18. Ab Oeiras

Morgenröte Lissabon
Vasco da Gama

Der Entdecker des Seewegs nach Indien ist in Sines [„Síndsh“] allgegenwärtig. Nach ihm ist der halbmondförmige Sandstrand im süßen Stadthafen (heute von riesigen Industriekais und Wellenbrechern umbaut) benannt, in dem auch die Marina liegt, darüber die Festung, in der sein Vater Bürgermeister war, daneben die Kirche, in der er mit elf oder zwölf seine erste Tonsur geschoren bekommen hat, das Stadthäuschen, in dem er (vielleicht) geboren worden ist – die Tourismusbroschüre erspart uns kein Detail. Gibt allerdings Schlimmeres, als überall an einen der Helden des Zeitalters der Entdeckungen (heute eher: der Beginn der Kolonialisierung(en) – das Abschaffen der individuellen Sklaverei lässt sich leicht verschmerzen, wenn man (die Europäer) es vermocht hat, sich ganze Volkswirtschaften zur Ausbeutung bereitzuschießen) im 15./16. Jahrhundert erinnert zu werden. Dass die großen Entdecker Hazardeure waren, Glücksritter und Hochstapler, verkrachte Existenzen, die in ihrem bürgerlichen Leben nicht zurechtkamen, steht auf einem anderen Blatt (und nicht so deutlich in den Geschichtsbüchern). Aber wie schon Barr (Justizminister unter Trump) zitierte (ich weiß nicht, wen): »Geschichte wird von den Siegern geschrieben.«

Alles Vasco oder was? Festung, Kirche, Sandstrand (v.r.n.l.), neue Großschot

Auf allen Bildern wird da Gama mit strammen Waden dargestellt (ungewöhnlich für einen Seefahrer!) Wer (wie ich heute zweimal) die steilen Treppen vom Meer zur Festung hochgestiegen ist, kennt den Grund.
Wie immer nach Nachtankunft (Sa., 15.10., 02:00h) ist am nächsten Morgen das Städtchen strahlend schön. Leon, du hast wieder mal Recht gehabt: sobald du abgeflogen warst, hat hier das Wetter auf Sommer zurückgeschaltet, blitzeblauer Himmel, leichter perfekter Segelwind.

Kreuzfahrtschiff am Morgen – zu spät für den Sonnenaufgang über Lisboa

Am Freitag (14.10.) morgens in Oeiras (bei Lissabon) abgelegt, der enge Liegeplatz, nur rückwärts gegen Seitenwind zu verlassen, hat mir unnötig Sorgen gemacht: alles lief gut. Draußen, ich hab eine Strecke von 53 nm vor mir, schlief erst einmal der Wind ein. Hab ich ausgesessen, auch die Motorsegler ignoriert, die mich überholt haben. Eine Stunde später setzt Segelwind ein, erst aus NW, dann aus NE: perfekt. Nach dem Kap Espichel auf Kurs SE gewechselt, der Wind kommt mit Bf 4 genau von hinten, Schmetterling [Groß- und Vorsegel stehen in unterschiedliche Richtungen quer, soll schick aussehen]! Georgieboy (ab heute: Signore Giorgio) steuert den Schmetterling tadellos aus, mehr als sechs Stunden, bis in die Nacht, bis zu fast 5 kn, ab und zu fällt das Vorsegel ein, aber mit mir am Steuer wär das noch viel öfter passiert – ein Traum. So ausgeglichen ist die Fahrt, dass ich (essen und) Kartoffeln kochen und -salat daraus machen kann. Nicht so lecker wie bei Muttern, aber dennoch ein Stück Heimat. Dann zieht sich die Strecke, inzwischen wird sie vom Navi mit 83 nm angegeben, bin ich Umwege gefahren? Ausgerechnet nach Mitternacht, das Ziel ist nur noch weniger als 10 Meilen entfernt, frischt der Wind auf, die gute Elli braust mit 5 kn drauflos. Kann ich nur nicht mehr genießen, weil ich mich jetzt auf die Ankunft vorbereiten muss (Leinen und Fender raus, Hydrovane-Ruder einziehen, Marina anfunken). Um halb zwei am Morgen ist das Marinabüro nicht mehr besetzt, also alleine in den Hafen geschlichen und den erstbesten Liegeplatz angesteuert. Erleichterung. Ich war noch nicht wieder auf Nachtfahrten eingestellt und hatte tagsüber zu wenig geschlafen, war anstrengend (auch danach wieder runterzukommen).

