bejahen zieht er den Hut (bzw. die Basecap). Die anderen drei haben von da an auch respektvoll gegrüßt/nachgefragt.

Am Donnerstag früh also nur noch das Dinghy verzurrt, den Spibaum für die Genua ausgespannt, die Hydrovane klargemacht und losgetuckert. Buddy kam vorbei, brachte seine inzwischen reife Soursop und macht sie für mich auf: weißfaseriger Glitsch, schwarze Kerne, die zwischen den Fasern hängen, frischer Geschmack zwischen Zitrone und Papaya. Das Mundgefühl ist das Problem: seifig-schmierig. Buddy löst auch meine Achterleine, tut sich schwer. Mein Plan, die schwimmend vom Wasser aus loszumachen, wäre wieder mal gescheitert.

Nur, weil’s so schön ist: Ich hab das Motiv 1000x geschossen

Acht Stunden lang fahre ich schnurstracks aus der Bucht von Wallilabou nach Westen (262°), die Küste, die Berge, die Insel, ihr Schatten verschwinden endlos langsam hinter dem Horizont. Kommt nicht oft vor, so eine langsame Herausfahrt (wie die Kameraleute sagen würden). Wind von achtern, karibische See nicht ganz so mild wie gedacht, eher wild, leuchtend rosa Sonnuntergang, Mondaufgang spät, als schiefe Sichel (abnehmend), Sonnenaufgang Schlag sechs. Ich scheine tatsächlich gut geschlafen zu haben.

Willemstad, Curaçao, Mi., 19.04.

Gestern Mittag in der Marina Curaçao angekommen, Liegeplatz bekommen. Nachmittags in die Stadt getapert, Zoll und Einreise regeln. Eine Odyssee. Die Marina liegt im letzten, südöstlichsten Zipfel des weitläufigen Hafenbeckens. Luftlinie sind es bis in die Innenstadt von Willemstad vielleicht drei Kilometer. Aber der Knicker in mir wollte sich das Taxi sparen – und die Gegend erkunden. Gegenüber der Einfahrt zur Werft geht es einen Hügel hoch, drei kurze steile Serpentinen. Endet die Straße auf einem Parkplatz. An dessen entferntem Ende geht hinter einem Gebüsch eine vermüllte Treppe hinunter auf die Fernstraße, über Fußgängerampel und eine Kreuzung weiter den Hang hinab. Und dann fängt Pietermaai an, kleines Örtchen mit wunderhübschem zentralen Platz, um den Ministerialgebäude stehen, am Meer entlang durch ein altes, verwahrlostes Fischerviertel, das inzwischen gentrifiziert und die Ausgehmeile der Stadt ist, an Bürgerhäusern mit bunbemalten Schmuckgiebeln entlang, bis schließlich das Touristenviertel in der Altstadt anfängt. Willemstad ist wunderhübsch, die legendäre Pontonbrücke seit 1855 in Betrieb, man bezahlt mit Gulden oder $ US. Nur: Keiner kennt Immigration oder Customs. Ewig rumgefragt, nicht gefunden. Customs sitzt in einem anonymen 60er-Jahre-Bau. Und hat zum Glück noch geöffnet (kurz nach 16:00). Ich, schärft mir der Zollbeamte ein, brauche unbedingt einen SailClear-Account. Zwar ist die gute LIESEL eingebucht, er findet sie schließlich auch, aber eben nicht von mir und nicht von meinem Account. Zweite gute Nachricht: Die Immigration hat noch offen (Tag und Nacht), es ist gar nicht der anonyme Bau gegenüber vom McDonalds, zu dem mich eine Mitarbeiterin des (Finanz?-) Ministeriums (eine Stadtvilla am Platz in Pietersmaai) geschickt hatte. Nur: es ist ein ewig langer Fußweg, weil die Einwanderungsbehörde im Hafengelände liegt (und das seit 17:00 verschlossen ist). Versuche ich mich durch das offenstehende Tor zu schleichen, pfeift mich der Security-Sherriff (weiße Uniform) zurück. Lässt sich mein Anliegen erklären und … will mich begleiten! Superfreundlich! Fährt mich dann mit seinem RiesenToyotaPickup (mindestens 6 Zylinder) etliche hundert Meter den Kai entlang und setzt mich bei der Immigration ab. Stempeln und Kontrollieren dauert länger als gehofft, aber draußen wartet schon mein Superschlittensherriff und bringt mich wieder zurück ans (von ihm) verschlossene (und elektronisch auffahrende) Tor. Was für ein netter Typ! Jetzt endlich Zeit zum Entspannen, über die Pontonbrücke schlendern, essen und am Stadtstrand den Sonnenuntergang verpassen (Festung steht im Weg). Rückweg wie oben, noch mehr buntbemalte winzige Fischerhäuschen, auch ein Schrebergartengebiet mit streunenden Hunden und aufgebockten Autowracks. Aber zur Tagesschau wieder zurück auf dem Boot. Rumpunsch.

Fischerhäuschen (?)

Heute früh nach mühsamem Kaltstart das Großsegel heruntergenommen. Nur um vom Marinamanager zu erfahren, dass der örtliche Segelmacher vor anderthalb Jahren gestorben ist und es keinen Nachfolger gibt … muss ich wohl selber flicken. Den heißen Nachmittag mit Lesen verbracht. Und dies hier schreiben.

Wo waren wir? Ach ja: die Abfahrt aus Walilabou, aus dem Paradies …

Kenny sah in echt toller aus. Der andere Typ nicht.

Logbuch Freitag, 14.04., 08:10h: »Sonnenschein, Rückenwind, Genua und Groß zum Schmetterling ausgebaumt, die Segel schlafen. Schiff schiebt sich mit bis zu 6 kn sanft über die von achtern unterkommenden Wellen – das ist Glück.«

Etmale um die 135 Meilen. Logbuch Samstag, 15.04., 22:15h: »Wenn es drei Tage ununterbrochen hält, lässt die Euphorie langsam nach – aber Glück ist es noch immer.«

Bonaire, nahe Südspitze

Am Mittag des vierten Tages, nach Curaçao wären es noch mehr als 6 Stunden, also eine Nachtankunft, nach Bonaire eingeschwenkt, endlos lange um die Südspitze der Insel herumgefahren, einen flachen Strand, das Kap nur durch einen dünnen Stahlgitterfunkmast gekennzeichnet. Dann weiße Minihäuschen am Sandstrand – winzige Ferienwohnungen? Aber die Menschen daneben sehen viel zu groß dafür aus?

Strandhäuschen

16:20h an Plaza Beach Resort Marina, der Hafen einer holländischen Feriensiedlung, Schwerpunkt Tauchen und Casinobesuch, sportlich-mittelaltes Publikum, dafür lauter hellblonde Meisjes, die für den Service eingeflogen worden sind …
Hagen (Brite mit deutschen Wurzeln), der freundliche Hafenmeister, schickt mich ins Städtchen, 10 Fußminuten, für Essen, Trinken, Rauchen. Kralendijk ist süß, amerikanisch-niederländisch, bunte Häuschen. Man spricht Arawak, die Sprache der Ureinwohner vor den Europäern, inzwischen gemischt mit allen möglichen Einsprengseln: »Dànki« (Danke). 

Die LIESEL in der Plaza Beach Resort Marina (an Brücke festgemacht)

Die weiß getünchten, säuberlich auf Abstand gebauten Strandhäuschen an der langen Sandbank waren übrigens Sklavenhüttchen (heute: Museum). Zwei mal vier Meter (für eine Familie), gut belüftet, Strandzugang – was will er eigentlich mehr, der Afrikaner?

Berge aus Salz

Seit Covid, so Hagen, ist übrigens der vorher bunt gemischte Tourismus mehr oder weniger zum Erliegen gekommen: jetzt kommen nur noch Niederländer.
Wider Erwarten klappen die Einreiseformalitäten reibungslos und ich bin schon um 10 am nächsten Morgen damit fertig. Also Leinen los und ab. Hagen und ein Arawak-Helfer werfen mich von der Fußgängerbrücke los, an der die LIESEL festgezurrt war.  

Tafelberge?

Curaçao sollte eigentlich nur 23 nm weit weg sein, will und will aber nicht in Sicht kommen. Erst um viertel nach drei mache ich eine erste Silhouette aus (ab sechs wird es dunkel)! Auch die Spitze dieser Insel ist flach und fast schon passiert, als ich sie endlich sehe. An der Küste türmt sich ein Tafelberg, das wird doch wohl nicht das Kap der Guten H…? Wäre mir Obernavigator durchaus zuzutrauen. In Seru Boca, der Marina im letzten Zipfel von Spanish Waters, der weitverzweigten Bucht mit einer engen, verwinkelten Einfahrt, habe ich per Mail reserviert. Aber es ist stockdunkel und keiner mehr da, als ich ankomme. Suche ich mir einfach eine freie Box …
Auch das erhoffte/angekündigte Restaurant finde ich nicht. Überhaupt scheint der Hund hier begraben zu sein. Kaum ein Haus, kaum ein Licht darin. Einen der Security-Leute (Leíto) bequatsche ich, mich auf dem Heimweg zu einer Kneipe mitzunehmen. Die Santa Barbara Plantations ziehen sich endlos. An der öden Kreizung davor hat alles geschlossen. Also Fußmarsch zu einer Kneipe, die sich die Straße hinauf befinden soll … stellt sich als Chino heraus, es gibt Kippen und Bier: »You saved my life.« Auf dem Rückweg werde ich von Hunden derart verbellt, dass die Trinkfreunde vom Haus gegenüber herauskommen und nach mir schauen und sich erkundigen. Aber ganz freundlich sind.

Der Futurismo ist auch nicht mehr, was er mal war

Nassim, Araber und Lucie, Französin vom Nachbarboot begrüßen mich freundlich und heißen mich willkommen. Sie liegen schon seit einem Jahr (mit zwei Schiffen!?!) hier und schwören auf die Marina. Mich zieht es trotzdem weiter, hier ist es mir zu ruhig, kein Segelmacher, kein Boatyard, keine Möglichkeit, das Boot aus dem Wasser zu holen: 10:45 ab Ceru Boca.

Eigentlich sollte die Curaçao Marina, in der mich die superfreundliche Sekretärin von Ceru Boca eingebucht hat, nur neun Min am gegenüberliegenden Ufer von Spanish Waters liegen (Karte zuletzt 2003 berichtigt, Navionics gestern noch im Internet gewesen). Zum Glück nochmal bei Nassim und Lucie nachgefragt: Nein, ich muss raus, die Küste hoch und vor allem: per Funk anfragen, ob die in Willemstad die Pontonbrücke für mich aufmachen …

Sitzt hier ganz falsch: tote Bäume auf dem Soufriére-Vulkan

Ausfahrt traumhaft, die Mündung der Bucht ist Partymeile, schon morgens um elf wummert es vom Strand herüber.
Draußen ist Seegang, sicher über ein Meter, und Rückenwind. Aber Segel hochziehen lohnt nicht, sind nur 10 Meilen. Doch da: Vor der Einfahrt liegt ein Kreuzfahrtschiff, das wartet sicher nur, bis die Brücke aufgeht, mit denen könnte ich reinwitschen … Also Motor auf Vollgas, dazu das Vorsegel raus: bis zu 8,3 kn Rauschefahrt auf Willemstad und das Kreuzfahrtschiff zu, das sich hoffentlich nicht bewegt in den 20 Min, die ich noch brauchen werde …
Es bewegt sich nicht. Vor allem, weil ich beim Näherkommen sehe, dass es an einem langen Pier festgemacht ist. Und die Brücke ist natürlich geschlossen. Am Funk meldet sich keiner. Zwei andere Boot dümpeln schon wartend davor. Da klingelt es metallisch. Fußgänger treten zurück. Und die Brücke geht auf, schwenkt nur ein paar Meter weg. Sodass die zwei Motorboote und ich sich durch die Lücke schlängeln können. Wunderbar. Altstadtkulisse von Willemstad: bunte Giebel, Straßencafé mit Sonnenschirmen, Touristenrummel. Traumhaft. In der Hafeneinfahrt liegen luxuriöse Privatyachten (Lürssen), weiter hinten die Arbeitsschiffe, ein Wald von Öltanks, abgebrochene Pollerstümpfe, Schrotthaufen, Schiffswracks, Möven. Alles genau meins. Die kleine Marina im hintersten Winkel der  Bucht: betriebsam. Keiner hat Zeit, auf meinen Funkruf zu antworten. Lege ich also alleine an. Frage im Büro nach. Kriege Liegeplatz, Lifttermin, Standplatz im Storage: Alles regelt sich. Kostet mich $ 12 am Tag, 4000 pro Jahr. Ungefähr so teuer wie ein Langzeitparkplatz am Flughafen. Nur Segelmacher gibt es keinen.
Und, ach ja: Das unauffindbare Zollamt, direkt an der Hafeneinfahrt, ist zum Wasser durch eine meterhohe Neonschrift gekennzeichnet: »CUSTOMS«. War ja klar.

War schon schön: St. Vincent

Mi., 19.04., gefühlt Mitternacht (20:30h): Spotify entdeckt. Versunken, untergegangen. All die Jahre, wo sind sie geblieben? Music was my first love. It will be my last. Die Playlist ist öffentlich (aber noch nicht fertig) und heißt SailEliza.

34. Marina Z’abricots (noch immer)

Marina Etang Z’abricots, Fort de France, Martinique (Foto: André)
Rauchen aufhören

Hab ich mir schon seit letztem Jahr vorgenommen (und möglichweise sogar hier drüber geschrieben?). Muss jetzt aber wirklich sein. (Textteile fehlen!) Hat nicht geklappt.
Gestern früh Öl und Wasser im Motor kontrolliert (ca. halbe Tasse Diesel in der Motorbilge, hab ich gelassen). Verlorene Latte im Großsegel: war nicht zu flicken, Lattentasche ist ausgerissen, muss zum Segelmacher. Wasser gebunkert. Vorräte gestaut. Ab neun wird es schon wieder heiß, Zeit für Lesepause. Noch zu machen: Schäkel fetten (die rosten beim Zusehen) und große Flamme am Herd reparieren. Heute Nachmittag Abfahrt nach St. Vincent (18h, über Nacht).

Selbstgespräche …

… angefangen hab ich schon bei der Ausfahrt aus Le Marin, wenige Minuten, nachdem ich wieder alleine auf dem Schiff war. Scheint (mir) ein Bedürfnis zu sein. Und kleine Liedchen gedichtet. – Kostprobe? – Hier:

»Pin-Pin, the Guin,
you’re such a nice guy,
as you’ve got no beak
you will never lie.«

(Über den seit Urzeiten schnabellosen Pinguin, der am Steuerrad eingepiekt ist. – Lügen, Intrigen, Hinterhältigkeiten sind derzeit meine Themen.) Auch die Stimme vom Navi »In einem Kilometer den Kreisverkehr an der zweiten Ausfahrt verlassen auf? … eN-Eins.« kommt mir immer vertrauter vor. Und richtig: am Ende der Straße duzen wir uns bereits: »Den Rest der Strecke musst du zu Fuß gehen.« (Montagne Pelée (4km), Saut Gendarme (50m)).

Bücher aus der Tauschkiste vor dem Marinaklo: Robert Ludlum: La Vengeance dans la peau (Übers., Orig.: The Bourne Ultimatum). Unsäglich. Erzählt alles über meterlange Dialoge in vielzeiligen Blöcken. Alle Hintergründe, alle Vorgeschichten, alles. Langatmig und hölzern. ABER: Weltbestseller. Und: drei große Hollywood-Produktionen mit Matt Damon. Einsicht: das Klappentextzitat »Der (Erfolgs-)Autor auf der Höhe seines Könnens« muss gar nicht zwingend als Lob gemeint sein; es kann ebenso gut bedeuten: Das Buch ist mies, aber besser kriegt es der Typ einfach nicht hin! Abgebrochen, wieder zurück in die Kiste gelegt.

Vorgestern abend, nach blue-working, der Chandlery und drei Boathitchhikern aufm Klo („Habt ihr schon Marlene und Gustave kennengelernt?“ – „Klar, die treffen wir gleich wieder!“), die bereitwillig die Einkaufstasche mit Gustaves Sachen und Lebensmitteln in Verwahrung genommen haben, in der Strandbar Indigo den Aperitiv genommen (2mal ti Rhum, hat diesmal aber 6€ gekostet!) und beim Italiener gegessen (Tunfischtartar, Lasagne Bolognese). Lecker, aber nicht weltbewegend.

St. Anne


Und auf der Straße nach St. Anne am vorher ausgekundschafteten Waldweg im Auto übernachtet. Spaltlos geschlossene Scheiben (Moskitos!) lassen mich schwitzen wie ein Schwein, erst nackt ausgezogen, dann um 00:30h entnervt doch die Scheiben einen Tick heruntergefahren, um wenigstens ein wenig Brise ins Fahrzeug zu bekommen. Nicht gut geschlafen. Frühstück am Strand Les Salines, morgens um sieben das erste Bad.

Les Salines

Kaffee gabs keinen, die Strandrestaurants hatten noch nicht offen. Gabs aber an der Tanke in Vauclin. Der Südosten Martiniques ist trocken, fruchtbar, hügelig und voller Bananen- und Zuckerrohrfelder. Le François, eher gesichtslos. Fast (wieder) nach La Trinité hoch, um die Wanderung durch das Naturschutzgebiet (Réserve Naturelle) zu machen. Zwei Fehler: Erstens ist es Mittag, die Zeit der größten Hitze; zweitens macht so gut wie jeder Tourist diesen Spaziergang, matt, gerötet und verschwitzt kommen sie mir in Horden entgegen. Tropischer Trockenwald (wusste gar nicht, dass es den gibt), undurchdringliches, stacheliges Buschwerk zwischen Bäumen. Der Weg zum Leuchtturm auf der Presqu’île de la Caravelle ist kurz (30‘), eben und sogar teilweise im Schatten. Und sehr ergiebig. Vom 360°-Ausichtspunkt wenige Meter neben dem Leuchtfeuer aus sieht man a) nach Süden, Vauclin, François, Robert mit den jeweils vorgelagerten grünen Landzungen; b) nach Norden Trinité, Basse-Point, mehrere Kaps und (bei guter Sicht) bis hinüber nach Domenika (war aber nicht); c) nach Osten hinab auf Wetter- und Tsunamiwarnstation an diesem östlichsten Punkt der Insel und d), nach Westen, selbstverständlich ganz Martinique).

Süden

Osten

Außerdem gibt es einen Unterstand für hübsche, verschwitzte oder erschöpfte WanderInnen. Sehr lohnend. Den kompletten Rundweg (3,5h) hab ich mir gespart. Stattdessen an den ersten Strand auf dem Rückweg, bilderbuchmäßig: Brandung, Surfer, Palmen, Süßwasserdusche.

Und prompt eingeschlafen: bis 17:00. Dann aber hurtig: rasch gebadet, abgeduscht, zurückgepest und beim Carrefour notfallmäßig letzte Vorräte (Gemüse, Brot, Tomatensoße, Cookies und Schokolade, Hafermilch) und Picknickbedarf (Pasteten, Käse, Brot) erstanden: André wartet bereits in der Marina auf mich. Picknick am Hafen. Sah bestimmt lecker aus, jedenfalls äußern sich die Passanten entsprechend. War auch Wein dabei. Später fängt es an zu regnen, André muss sich einen Schlafplatz suchen, ich geh aufs Boot. Hab ich schon erwähnt, dass ich halsstarrig sein kann? – Hat aber auch Nachteile (s.u.)

