30. Achteinhalb Tage

San Pedro (Turtle beach), Sao Vicente, Cabo Verde
Richtung Kapverden

Samstag, 11. Februar war es endlich soweit. Am Nachmittag sollten die Winde auf Nord-Nordost drehen, evtl. kleine Flaute, dann die ganze Woche in unsere Richtung, teilweise bis Bf 7. Aber stets achterlich. Eile hatten wir also keine. Marlene ging letzte Einkäufe tätigen, Gustave und ich bereiteten das Rigg für Passatbesegelung vor. Um halb vier in die andere Marina gedampft, wo es eine Tankstelle gibt. Auch wenn nur 20l reinpassen würden. Nach dem Tanken konnten wir am Anleger bleiben, bis eine andere Yacht tanken kommen wollte. Kam aber keine. Gaston und Matx („Matsch“), Baske, schauten vorbei, später noch Blue, die uns ein handgemaltes Kartenspiel (für Hanabi) geschenkt hat. Wehmütig (Abschied) und ausgelassen (große Erwartungen) war auch noch ein Tänzchen an der Tanke drin, sicher auch für guten Wind (hat jedenfalls geholfen). Um fünf macht die Tanke zu, um halb sechs sind wir raus aus Marina und Hafen. Draußen war erstmal zwei Wachen (6h) Flaute. Sind wir getrieben bzw. herumgedümpelt, See ruhig, Sonnenuntergang klasse. Dann kam der Wind. Der Wachturnus war rasch festgelegt und hatte sich schnell eingespielt: nachts drei-Stunden-Wachen, vier Stück, zwischen 21:00 und 09:00, tagsüber vier-Stunden-Wachen, drei Stück, wiederum bis 21:00. Kein weed während der Wachen, musste ich dran erinnern. Außerdem scheint es schwierig zu sein, sich zu merken, dass der Klo-Pumpen-Hebel nach Gebrauch wieder ins Gehäuse zu schieben ist. Hab ich schon erwähnt, dass ich mir wie der letzte Spießer vorkomme?

Exkurs: Im Salon, pardon: im Square (in der Bordsprache Englisch haben alle Kabinen neue Bezeichnungen bekommen: Triangle ist die Vorschiffskabine, Square heißt der Salon, bleibt Circle für die Achterkabine); ELIZUPA heißt das Boot (weil ich, anscheinend typisch deutsch (Französin mit Tomás vor dem Motown)) andauernd „super“ sage – muss ich mir abgewöhnen. Gustave findets allerdings gut. Außerdem weckt er mich (meine Wache ist nach seiner) mit dem traditionellen »Reise, Reise!« [»Raisöraisö«], was ich wiederum super finde. Zurück zum Spießer: Im Square hängt ein Zeitungsausschnitt, eine Filmreklame: El peor vecino del mundo (Der schlimmste Nachbar der Welt). Den Film kenne ich zwar nicht, aber der Titel (und der Untertitel (Nunca es tarde para empezar a vivir (Es ist nie zu spät, ein (neues) Leben anzufangen) versprechen ein Spießer-Drama. Und was hat der (Hollywood-) costume designer als Outfit ausgesucht: dunkelblaue Allwetterjacke, dünner Wollpullover, kariertes Hemd. Genau mein Stil. Tom Hanks trägt zwar keine Brille, aber mit Quadratschädel und fiesem Blick kommt er ganz auf mich. Oder wie Marianne Rosenberg singen würde: Er ist wie ich.