Kartoffelsalat zum Frühstück

Heute Morgen (für mich: Mittag) angemeldet, die lächerlich niedrigen (18€) Gebühren bezahlt, geduscht, Wäsche gewaschen, eingekauft. Dazu im Städtchen (gegenüber der Festung, s.o.) portugiesisches Süßgebäck (Blätterteig, Buttercremefüllung) und einen kleinen Kaffee für 0,85€ (!!) genossen. Paradies. Jetzt Filme schneiden, ausruhen, Abendessen, Wetter für morgen checken. Viel schlafen.
Adega de Sines heißt der Originalportugiese, geführt von zwei tattrigen Alten (auf die alle warten müssen), gibt keinen Fisch mehr, nur Hühnchen, Pommes, Salat, Pudding des Hauses (span. Eierpudding). Ben gegenüber am Tisch, 25, Kalifornier, hat den Jakobsweg gepilgert und wandert jetzt von Lissabon die Küste hinab, teilweise am Sandstrand. Und will mit über den Atlantik: Nummern ausgetauscht. À propos: In Oeiras hab ich eine der Nummern von einem Aushangzettel antelefoniert, eine Ina, die schrecklich jung klang auf ihrer Mailbox. Einen Tag später ruft sie zurück, studiert jetzt, gerade angefangen, ihr Freund ist surfen in Südfrankreich, aber nett, dass ich mich gemeldet hab, blabla: Schuss inn‘ Ofen. Kann man vergessen, die Aushänge (in Lagos hängt derselbe, längst nicht mehr aktuelle Aushang).

Seven Sisters

… oder Zwölf Apostel oder so ähnlich hießen in jedem anderen Land der Welt die bizarr-wunderschönen ausgespülten Höhlen und Bögen, einzeln stehenden Felsen und Sandsteinskulpturen an der Einfahrt nach Lagos. Und wären Weltwunder. Hier ist zumindest eine ansehnliche Flotte von Touristenbooten unterwegs, um die Höhlen anzugucken und auch sonst jede erdenkliche Art von Vergnügen zu bieten (Flöße nachschleppen, Trampolins, Delfine gucken, Mittagessen). In einem Wort: Lagos ist wunderschön, teuer und komplett überlaufen. Aber angenehm. Gestern (Montag, 17.10.) abends noch mit zwei Travellern, Lukas und Julian, Bier trinken gewesen, an der Plaza (Praca), Live-Musik von hochprofessionellen Straßenmusikanten, begeistertes Publikum, das mitgeht und tanzt (oder wenigstens wippt). Superschön. Julian und Lukas (und Hund Slo-Mo) wollen vielleicht eine Strecke mitsegeln.

Punta de Piedade (vor Lagos)

Am So. (16.10.) mittags in Sines losgemacht, nachmittags regnet es, dafür weht so gut wie kein Wind, mit 1,5kn schleichen die Lisbeth und ich nach Süden.

Quizfrage: Warum ist die Situation im Bild nicht bedrohlich?
A) Es regnet, kann also nichts anbrennen;
B) Das nächste Land, die Küste ist ja ganz in der Nähe;
C) Das Foto ist doch mit Teleobjektiv aufgenommen;
D) Zwischen uns und dem Frachter sind ja noch die Salonscheibe und irgendein Seil.
Richtige Antwort: E) Der Frachter hat keine Bugwelle, er liegt vor Anker (im Bild nicht zu erkennen)

Sonnenuntergang okay, ich finde zurück in die single-handed-Routine, schlafe immer wieder zwischendurch, esse zweimal warm (Ratatouille und Reis) um 18:00 und Mitternacht. Um zehn war schon einmal das Leuchtfeuer des Cabo de São Vicente zu sehen, des südwestlichsten Punkts Portugals (und Europas?), verschwand dann aber wieder im Dunst (der nachts nicht zu sehen ist). Später geht der Halbmond strahlend auf und die Lichter der Küste funkeln anziehend; leider ziehen sie nicht so flott vorbei, wie ich wünschte. Um halb drei in der Früh rauscht die Lizzy vielversprechend (4,5 kn)dahin, misstrauisch stehe ich auf und richtig: Sie (bzw. der Wind) hat auf 245° gedreht und fährt Richtung Kanaren. Sehr schön, nur für mich zu früh. Dann schläft der Wind wieder ein bzw. scheint aus allen Richtungen zu wehen. Im Dunkeln schaffe ich es nicht, einen neuen Kurs zu finden. Sobald es (gegen halb acht) hell wird, ist das kein Problem. Kommen allerdings wieder nur 1,5 kn raus. D.h. für die vierzig Meilen bis zum Ziel müsste ich auch noch die folgende Nacht durchsegeln. Hab ich keine Lust zu, denke ich an Leon (»bringt doch nichts«) und werfe die Mühle an. Richtige Entscheidung im Rückblick. Zwar werde ich am Abend fast neun Stunden motort haben, aber Mittags runde ich das Kap im Sonnenschein (zusammen mit einem Dreimaster, der BLUE SKY aus GB).

Doppelt so lang, dreimal so viel Masten, aber auch nicht viel schneller: Blue Sky
Kaum zu sehen: Nebelbänke

Zwei Stunden später bei Sagres ist eine Nebelbank so dicht, dass ich keine 100m weit sehen kann (und froh bin, mit der Maschine stur Kurs halten zu können). Andererseits ist der Nebel nur ganz flach: von oben scheint die Sonne durch die Suppe!
Dann bleiben die Nebelbänke zurück und die sagenhaft schöne Einfahrt nach Lagos liegt in der leuchtend orangen Nachmittagssonne. Halb sieben fest am Besucherkai der Marina, wo mir zwei Freaks (Dreadlocks, barfuß, Hund) schon mit einem selbstgemalten Schild („Canaries“) zuwinken. Und alles ist gut.

Weltwunder, ganz bescheiden