Wieder was gelernt  … (über kulturelle Unterschiede)

… nämlich: dass in Martinique Leihwagen saubergemacht zurückgegeben werden. Das ging so: Vorgestern (Gründonnerstag, 06.04.) morgens das Auto ausgeräumt, Tanken gefahren (die Spritanzeige war gar nicht kaputt, wie man mir versichert hatte, weil sie nur ¾ angezeigt hatte), schon um 9:15 (statt 10:00) an der Verleihfirma gewesen. Großes Palaver, weil ich moniert habe, dass der Wagen nicht vollgetankt gewesen sei bei Übernahme. Kann gar nicht sein etc. Mit Mühe einen Zehner rausgeschlagen (getankt für 38 €). Dann Autoübergabe: So gehe das gar nicht, da sei Sand im Innenraum. Na und? Martinique ist eine Insel, da gibt es unzählige Sandstrände; dass Spuren davon auch im Auto landen, müsste doch völlig normal sein. Nein, ich müsse den Wagen staubsaugen, sonst könne die Kaution nicht vollständig zurückbezahlt werden. Fassungslosigkeit meinerseits. Wenn ich die Länder aufzählte, in denen ich schon Mietwagen genommen habe, würde diese Zeile so lang wie einer von R. Ludlums Dialogen … War aber kein Übereinkommen zu erzielen. Wurde der Mitarbeiter beigeholt, der mir das Auto übergeben hatte. Schaut sich die Sandkörner an und findet den Zustand „dégueulasse“ (widderlisch). So würde das Auto nicht zurückgenommen, 20 € seien für die zusätzlich Reinigung fällig. Ich denk, ich steh im Wald. Bin ich stur geworden. Lange gewartet, mit der Polizei gedroht, die deutsche Botschaft angerufen („diese Nummer ist zurzeit nicht vergeben“), schließlich zum Hafenmeister (die Marina Z’abricot liegt genau gegenüber): „Ich brauche Ihre Hilfe.“ Versichert der mir lachend, dass es tatsächlich stimme: Hier sei es üblich, sein Mietauto gesäubert zurückzugeben. Kleinlaut mit Hut zurück zum Vermieter getapert, mich entschuldigt, Wagen zur Tanke gefahren und gesaugt, zurückgebracht und volle Kaution zurückbekommen. »Désolé.« – »Pas de soucis!«

Dashcam: Zufahrt zur Reserve naturelle Presqu’Île des la Caravelle
Hilfe, mein Arsch geht flöten!

Im großen Spiegel der Marinatoiletten kann ich beim Abtrocknen nach der Dusche meinen Rücken bis zu den Knien sehen. Oha, mein Hintern scheint geschrumpft zu sein, da hängen zwei dicke Falten unter den Backen. Außerdem schuppt sich die trockene Haut dort und juckt (Sitzfleisch? Hornhaut?). Jedenfalls nicht schön, so ein Altherren-Po. Muss ich Creme auftragen. Meine rechte Schulter tut es auch nicht mehr so richtig. Als ich bei Caravelle ein paar Züge Delphin schwimmen wollte, bekam ich den Arm nicht aus dem Wasser. Alptraum: Ich werde nie wieder Badminton spielen können (Thomas aus der Truppe hatte mir gestern einen Kommentar auf den Blog geschrieben.) Kein schöner Gedanke. Gestern noch einmal mit André getrunken. Aber Einigung ist keine zu erzielen. Er sieht es einfach nicht ein, dass jemand für die entstandenen Kosten aufkommen muss. Und dass ich dieser jemand nicht sein will (es geht um 30 €). Das jedenfalls haben Gustave, Marlene und Alba klaglos getan: ihre Anteile an den Fahrtkosten abgedrückt. 

Traumsegeln

Frohe Ostern übrigens!

33. Z‘abricots

Rocher de Diamant

Mo., 03.04. Marina Etang Z’abricots, Fort de France, Martinique, wo ich seit Donnerstag abend liege.
Martinique ist wunderschön. Heftig grün, dschungelüberwucherte Berge und Schluchten, zerklüftet, Berg&Tal (kein Ort für Radfahrer, sorry, André) überall wachsen Bananen und anderes Grünzeug (die Felder sehen aus wie Hopfen, Drahtnetze hoch oben, aber keine Ahnung, welche Früchte darauf wachsen). Außerdem Zuckerrohr ohne Ende, hab ich aber nicht gesehen.

Die Marina it Etang Z’abricots liegt im Osten von Fort de France, etwas abgelegen. Und sehr ruhig. Aber es gibt dort einen Bäcker, einen Supermarkt, den schlechtesten Waschsalon der Antillen (Maschine wäscht ohne Waschmittel, drei von sechs Trocknern sind hors service), und einen Autoverleih. Auto gemietet, rumgefahren. La Trinité, Städtchen am Meer und Zugang zum Naturschutzgebiet auf der Halbinsel dahinter (nicht gesehen). Sainte Marie und der sandige Damm zu den davor aufragenden Felsen, Vogelschutzgebiet (Sterne de Douglass) und beliebtes Ausflugsziel.

Kluftbaden an den Felsen

Samstagabend ist Kirchgangszeit auf Martinique, alle im Sonntagsstaat. In Le Marigot Abendessen eingekauft (Brot, Käse, Wein), aus einem offenen Kirchenportal erklingt eine Arie (vom Band?) nach der Melodie der Choräle aus der Matthäuspassion (und von American Tune, P. Simon with a little help from John Sebastian). Gerührt ein paar Minuten gelauscht.

Saut Gendarme

Die lange Auffahrt zum Montagne Pelée hinaufgekurvt, Vulkankegel, der 1902 und 1929 ausbrach und Saint-Pierre katastrophal zerstört hat . Mehrere Tausend Tote (trotz tagelanger Vorzeichen) und die weltweite Skandalmeldung im Mai 1902. Oben (ca. 800 m Höhe) leider Nebel und Regensturm. Berghotel war ausgebucht, im Auto übernachtet. Auch am nächsten Morgen raining sidewise (das Motto von Devon, GB), keine Lust auf die vier Stunden Wanderung zum Krater (le Chinois) im Nebel und Regen. Allerdings nehmen zahlreiche Läufer/Wanderer (winzige Sportrucksäcke mit Trinkwasser) den Parkplatz am Ende der Stichstraße als Ausgangspunkt bzw. Ziel ihre sonntagmorgendlichen Trainingseinheiten. Cascade Saut de Gendarme. Perfektes Ausflugsziel für Autofahrer, der Wasserfall in Regenwaldambiente gerade mal 50m vom Parkplatz entfernt.

Dashcam

Die D1, schmale Bergstraße hinab zum Meer, schlängelt sich pittoresk durch Regenwald, Steinschlag und vom Sturm herabgewehte Kokospalmenwedel und -nüsse am Wegrand und auf der Fahrbahn (und weggeschwemmte Straßenabschnitte). 

Kaffee im Restaurant Kay Ti Jo am Straßenrand in Fonts St. Denis, es regnet Bindfäden, aber immer nur kurz. Frittierte Fischbällchen ausgegeben bekommen, auch ti rhum [petit rhum] (abgelehnt: ich muss noch fahren). Es ist erst 11 Uhr.
Saint-Pierre (dort wieder heiß und drückend) verbirgt seine Vergangenheit als Katastrophengebiet nicht. Ruinen (Gefängnis, Theater, Kaibebauung) mitten in der Stadt, noch immer schwarzgrau verrußt. Im Museum zum Ausbruch vom 8. Mai 1902 geschmolzene Glas- und Porzellanteller, verformte Glocke (im Erinnerungsraum mit den Namen von über 7000 nachgewiesenen Opfern), zusammengebackene Nägel, Scheren, Kabel.

Scheren

Ziemlich beeindruckend. Und zu seiner Zeit eine Weltsensation: Ein Häftling, der den Ausbruch in seiner Zelle tief unter den Felsen mit schweren Verbrennungen überlebt hat, wurde Teil des Programms von Barnums Greatest Show on Earth. Ein knappes Dutzend Wracks von Schiffen, die auf Reede oder in der Bucht warteten, liegen dort noch heute und bieten beliebte Taucherziele. Katastrophentourismus at its best. Piment für Lydie erstanden.

Piments vegetariens

Stadtstrand von St.-Pierre im Norden: gutbesucht (Sonntag!), Picknicks im Schatten der (Tabak-?) Stauden am Straßenrand (Blätter machen schreckliche Flecken auf weißen Handtüchern!), schwarzgrauer Sand, herrlich temperiertes Wasser.
Im letzten Licht abenteuerliche Zufahrt (Wasserrinnen, halben Meter tief) und 20min Wanderung zu Mahagony-Bäumen (nicht gesehen) und Wasserfall Cascade d’Anba So. Ist hoch, fällt tief, führt aber wenig Wasser (zum Glück: ich hatte mitten auf dem Brückenüberlauf geparkt). Rückweg etwas eilig; Sorge vor der einbrechenden Dunkelheit, es ist inzwischen 18:00h. Und in den Tropen: Sonnenaufgang um sechs, Sonnenuntergang kurz nach sechs. Und dann sehr rasch. Ging aber alles gut, in Schoelcher (keine Ahnung, wie man das ausspricht) letzte Strahlen und nach 15 Min zurück in der Marina – Martinique ist herrlich abenteuerlich, aber nicht sehr groß.

Leere Flaschen wegbringen ist schwer – außer einer

Letzten Donnerstag früh das Dinghy rausgehoben und mit Gustave und Marlene gefaltet, ging so einfach wie nie. Schon um kurz vor elf an der Tanke, Gas leider ausverkauft, außerdem können wir dort nicht bleiben – zu viel Betrieb. André kommt erst exakt um elf (wie ausgemacht), aber da hatte ich schon zwangsweise abgelegt. Leere Gasflaschen am Kai vergessen. Also noch einen Schlenker zurück, Gustave übergibt vom Nachbarboot (und hat auch das schwarze Säckchen mit den Dinghy-Clips in der Einkaufstasche deponiert, danke!). André kann ich nur noch aus der Ferne grüßen. Schon in der langen Ausfahrt aus Le Marin den Motor abgestellt und hinausparadiert (riesige Motoryacht mit seitlich ausgeklappter Liegewiese: schick). Der kurze Schlag von le Marin herüber bot prächtiges Segeln, Seitenwind nur unter der Genua – entspannt. Und froh, allein zu sein.

Rocher de Diamant

Der Rocher de Diamant macht seinem Namen alle Ehre, hat eine Militärgeschichte aus den Napoleonischen Kriegen, die verrückten Engländer haben das Inselchen (schlangenverseucht) besetzt, mit Kanonen ausgerüstet und zum Kriegsschiff erklärt, waren auch kaum zu besiegen (Nelson hat in der Schlacht seinen Arm verloren. Übrigens derselbe Nelson, der zwar Trafalgar gewonnen, dabei aber sein Leben gelassen hat.) Nachmittags immer wieder Buchten mit Segelschiffen vor Anker passiert. Das mächtigste: STAR CLIPPER, fünf (sic!) Masten, Badeplattform größer als mein komplettes Schiffchen.

Segeln geht auch in groß: STAR CLIPPER

Aus der Bucht von Fort de France weht heftiger Gegenwind, früh die Genua dichtgeholt, ein paar Meilen weit eingefahren, aber dann doch den Motor gestartet.
Der Hafenmeister von Z’abricots behauptet am Funk, er könne mir keine Hilfe schicken, also alleine festgemacht (Heck zum Pier). Und ziemlich geschwitzt: Gegenwind presst die ELLI quer gegen den Steg, erst mit einer Hilfsleine zum Nachbarschiff ließ sie sich mit dem Bug in den Wind ausrichten und die Muringleine heben und festmachen. Später im Hafenbüro: Ein anderes Schiff fordert Hilfe an, der Hafenmeister sagt zu, hat aber keine Eile, tatsächlich aufzubrechen. Ich bin einfach zu naiv, er etwas träge. Aber supernett.
Und ich bin sehr froh, endlich wieder mit Landzugang zu liegen. Feistes Abendmahl im Kairestaurant Le Spice. (Fischbällchen, Entrecôte, Kokospudding zum Nachtisch, lecker. Zwei Gläser Wein.) Absacker? Käme jetzt gut. Sehr gefreut habe ich mich, als ich im Weinfach Gustaves letzten Rest Barbadosrum gefunden habe, Old Brigand, der laut den (zwei) Einheimischen (die ich getroffen hab) beste Rum der Insel. Aber: Der Rest des Whiskeys, den wir für den Half-way-Abend gekauft hatten, ist weg. Klar gehörte der uns allen. Aber Bescheid sagen wäre wohl drin gewesen, oder?

Am Freitag klar Schiff angefangen, geräumt und die abgeschorene Scheuerleiste (Hektik an der Tanke in Le Marin) wieder angedengelt. Und eingekauft (zwei Gasflaschen, Käse, Saft). Und das Auto vorbestellt.

Martinique ist super. Weil es europäisch ist. Doitscher Strom, doitsches Geld, doitsches Auto (Opel Corsa). Könnte sich der doitsche Spießer nicht besser erträumen.
À propos: Hab ich schon erwähnt, dass ich einen riesen Hals auf Boathitchhiker/Traveller habe? Kam bisher noch nicht so richtig rüber? Dann schreibe ich mir das jetzt vom Leib: 

Modern wording

Traveller/Boathitchhiker U. versieht seine Nachtwachen, indem er liest. Und sich dabei nicht stören lässt. Die Segel schlagen, der Steuerautomat schuftet sich den Wolf, aber U. widmet sich unbeteiligt einer Lektüre. Hätte ich, ur-old school Spießer, der ich numal bin, gedacht, dass Traveller U. wohl ein perfektes A…loch sein muss. – Weit gefehlt! – »Er hat nur das falsche Boot erwischt.« (Es gibt Atlantiküberquerer, die keine Nachtwachen machen.). Feilscht ein Boathitchhiker um seinen Anteil an den nachgewiesen entstandenen Kosten (Guten Morgen, André; ich seh dein Lächeln!), dann war er eben auf dem falschen Boot. (Es gibt Skipper, die keine Kosten umlegen. Manchmal wird die „Crew“ sogar bezahlt – der feuchte Traum jedes Boathitchhikers!) Wie allerdings die Sprachregelung lautet, wenn der/die TravellerIn trotz Bezahlung ihren/seinen Job nicht macht, entzieht sich meiner Kenntnis. Finde ich aber sicher auch noch heraus.


„Ich mach mir die Welt, widewidew… wie sie mir gefällt!“ Pipi stellt eigentlich, genauer überlegt, die Urmutter aller Traveller avant la lettre dar: Hausbesetzerin, containert, akzeptiert keine Regeln, kommt ohne Geld aus (bis auf das Ersparte des Papas). Und wenn man die Traveller als nie erwachsen gewordene Elfjährige versteht, ergeben ihre Arroganz (gegenüber Touristen, oder sogar nur Hostel-Typen (der echte Traveller nächtigt für lau)) und ihr Stolz auf selbstgemachte Erfahrungen tatsächlich Sinn.

Regel 24: Boathitchhiker machen keine Fehler. Sie sind höchstens auf dem falschen Boot.

Ewige Weisheit, mühsam erlernt

Nur um das klar zu äußern: Ich hab enormes Glück gehabt mit meinen Hitchhikern: Gustave ist eine Seele von Mensch, ebenso Gawain, ohne den ich das hier nicht hätte schreiben können, Alba und Marlene haben auf der langen, engen Überfahrt für entspannte Stimmung gesorgt und ihre Jobs gemacht. André hat sich wirklich für das Schiff interessiert und mir mit seinen nüchternen Kommentaren den Verstand gerettet. – »Wir hatten eine wundervolle Überfahrt, das kann uns niemand mehr nehmen.« Das hab ich zu Gustave und Marlene zum Abschied gesagt und aus ganzem Herzen gemeint.

Gute Stimmung: Abschiedstänzchen in Mindelo

Wahrscheinlich ist es der pure Neid meinerseits, auf die jugendliche Unbekümmertheit, auf die Spontaneität und Bedürfnislosigkeit, auf die Lust am Leben (und am Weed). Allen Boathitchhikern wünsche ich jedenfalls alles erdenklich Gute. Nur eben ohne mich.

Marina Le Marin
André hat bezahlt!

Di., 4.4., Le Marin (wieder). (Gestern, Mo., vier Stunden ELLI gestaubsaugt und aufgeräumt, vier Stunden Filmchen „geschnitten“ und diesen Blog geschrieben; abends in Städtchen: Fort der France ist herrlich abgerockt, Industriehafen, Imbissbuden, Vergnügungspark am Kai. Uralte Geschäftshäuser mit Schmiedeeisen-Baldachinen über dem Trottoir stehen noch verwahrlost mitten in der Fußgängezone. Und einen vorbedachten schweren Fehler gemacht:

Regel 25: »Geh NIEMALS, unter keinen Umständen, bei MCDonalds (oder Wurger King oder KFC) essen!«

Touristenweisheit

… weil nämlich die nächste, sehr einladend aussehende lokale Grillstation um die Ecke, am Fähr- und Busterminal und gut frequentiert ist.)
Eigentlich wollte ich heute früh nach Süden fahren und André irgendwo auf dem Weg treffen. Aber er war bereits um sieben in der Frühe in Etang Z’abricot! Und hat, nach stundenlanger Diskussion, zumindest seinen Anteil für die Atlantiküberquerung abgedrückt. [Er sieht das anders: Er hat Boathitchhiker getroffen, die über ihre Kostenbeteiligung für die Atlantiküberquerung geredet (gestrunzt? Wenn es Seemannsgarn gibt, gibt es dann auch Boathitchhikerboast?) haben. Demnach gibt es Yachten, auf denen man für € 80.- mitfahren kann. Geht so: Skipper kauft Reis, Nudeln, Tomatensoße (und gibt die aus), Hitchhiker kaufen jeder für sich, was sie wollen (Chips, Cola, Bier). Und rechnen sich die Welt schön … Außerdem: drei Wochen lang nur entweder Reis oder Nudeln mit Tomatensoße: da wäre ich sicher vom Schiff gesprungen. Jedenfalls: André sieht sich mit den € 200.- (für fünf Wochen) als angemessen finanziell beteiligt (womöglich großzügig aufgerundet) an.] Ich bin jedenfalls gottfroh, dass ich eine Crew hatte, die (zwar Geld für die unmöglichsten Dinge rausgeschmissen hat: Tofu in allen Arten und Formen, Miso-Konzentrat, Algenblätter, Trockenpilze (6 Tüten!), div. Mehle und (Kartoffel-)Stärken, Gewürze in allen Farben, aber) Wert auf abwechslungsreiche und gesunde Ernährung (Obst, Gemüse, Säfte) gelegt hat, auch wenn das etwas mehr gekostet hat. War André eben auf dem falschen Boot. Hätte das aber von Anfang an wissen bzw. erfragen können. Über die Finanzen haben wir früh, offen und ausführlich geredet. – Ähem: mein dicker Hals will einfach nicht abschwellen…

Fort de France

Jedenfalls bin ich wieder im blue-working-Büro in der Marina in Le Marin, klimatisiert, Kaffee frei, stabiles Internet: alles super. Und sehe mir später den Südosten der Insel an. Und bin für morgen abend mit André zum Bier verabredet. Denn eigentlich ist er ja supernett. Nur bin ich eben superstur.