Schickes Outfit: Hanks

Zurück zur Passage: Bei dem fast durchgehend herrschenden schweren Seegang dringt doch deutlich Wasser ins Schiff, sprudelt dann aus den Bodenbrettern, ergibt eine unangenehme Sauerei. Alba macht sich Sorgen. Und pumpt heftig.
Abendessen gibt es gekocht und warm (je nachdem, welches Gemüse dran/am vergammeln ist), Frühstück und Zwischenmahlzeiten macht jeder für sich oder für diejenigen, die wach sind. Ich hab eine Erkältung erwischt und schlafe mit Mütze und Halshandtuch so oft es geht.
An Sonntag früh verschwinden die letzten hellbraunen Berge der Südküste von Gran Canaria endlich im Dunst. Von jetzt ab nur noch Atlantik. Einmal ein Frachter hinter uns quer (irgendwo nach Mauretanien?), einmal ein hellerleuchtetes Fischerboot, einmal ein einsames Licht wie von einem Segelboot querab, in der Dunkelheit aber nicht auszumachen – dafür, dass die gesamte (komplett ausgebuchte) Marina in Las Palmas auf günstigen Wind gewartet haben soll, ist erstaunlich wenig los. Oder haben wir den aufziehenden stürmischen Wind nicht ernst genug genommen?
Dessen Höhepunkt ist für Donnerstag angesagt, also reduzieren wir schon Mittwoch nachmittags vorsorglich die beiden Genuas. Die lassen sich aber (bei wenig Wind) problemlos auf das Vorstag rollen. Teilweise segeln wir nur noch mit einem Bettuchgroßen Stück, am Donnerstag Nachmittag und nachts sogar völlig ohne Segel: Ablaufen vor Topp und Takel. Aber immerhin noch mit vier Knoten! Im Radio war Gale warning (Sturmwarnung). Zwar lässt der Wind immer wieder nach, aber hohe Dünungswellen bleiben. Und zwischen Bf 4 und 7 (Böen 8) schiebt uns der Wind von hinten fast geradewegs auf die Kapverden zu. Schaukelfahrt, aber immer wieder auch wie auf Schienen. Und Sonnenschein bzw. sternenklare Nächte. Inzwischen hat die Erkältung auch Gustave erwischt, Marlene kann es unten nicht lange aushalten, wir essen im Cockpit auf den Knien zu abend. Und es schmeckt: Wind macht hungrig. Alle Bananen sind gleichzeitig reif geworden, lecker Bananenpfannkuchen (Marlene) und Bananenschokopfannkuchen (Alba), die Äpfel halten auch nicht, was uns versprochen wurde und die Orangen stoßen sich in ihren Netzen weich und wund. Marlenes Hängematte allerdings tut als Obstnetz unter dem Bimini gute Dienste. Gestern hat sie in ihrer Wache sogar die fluoreszierenden Delfine gesehen – was mich beruhigt: war also doch nicht nur meine Einbildung.

Der Moment

… ereignete sich schon am zweiten Morgen. Erstes Grau im Himmel, Boot läuft ruhig unter Passatsegeln, Gustave und Marlene kuscheln sich durch ihre Wache, jeweils eine Tasse Tee in den Händen. Auch ich hab einen Pott Kaffee. Und urplötzlich erinnere ich mich an das Bild, mit dem für mich alles anfing: eine stilvoll-naive Illustration wie aus einem Kinderbilderbuch (von Paulas Agentur, hätte ich gesagt, aber der Moment muss Jahrzehnte früher stattgefunden haben). Auf der Yacht ein junges Paar, ebenfalls im Morgengrauen, ebenfalls unter Passatsegeln, nur ruhig, friedlich, still. Irgendwo hat der/die Zeichner/in noch einen rückenbiegenden Delfin untergebracht, der war bei uns nicht dabei. Jedenfalls: das Paar, sie noch im Schlafanzug (überweites T-Shirt, Slip) mit einem Pott dampfenden Kaffee in der Hand, er kauert am Heckspiegel und rasiert sich den Schaum vom Kinn. Bewegt ist eigentlich nur das Kielwasser, das sich sanft kräuselt. Dieses Bild, das ich irgendwo vor Jahren gesehen habe (sollte ich vielleicht mal googeln) hat jedenfalls meine Sehnsucht nach einer Segelreise ausgelöst oder heraufbeschworen. (Oder ich hab damals angefangen, mich nass zu rasieren?). Und genau dieser Moment trifft jetzt, am zweiten Morgen der Passage ein. Ganz merkwürdig wehmütig-befriedigendes Gefühl. Fast wie ein Déja-vu. Jedenfalls sehr bewegend. Ich bin noch den ganzen Vormittag befangen vor emotionalem Überschuss.

Heute, Samstag, 18.02. (Karnevalssamstag in der Stadt mit K.), sind wir eine Woche unterwegs und haben schon vor zwei Tagen beschlossen, auf jeden Fall auf den Kapverden Station zu machen. In der kleineren Genua ist ein Riss entlang des Achterlieks, die Befestigung des Wasserkanisters ist abgegangen, am Herd funktioniert nur noch eine Flamme (Wasser im Schlauch) und der Wassereinbruch im Salon scheint sich zu verstärken. Wir brauchen eine Reparaturpause. Außerdem sind mir die Zigaretten ausgegangen. Heute mittag waren es noch 182 nm, also fast zwei Tage. Wenn wir können, wollen wir die Ankunft so terminieren, dass wir nicht im Dunkeln einlaufen. Mal sehen.