Hier noch, wo ich jetzt gelernt hab, wie man You-Tube-Videos einbettet, noch zwei Filmchen: Celia segelt mit von Cádiz nach Marbella; und: Impressionen von einem Aussichtspunkt an der Küstenstraße bei Case-Pilote. Viel Spaß damit!

Durch die Straße von Gibraltar
Strandparty und Jetskis

V. Karibik (32.)

Arbeitsplatz am Port de Plaisance, le Marin. (ELLI in der Bildmitte, kaum zu erkennen)

32. Martinique

Di., 28.03.2023, Port du Plaisance, Marina au Marin, Martinique. Der Arbeitsplatz im Workspace blue-working liegt über dem Hafen, Blick auf die Marina und (irgendwo in der Bildmitte) auch auf die LISBETH. Und kostet € 25 am Tag, Wifi und Strom (und Kaffee) inklusive. Superpraktisch.
Wir haben die zweite Nacht an einer Boje verbracht, jeden Tag Dinghyrudern an Land mit den entsprechenden Absprachen. Klappt aber einigermaßen reibungslos. Gestern hab ich uns für einen Platz am Steg einzubuchen versucht, ist abgelehnt worden, heute läuft die Anfrage für einen Bojenplatz (bis Oktober). Mal sehen, ob es klappt. Wenn ja, erkunde ich die Insel noch ein paar Tage und suche mir dann eine Passage nach Europa. Wenn nicht, muss ein Plan B her.

Bessere Zeiten: André und Alba

Auf Barbados haben wir nach unserer Nacht an Land, Speickstown, gute 20 Minuten Fußweg von der Marina Port St. Charles, wo es außer einem einzigen Restaurant (und der Immigration) rein gar nichts gibt (Ferienwohnungen mit Bootsanlegestellen, gated community), am nächsten Nachmittag in Richtung Bridgetown aufgemacht, zwei Stunden herrliches Segeln mit Seitenwind. So jedenfalls die äußeren Bedingungen. Ohne Windsteuerung wollten wir Rudergehen und andere Segelstellungen als das ewige Passatwindsegeln austesten. Und Vorschoten bedienen und Wenden fahren und all sowas. Irgendwas lief aber schief, Alba hat keinen geraden Kurs hinbekommen, wollte sich aber auch nichts sagen lassen, sondern hat sich gegängelt gefühlt. Was ich falsch gemacht habe, kann ich nicht rauskriegen, weil mir Antworten verweigert werden. Aus Andeutungen (»mitten im Manöver!«) schließe ich, dass mein Fehler war, Alba anzubrüllen, die Vorschot nicht zu früh loszuwerfen, weil Gustaves Wenden ohnehin schwierig genug waren … Jedenfalls war miese Stimmung an Bord. Gustave hat uns in den Careenage Old Schoner Port gefahren, dort war aber kein Platz am Pier, alles voller Charterkatamarane für die Tagesausflügler von den Kreuzfahrtschiffen. In der Carlisle Bay direkt südlich gehen wir vor Anker. Nach zwei Nächten und zwei Abenden in der Stadt (Marlene und Alba schneiden mich, reden nicht mit mir) vor den BCC, den Barbados Cruising Club verholt, wo es zwar auch keinen Ponton für das Dinghy gibt (Anlanden am Strand und vor allem Ablegen vom Strand war kein bisschen trivial, auch wenn die Minibrandung höchstens 20cm hoch war: Mich hat es ebenso wie die anderen quergeschlagen und ins Meer geschubst, Wasser im Dinghy und alle Klamotten durchnässt. Vor dem BCC ist zwar auch Strand, aber wir sind besser und koordinierter geworden im raschen Hochzerren des Beiboots auf den Strand). Im BCC gibt es Duschen, eine (Snack-) Bar mit herrlicher Terrasse und superfreundliches Personal. Ninja, der Hafenmeister des Clubs, hat uns direkt bei der Ankunft von unserem geplanten Ankerplatz verjagt, ist aber dann mit seinem Kajak herausgepaddelt und hat uns einen perfekten Platz zugewiesen (und außerdem für die WeedliebhaberInnen an Bord speziellen Kaffee (»this is not for you!«) mitgebracht. Superfreundlich eben. Vierundzwanzig Stunden vor der geplanten Abfahrt kam André pünktlich (wenn auch abgehetzt, meine Signalnachrichten haben ihn nicht erreicht, obwohl sie bei mir als zugestellt angezeigt worden sind,) von seiner mehrtägigen Inselerkundung zurück. Hellauf begeistert von Barbados (»ein klasse erstes Ziel in der Karibik«), der Landschaft, den Leuten. Er könnte sich sogar vorstellen, hier zu leben (und eine deutsche Bäckerei aufzumachen). Andrés Begeisterung war ansteckend. Deshalb sind wir, nachdem wir am Nachmittag die Ausreiseformularitäten geklärt hatten (Taxi in die Stadt, anderthalb Stunden Warten, bis die Kasse aufmacht, Mittagessen bei Millie, Zoll, Immigration (kein Ausreisestempel!), Rückfahrt wieder Taxi) noch am Abend losgezogen: Oistin Bay ist ihm als lohnendes Ausflugsziel empfohlen worden, den Süden der Insel hatte er, wegen Zeitdruck, nicht mehr geschafft. Also blitzartig Sachen gepackt und um halb sieben ins ZR (Sammeltaxi) geklettert für die härteste Taxifahrt der Welt (18 Mann im Minibus, bauchfellwummernde Musik, der Fahrer holt alles aus dem Toyota-Bus, der, gefühlt ohne Kupplung, mit ausgeleiertem Getriebe und kreischendem Motor für irgendeine Rallye durch Wohngebiete und schmale 90°-Einmündungen zu trainieren schien, außerdem Jagd auf die einparkenden Mietwagen der Touristen machte. Wegsehen war nicht, nur Erdulden. Die Passagiere nahmen es stoisch; nur als ich in einer abrupten Linkskurve ins offene Fenster greifen musste, um nicht abzuheben, grinste der junge Mann neben mir sachte.
Rausgeworfen (die Geduld des Fahrers entsprach seinem Fahrstil) wurden wir allerdings nicht am WhattheTruck, unserem Imbissziel, sondern in Oistin Bay Garden, eine staubige Busstation und am Strand ein Markt aus Fressbuden, laute Musik, Bier- und Bratendüfte überall. Breakdance und Publikumsanimation auf einer Riesenbühne – das Rhythmusgefühl des schwarzen Jungmannes ist eben unübertroffen. Wogegen (außer dem expliziten Rassismus) im Prinzip nichts zu sagen ist. Nur: Alle Besucher waren weiße Urlauber, Typ Kreuzfahrtteilnehmer (von den wir im Hafen von Bridgetown beim Warten auf unsere Ausreiseabfertigung die wohlbeleibtesten und spärlichst bekleideten in reicher Auswahl bewundern konnten). Also nichts wie weg.
Der Foodtruck, den André empfohlen bekommen hatte, liegt drei km Fußmarsch entfernt. Taxi erhandelt. Sehr gut gegessen, auf der Wiese/Parkplatz neben dem Grillstand/Kochcontainer, wo sie herrliche Grillgerichte zaubern. War jeden Aufwand wert. Nur Bier gab es keins.
Also auf den Rückweg gemacht. In drei Kneipen geschaut (1. nur Backwaren; 2. machen in fünf Minuten zu (aber zwei Gläser Rum (und 11 Minifläschchen Bier) waren drin); 3. filmreife Bretterbude von Bar, Wirtin im Blümchenkleid mit buntem Tuch um den Kopf geknotet wie aus Onkel Toms Hütte, drei Gäste sitzen im Halbdunkel um einen niedrigen Tisch, ihr Kreolisch verstehen wir nicht. Jedoch: wunderbar passende Musik (Südstaaten-Schnulzen); es gab noch eine 4. Kneipe, vielversprechend abgerockt, aber die haben wir uns verkniffen.)
Sandy Beach macht seinem Namen alle Ehre, ein Musikpavillion (Rückzugsoption bei Regen), ein paar Picknicktische, Bäume und Meeresrauschen (um etwas zu sehen, ist es inzwischen zu dunkel). Sechs Bier waren noch zu killen. Wunderschön.
Nacht auf Isomatte unter Baum, morgens wurde André in den Rücken gezwickt: die irritierenden Löcher im sandigen Grasboden waren gar nicht von Wühlmäusen, sondern von handtellergroßen, hurtig flinken Krabben!
Aufbruch im ersten Licht, das Meer ist weit, der Strand wild bewegt, aber sandig. Die Bäckerei auf dem Rückweg hat schon offen, süßen Kuchen und Schinkensandwiches (halbgares Schweinefleisch; seit gestern hab ich Gicht im linken Knie).
Der Weg zurück, zwölf Kilometer an der Südküste der Insel entlang, führt durch Oistins (Ferienwohnungen, Boutiquehotels, Märchenstrände), Hastings (dito, ein halbes Jahrhundert älter) und Worthing. Für jede Pause (alle vier km) hab ich mir vorgenommen, ein Taxi zu nehmen, falls ich nicht mehr kann. Ging aber immer wieder. Letzte Pause auf einem nicht mehr bebauten Meergrundstück, die Brandung hat sich nach und nach die Uferbefestigung zurückerobert, malerisch verfallen. Und dann noch Kultur: das George-Washington-Haus; der erste US-Präsident hat auf seiner einzigen Auslandsreise Barbados besucht; superteurer Saft im angeschlossenen Café. Aber das Beste: das Denkmal, neben riesiger Pferderennbahn und alter Garnison, liegt kaum 200m hinter dem BCC! Eine abschüssige Straße hinab (ein altertümliches Feuerwehrauto schnauft herauf) und wir sind an der Tanke, die unsere Einkaufsmöglichkeit darstellt, zwei Minuten Weg vom Cruising Club!

Segelt gern: Gustave

Aufbruch am späten Nachmittag, unsere letzten Barbados-Dollars gehen für Abschiedsgetränke und Ninjas Trinkgeld drauf und wir lichten den Anker. Alba hat sich entschlossen, nicht mehr mit mir zu reden, vor allem keine Anweisungen von mir entgegenzunehmen und bleibt deshalb an Land zurück.

Rauschende Nachtfahrt für die knapp über 100 nm nach Martinique, halber Wind, Speed teilweise fast 8 kn. Wir steuern von Hand, Gustave und André haben die ersten Wachen, für meine (00:00 bis 03:00) lasse ich Georgie ran. Am Vormittag sind die typischen Pitons (dschungelbewachsene Rundberge) von St. Lucia zu sehen, um die Mittagszeit kommt Martinique in Sicht. Wir umkurven die Südspitze in heftigem Wellengang und laufen gegen vier in die lange, komplizierte Zufahrt nach Le Marin ein (»Don’t try to enter the approach at night!«).

Was haben wir die Tage gezählt -auf dem Atlantik

Anlegen an der Tanke ist nicht. Böse Überraschung: für einen Platz am Steg oder an einer Boje hätten wir reservieren müssen. (André: Soviel zu einem Skipper, der sich mokiert über Traveller, die sich nicht vorher informieren; aber selbst ahnungslos in eine überfüllte Marina einläuft … – hat er leider Recht.) Es ist Sonntag (Marinabüro geschlossen) und der mittelfreundliche (und vor allem kaum verstehbare, außer Französisch/Kreole wird hier keine andere Sprache gesprochen) Marinero geleitet uns zu einer Boje und macht uns fest.
Le Marin ist ein übervoller Yachthafen hinter weiten (und vollen) Ankerbuchten mit angeschlossenem Dörfchen, dabei die zweitgrößte Stadt der Insel. Aber für Yachties steht alles bereit: Ausrüster, Segelmacher, Reparaturservice, Bars, Restaurants. Abendliches Picknick mit André am Strand (Leberpastete, Baguette, Pflaumenkuchen, Bier).
Am Montagmorgen einbuchen in die Marina mit der grummeligsten Sekretärin der Karibik, Frühstück in der französischen Feinbäckerei („Wir haben doch noch Brot“ – aus Barbados), Gustave bringt zwei riesige Trommeln Wäsche auf den Weg und in den Trockner. Abends sind er und Marlene Essen mit Freunden, Rückfahrt ans Boot erst gegen elf. Aber heute früh, ich wollte um zehn im workspace sein, haben sich alle brav aus den Federn geschält und wir sind um elf an Land gewesen.

Ach ja: Film über die Passage gibt es wohl keinen. André (Fotograf, Kameramann) war überaus bereit, mit der GoPro zu filmen (»Inzwischen gibt es aber weit leistungsfähigere Modelle«) und hat auch oft herrlich draufgehalten. Nur leider hatte ich zuletzt einen extremen Zeitraffer-Modus eingestellt. Hab ich vergessen, André (»Nee, nee, alles klar«) mitzuteilen. Also sind alle Schnipsel exakt 00:00 sek lang. Und damit unbrauchbar. Hatte allerdings einen Vorteil: Das Überspielen zur Sicherung aufs Notebook ging ratzfatz.

31. Ab Mindelo

Marina Mindelo, St. Vincent, Kapverden (Foto: André)

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Höchst beeindruckendes Debüt: stilsicher eigene Stimme, Figurenstimmen glaubhaft und unterscheidbar, bewegende Geschichte, organisch strukturiert erzählt. Und, trotz superschwierigem Thema (zerplatzte Lebensträume) dennoch stimmig (märchenhaftes) positives Ende gefunden. Wunderbar (fing mich aber erst beim zweiten Mal anfangen).
Oliver Schröm (Ulmer Autor!): Die Cum-Ex-Files (wieder). Funktioniert auch beim zweiten (oder dritten?) Mal Lesen als sicherer Aufreger, Entrüster, Empörer. Spannend erzählt, sauber recherchiert, angemessen komplex erklärt, wagemutig offen genannte Namen. Aber: wie im Titel („und wie ich ihnen auf die Schliche kam“) nimmt sich der Autor viel zu wichtig. Journalisten goutieren das anscheinend (Deutscher J.-Preis).

Turtle Beach (Foto: André)

Hab ich schon erwähnt, dass der gleichförmig blaue Atlantik durchaus Zeit zum Lesen lässt? Tut er jedenfalls. Heute ist der neunte Tag und wir haben noch nicht mal die Hälfte geschafft.

Passatsegel (Fotos: André)
Leerer Kreis

Wenn unter den Arabern des Maghreb die Wüste „leeres Viertel“ heißt, sollte der Atlantik um den 15. Breitengrad wohl leerer Kreis heißen. Es ist der elfte Tag und wir haben seit Tagen (drei? fünf?) kein einziges anderes Schiff gesehen. André hat den dritten Fisch gefangen, diesmal eine Art Dorade (Dorade heißen auf Französisch die Mahi-Mahis, die wir bisher an der Angel hatten). Im Abendlicht glänzen die dichter werdenden Felder des Sargasso-Tangs golden im tiefblauen Wasser, die gute Elli zieht unter ausgebaumten Passatsegeln ihre ruhige Bahn, derzeit mit über fünf Knoten, nur rollt sie manchmal unangenehm. Die Tage verlaufen gleichförmig, mit Avocadokernschnitzen und -schleifen und Zeichnen (Marlene, Gustave), mit Angeln (André) und Lesen (Alba, ich, André). Vormittags wird das Bimini ausgerollt, abends eingefahren, weil wir Sternenhimmel und Mondauf- und -untergänge sehen wollen. Der gute Mond ist abnehmend, aber kurz nach Vollmond erleuchtet er noch immer traumhell den Umkreis. Gestern gab es Whiskey, weil wir nach Längengraden die Hälfte geschafft haben, bei 41°30´. Nach tatsächlicher Distanz haben wir bereits mehr als die Hälfte, weil wir seit den Kapverden viel Süd gemacht haben. Jetzt, bei 13°32´, geht es straks nach Westen, 270°, Barbados‘ Nordspitze liegt auf 13°20´.

Potheads of the Caribbean
Gustave flicht Marlene Braids (Foto: André)

Auch Hippies machen Haarpflege, kaum zu glauben. Wie Gustave, mit seinen seit drei Tagen eingeflochtenen Braids sie heute entflocht, dann aus großem Tiegel Haarkur auftrug, im Nachmittagslicht auf dem Heckbrett saß und seine Haare knetete, erinnerte schon an Johnny Depp und seinen Kajalstrich. Weil der Wind den ganzen Tag über direkt von hinten kam (gestern: halber Wind, wir nur vor dem Vorsegel, die Genuas gedoppelt nach Lee) und wir bis zu sechseinhalb Knoten draufhatten, haben wir das geplante Baden (Segel eindrehen, Schiff treiben lassen) auf einen windstilleren Tag verschoben. Und Gustave musste seine Haarkur mit dem Eimer auswaschen. Abwasch scheint ein Problem zu sein, jedenfalls hat Marlene André dazu hingetrickst („Wir haben das diskutiert“ –Marlene erinnert sich anders), dass er trotz Übelkeit unter Deck den Abwasch macht. Hat er gemacht, aber dafür gekotzt, der arme Kerl. Abgesprochen war das nicht. Aber eigentlich ist die Passage traumhaft, im Augenblick spielt sogar die Batterie mit, die sich kaum entlädt und nach zwei Tagen noch immer auf 12,2 V steht. Frühestens Morgen müssen wir wieder die Maschine starten und eine Stunde Batterie laden. Abendessen (sonst der Höhepunkt des Tages, aber, weil wir so spät kochen, meistens im Dunkeln eingenommen) fällt heute wohl aus, weil Gustave noch um vier einen ausgiebigen Pasta-Snack gezaubert hat. Soll mir recht sein. Heute nur zwei Zigaretten: Ich bin dran [am Rauchenaufhören].

Von wegen: neue Papierchen gefunden. Drauf wie eh und je.

»Dass ein Mann so einfühlsam die Gefühle einer Frau nachempfinden und exakt beschreiben kann – ungewöhnlich und selten.«

Top-Bücherfrau

So ähnlich hat eine der Bücher-Influencerinnen D.H. Lawrence Lady Chatterley´s Lover beschrieben. Tatsächlich sind Connies Gefühle (und nicht nur die) ausführlich geschildert, nicht immer klingen sie erwachsen und emanzipiert, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt. Explizit, auch in den erotischen Schilderungen, skandalös zu seiner Zeit (1920er). Pornographisch? Nach unseren Maßstäben keineswegs. Spannende Geschichte, multiperspektivisch erzählt, lauter runde Hauptfiguren, auch die unsympathischen, gut getroffene Nebenfiguren (alles Intellektuelle bzw. Schreiber), saftige Sprache, Derbyshire-Dialekt kaum verständlich. Mellors (die Titelfigur) ein Bilderbuchheld; bodenständig, klassenbewusst, lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Heißer Lover, aber durchaus nicht nur geleckt gutaussehend, nach heutigem Geschmack. Wunderbare Lektüre, gut gealtert (erst 1960er entkriminalisiert worden und herausgekommen).

3 lustige Travellergeschichten, 1 rührende und 1 schäbige

Traveller, also Reisende mit ganzganz kleinem Budget, die sich durchaus nicht als Touristen bezeichnen lassen wollen, haben mich schon vor vierzig Jahren genervt. Hatte gehofft, da hätte sich was geändert. Hat es nicht. Traveller reisen superbillig, essen mit den Einheimischen (oder aus dem Container), erleben alle viel intensiver als die Pauschaltouristen, die nur für vierzehn Tage in ein Land kommen. Beispiele? – Gerne:
Traveller X., durch Pech (Portemonnaie geklaut) geldlos auf der Fähre von Spanien (la peninsula) nach Gran Canaria gelandet, bekommt vom Retaurantpersonal Wasser ausgegeben, dazu anderthalb Kilo Nudelsalat (den hatte er aber nach drei Mahlzeiten satt (die Überfahrt dauert 32 Stunden), erschleicht sich ein Frühstück, indem er reklamiert, für so etwas (labbriger Toast, ungesalzenes Rührei) könne man kein Geld verlangen – und bekommt es umsonst. Beschweren tut er sich aber trotzdem über die Fährfahrt, vor allem aber darüber, dass es im Ruheraum der ersten Klasse nicht erlaubt sei, auf dem Boden zu schlafen, „obwohl da genug Platz war.“ (Auf meiner Fährfahrt schliefen überall Leute, ausdrücklich NICHT zum Schlafen ausgeschildert waren genau drei Sitzgelegenheiten, alle im Bereich der Essensausgabe. Fand ich damals aus ästhetischen wie hygienischen Gründen durchaus nachvollziehbar.) Jedenfalls: bornierter hätte sich auch der schlimmste TUI-Billigtourist nicht aufführen können.
Travellerin Y. fängt, als sie (in Italien) beim Tauchurlaub darauf hingewiesen wird, dass man im Club nicht oben ohne gehe, eine Diskussion an; über Natürlichkeit und ob ihr Körper abgelehnt werde. Dass das Gesetz Genderdiskrimierung verbiete und Männer auch keine Oberteile tragen müssten … Travellerin Y. will übrigens in Südamerika veganes Straßenessen verkaufen („muss man in Europe zu viele Vorschriften beachten“). Als ob es in den Ländern nicht Straßenküchen zuhauf gäbe, auch vegane Gerichte …
Travellerin Z. fragt im Motown (um zu klären, ob sich die Ausgabe für einen Drink lohne), ob die dort einfache oder doppelte shots in ihre Drinks gäben. – Verstand der Wirt nicht: Sie schenken soviel aus wie man will.– Schon, aber einfache oder doppelte? – Bis man stopp sagt eben. – Aber wie viel?
Da sind mir persönlich die Pauschaltouristen lieber, die sich zwar ebenso andauernd beschweren, aber zumindest Geld in den Ländern lassen, die sie besuchen (und ab und zu einen Reiseführer konsultieren – gilt unter Travellern als uncool. Erfahrungen muss man nämlich selber machen, nur dann zählen sie).
»In Spanien musst du unbedingt Paella probieren!«, wurde Travellerin Q. empfohlen. Hätte aber 21 € gekostet. War ihr zu viel. Und wie Reis mit Gemüse schmeckt, weiß Travellerin Q. aus Erfahrung, sie hat oft genug „Reis mit Scheiß“ selbst gekocht. – Komplett ironiefrei erzählt, eher sogar stolz und als Beispiel dafür, dass man sich (teure) Erfahrungen auch schenken kann. Fehlten mir die Worte.
Traveller R. hat eine schrecklich schwierige Überfahrt von La Linea/Gibraltar hinter sich, 20 Tage, Flauten und stürmische Winde, die sie (Ehepaar mit kleiner Tochter, das zweite Kind ist unterwegs) zwangen, in einem marokkanischen Hafen Schutz zu suchen, wo sie von den örtlichen Fischern gewaltsam vertrieben wurden, später im Außenhafen angesichts gefährlicher Brandung die Kette kappen und den Anker zurücklassen mussten, um das Schiff zu retten. Und nach dem Ende des Unwetters Markierungsboje, Kette und Anker nicht mehr finden konnten, weil inzwischen ein Baggerschiff das Hafenbecken durchpflügt hatte. Ohne Anker steht das fragile Leben der Segler (sie haben alles verkauft, besitzen nur das Schiff; Marinagebühren können sie sich nicht oft leisten) auf der Kippe. Und Traveller R. (»Es ist nur Geld. Geld kann ich wieder verdienen.«) kommt für einen neuen Anker und neue 70m Kette auf, verballert dafür nahezu sein komplettes Reisebudget. Unglaublich edel und rührend. Aber dass die Segler dieses unerhörte Geschenk auch noch angenommen haben, finde ich nicht in Ordnung. Solange man noch eine Yacht sein eigen nennt, ist arm sein relativ.
»Die wissen, dass wir kein Geld haben.« – »Der hätte niemals Geld von uns genommen.« TravellerIn S. und T. verstehen nicht, dass ich es angemessen finde, einem Hafenmeister, der uns eingewiesen, uns Zugang zum Yachtclub ermöglicht und den Code für die Toiletten/Duschen gegeben hat, ein Trinkgeld aus der gemeinsamen Kasse dalassen will. »Wir haben einen Joint zusammen geraucht, das ist völlig ausreichend.« Sagen die Traveller, die eine Kranken- und Sozialversicherung haben, die in einem halben Jahr genug Geld verdienen können, um ein Jahr unterwegs zu sein, die eine Botschaft im Rücken haben, die sie zur Not aus fast jedem Land der Welt nach Hause holt, die einen Pass haben, mit dem sie nahezu ohne Umstände in so gut wie jedes Land der Welt einreisen dürfen, zu einem Fünfzigjährigen ohne Einkommen (»alle im Club arbeiten ehrenamtlich« (Zaunpfahl!?)), der auf einer geschenkten vor Anker liegenden alten Yacht wohnt und nichts von dem oben genannten hat, wahrscheinlich noch nicht mal einen Pass. Und der nie im Leben darauf hoffen kann (aber davon träumt, wie fast alle), solche Reisen zu unternehmen. Welche Eurozentrik, anzunehmen, dass die Reiserzählungen (Ich-Perspektive) von Mitte-Zwanzig-Jährigen interessant genug für den Mann sein könnten, dass er darüber vergisst, dass er auch leben muss. Oder in anderen Worten: Das ichbezogene Schmarotzertum der sogenannten Traveller, das selbstvergessene Anbiedern, die selbsternannten Freundschaften zu den Einheimischen (alles ironiefrei vorgetragen und niemals ohne den abschätzigen Verweis auf die sogenannten Pauschaltouristen) – widert mich an. (Kreuzfahrt-) Touristen, selbst die in den unmöglichsten Aufmachungen (transparenter Pareo über nassem Bikini) auf dem Weg vom Taxi durch den Zoll zum Schiff, lassen wenigstens Geld in den Ländern, die sie nicht wirklich besuchen. Traveller verlassen den Hafen ebenfalls nur ungern (ist alles zu teuer), aber wenigstens fühlen sie sich überlegen. Traveller? – Betteltouristen, more like it.

Im Square (Foto: André)
Drei Wochen

21 Tage sind echt lang. Zu fünft (André ist am Ende doch mitgefahren) auf 10m2 auch eng. Haben wir aber insgesamt gut hingekriegt, gut gekocht und gegessen, Glück mit dem Wetter gehabt, durchgehend Wind, teilweise auch stärker, aber immer aus der richtigen Richtung. Jeder hatte seinen Zeitvertreib. Gustave hat Avocadokerne geschnitzt, geschliffen, mit Halbedelsteinen versehen (das Holz schwindet beim Trocknen und fixiert die Einschlüsse) und zu takeln versucht, leider waren meine alten Falle zu hart und unflexibel dafür. Und in den Wachen gezeichnet.

Marlene hat gezeichnet, mit Wachskreide koloriert, auch geschnitzt (Vulva mit Glitzerstein als Klitoris), André hat Musik gehört auf seinem supersparsamen Handy, Alba hat gekocht, gefühlt vier Mal am Tag, und gelesen. Ich hab gelesen. S. Hustvedt: Was ich liebte (wieder). Geht noch immer gut, genau beobachtet, toll geschrieben, bewegend und voll tiefer Einsichten über die Liebe und das Leben. T.C. Boyle Wassermusik (wieder). Geht leider gar nicht mehr. Die Leichtfüßigkeit der Neunziger, der skurile Sarkasmus, die unmotivierte Grausamkeit und Blutrünstigkeit, die tragischen Slapstickeinlagen der Figuren, die seichte Mischung aus Körpersäften und Dreck (cf. Barock), aus Gesellschaftssatire und armer Thor (cf. Simplicissimus) – irgendwie nicht gut gealtert. N. Hornby Juliet, naked. Geht immer wieder und wird immer wieder gehen.

Gustave, Schnorchler. Im Hintergrund: Sargasso-Weed (Foto: André)

Immer gab es Musik (so lange die Akkus hielten), immer wieder gab es traumhafte Sonnen/ Mondunter- und -aufgänge, oft theatralisch schön. Bilder, die ich nicht geschossen habe: Sonnenaufgang, alles ist pastellig erleuchtet, Gustave (Wache vor mir) und ich starren wortlos ins anschwellende Licht. André stellt sich stumm zwischen uns, drei Männergesichter im Profil im sanften, bräunlichen Morgenlicht: wäre sicher ein schönes Foto geworden.

Regel 25: Yachties tend to smell

Margareth, „Follow that boat”
Superplatz: im Bug (Foto: André)

Endlich mal eine Regel, die nicht zutraf: Zwar haben die meisten von uns nur einmal mit Meerwasser aus dem Eimer „geduscht“ (und einmal im Atlantik gebadet, auf 5000m), aber ich hab die gesamte Zeit keinerlei Körpergeruch wahrgenommen (außer meinen eigenen: heftig!). Kein Sturm, keine Flaute, keine Schäden am Schiff, kein Segel gefetzt (obwohl die beiden Genuas manchmal heftig geschlagen, sogar geknallt haben), keine besonderen Vorkommnisse. Einmal Frischwasser ins Toilettenbecken gepumpt, weil der Hahn nicht geschlossen war, einmal ist der Glasdeckel der Wokpfanne heruntergefallen und zerschellt. Regeln waren schwierig. Dass man stets Schwimmweste trägt und außerhalb des Cockpits mit Sicherheitsleine eingepiekt ist, scheint nicht leicht einzusehen zu sein, jedenfalls schwer zu befolgen. Dass Messer nicht offen herumliegen dürfen, dass man nichts ins Spülbecken stellt, dass man sein Geschirr direkt nach Gebrauch mit Meerwasser vorspült, dass man auf Toilette nicht nur abpumpt, sondern auch zwischenspült, dass man den Gashahn nach Gebrauch zudreht … eigentlich war ich immer der Papa, Nörgler, Polizist, Aufpasser. Der Spießer aus dem Lehrbuch eben. Einmal wurde in der Vorschiffkabine geraucht. Bin ich böse geworden. Tacheles zu reden wurde nicht sehr geschätzt, Reden überhaupt zunächst abgelehnt, eine Gesprächsrunde unter strengen Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Regeln fand ich unbefriedigend und sinnlos. Aber: Alles Nörgeln auf hohem Niveau, wir hatten eine schöne, meist harmonische Überfahrt mit atemberaubenden Segeleindrücken. In der letzten Nacht ist auf der Nachtwache irgendwas schiefgelaufen und wir sind 4´ (4 nm) nach Süden abgekommen. Ließ sich aber rasch ausbügeln. Wache ernstnehmen, ab und zu Kurs und Segelstellung und den Horizont beobachten scheint auch nicht jeden Travellers Sache zu sein. Aber selbstverständlich war ich gottfroh (und hab das in der Heiopei-Dankesrunde auch angesprochen), dass ich nicht alleine fahren musste. Obst und Gemüse gab es fast bis zum letzten Tag, wegwerfen mussten mir fast gar nichts, Gustave hat nur ab und zu die faulen Stellen vom Kohl geschnitten.

Einzelheiten? – Hier (Auszug aus dem Logbuch):

28.2.,15:30h ab Mindelo, São Vincente, Kapverden. Nicht ohne ausführliches Tänzchen auf dem Steg (Video folgt leider NICHT: s.u.) und Abschied von Julian und Amanda von der DARSHAN, die eigentlich schon vor uns losgefahren sein wollten. Mindelo liegt auf 24°59‘, Barbados auf 59°38‘, wir hatten also 25 Längengrade (à fast 60 nm) vor uns: unfassbar weit.
Tagelang Wind stabil aus NE, Passatsegel oben, manchmal schlägt die kleinere, stb am Großbaum ausgefierte Lee-Genua, lässt sich aber durch Lose geben oder dichter holen meist beheben. Sonst fast ereignislose Tage, Etmale um hundert und bis zu 120 nm [Die Bezeichnung Etmal scheint veraltet zu sein, jedenfalls steht sie (André fragte im Rahmen seiner täglichen wohlbedachten Frage nach) nicht im Handbuch – meine Segelstunden sind einfach vierzig Jahre her, Warschauen sagt auch kein Mensch mehr.]
Fr., 03.03. (Tag 4) beim Überschreiten des 30. Längengrades stellen wir die Uhr eine Stunde zurück (wie alle 15°), damit die Nachtwachen nicht allmählich zu Tagwachen werden. André hat das Angelzeug klargemacht und mehr oder weniger sofort (45‘) eine Dorade gefangen, gar nicht mal so klein. Gustave erschlägt, ich steche ins Auge, Gustave nimmt aus. Drei Filets für die Nicht-Veganer (Jungs), superlecker. War eigentlich ein Mahi-Mahi (franz.: Dorade), weiblich (Kaviarbeutel), die beim Zusehen ihre Regenbogenfarbe verloren hat und bleich silbrig wurde. Der (Fast-) Vollmond geht kulissenkontrastfarben auf und unter und erleuchtet das Deck dazwischen fast taghell (Sterne entsprechend weniger). Am Samstag ET [Etmal] 140nm, obwohl das Logbuch keinen besonders kräftige Wind verzeichnet. Am Sonntag erleuchten fluoreszierende Quallen unser Fahrwasser nach Monduntergang.

Mo, 06.03. (Tag 7) drei Stunden unter Motor, die Batterien entladen sich sonst zu sehr. Alle ziehen allerdings für das Energiesparen brav an einem Strang, nachts schalten wir sogar das Navigationslicht aus. Am Mittwoch zeitgleich (oder fast) Sonnenunter- und Mondaufgänge (oder umgekehrt). Vollmond und dramatische Bilder. Fliegende Fische fast andauernd zu sehen und fast täglich auch an Deck (bzw. in Andrés Koje, der den zappelnden und lautstark flappenden Eindringling wieder rauswirft), vertrocknend. Am Biminigestell schieben sich die Sicherungsstifte aus dem Gestänge. Mit Schlauchklemmen repariert. Donnerstags der zweite Mahi-Mahi, größer und gieriger (mit einem kompletten und mehreren halbverdauten kleineren Fischchen im Bauch).

Freitag, 10.03 (Tag 11). Die geschaffte halbe Strecke (nach Längengraden, die Südstrecke von den Kapverden zum 15. Breitengrad ignorieren wir einfach) feiern wir mit Whiskey (bis auf André, der Nachtwache hat und Whiskey eh nicht so gerne mag, ebensowenig wie Schokolade(!)). Samstag gibt’s den dritten Fisch, diesmal eine Dorade und in der Vollmondnacht tanzen Alba, Marlene und Gustave auf dem Deck (vorbildlich in Schwimmweste und Sicherungsleine). 45°, also Bordzeit eine Stunde zurück. Dienstag backt Alba einen Kuchen aus geschichteten Pfannkuchen (und ihr Betttuch weht (nach ca. 10h im Wind) über Bord). Mi (15.03., Tag 16) regnet es (höchstens eine Stunde). Am Freitag ist Badetag, wir rollen die Genuas ein, blockieren das Steuerrad eingeschlagen und bringen eine lange Leine aus. Dennoch treibt die ELLI mit bis zu einem kn. Zwei Stunden Superspaß mit Sprüngen vom Heckbrett. Mit Taucherbrille ist ein Päärchen neugieriger Fische an der Schleppleine zu sehen. Und die Entenmuscheln am Unterwasserschiff, Tentakeln derzeit ca. drei cm. Endlich ein perfekter Sonnenuntergang ohne störende Horizontwolken: die goldene Mandarine taucht strahlend in ihren Saft. Am Samstag kommt uns ein Frachter entgegen (eine von drei Begegnungen, kein einziges Segelboot dabei).

Am So., 19.03. (Tag 20) ist ab 23:00h der Widerschein der Lichter von Barbados am Horizont, am Montag umkurven wir im ersten Licht die Nordspitze der Insel in den aufgepeitschten Wogen fast aller Kaps, um 08:30 machen wir an der Marina Port St. Charles fest, werden zum Wartesteg umdirigiert, wo wir warten müssen, bis die Behörden (Polizei, Gesundheit, Immigration, Zoll – alle in ein und demselben Büroraum) aufmachen. Um halb elf sind wir offiziell drin und angekommen. Nachmittags geht’s ins Städtchen; jeder für sich. Es soll Alkohol getrunken worden sein.

Immigration? Hier rechts (Foto: André)

30. Achteinhalb Tage

San Pedro (Turtle beach), Sao Vicente, Cabo Verde
Richtung Kapverden

Samstag, 11. Februar war es endlich soweit. Am Nachmittag sollten die Winde auf Nord-Nordost drehen, evtl. kleine Flaute, dann die ganze Woche in unsere Richtung, teilweise bis Bf 7. Aber stets achterlich. Eile hatten wir also keine. Marlene ging letzte Einkäufe tätigen, Gustave und ich bereiteten das Rigg für Passatbesegelung vor. Um halb vier in die andere Marina gedampft, wo es eine Tankstelle gibt. Auch wenn nur 20l reinpassen würden. Nach dem Tanken konnten wir am Anleger bleiben, bis eine andere Yacht tanken kommen wollte. Kam aber keine. Gaston und Matx („Matsch“), Baske, schauten vorbei, später noch Blue, die uns ein handgemaltes Kartenspiel (für Hanabi) geschenkt hat. Wehmütig (Abschied) und ausgelassen (große Erwartungen) war auch noch ein Tänzchen an der Tanke drin, sicher auch für guten Wind (hat jedenfalls geholfen). Um fünf macht die Tanke zu, um halb sechs sind wir raus aus Marina und Hafen. Draußen war erstmal zwei Wachen (6h) Flaute. Sind wir getrieben bzw. herumgedümpelt, See ruhig, Sonnenuntergang klasse. Dann kam der Wind. Der Wachturnus war rasch festgelegt und hatte sich schnell eingespielt: nachts drei-Stunden-Wachen, vier Stück, zwischen 21:00 und 09:00, tagsüber vier-Stunden-Wachen, drei Stück, wiederum bis 21:00. Kein weed während der Wachen, musste ich dran erinnern. Außerdem scheint es schwierig zu sein, sich zu merken, dass der Klo-Pumpen-Hebel nach Gebrauch wieder ins Gehäuse zu schieben ist. Hab ich schon erwähnt, dass ich mir wie der letzte Spießer vorkomme?

Exkurs: Im Salon, pardon: im Square (in der Bordsprache Englisch haben alle Kabinen neue Bezeichnungen bekommen: Triangle ist die Vorschiffskabine, Square heißt der Salon, bleibt Circle für die Achterkabine); ELIZUPA heißt das Boot (weil ich, anscheinend typisch deutsch (Französin mit Tomás vor dem Motown)) andauernd „super“ sage – muss ich mir abgewöhnen. Gustave findets allerdings gut. Außerdem weckt er mich (meine Wache ist nach seiner) mit dem traditionellen »Reise, Reise!« [»Raisöraisö«], was ich wiederum super finde. Zurück zum Spießer: Im Square hängt ein Zeitungsausschnitt, eine Filmreklame: El peor vecino del mundo (Der schlimmste Nachbar der Welt). Den Film kenne ich zwar nicht, aber der Titel (und der Untertitel (Nunca es tarde para empezar a vivir (Es ist nie zu spät, ein (neues) Leben anzufangen) versprechen ein Spießer-Drama. Und was hat der (Hollywood-) costume designer als Outfit ausgesucht: dunkelblaue Allwetterjacke, dünner Wollpullover, kariertes Hemd. Genau mein Stil. Tom Hanks trägt zwar keine Brille, aber mit Quadratschädel und fiesem Blick kommt er ganz auf mich. Oder wie Marianne Rosenberg singen würde: Er ist wie ich.

Schickes Outfit: Hanks

Zurück zur Passage: Bei dem fast durchgehend herrschenden schweren Seegang dringt doch deutlich Wasser ins Schiff, sprudelt dann aus den Bodenbrettern, ergibt eine unangenehme Sauerei. Alba macht sich Sorgen. Und pumpt heftig.
Abendessen gibt es gekocht und warm (je nachdem, welches Gemüse dran/am vergammeln ist), Frühstück und Zwischenmahlzeiten macht jeder für sich oder für diejenigen, die wach sind. Ich hab eine Erkältung erwischt und schlafe mit Mütze und Halshandtuch so oft es geht.
An Sonntag früh verschwinden die letzten hellbraunen Berge der Südküste von Gran Canaria endlich im Dunst. Von jetzt ab nur noch Atlantik. Einmal ein Frachter hinter uns quer (irgendwo nach Mauretanien?), einmal ein hellerleuchtetes Fischerboot, einmal ein einsames Licht wie von einem Segelboot querab, in der Dunkelheit aber nicht auszumachen – dafür, dass die gesamte (komplett ausgebuchte) Marina in Las Palmas auf günstigen Wind gewartet haben soll, ist erstaunlich wenig los. Oder haben wir den aufziehenden stürmischen Wind nicht ernst genug genommen?
Dessen Höhepunkt ist für Donnerstag angesagt, also reduzieren wir schon Mittwoch nachmittags vorsorglich die beiden Genuas. Die lassen sich aber (bei wenig Wind) problemlos auf das Vorstag rollen. Teilweise segeln wir nur noch mit einem Bettuchgroßen Stück, am Donnerstag Nachmittag und nachts sogar völlig ohne Segel: Ablaufen vor Topp und Takel. Aber immerhin noch mit vier Knoten! Im Radio war Gale warning (Sturmwarnung). Zwar lässt der Wind immer wieder nach, aber hohe Dünungswellen bleiben. Und zwischen Bf 4 und 7 (Böen 8) schiebt uns der Wind von hinten fast geradewegs auf die Kapverden zu. Schaukelfahrt, aber immer wieder auch wie auf Schienen. Und Sonnenschein bzw. sternenklare Nächte. Inzwischen hat die Erkältung auch Gustave erwischt, Marlene kann es unten nicht lange aushalten, wir essen im Cockpit auf den Knien zu abend. Und es schmeckt: Wind macht hungrig. Alle Bananen sind gleichzeitig reif geworden, lecker Bananenpfannkuchen (Marlene) und Bananenschokopfannkuchen (Alba), die Äpfel halten auch nicht, was uns versprochen wurde und die Orangen stoßen sich in ihren Netzen weich und wund. Marlenes Hängematte allerdings tut als Obstnetz unter dem Bimini gute Dienste. Gestern hat sie in ihrer Wache sogar die fluoreszierenden Delfine gesehen – was mich beruhigt: war also doch nicht nur meine Einbildung.

Der Moment

… ereignete sich schon am zweiten Morgen. Erstes Grau im Himmel, Boot läuft ruhig unter Passatsegeln, Gustave und Marlene kuscheln sich durch ihre Wache, jeweils eine Tasse Tee in den Händen. Auch ich hab einen Pott Kaffee. Und urplötzlich erinnere ich mich an das Bild, mit dem für mich alles anfing: eine stilvoll-naive Illustration wie aus einem Kinderbilderbuch (von Paulas Agentur, hätte ich gesagt, aber der Moment muss Jahrzehnte früher stattgefunden haben). Auf der Yacht ein junges Paar, ebenfalls im Morgengrauen, ebenfalls unter Passatsegeln, nur ruhig, friedlich, still. Irgendwo hat der/die Zeichner/in noch einen rückenbiegenden Delfin untergebracht, der war bei uns nicht dabei. Jedenfalls: das Paar, sie noch im Schlafanzug (überweites T-Shirt, Slip) mit einem Pott dampfenden Kaffee in der Hand, er kauert am Heckspiegel und rasiert sich den Schaum vom Kinn. Bewegt ist eigentlich nur das Kielwasser, das sich sanft kräuselt. Dieses Bild, das ich irgendwo vor Jahren gesehen habe (sollte ich vielleicht mal googeln) hat jedenfalls meine Sehnsucht nach einer Segelreise ausgelöst oder heraufbeschworen. (Oder ich hab damals angefangen, mich nass zu rasieren?). Und genau dieser Moment trifft jetzt, am zweiten Morgen der Passage ein. Ganz merkwürdig wehmütig-befriedigendes Gefühl. Fast wie ein Déja-vu. Jedenfalls sehr bewegend. Ich bin noch den ganzen Vormittag befangen vor emotionalem Überschuss.

Heute, Samstag, 18.02. (Karnevalssamstag in der Stadt mit K.), sind wir eine Woche unterwegs und haben schon vor zwei Tagen beschlossen, auf jeden Fall auf den Kapverden Station zu machen. In der kleineren Genua ist ein Riss entlang des Achterlieks, die Befestigung des Wasserkanisters ist abgegangen, am Herd funktioniert nur noch eine Flamme (Wasser im Schlauch) und der Wassereinbruch im Salon scheint sich zu verstärken. Wir brauchen eine Reparaturpause. Außerdem sind mir die Zigaretten ausgegangen. Heute mittag waren es noch 182 nm, also fast zwei Tage. Wenn wir können, wollen wir die Ankunft so terminieren, dass wir nicht im Dunkeln einlaufen. Mal sehen.

Karneval in Cabo Verde

Rosenmontagmorgen um sechs Uhr (also noch im Dunkeln) endlich die Marina Mindelo ausgemacht (Navionics hatte ich für die Kapverden nicht geladen) und vom Marinero an der Tanke erwartet worden. Seitenwind falsch eingeschätzt und eine Schramme in die Flanke der armen ELLI gefahren. Aber gut angekommen, fest- und Bier aufgemacht. An der Tankstelle konnten wir nicht bleiben, also umsetzen an einen wackligen Ponton, vor dem wir vor zwei langen (unelastischen) Vorleinen mit dem Heck zum Steg liegen (zwei Marineros im Schlauchboot haben die Vorleinen ausgebracht) und unsere Boje komplett unter Wasser ziehen. Das hier übrigens grün ist und fendergroße Moos- oder Algenbälle schwimmen hat. Einchecken und Umlegen hat so lange gedauert, dass wir erst um halb eins bei der Hafenpolizei sind, die Immigration hat inzwischen geschlossen. Es ist Rosenmontag, der Karneval ist weltberühmt und wird das Städtchen bis einschließlich Mittwoch in Atem (und die meisten Geschäfte geschlossen) halten.
Ging direkt abends mit einer großen Parade los. Öhrenbetäubende Beschallung, Goldlammé-Kostüme, Tragegestelle mit Pfauenräder-Befederung, hochhackige Stiefel und hochgeschnittene Badeanzüge: besser ist der Karneval nur in Guinea-Bissau, im Senegal und natürlich in Rio (belehrt mich ein Betrunkener/Psychiatriepatient auf portugiesisch, ich antworte auf deutsch, kann ihn aber dennoch eine halbe Stunde lang nicht loswerden. Andererseits; freundlich gestikulieren, aufkochende Erbostheit beschwichtigen, ab und zu einsichtig lächeln geht in jeder Sprache. Zu irgendwas ist die Fasteloovend-Erfahrung dann ja doch gut.) Nach einer Stunde fällt mir auf, dass die Musik sich wiederholt. Tatsächlich spielen sie (auf dem gesamten Zugweg, überall in der Innenstadt) dasselbe Lied in Dauerschleife, insgesamt sicher vier Stunden lang, später werde ich dazu einzuschlafen versuchen (die Marina liegt praktisch in der Verlängerung der Hauptstraße, die am Strand in einem Kreisverkehr (und Feierzentrum) endet).

Gestern abend Großkampftag und große Parade. Danach noch auf den Hauptplatz, lief aber nur noch Konserve zum Chillen. Dennoch: die Tänzerinnen, die nach einem Tag High Heels barfuß nach Hause wanken. Die kreischbunten Hochglanzkostüme in allen Stadien der Auflösung, die Stimmung zwischen Euphorie und Erschöpfung, Rausch und Ohnmacht, das seelige Lächeln zwischen zwei Gähnanfällen – Kehraus ist vielleicht das Menschlichste am Karneval. Hier noch dazu mit streunenden Hunden und kleinen Kindern (auf Schultern gehoben mit leuchtenden Augen oder schlafend getragen). Einer hat Alba, mit der ich unterwegs war, seine Bockleiter angeboten, sie war zu genant, ich hab es mir nicht nehmen lassen: in den hinteren Reihen sieht man nur die Mottowagen und die Tänzer/innen auf ihren luftigen Podesten. Aber das eigentliche Leben findet auf Straßenebene statt: Trommlergruppen, Sambaschulen, strahlende Märchenprinzessinnen für eine Nacht. (André, der heute aufs Boot kam (und eine Mitfahrgelegenheit in die Karibik sucht, was sonst?) hängt hier schon seit Wochen rum und hat die gesamten Proben und Probeumzüge mitbekommen. Es scheint hier seit Wochen nur um den Karneval, diese drei tollen Tage zu gehen. Nur wir sind völlig unbedarft hier hineingestolpert, wo andere extra deswegen hierherfliegen …)
An Karneval hat nur der chinesische Supermarkt geöffnet (Falcoes), außerdem Putenschnitzel, Pommes, Spiegelei, Reis, Salat, Bier und Vanillecremetörtchen im lokalen Restaurant (8€). Und endlich mit Paula signaltelefoniert (und André und seinen Skipper getroffen). Und Julian und Amanda (Bonn), unterwegs nach franz. Guyana), weil Julian den Müll aus dem Windschatten des Pontons direkt am Heck der ELLI gefischt hat, eine Tüte voll innerhalb einer halben Stunde.

Ach ja: Und das Ruderlager geflickt. Am Donnerstag Nachmittag hab ich nämlich endlich nach der Ursache für das Poltern gefahndet, das (mich im Schlaf aufschreckt und) sich nach einem schweren Gegenstand anhört. Das Ruder der Hydrovane war es nicht. Aber das Messinggehäuse der Stopfbuchse am Schaft des Hauptruders hat sich gelockert und zwei mm Spiel, dadurch die Dichtungsgummierung zwischen Ruderlager und -koker herausgearbeitet: daher das Wasser im Schiff bei hohem Wellengang. Die Crew nimmt die Nachricht gefasst auf, vor allem erleichtert darüber, dass jetzt endlich klar ist, wo das Wasser herkommt, das sie zweimal täglich ausgepumpt haben. Aber damit war der Entschluss gefasst, auf den Kapverden Station zu machen – mit lockerem Ruderlager über den Atlantik? Geht gar nicht. Heute (Aschermittwoch) habe ich den Flansch des Ruderkokers, der nicht mit dem Flansch von Ruderlager und -stoffbuchse gefluchtet hat, einseitig auflaminiert. Danach sollte das Ruderlager flächenschlüssig (und nicht nur auf Unterlegscheiben, wie nach der Verzweiflungsreparatur im Boatyard in Cornworthy) klemmen und damit so stabil sein wie der Rest der guten alten ELIZUPA.
Gleich geht’s wieder ins Getümmel, die Bands trommeln sich schon warm …
Marinarundblick: im Osten, hinter der Fischmarkthalle, wo die Boote anlanden, schwanken hohe Motivwagen, grellweiß angestrahlt heran, Samba dröhnt herüber, ein Stück weiter links ist ein Bühne aufgebaut, Requeton wummert heran, noch ein Stück weiter malen Luftabwehrscheinwerfer Lichtschwerter in den Nachthimmel, die gehören schon zur nächsten Bühne (Rumbarausch mit Frauenstimmen), am Kreisverkehr vor der Marina treffen sich Trommlergruppen und Tanzschulenkostüme von beiden Seiten, begegnen sich irgendwie, ohne sich zu mischen und augenscheinlich ohne sich zu stören (jeweils eigene Musik), ein Steg weiter gähnt ein schickes rotleuchtendes Dreieckslokal mit atemberaubend ausgeleuchteter Terrasse (aber gähnend leer, Musik jedoch voll aufgedreht), gegenüber singt sich eine Calypso-Boygroup die Seele aus dem Leib, auf dem nächsten Platz, etwas zurückgesetzt, tanzt eine (oder mehrere?) Rumbaschulen völlig synchron (eigene Musik) … und das war nur die Uferpromenade. Die richtig großen Bühnen und Tribünen sind zwei Blocks den Hügel hinauf im Stadtzentrum aufgebaut. Dort tanzt er kapverdische Bär. Dazu: Brathuhnduft und Holzkohlegrillrauch, Popcornaroma und Garküchendunst. Aber: kein Alkohol im Straßenverkauf! Im Sturm (herrscht ununterbrochen seit drei Tagen!) fliegt der Plastikmüll und kreiselt im Windschatten eines Rohbaus zu Boden. Bilder, die man nicht geschossen hat. Und die hoffentlich dennoch bleiben.

Endlich Band I der Recherche zu Ende gelesen (die Passage war lang (8 ½ Tage), trotz Sturm und Starkwind und hohem Wellengang). Großer Stilist, unbestritten, aber große Kunst? Das unvermittelte Changieren zwischen Gesellschaftssatire und Empfindsamkeitsliteratur, die unglaubwürdigen Figuren und ihre lächerlichen Manien, die unentschlossene Erzählhaltung (bin ich Swan, bin ich Marcel, bin ich auktorial?), die verschiedensten Erzählblöcke (Sehe ich Landschaft und Gegend? Lese ich Gefühle und Irren/Wirren?), die verschwimmenden Zeitebenen und Orte und Bezüge (erfahre ich die Erinnerung des Erzählers oder seine gerade gewonnenen Einsichten) – nicht der angekündigt (und angestrebte) große Wurf (für mich). Aber vielleicht zuviel Zeit zwischen den Lektüreschüben (seit Oktober!) vergangen. Jedenfalls wieder einmal: großes Leiden (unglückliche Affäre mit irgendeinem Antoine) schafft große Kunst. Und Gravity‘s Rainbow. Muss im LSD-Rausch geschrieben worden sein: hemmungslos episodisches Geistesblitz-Erzählen, das sich an nichts vorher Geschildertes erinnert oder stilistisch annähert (die Kotz-Szene, wo ein paar wildgewordene Alliterationskünstler mit erfundenen ekligen Gerichten eine ganze Abendgesellschaft nach und nach zum Hinausstürmen und Erbrechen bringen; die finale Erlösungsrakete mit fügsamem Menschenopfer; die Irrfahrten des schiffbrüchigen Slothrop, der kaum von einer Yacht gewaschen, auf den nächsten Nachen gerettet wird und nicht einmal Zeit findet, vernünftig auszunüchtern; die sexuellen Obsessionen jeder einzelnen Figur – irgendwie hat Th. Pynchon es am Ende doch noch geschafft, so etwas wie einen Bogen zu schließen, aber die Auflösung hab ich nicht verstanden. War Slothrop Opfer eines ungeheuerlichen Menschenversuchs oder („nur“) seiner überschießenden (und alle Hauptfiguren einbeziehenden) Paranoia? Sind alle seine Gespielinnen eigentlich ein und dieselbe Frau? Spiegeln sich seine Erlebnisse in den anderen (episodisch erzählten) Figuren oder wird eine einzige Geschichte, eine Parabel, („einfach“) an verschiedenen Charakteren durcherzählt?) Aber, wem nach einer Erzählung über den Irrsinn des Krieges und was er mit seinen Akteuren und deren Psyche anstellt, ist, dann ist er mit diesem Brocken von Grausamkeit, Sinnlosigkeit, Paranoia und Kadavergehorsam, sexueller Unterwürfigkeit und Dominanz gut bedient. Juli Jurik:Die Schule von Beslam (wieder) gelesen. Und laut schluchzend und tränenüberströmt im Cockpit gelitten, bei Sonnenschein und tropischer Umgebung (allerdings Starkwind, 35 kn). Und gegen die Hitze: J. Krakauer: In eisige Höhen (wieder). Geht immer wieder. Und kühlt immer wieder. Und bewegt immer wieder.
Und (wieder) B. Schenk Transatlantik in die Sonne. Auch dieser Profi wickelt sein Spinnakerfall in den Fockroller. Auch dieser Großnautiker ist nervös vor dem Landfall. Auch der bestverkaufende Segelbuchautor Deutschlands schlägt sich mit den Nachlässigkeiten seiner Crew herum. Wieder viel gelernt (nur nicht über vegane Ernährung: mit den Rezepten und Mengenangaben konnte Marlene nichts anfangen. Allerdings haben wir auch nicht zwei (!!) Gefriertruhen an Bord und müssen deshalb täglich (!!) eine Stunde den Motor anschmeißen (dafür lassen wir das Masttopplicht brennen; dieses Birnchen bringt uns dann auch nicht mehr um)). Tatsächlich hat die Batterie 7 Tage lang durchgehalten, nach einer Stunde Motor war sie zwar wieder auf 12,6 V, ging dann aber rasch runter. Muss auf dem Atlantik besser laufen.

Hexenweg
Richtung Santo Antao

Freitag (24.02.) hab ich endlich (zur Belohnung für die gelungene Ruderlagerreparatur) den lange geplanten (vorgehabten) Landausflug gemacht, eine Wanderung über Santo Antao, die vielleicht schönste der Inseln. Gestartet bin ich wie ein Pro: halb sieben aufgestanden, über den Zaun geklettert, weil die Marinero-Nachtwache auf Rufe nicht reagiert hat, um halb acht das Fährticket gekauft und um acht die Fähre (halbe Stunde) zur Nachbarinsel genommen, die im Dunst zu ahnen ist.

Hier nicht im Nebel: Pico da Cruz (höchster rechts)

Fliegender Fisch: fliegt einige Meter weit, bevor er wieder in die nächste Welle taucht (vier von der Sorte lagen bereits bei uns an Deck, einer hat es sogar (durch die Luke?) bis auf die Saloncouch geschafft.) Von einem hiesigen Studenten angesprochen worden, sein Vater sei Taxifahrer. Also schnell das richtige collectivo (hier: aluguer) gefunden, in der Wartezeit gefrühstückt (Bratfisch mit cachupa, einer Mischung aus gekochten Bohnen, Mais und irgendeiner Art Graupen. Halbe Stunde Fahrt in die Berge, traumhafte Strecke, atemberaubende Landschaft, wenn auch ziemlich trocken auf der Ostseite von Santo Antao. An der Abzweigung zum Pico da Cruz rausgesetzt worden, aluguer war nicht, also losgewandert (Sonnenhut und -Brille, kurze Hosen). Deutschsprachige Vierergruppe mit eigenem gechartertem Minibus angesprochen und die letzten Kilometer mitgenommen worden. Schlag Mittags auf dem Gipfel, Feuermelder-Ausichtsplattform, höchster Punkt rundum, König-der-Welt-Aussicht. Aus dem Nebel ragt der Gipfel eine Berges auf einer entfernten Insel (???), von Santo Antao ist nur die Küste auf der Ostseite zu sehen, die in strahlendem Sonnenschein liegt.

Nur die Alemannen kommen irgendwie nicht bei. Auf dem Rückweg streifen sie durch ein Waldstück, glauben den Gipfel gefunden zu haben.
Informationstafel gelesen. Schwerer Fehler. Der Weg hinab nach Ribeira da Penedo („da Penad“) (520 Höhenmeter, fast alles bergab) dauere drei Stunden, eine Seitenstrecke führe durch das malerische („lush green“) Seitental Faja de Janela (=Hexenkessel, wusste ich da aber noch nicht). Gemacht (gedacht). Außerdem gebe es lokal produzierten Käse. Dass die Strecke acht Stunden länger dauert, stand da nicht. Käse gekauft, Bier genehmigt.
Anfangs führt eine breite, gepflasterte Straße zwischen einfachen Steinhäusern und -ställen sanft bergab. Esel werden be- oder entladen, fressen Heu, brüllen herzerweichend. Kuhhirte treibt drei Rinder zur Tränke. Nach dem Weg gefragt. In einer scharfen Rechtskurve geht der Wanderweg, breit aus dem Berg gehauen, geradeaus. Wird rasch schmaler, führt aber traumhaft schön auf dem Kamm des Zentralgebirges entlang. Immer wieder lauthals geschrien vor Glück, weil die Umgebung so schön ist.

Zwei Jahreszeiten im selben Augenblick

Links des Wegs geht es hinab nach Osten, weißer Nebel drängt die Berge hoch, schiebt sich über den Grat und löst sich im heißen Westen sofort in Nichts (Luft) auf. Unfassbar beeindruckend.

Andererseits bräuchte man für die Wanderung zwei Outfits: geht der Weg links des Grats, läuft man durch Regensturm und Matsch. Rechts vom Kamm brütet Hitze im Sonnenschein. Also sollte man eigentlich links Regenhose und -Jacke tragen, rechts dagegen Sonnenhut, T-Shirt und kurze Hosen. War irgendwie nicht gleichzeitig zu machen. Gegen drei trifft der Weg auf eine Baustelle mit Lastwagengeeigneter Zufahrt. Scheint bergab zu gehen, in die richtige Richtung. Irrweg: obwohl die Straße bald gepflastert ist, führt sie „nur“ zu einem winzigen Dorf, kein Weiterkommen, obwohl ich bis auf die untersten Felder am Rand einer tiefen Schlucht geklettert bin. In den Häusern ist keiner anzutreffen, vor einer Hütte steckt feinsäuberlich ein Paar neu aussehender Wanderstiefel auf zwei Pfählen – die werden hier doch wohl keine Bergwanderer essen?

Wassersammler

Ohne Karte, ohne Wegmarkierung warte ich ratlos. Urplötzlich steht eine Señora mit Eimer auf dem Kopf zwischen den Hütten. Bringt sie mich freundlich zurück auf den Weg über der Baustelle, den ich niemals hätte verlassen sollen. 400 Escudos (4 €) nimmt sie auch. War der Rückweg zu ihrer Hütte, sie war anscheinend Wasser holen. Irrweg hat mich sicher eine Stunde gekostet.
Atemberaubend schön geht der Weg weiter. An einem Baum auf der Wasserscheide des Grats läuft so viel Regen (von der anderen Seite) herab, dass es sich gelohnt hat, ein Stück Folie anzudengeln und das Wasser zu sammeln.

Kommt ein Trupp Bauarbeiter mit Hacken und Schaufeln den Weg hoch (die haben die Strecke in Schuss gehalten, vermute ich). – Ja, das ist der richtige Weg nach Ribeira do Penedo. Und weiterhin wunderschön. Manchmal nur schulterbreit, fast zugewachsen zwischen Büschen, an anderen Stellen anderthalb Meter breit gepflastert und mit Randsteinen versehen, führt der Weg bergauf-bergab den Grat entlang. Nur eben keine Markierungen, nirgendwo ein Wegweiser.

Links vom Grat düsterer, regensatter Wald mit verwunschen bemosten Baumstämmen und fettgrünen Agaven, rechts vom Kamm baumhohe Agavenblüten im lichter, sonnenüberfluteter Trockensteppe mit niedrigem Buschwerk. Unfassbar.


Oben vor einem Abstieg ins Tal dringen Stimmen aus einer Hütte, zwei Männer unterhalten sich lautstark beim Essen. Einer tritt aus der Tür und grüßt. Ich, auf dem unübersehbar und breit gepflasterten Weg, grüße zurück. Frage aber nicht. Fehler.

JEDEN fragen. Wirklich jeden, selbst wenn die letzte Auskunft erst wenige Minuten alt ist.

Regel No. 23

Weil: der herrlich breite Weg führt steil bergab, im dunkelbraunen morschen Fels lagern dicke Kalkschichten, auch die Erde auf den in Terrassen fixierten Feldern leuchtet in diesem Teil des Tales hellbeige.

kalkbeige

Jahrhundertealte Terrassen aus Steinwällen ziehen sich über jedes Fitzelchen beackerbares Land, weit die Schluchten hoch. Die Pflasterstraße folgt dem Verlauf der Hänge und Schluchten kunstvoll. Die große Chinesische Mauer und die Reisterrassen von Güelin liegen assoziativ gar nicht so fern. Traumhaft.
Dann endet die aufwendig gebaute Pflasterstraße in einem Dörfchen auf einer Klippe. Geht zwar weiter auf einen (zunächst) sanft abfallenden Hügel, endet aber unten am Abhang im Nichts: die Trampelpfade sind vom Vieh, kein Weg führt ins Tal. Auf dem Geröll ausgerutscht, Knie verstaucht, Handgelenk aufgeschürft. Hoch ins Dorf zurück geklettert. Keine Menschenseele, alle Häuser versperrt. Ratlos.
Am Ende fühl ich mich verschreckt und zaghaft wie ein Hühnchen. In der Not sogar das Handy angeschmissen, mobile Daten und Karten aktiviert. Gibt sogar Netz. Aber meinen Standort kann die App nicht finden, nicht die Kapverden und Ribeira do Penedo schon gar nicht. Online war ich vielleicht drei Minuten. Aber die SMS meines Providers folgt auf dem Fuß. „Sie haben Daten im Wert von 47,50 € heruntergeladen. Wenn sie weitere Daten nutzen möchten, wählen sie die folgende Rufnummer:…“ Was tun? Guter Rat sauteuer. Verzagtheit.
Der letzte Mensch war der Abendesser, zwei Kilometer, sicher hundert Höhenmeter und anderthalb Stunden Weg zurück. Aber Alternative sehe ich keine.
Noch arbeiten die Jungs auf dem Feld (selten mich so über Menschen gefreut wie da), sind superfreundlich und hilfsbereit. Bloß: der richtige Weg ist wenige Meter weiter bergauf unscheinbar und gegen die Laufrichtung abgebogen. Drei Stunden durch den Irrweg verloren (drei Zigaretten geschenkt). Aber vor allem: inzwischen ist es 17:00h geworden, die Strecke dauert noch drei bis vier Stunden und ist auf keinen Fall im Dunkeln zu meistern, ich müsse mich wirklich beeilen (»Corre! Corre!«, und macht es mir mit Trappelschritten sogar vor). Andererseits ist der junge Mann zu einem Schwätzchen aufgelegt, will mir sein Haus und seine Felder zeigen, fragt mich wo ich herkommen etc.

Nebelklippen

Doch ich muss weiter. Nicht in die Dunkelheit zu kommen leuchtet mir, nach meinen bisherigen Erfahrungen (unmarkierter, an Klippen und Abgründen ungesicherter Weg, schwer zu deutende Abzweigungen (die Ackerwege der Bauern sind vielbenutzter als der Wanderweg), schon bei Tageslicht kaum auszumachende Strecke zwischen Büschen und Gräsern) klar ein. In einer Stunde wird es dunkel. Auf der anderen Seite des Grates, wo der Weg hinführt, herrscht Nebel und wahrscheinlich Regen. Das kleine Dorf auf der Klippe mit mehreren einladend leeren Ställen ist mehr als eine Stunde Fußweg entfernt – und in die falsche Richtung.

Und dann kommt eine zweideutige Weggabelung. Das ist mir ein Zeichen.

In eine Terrassenecke wächst dicht neben der hüfthohen Stapelmauer eine junge Bananenpalme, im beckenbreiten Zwischenraum liegt Heu oder Stroh. Das wird mein Nachtlager. Eine halbe Stunde Licht bleibt noch für ein paar Buchseiten, dann ziehe ich alles an, was ich dabeihabe (leere Mülltüte unter den Po, dicker Troyer und Regenjacke, Mütze und Kapuze, Hose in die Socken gesteckt, Sonnenhut um die Hände gewickelt, Rucksack als Rückenstütze – ausgestreckt liegen kann ich nicht, auch weil die zusätzliche (neongelbe) Regenjacke, die ich mir, Kapuze übers Gesicht, als Biwak überstülpe, nur bis zu den Knien reicht). Regennebel zieht über den steilen Berg vor mir, um den herum (hoffentlich, morgen) die richtige Strecke geht … Dann bibbere ich mich in zwölf Stunden Dunkelheit, kein Geräusch (außer dem Wind und den (wenigen) Tropfen von den Blättern der Bananenpalme), zum Glück kein Regen…

Zwischen Mitternacht und halb sieben, als das Schwarz sacht zu Grau wird, scheine ich tatsächlich geschlafen zu haben. Sobald es hell genug ist, meine Kippen aufzusammeln und nichts zu vergessen, esse ich mein letztes Stück Käse und ziehe los. Neblig, schmaler Weg, ein kaum Eselsbreiter Trampelpfad zwischen blühenden Büschen, aber es geht immer irgendwie weiter. Mehrere Klippengipfel werden entweder überstiegen oder seitlich umschifft, oft geht es zum Glück bergab, manchmal leider auch steil bergauf. Ein Bauer hinter einem Esel kommt mir entgegen, was ein Glück! Ich bin auf dem richtigen Weg, und weil der alte Mann seinen Esel ein dutzendmeterlanges Tau nachschleppen lässt, (an dem er sich auch festhält und bergauf zieht) habe ich eine Art Fahrradspur im sandigen Geröll des Weggrabens zur Orientierung.
An einer Engstelle, kaum meterbreit, fällt der Berg auf beiden Seiten fast senkrecht ab, sicher hundert Meter tief. Die Stelle ist nur wenige Schritte lang, aber es herrscht starker Seitenwind. Nichts zum Hinabsehen, gut, dass es rasch vorbei ist. Und definitiv ein Grund, diese Strecke auf keinen Fall bei Nacht zu versuchen …
An den steilsten Stellen des Pfades (die für mich zum Glück meist bergab führen), häuft sich Eselkot – die heftige Anstrengung presst den Dung aus den Tieren. – Frohgemut (auf dem richtigen Weg zu sein, scheiß auf die Eselscheiße!) geht es beschwingt durch dichten Nebel bergab. Aber Regel 23 »JEDEN fragen!«, beherzige ich stur.

Schlängelt sich ein Weg ins Tal …

Kommt eine Gruppe Männer; kommt ein junger Bauarbeiter im Overall. Unten werde es sonnig und warm, richtig schön. Kann ich, in dicker Nebelsuppe steckend, nicht wirklich glauben.
Ist aber so. Kommen drei Schuljungen mit ihrem Opa.
Dann ist an einer Biegung plötzlich das Meer zu sehen!

Das Ziel in Reichweite, allerdings weit unten, die steilen Berghänge scheinen sich bis direkt an die Küste zu ziehen. Oft ist der Weg nur eine tiefe Rinne zwischen Steinen und Geröll, bisweilen breit und komfortabel gepflastert.

Jetzt führt er auch über die Findlinge in einem Flussbett. Und dann, das Örtchen am Talausgang ist schon zu sehen, fangen, als wären sie schon immer dort gewesen, stolz die Markierungen an: blaue und weiße Pinselstriche wie auf jedem Wanderweg in den Alpen. Zum Kotzen.
Inzwischen ist es zehn Uhr, die vier Stunden habe ich, obwohl langsam und mit zitternden Knien, gut geschafft. Kommt mir eine russische Wandergruppe entgegen (Stöcke, Turnschuhe, bauchfreies Top). Der einheimische Führer weit dahinter, cool-entspannt. Dass ich vom Pico da Cruz komme, kann er nicht glauben, guckt auf seine Uhr. Nein, das war gestern, ich habe die Nacht in den Bergen verbracht. Ja, dann, das leuchtet ihm ein. (Der alte Bauer mit dem Esel mit Abschleppseil hatte ähnlich reagiert.) Will heißen: es lag nicht nur an mir (oder meinen Irrwegen), die Strecke ist in drei Stunden einfach nicht zu schaffen.
Kommt eine Gruppe französischer Pensionäre. Keuchen schon jetzt, wenige Meter über dem Meeresspiegel. Möchte ich nicht gerne wissen, wie weit die gekommen sind.
Ribeira do Penedo, stellt sich heraus, ist das Bergdorf (mit Westler-Freaks, klar) und gar keine Stadt. Müllhalde ist das Flussbett, in das über mir ein leerer Farbeimer im hohen Bogen fliegt. Die Werferin klingt allerdings etwas verwirrt (ich kann ja auch weder portugiesisch noch kreolisch), jedenfalls gebe es im Ort keinen Laden (also keine Kippen, keine Cola). Beschwerlicher Weg durch das trockene Flussbett (wie das bei Regen gehen soll, ist mir ein Rätsel), dann letzte Pflasterstrecke, ein Fahrweg, die Straße am Meer. Wie für mich gemacht gibt es ein Straßencafé, Wasser, Cola, Kippen; Frühstück (Bratfisch mit Graupen-Mais-Bohnen-Mus, Kaffee: leckerster ever!) und, nach zwei Stunden Wartezeit, das Collectivo zurück nach Porto Novo („Port Nov“). So heißt, wie ich jetzt endlich erfragt habe, der Ort, wo die Fähre zurück nach Mindelo ablegt.

Porto Novo, Santo Antao

Dort um 14:00 eingelaufen, gelesen, Kaffee und Kuchen, um fünf die Fähre genommen.

Vor Mindelo, links der Fels in der Einfahrt
Mindelo, Sao Vicente

Um halb sieben zurück auf dem Boot. Um sieben hab ich einen Telefontermin, Paula hat für Freunde gekocht, ich will mich dazuschalten.
Findet aber nicht statt, Paula ist krank, auch die Freunde schwächeln. Weil ich schon mal im Luxushotel-Strandbar-Poolareal mit hervorragendem Wifi bin, telefoniere ich lange mit Axel und arbeite meine E-Mails ab. (Heute ist der Blog über den schrecklichen Sonntagabend mit Gawain vorprogrammiert online gegangen).
Auf dem Boot haben Marlene, Alba, Gustave und André mit dem Abendessen gewartet, die Guten, und sogar einen Kuchen mit einem Topping aus Zitronencreme (lemon turd) und kandierten Nüssen gebacken: es ist mein Geburtstag. Ausklang mit Grock (Zuckerrohrschnaps) und Livemusik im Pub. Ich muss mich leider früh zurückziehen. Und schlafen.

Fazit: Unverzeihlich leichtsinnig und selbstüberschätzend mangelhaft vorbereiteter Ausflug. Konnte die Hexe nichts für. Und zugleich die wildeste (und schlimmste und vielleicht schönste) Wanderung meines Lebens. Hexenweg heißt der Weg (für mich) nach dem Tal: Unten am Hostal (und dem Wartepunkt für das Aluguer) ist eine riesige Hexe samt Kopftuch und Besen an die Wand gemalt.

Auf dem Pickup nach San Pedro: André, Gustave, Marlene, Alba, komischer Typ

Heute kurz zum turtle beach (San Pedro), halbe Stunde Pickup-Fahrt. Aber Marlene, Tauchlehrerin, lehnt es ab, zu unterstützen, dass Tiere (die Schildkröten) angefüttert werden (um Fotomotive für Touristen abzugeben) und dadurch vergessen, sich naturgemäß zu ernähren. Also nur Strandspaziergang und Schattenbaden.

Turtle beach

Und pünktlich zum Karnevalsausklang (Gustave hat erfahren, dass heute ein Sarg durch Stadt getragen und im Meer versenkt wird – de Nubbel is et all schuld!) zurück in der Stadt. Und diesen Blog geschrieben.

Morgen oder übermorgen geht es (wieder mal!) los, see you on the other side. Drei Wochen (mindestens) Pause. Vergesst mich nicht.

29. Sonntagabend im Starkwind

Schräge Geschichte (Foto: Gawain)

WARNHINWEIS: Die im Folgenden geschilderten dramatischen Ereignisse könnten bei LeserInnen hohe Emotionen wecken. Ihre Darstellung ist in einer Art Schockzustand unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens verfasst worden. Ton und Haltung des Schreibenden entsprechen nicht der Einstellung des Verfassers zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Aus Gründen der Authentizität ist der Text hier in seiner ursprünglichen Fassung wiedergegeben (27.01.)
Oder um es in meinen eigenen Worten auszudrücken: Wir haben scheiße Glück gehabt, dass wir heil davongekommen sind. Wir haben allen Grund, demütig jener unbekannten höheren Instanz zu danken, die ihre schützende Hand über uns gehalten haben muss. Ich persönlich bin noch lange nicht soweit, diese Erfahrung verarbeitet zu haben und nehme mir die Zeit dafür. Das kann noch dauern.

Das Ende der Reise

Sonntagabend (22.01.23). Bevor es dunkel wird, haben wir beigelegt [Das Schiff mit back stehendem Vorsegel quer zum Wind treibend zur Ruhe gebracht] und zwei Reffs ins Groß gebunden. Als wir wieder lossegeln wollen, hat sich die Fockschot vom Vorsegel gelöst, es flattert im Wind wie wild. Der braunrote kleine Flieger lässt sich zwar leicht einrollen, aber nicht fixieren, er macht sich wieder los. Also will ich aufs Vorschiff, das Schothorn einfangen. Lasse dazu meine (neue) blaue Mütze (zuletzt von Paula getragen) unten, weil ich diesen Glücksbringer auf keinen Fall verlieren will. Hole den Bojenhaken aus der Backskiste und erkläre gerade Gawain, wie toll der funktioniert und mit einem Ruck eine Leine durch eine meterweit entfernte Öse (oder ein Schothorn) ziehen kann, als …

Auf dem Weg aus dem Cockpit hat mich der Großbaum knapp über der Schläfe erwischt, in den einzigen paar Minuten dieser Woche, an denen ich meine Mütze (deren doppelter Wulst über den Ohren den Schlag gedämpft hätte!) nicht anhatte – Patenthalse [doofer Euphemismus: ein unkontrolliertes Herumschwenken/-schlagen des Baumes quer über das Cockpit] – im Fallen muss ich den Kompass aus seiner Halterung gerissen haben und komme neben Gawain auf der Querbank im Cockpit zu liegen. Bin aber sofort wieder da, sagt er.
Also rein körperlich vielleicht.

»Woher kenn ich dich nochmal?« – »Ich hatte einen Aushang geschrieben, du hast mich angerufen.« – »Ach, ja, stimmt, hast du gesagt. Und wo war das?« – »In Cádiz. Da kommen wir her.« – »Aha. Wie weit ist das weg?« – »Fünf Tage.« – »Uih. Und wo fahren wir hin?« – »Nach Lanzarote.« – »Ach ja, hast du gesagt. Lanzerote. Und was will ich da?« – »Über den Atlantik, hattest du vor.« – »Uiuiui. Echt? Aha.«
Ich kann mich nur an den letzten dieser Austausche erinnern, aber Gawain sagt, das ging etwa eine halbe Stunde lang so. Immer wieder: »Sag mal, woher kennen wir uns eigentlich?« etc. pp.
Gawain (hat er mir später erzählt) war ziemlich besorgt. Hat sich aber rein gar nichts anmerken lassen, sondern meine ständig wiederholten identischen Fragen mit Engelsgeduld immer wieder gleich beantwortet. Danke, Gawain! »Lanzarote, aha. Und was will ich da nochmal?«

Dann reißt eine zweite Patenthalse die Halterung der Großschot ab, Baum steht quer, Schot hängt ins Wasser. Ohne Großsegel sind wir manövrierunfähig.
Jetzt übernimmt Gawain auch das Kommando. Gut, dass er dabei ist! – Wir müssen die Segel runterholen und motoren. Finde ich gut. Meine Reflexe funktionieren zum Glück noch, Gawain hält das Boot im Wind, ich reffe das Groß und hole das Vorsegel ein. Schwankt aber ziemlich. Einmal legt sich das Boot so überraschend quer, dass ich nur noch seitlich an einer Hand in der Spinnakerbaum-Öse am Mast hänge, Füße über der Reling. Wusste gar nicht, dass ich das kann (und Gawain konnte es im Dunkeln vom Cockpit aus nicht sehen, zum Glück) (aber ich war natürlich eingepiekt, klar). Als ich heil zurück im Cockpit bin, ist keiner erleichterter als Gawain (das wenigstens habe ich mitgekriegt).
Außer mir vielleicht.
Wir nehmen wieder Kurs auf. Selbst unter Motor ist das in den weit über Deck hohen Wellen keine ganz leichte Aufgabe. Die Wogen versetzen den Bug immer wieder, schieben uns vor sich her oder lassen uns hintenüber ins Wellental sacken. »Ich habe meine Mütze verloren.« (Ich trage inzwischen wieder meine alte) – »Nein, die hast du unten ausgezogen.« – »Ach ja, hast du ja gesagt.« Außerdem geht das Ruder unerhört schwer, macht auch unschöne Schleif- und Kratzgeräusche. »Und meine Mütze ist weg.« – »Nein, die hast du unten gelassen.« – »Ach ja, stimmt, danke.« Der Kompass ist auf den Cockpitboden gekracht, funktioniert aber noch, selbst die Beleuchtung. Wir schnallen ihn vor dem Steuerstand am Boden fest. Gawain steuert. Wir haben noch 120 nm zu fahren, Sprit ist genug an Bord. Aber wir werden 24 Stunden durchfahren müssen.
Also schlage ich vor, dass Gawain sich direkt zwei Stunden hinlegt und wir uns danach alle zwei Stunden abwechseln. Anders ist das nicht durchzuhalten. Und auf einen schummrig beleuchteten Kompass zu schielen, die Schiffsbewegungen auszugleichen und uns auf Kurs zu halten, ist genau die leichte Aufgabe, der ich mich gewachsen fühle.
Andererseits: durch eine sturmgepeitschte Nacht zu dampfen, nichts zu tun zu haben, als den Kurs zu halten (und auf jeden ungewöhnlichen Ton und jede Hemmung in der Ruderanlage zu achten) bringt einen auf ungute Gedanken.
Ich hab eine Familie Zuhause, tolle Töchter, eine phantastische, verständnisvolle Frau. Ich könnte im Warmen sitzen, als größte Herausforderung ein spannendes Buch im Ohrensessel schmökern. Ich könnte warm duschen, wann immer mir danach ist. Kochen und Essen, ohne mich an drei Punkten abstützen zu müssen. Ich hab Heimweh.
Außerdem zweifle ich am Schiff. Warum bricht der blöde Kompass ab? Warum reißt der Schäkel unter der Großschot? Und warum, verdammt, funktioniert das von mir in England reparierte Ruder nicht richtig? Ich könnte das Schiff verschenken (Lukas und Julian kennen sicher ein paar Kumpel, die es mit Handkuss nähmen), oder es auf den Kanaren in eine Marina stellen (da stehen schon einige!), ich könnte mich dort in den Flieger setzen und abbrechen. Ich wäre nicht der erste, dem diese Strecke den Schneid abgekauft hat. Es wäre keine Schande. Vielleicht müsste ich ein paar hämische Bemerkungen wegstecken, am schlimmsten wäre wohl mein eigener, verletzter Stolz. Aber darauf keine Rücksicht zu nehmen, hab ich mir geschworen. Also breche ich hier ab. Und das wäre das Ende dieses Blogs.

Ablösung

War es aber nicht. Nach zwei Stunden kocht Gawain Spaghetti, löst mich ab und ich lege mich zwei Stunden hin. Danach bin ich der Überzeugung, dass wir nur das Großschot reparieren müssten und uns einfacher und vor allem mit weniger Belastung der Crew vor dem Wind (gesteuert von Georgie, beim Segeln funktioniert die Selbststeueranlag nämlich!) ans Ziel kämen.

Aus einem der Vorhängeschlösser für die Backskisten (die Anschlüsse sind sehr eng) und ein paar Lagen fester Schnur bastele ich die Großschot wieder fest, Georgie übernimmt und wir können zu unseren drei-Stunden Wachen (in denen man sich auch hinlegen kann) zurückkehren. Heureka!

Auch wenn wir beide viel zu aufgedreht sind, um zu schlafen.

Aber das Ruder scheint eigentlich ganz zuverlässig zu funktionieren. Die Großschot braucht nur einen passenden neuen Schäkel. Und die Kompasshalterung aus Plastik kriege ich mit etwas Epoxy und Glasmatte wieder hingeklebt. Muss ja nicht schön sein. Also, gute alte ELIZABETH: noch geb ich dich nicht auf. Zumal uns die Yacht unbeirrbar und treu durch inzwischen fünf Tage und Nächte stürmische Winde, heftigen Seegang und Whitecaps (brechende Wogen) geschaukelt hat. Es ist wie immer: Am Schiff liegt es nicht.

Montag Mittag haben wir ein Etmal von 75 nm geschafft, um halb vier erreichen wir den Ansteuerungspunkt auf der Karte, wenige Meilen vor der Nordspitze von Lanzerote, bei Einbruch der Dunkelheit sehen wir den Widerschein der Insel am Himmel und um Mitternacht auch die ersten Lichter. Um drei Uhr morgens bringt uns die letzte Halse (Bangen um die reparierte Großschot) auf den Zielschlag auf das grüne Leuchtfeuer der Hafeneinfahrt von Arrecife zu. Klar, dass gerade dann eine Fähre reinkommt und wir uns beeilen, das Hafenbecken rasch zu räumen …
Um sechs Uhr morgens, noch im Dunkeln, machen wir in der Marina fest. Und, wie oft geschworen, Bier auf.

»Kann man früh um sechs am Morgen schon Bier trinken?«

»Sicher. Ist nur ungewöhnlich, wenn es das erste ist.«

Weisheit des Gawain

Hat Gawain auch wieder recht. Wie mit der Mülltüte (übervoll, hat aber bis in den Hafen gehalten). Und auch sonst oft.
Ziemlich angeschickert melden wir uns im Marinabüro an (und ernten Verständnis für unseren (offen eingestandenen) Zustand). Autsch: Wir müssen das Schiff umlegen, noch vor Mittag, es ist Starkwind angesagt, außen am exponierten Steg kann die Yacht nicht bleiben.
Aber auch das klappt, Hilfe von Ian, dem wir zuvor geholfen haben, sein eigenes Schiff umzulegen. Und Aaron! Aaron von der FORWARD UNTO DAWN steht am Steg und übernimmt die Leinen! Es ist fast wie Heimkommen. Und dann schlafen.

Als wir am Spätnachmittag aufwachen, ist Aaron ausgelaufen. Wahrscheinlich hat er angeklopft, uns aber nicht wachbekommen, schade. Aber den sehe ich bestimmt nochmal.
Bei der Einfahrt in den Hafen war ich mit dem Ausbringen von Festmacherleinen und Fendern zu beschäftigt, um eine volle 180°-Kurve in der Einfahrt mitzubekommen. Jetzt bin ich desorientiert, vermute die Insel auf der falschen Seite der Marinaanlage, wo doch dort das große Hafenbecken und hinter dem Wellenbrecher das Meer liegt. Oder ist das eine Spätfolge meiner Gehirnerschütterung? Nachmittags finde ich in der vielleicht zweihundert Meter langen, hochmodernen und durchaus überschaubaren Quaibebauung (Kneipen, Cafés, Klamottenläden), die Toiletten nicht mehr, die wir doch am Morgen schon aufgesucht hatten, muss ins Marinabüro und mir einen neuen Lageplan geben lassen. Abends (es ist noch immer Dienstag) wollen Gawain und ich ein Bier am Marinakai nehmen, ich gehe schon einmal vor, und finde die Kneipe Sailor’s Bar, in der wir verabredet sind, nicht mehr, obwohl ich sie am Morgen gesehen (und Gawain vorgeschlagen) habe.

Ein Tag mit zwei Räuschen

Dann kommt er, wir sind im Lokal Jolly Rogers, der einzigen Seglerkneipe, die es am Kai gibt (die Sailor’s Bar war vielleicht in Las Palmas, ich zweifle inzwischen an jeder meiner Beobachtungen/Erinnerungen), dann stößt Ian, der Alleinsegler (und Labertasche), dem wir umsetzen geholfen haben, zu uns. Wir kommen rasch auf den Brexit zu sprechen, Ian ist bekennender Brexiteer und (ernsthaft!) Trump-Fan, Rassist und verteidigt die britische Kolonialherrschaft, zum Beispiel in Indien („Wir haben dort ein funktionierendes Justizsystem hinterlassen, eine blühende Wirtschaft“). Außerdem ist er felsenfest davon überzeugt, dass A. Merkel eine russische Agentin sein muss (wie auf der gesamte britische Geheimdienst MI5 von russischen Agenten unterwandert sei, »man musste russischer Agent sein, um dort Karriere zu machen!« – »Ja, stimmt, das musste im Lebenslauf stehen.«: Schwacher Witzversuch meinerseits, Ian ignoriert ihn noch nicht mal.) Und dass der Klimawandel eine Erfindung missgünstiger (»kommunistischer«?) Wissenschaftler sei. Kurz: ein Typ mit absolut unerträglichen Ansichten. Aber: intelligent, witzig, charmant, nicht aus der Ruhe zu bringen, dabei kein bisschen konfliktscheu oder zurückhaltend, seine wahnwitzigen Überzeugungen meinungsstark zu vertreten. Wurde, so unglaublich das sicher klingt, ein angeregter und lebendiger, ziemlich amüsanter Abend. Wir haben viel gelacht (auch kopfschüttelnd). Und ein paar Bier haben sicher auch geholfen. Bis die Kneipe zumachte und wir unsere letzten Flaschen (Ian bestand darauf, die zu bezahlen) draußen am Kai trinken mussten. Nur dass er dringend zum Pinkeln auf sein Schiff musste, konnte ihn stoppen.

Der Mittwoch ging spät los. Weder Gawain noch ich waren in der Lage, irgendwelche Entscheidungen zu treffen oder Aktivitäten vorzutäuschen. Außer einem ausgiebigen Frühstück (am Kai gibt es eine französische Bäckerei!), den dringendsten Telefonaten und Aufräumarbeiten (Segel einpacken, Windfahne der Selbststeuerung abbauen, Bimini wieder einhängen, die hatten wir vor dem Sturm mit zwei Handgriffen flachgelegt, sehr praktisch, das neue Teil!) war nichts drin. Und abends kochen. Die Heckleuchte, sicher 80 cm über der Wasserlinie angebracht, ist von den Wellen aus ihrer Halterung gewaschen worden!

Heute, Donnerstag (26. 01.) haben wir angefangen, die Reparaturen in Angriff zu nehmen, die Großschot abgebaut und die Heckleuchte angesehen: Dort ist Salzwasser eingedrungen, die Fassung und die nagelneue LED-Birne (€ 8,50!) sind völlig korrodiert und haben sich teilweise in schwefelgelben Schleim aufgelöst.
In der Ferretería Naval im Städtchen einen neuen Schäkel für die Großschot gekauft, außerdem eine neue Hecklampe und einen Karabiner für die Seilsicherung, falls ich (sicher bald) mal wieder in den Mast muss. Und einen Kescher, um künftig zu fangende Fische aus dem Wasser heben zu können. 

Die Figur mit dem Kescher ist links (Foto: Gawain)

Und Epoxy und Glasmatte. Spaziergang durchs Städtchen, zur Festung, zum winzigen Sandstrand (Sand aus der Sahara hergeweht!), zum Hafencafé und zum Supermarkt. Heute abend wollen wir zur Abwechslung mal … keinen Alkohol trinken, habe ich Gawain falsch verstanden (weil ich die Unsitte nicht loswerden kann, stockende oder unvollständige Sätze meines Gegenübers beenden zu wollen) … kein Bier trinken. Sondern Wein.
Gawain wird kochen. Ich freue mich drauf, den Abwasch fast einer Woche Starkwindfahrt zu machen, weil ich mit Marlene und zwei potentiellen MitseglerInnen eine Stunde lang vielversprechend und so konzentriert wie möglich telefoniert habe. Gawain geht auch telefonieren und macht mir Musik an, irgendeine spanische Frauenband, die ihm empfohlen worden ist. Als ich starte, lese ich den Namen: KeTeKalles, von denen Lio und Martha geschwärmt und Celia und Malin gesungen haben! An einen beschwingteren Abwasch kann mich nicht erinnern. Und versuche sofort, Celia zu erreichen. Schon das das zweite Lied „Amor“ kenne ich vom Corona-Sylvester-Freiluftkonzert von Ce, Malin, Lio und Mia. Schiere Glückseligkeit.
Als Gawain zurückkommt, spiele ich ihm vom Zoom-Video des Konzerts die Version aus unserem Garten vor. Kein stolzer Vater war jemals peinlicher, fürchte ich. Aber Gawain hat brav zugehört.
Und dann noch wunderbar gekocht. Sahnespinat und Kartoffelbrei geht auch mit Rotwein supergut (Sahne! Butter! – wir müssen unsere nicht-veganen Vorräte aufbrauchen, bevor am Sonntag die drei neuen MitseglerInnen ankommen!)
Arrecife ist übrigens in der Nebensaison recht schön. Und das Licht ausgesprochen überirdisch. Wir haben tolle Fotos gemacht: Skipper mit seinem neuen übermannshohen Kescher, Gawain schick im Sonnenuntergang am Rand des alten Innenstadthafens.

Schöne Menschen im Abendlicht: Promenade Arrecife

Im Schuhgeschäft lief Tanzmusik. Hab ich gedanced. Mit Gawain zusammen würde ich sogar in die Disco gehen. Morgen abend gibt es Karaoke in einem winzigen Stadtcafé. Leute, haltet mich fest, bevor ich völlig abhebe! (unbegründete Euphorie als mögliche Spätfolge einer leichten Gehirnerschütterung?)

PS Der Verfasser befindet sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (hoffentlich) mitten auf dem Atlantik und ist derzeit nicht zu erreichen. Bis bald, Ihr Lieben!

28. Willkommen bei den Potheads

Gustave im Mast (Foto: Marlene)

Hart ist das Leben der Boat-Hitchhiker. Dumpster diving [containern], Leben am (Geld-)Limit im Camp, jeden Tag Party oder Jam Sessions am Strand, all die Drogen, die genommen oder geraucht werden müssen, damit sie nicht in Kinderhände geraten … Alle sprechen hervorragend Englisch und Spanisch. Und alle (zumindest in meiner Crew) kochen wie die Weltmeister.
Adam (heißt nicht wirklich so), Typ Moses in jung, sitzt seit Wochen im Marinabüro herum und haut jeden Skipper an, der hereinkommt. Er ist an unserem allerersten Tag direkt ins Cockpit gesprungen, (hat seinen Anschiss kassiert: Man fragt um Erlaubnis, bevor man in ein Boot steigt!) ist willkommen geheißen worden und tat superfreundlich. Danach hat er mich eine Woche lang nicht gekannt (man begegnet den gleichen Hippies andauernd, weil man/sie in den immerselben Locations rumhängt/en). Gestern war wieder Donnerstag und Jam Session im Motown und ich habe ihn aufgezogen (warum er mich nicht kennen will). Wurde superlustig (für mich), aber eigentlich eine tragische Geschichte. Er ist Israeli, hat sein Visum überzogen, kein Schiff [Mitfahrgelegenheit] gefunden und wird/muss jetzt 8 Monate auf der Insel warten, bis im November die Saison wieder anfängt, sucht einen Job etc. … Dabei sieht er hammer aus ist wahrscheinlich ein supernetter Kerl.

Gustave steigt ab (Foto: Marlene)

Effi (heißt nicht wirklich so), groß und sehnig, Locks im dicken Scheiteldutt, wirkt hochintelligent, gebildet, aufmerksam, kennt eine Menge psychisch aufschlussreicher Gesellschaftsspiele (und guckt auch gerne zu), aber nachdem er vorgestern bei uns auf dem Schiff war, gegessen und gespielt hat, erkennt er mich gestern nicht. Ich winke, lächle, grüße. Er wirkt genervt, als müsste er einen Anbaggerversuch abwehren. Dauert (gefühlte) drei Minuten, bis er orientiert ist (und es ihm leid tut). Blue (heißt sicher nicht wirklich so), die mit ihm reist, auch Französin (kein Knoblauch, keine Zwiebel), nimmt alles furchtbar ernst, wie es nur Mitte-20jährige können. Zum Essen waren wir zu siebt (auch Ludo, ganz un-hippiemäßig zivil aussehend), sechs Tassen Reis gekocht, hat gerade so gereicht, obwohl der größte Topf auf der BITSYBETH randvoll war. Gaston, ebenfalls Franzose, Riesenkörper, sympathisches immer freundliches Kindergesicht, begnadeter Percussionist (er war auf der Bühne), augenscheinlich ein sehrsehrguter Freund von Alba, hat sein Fahrrad mit einem Poster ausgestattet: „Fuerteventura/Boat“. Er wenigstens weiß heute (als Alba ihn mitbringt) noch, dass wir gestern nacht geredet haben. Gestern Nacht war nämlich wieder Jam Session, das Motown zum Brechen voll. Und alle Boathitchhiker da (bzw. draußen vor der Tür, weil ihnen die Drinks zu teuer sind). Superabend, nach einer Woche Las Palmas stupst mich mich die kleine rundliche Bedienung von hinten an und grüßt freundlich. Und für meine Crew bin ich „mi cápitan“, der den Kumpeln vorgestellt wird. War lustig.

Wird aber unter Potheads auch schnell wieder vergessen. – Alba hatte nach drei Tagen vergessen, wie der Motor angeht. Gustave erinnert sich am Folgetag nicht mehr an den Job, den er angefangen hat. Marlene lässt die Klopumpe ausgefahren (wenn der Handgriff abbrechen sollte, wären wir ohne Toilette!), klebt einen Erinnerungszettel an die Innenseite der Klotür. Am nächsten Morgen steht der Pumpstößel wieder hoch. Ich hänge den »Handle down!«-Zettel tiefer: auf Sitzhöhe. Ein paar Stunden später steht der Griff wieder oben. Dabei sind alle höchst anstellig und interessiert. Aber irgendwie reicht der Schwung nicht bis zum Aufräumen der Werkzeuge, Utensilien, Verpackungen. Bin ich zu spießig? Ich verkaufe es mal als Sicherheitsdenken. It’s hip to be square, weiß Huey Lewis. Und dune wie alle dauernd sein müssten (merken tu ich es nicht), so viel wie sie rauchen, reagieren sie tiefenentspannt und heiter.

Heute ist Freitag (10.02.) Morgen wollen wir losfahren und alles ist vorbereitet. Gustave hat die Deckenlampen in Vorraum und Klo montiert, Marlene ein Obstnetz (ihre Hängematte) unter dem Bimini aufgehängt, Gustave und Alba haben unseren Wasservorrat am Heck verzurrt. Wir haben die Heckplanke (ex: Pasarella) montiert, die Passatbesegelung [beide Genuas in der Rollfockanlage. Bei Rückenwind werden sie zu beiden Seiten ausgebaumt (=ausgespannt)] einmal aufgeriggt, 200 l Wasser in Plastikflaschen (zusätzlich zu den 100 l in Kanistern und 140 l im Tank) gebunkert, haben eingekauft wie für einen längeren Lockdown: u.a. 15 Kilo Teigwaren, 18 kg Reis, Konserven, Mehl, Kartoffeln, Kohl, Möhren ohne Ende. Im Augenblick sind Marlene und Gustave auf dem Markt, Frischgemüse holen. Alba hat die Nacht woanders verbracht – gestern war Abschiedsfeier. Diesel wollen wir bei der Abfahrt bunkern, werden aber höchstens 20 l reingehen. Jedoch: vollgetankt ist vollgetankt.

Marlene schießt Fotos; Gustave sichert sie.

Seit einer Woche liegen wir im RCNCG, dem Real Club Nautico de Gran Canaria. Alles phantastisch: Personal freundlich, Duschen heiß, Wifi zuverlässig. Nur kommt man ohne Beziehungen eben nicht rein. Das Boot ist komplett auf den Bestzustand gebracht, sogar den Luftfilter am Motor habe ich befestigt, Öl und Wasser gecheckt. Marlene hat alle Einkäufe federführend getätigt ([Paulas] Onkel Pepe hat uns gefahren. Danke, Pepe!) und z.T. auf den Kai neben dem Boot liefern lassen. Die Woche verging wie im Flug. Die Potheads müssen sich von ihrem FreundInnen im Camp und auf der Straße (Musik) verabschieden, Alba hat ihre eigene Einkäufe zu erledigen (Tofu in allen Formen und Zubereitungen, Bierhefe!, vegane  Nutella, spezielle Gewürze (Knoblauchpulver, Maza und Nahrungsergänzungsmittel)). Die Passatsegel bleiben hochgezogen und sind eingerollt. Wahrscheinlich (hoffentlich!) kann man so auch an den Wind gehen. Gestern vor dem Abschiedsabend Wettercheck und Kartenbesprechung. Alba will sogar einen Routenplan schreiben. (Das glaube ich, wenn ich es auf Papier sehe.) – Alles ist bereit. Morgen werden nur noch die Fender am Heck verzurrt und die Leinen kommen in die Backskiste. Es kann losgehen.

Falls nicht (heute stand der Wind voll entgegen), können wir problemlos eine (oder zwei) weitere Nächte bleiben, hat mir Ivan, der superüberarbeitete, aber herzlich-freundliche Marinamanager des Clubs versichert. See you on the other side.

Die Kanaren: Inseln und Inselchen

(IV : Atlantik) 27. Ab Cádiz (wieder mal)

Zwei, die am letzten Abend auf die Kacke hauen: Gawain und sein Skipper (Foto: G. Joest)

Am Mittwoch (18.01.) hat das Wetter gepasst, immer noch starker Wind, aber der sollte sich laut Vorhersage am Nachmittag legen bzw. schwächer werden. Und von da ab mal stärker, mal schwächer exakt in unsere Richtung wehen:  zu den Kanaren hin. Den ganzen Vormittag schlechte Vorzeichen (für abergläubische Seefahrer): beim Aussteigen über Leine gestolpert, Kaffee verschüttet, der Kuli aus dem Logbuch ist nicht auff­­­­­­indbar. Dann noch einmal Wasser randvoll gebunkert und um halb eins ging es los. Und der unauffindbare Kuli kullerte aus dem Logbuch – alles war gut. Doch schon in der Ausfahrt des Hafens türmten sich Wellen mannshoch. Lag sicher nur daran, dass es in der Bucht rasch flacher wird (beruhigte ich Gawain und mich). Tatsächlich wurde es draußen weniger, die Sonne schien, ein strahlender Tag mit kräftigem Segelwind, es versprach traumhaft zu werden, zumal, wenn der Wind sich abschwächte … Tat er aber nicht. SPOILER: die ganze Überfahrt lang nicht auf Dauer, wurde eher noch stärker.

(Foto: G. Joest)

Schnell wie nie verschwanden die Pylone der hohen Brücke von Cádiz (die Tragseile bilden zwei flache Kegel wie Zirkuszelte) hinter dem Horizont, waren zum Sonnenuntergang (halb acht) schon nicht mehr auszumachen. Ein guter Anfang. 
Leider machte der Seegang Gawain etwas zu schaffen, er musst sich dreimal übergeben, aber fein säuberlich außerhalb des Cockpits. Doch von Aufgeben war keine Rede (wäre auch schwierig geworden, gegenan zurück). Aber so kehrte wie von selbst die für lange Nachtfahrten wünschenswerte Bordroutine ein: schlafen so oft und viel wie geht. Von der Ruhekoje im Salon zur Liegeposition im Cockpit und zurück, unterbrochen nur von Mahlzeiten und Toilettengängen. Morgens um fünf (19.01.) notiert das Logbuch „ruhiger“. Um Viertel nach zehn dagegen „fiese Dünung“, lange, etagenhohe Wellen, die uns anschoben, dann ins Wellental sacken ließen und den Bug immer wieder seitlich verschoben. Georgieboy hat aber unbeirrt gesteuert, praktisch Leon-style: unbeirrbar, unermüdlich, untadelig.

»Nobody does it better
Makes me feel sad for the rest
Nobody does it
half as good as you
Georgie, you’re the best!«

(nach: Carly Simon; für James Bond: The Spy Who Loved Me)

Donnerstag Mittag hatten wir eine Strecke von 107 Meilen auf dem Zähler [Etmal: die zurückgelegte Strecke zwischen zwei Mittagspositionen]. Nachmittags Sonne, Wölkchen, friedlich. Und Gawain kam superschnell wieder auf die Beine (und hat dann auch seine Akku-Punkt-Druckbänder angelegt). Nachmittags wird die See wieder kabbelig, nachts leichter Nieselregen, aber nur kurz.
Am Freitag (20.01.) zeigen sich einzelne hohe Wolken mit dunkler Unterseite am ansonsten bayrisch-blauen Himmel. Sollten das die berühmten „Squalls“ sein [übergangslos einbrechende Lokalgewitter mit heftigen Böen und Starkregen]? Zum Glück sind wir mit zwei Reffs im Groß und dem kleinen (rotbraunen „Sturm“-) Vorsegel losgefahren. Und zum Glück ziehen die dunklen Wolken seitlich vorbei. Jetzt können wir die beiden Reffs aus dem Großsegel schütteln: volle Fahrt voraus, nach Südsüdwest. Nächtlicher Eintrag ins Logbuch: „Wasser dringt ein, im Vorschiff, Backbordkoje (weist auf) Hüfthöhe Tropfspuren (auf, auch auf Gawains Yogamatte)“. Die Matratze darunter ist völlig durchnässt (und kommt in die Achterkajüte, die unbenutzt ist, weil wir beide im Salon schlafen). (Entwarnung: Es ging um maximal zwei Tassen, wahrscheinlich durch eine nicht richtig geschlossene Vorschiffsluke; oder Kondenswasser). Samstag (21.01.) weiß das Logbuch: „nachts wie auf Schienen, bis 6 kn.“ Ein Traum also. Am Nachmittag desselben Tages: „wild“. 23:45h: „[Wind] surrt in der Takelage, Welle steigt ein“. Waren aber nur ein paar Liter, nicht mal knöchelhoch, nur im Cockpit. Aber seitdem lassen wir das untere Stellbrett im Niedergang stehen [das Wassereinbruch in den Salon verhindert soll]. Geschwindigkeiten immer wieder über sechs Knoten, einmal sogar über 8 – Fahrradfahrergeschwindigkeit, fühlt sich aber sportlicher an, könnt ihr mir glauben. Die gute ELISA schmirgelt sich durchs Meer, tatsächlich ähnelt das Geräusch des Wassers am Rumpf nicht mehr dem üblichen Rauschen und Gurgeln, sondern eher einem feinen Schleifen. Hält auch das Unterwasserschiff sauber, stell ich mir vor. Etmal 99 Meilen (ca. 170 km). Wir fahren ohne Vorsegel (das hat im Windschatten des inzwischen ungerefften Groß´ nur gerattert und geknallt) ziemlich platt vor dem Wind. Und hurtig: „(Wind) pfeift“, „Vorwind, wild bewegt“. Etmal am So, 22.01.: 141 nm, (ca. 250 km) – Rekord!

Als es dunkel zu werden droht, wollen wir nicht noch einmal eine Nacht ungerefft dahinrauschen. Also Beiliegen [Boot quer zum Wind gestellt fast unbewegt treiben lassen] und wieder zwei Reffs einbinden.

(… Textteile fehlen!)

Über die Sonntagnacht berichte ich hier zu einem späteren Zeitpunkt (Veröffentlichung: 25.02.23), wir sind den Montag über und durch die Nacht rasant weitergesegelt und am Dienstag früh (24.01.) gut in Arrecife, Lanzarote, angekommen.

Der alte Hafen von Arrecife (Foto: G. Joest)
Las Palmas, Gran Canaria (04.02.2023)
Crewwechsel in Las Palmas: Gustave, Marlene, Alba (Foto: c/o Marlene)

Uff. Lange Strecke, die ich nicht geschrieben habe. Aus gutem Grund. Die Sonntagnacht steckt Gawain und mir noch in den Knochen. Und jede und jeder, dem Gawain sie erzählt (ich rede eh zuviel) packt sie nicht einfach so weg, sondern ist erstmal geplättet. Wir hatten inzwischen fast zwei Wochen Zeit, sie zu verarbeiten. Aber fertig damit sind wir noch nicht. Noch hab ich keine Ahnung, wie (und ob) es weitergeht. Aber einiges spricht dafür. Marlene, Gustave und Alba sind eine super Crew. Das Boot ist im besten Zustand. Fehlt nur noch das Selbstvertrauen des Skippers.

In chronologischer Reihenfolge: Am Do., 26.01. war Reparaturtag. Den Kompassfuß hab ich mit Epoxy und Glasmatte geklebt, sollte stabiler sein als zuvor. Für das Sonntagsfrühstück wollten wir den Tisch aus dem Motorraum holen. Böse Überraschung: ziemlich Öl und Wasser in der Motorbilge. Und: die Konsole mit Ölabsaugpumpe und Dieselfilter hat sich vom Motorblock gelöst; eine der Schrauben liegt in der Bilge, eine steckt noch locker in ihre Bohrung. Die dritte fehlt. Den Job habe ich bis zum Abend vor mir hergeschoben, er stellte sich dann aber als der leichteste des Tages heraus: Öl abschöpfen (war vor allem Wasser), zwei Schrauben einsetzen und festziehen (es gibt zwar drei Bohrungen an der Konsole, aber nur Öffnungen für zwei Schrauben am Motorblock). Luftfilter wieder in seine Gummifassung pressen. Eine Viertelstunde später läuft die Maschine wie neu.

Für Freitag (27.01.) hatte Gawain einen Ausflug vorbereitet. Mit einem Mietroller (vorne zwei Räder) zum Timanfaya Nationalpark (Vulkanlandschaft mit Kratern), Regenpause in einem Tal voller Rebenanlagen, jahrelang aufgehäufte halbkreisförmige Steinwälle schützen einzelne Weinstöcke, dramatische Wolken ziehen darüber, düsteres Licht. 

Reben im Regen: Lanzarote (Foto: G. Joest)

Im Nationalpark (letzter größerer Ausbruch vor erst 300 Jahren!) längerer Spaziergang um den Cráter de la Caldera de Los Cuervos herum und hinein. 

Rundweg: Cráter de la Caldera de los Cuervos

Anschließend Mittagessen im Asador (mies), merienda in einem Ausflugslokal voller angeheiterter Festgäste, Karaoke zu Gitarrenbegleitung und das ganze Lokal singt mit (phantastisch). Im Abendlicht nach Norden hinauf zum Mirador del Rio (Rio heißt die Meerenge zwischen Lanzarote und La Gracía, der Nachbarinsel). Aussicht atemberaubend, aber der Mirador hatte geschlossen, war nix mit dem heißersehnten Kaffee auf der Aussichtsterrasse. Kühl war es nämlich schon auf dem Roller, selbst hinten, obwohl Gawain fuhr wie ein Pro und uns auch navigierte.

Ungrazil vor la Gracía: Skipper (Foto: G. Joest)


Abends noch ein vierte und fünfte Lage Glasmatte auf die Innenseite der Kompasskonsole geklebt.

Drei Farben Neongelb (Foto: G. Joest)

Samstag morgens Roller zurückgeben, Frühstücken gegangen. Nachmittags Kompass angebaut. Selbst Aaron findet die Reparatur gelungen. Sonntag (29.01) kommen Alba, Marlene und Gustave um halb drei an der Estación de Guaguas (so schreiben sich also die Busse auf den Kanaren) an. Kleiner Einkauf, große Sicherheitseinweisung auf dem Boot. Montag quatschen, Dienstag Mittag Abfahrt aus Lanzarote. Die Selbststeuerung ist absichtlich nicht installiert, wir wollen reihum von Hand steuern. Günstiger guter Segelwind bringt uns um die Südspitze der Insel und zwischen ihr und Fuerteventura hindurch. Delfine und ein einzelner größerer Tümmler begleiten uns ein Stück weit. (Video Lanzarote-Gran Canaria: https://youtu.be/oKAcT-uNDFM) Gustave und Gawain haben zusammen Nachwache und überbieten sich darin, das Boot möglichst schnell zu segeln. Außerdem sehen sie die Lichter/Leuchttürme von VIER Inseln (Gran Canaria und Teneriffa noch dazu) und Sternschnuppen. Alba ist etwas seekrank, aber die Stimmung ist bestens und alle steuern in ihren (doppelt besetzen) Nachtwachen tadellos. Ruhige Nacht für den (wachfreien) Skipper. Etmal 95 Meilen, 17:30h Anleger in der Marina Las Palmas. Bloß: sie haben keinen Platz (wie Alba schon vorher telefonisch erfahren hat). Wir müssen (wie alle andere auch) auf den Ankerplatz neben der Marina, liegen um halb acht beim zweiten Versuch fest und packen das Dinghy aus. Neun Uhr in der Sailor’s Bar, aber als die zumachen sind wir alle etwas frustriert bzw. geschafft.

Am Do (02.02.) nachmittag wollen wir duschen gehen, fünf Menschen im Dinghy plus Badesachen. Dann Stadtrundgang, Gustave und Marlene gehen ins Camp der Boathitchhiker („Marocco“), Alba ihrer eigenen Wege, Gawain ins Schuhgeschäft und ich verlauf mich in einem Neubaugebiet. Treffen zum Sonnenuntergang (leider Hügel im Weg) am Stadtstrand. Alba hat News: Um halb neun gibt es in einer nahen Bar eine Jam Session. Also rudern wir nicht zurück aufs Boot, sondern verbringen die Zeit mit Fastfood auf die Hand am Strand, tanzen später (samt Duschzeug) im Motown ab und begleiten die Hitchhiker, die von ihrem Platz vor der Bar vertrieben werden, hinunter zum Strand. Musik, bis die Polizei kommt (02:30h). Auf dem Rückweg zum Boot sind wir nur zu dritt: Alba, Gawain, ich. Marlene und Gustave verbringen die Nacht im Camp. Donnerstag früh weckt mich Peter, erfahrener Weltumsegler, zur Vorführung seines selbstentwickelten Downwind-Segelfallschirms. Beim Einsteigen versenke ich beinahe sein Dinghy: ich bin übernächtigt. Mittags frag ich in der Marina nach, immerhin liegen wir jetzt schon zwei Nächte ungewollt vor Anker. Reagieren die ungehalten und genervt. Rufe ich Juan an (den wir vor zwei Wochen dort kennengelernt haben, Ex-Kollege von Pepe), um ihn nach einem Liegeplatz im direkt nebenan liegenden Club Nautico zu fragen. Regelt der das innerhalb von zwei Stunden: 15:45 an Muelle de Espera im it Real Club Nautico de Las Palmas. (Danke, Juan!) Gleich kommt Tio Pepe und wir gehen Mittagessen. Und morgen fährt Gawain alleine weiter, nach Teneriffa. Seufz.

Blick ins Ferne: Gawain