Karneval in Cabo Verde

Rosenmontagmorgen um sechs Uhr (also noch im Dunkeln) endlich die Marina Mindelo ausgemacht (Navionics hatte ich für die Kapverden nicht geladen) und vom Marinero an der Tanke erwartet worden. Seitenwind falsch eingeschätzt und eine Schramme in die Flanke der armen ELLI gefahren. Aber gut angekommen, fest- und Bier aufgemacht. An der Tankstelle konnten wir nicht bleiben, also umsetzen an einen wackligen Ponton, vor dem wir vor zwei langen (unelastischen) Vorleinen mit dem Heck zum Steg liegen (zwei Marineros im Schlauchboot haben die Vorleinen ausgebracht) und unsere Boje komplett unter Wasser ziehen. Das hier übrigens grün ist und fendergroße Moos- oder Algenbälle schwimmen hat. Einchecken und Umlegen hat so lange gedauert, dass wir erst um halb eins bei der Hafenpolizei sind, die Immigration hat inzwischen geschlossen. Es ist Rosenmontag, der Karneval ist weltberühmt und wird das Städtchen bis einschließlich Mittwoch in Atem (und die meisten Geschäfte geschlossen) halten.
Ging direkt abends mit einer großen Parade los. Öhrenbetäubende Beschallung, Goldlammé-Kostüme, Tragegestelle mit Pfauenräder-Befederung, hochhackige Stiefel und hochgeschnittene Badeanzüge: besser ist der Karneval nur in Guinea-Bissau, im Senegal und natürlich in Rio (belehrt mich ein Betrunkener/Psychiatriepatient auf portugiesisch, ich antworte auf deutsch, kann ihn aber dennoch eine halbe Stunde lang nicht loswerden. Andererseits; freundlich gestikulieren, aufkochende Erbostheit beschwichtigen, ab und zu einsichtig lächeln geht in jeder Sprache. Zu irgendwas ist die Fasteloovend-Erfahrung dann ja doch gut.) Nach einer Stunde fällt mir auf, dass die Musik sich wiederholt. Tatsächlich spielen sie (auf dem gesamten Zugweg, überall in der Innenstadt) dasselbe Lied in Dauerschleife, insgesamt sicher vier Stunden lang, später werde ich dazu einzuschlafen versuchen (die Marina liegt praktisch in der Verlängerung der Hauptstraße, die am Strand in einem Kreisverkehr (und Feierzentrum) endet).

Gestern abend Großkampftag und große Parade. Danach noch auf den Hauptplatz, lief aber nur noch Konserve zum Chillen. Dennoch: die Tänzerinnen, die nach einem Tag High Heels barfuß nach Hause wanken. Die kreischbunten Hochglanzkostüme in allen Stadien der Auflösung, die Stimmung zwischen Euphorie und Erschöpfung, Rausch und Ohnmacht, das seelige Lächeln zwischen zwei Gähnanfällen – Kehraus ist vielleicht das Menschlichste am Karneval. Hier noch dazu mit streunenden Hunden und kleinen Kindern (auf Schultern gehoben mit leuchtenden Augen oder schlafend getragen). Einer hat Alba, mit der ich unterwegs war, seine Bockleiter angeboten, sie war zu genant, ich hab es mir nicht nehmen lassen: in den hinteren Reihen sieht man nur die Mottowagen und die Tänzer/innen auf ihren luftigen Podesten. Aber das eigentliche Leben findet auf Straßenebene statt: Trommlergruppen, Sambaschulen, strahlende Märchenprinzessinnen für eine Nacht. (André, der heute aufs Boot kam (und eine Mitfahrgelegenheit in die Karibik sucht, was sonst?) hängt hier schon seit Wochen rum und hat die gesamten Proben und Probeumzüge mitbekommen. Es scheint hier seit Wochen nur um den Karneval, diese drei tollen Tage zu gehen. Nur wir sind völlig unbedarft hier hineingestolpert, wo andere extra deswegen hierherfliegen …)
An Karneval hat nur der chinesische Supermarkt geöffnet (Falcoes), außerdem Putenschnitzel, Pommes, Spiegelei, Reis, Salat, Bier und Vanillecremetörtchen im lokalen Restaurant (8€). Und endlich mit Paula signaltelefoniert (und André und seinen Skipper getroffen). Und Julian und Amanda (Bonn), unterwegs nach franz. Guyana), weil Julian den Müll aus dem Windschatten des Pontons direkt am Heck der ELLI gefischt hat, eine Tüte voll innerhalb einer halben Stunde.

Ach ja: Und das Ruderlager geflickt. Am Donnerstag Nachmittag hab ich nämlich endlich nach der Ursache für das Poltern gefahndet, das (mich im Schlaf aufschreckt und) sich nach einem schweren Gegenstand anhört. Das Ruder der Hydrovane war es nicht. Aber das Messinggehäuse der Stopfbuchse am Schaft des Hauptruders hat sich gelockert und zwei mm Spiel, dadurch die Dichtungsgummierung zwischen Ruderlager und -koker herausgearbeitet: daher das Wasser im Schiff bei hohem Wellengang. Die Crew nimmt die Nachricht gefasst auf, vor allem erleichtert darüber, dass jetzt endlich klar ist, wo das Wasser herkommt, das sie zweimal täglich ausgepumpt haben. Aber damit war der Entschluss gefasst, auf den Kapverden Station zu machen – mit lockerem Ruderlager über den Atlantik? Geht gar nicht. Heute (Aschermittwoch) habe ich den Flansch des Ruderkokers, der nicht mit dem Flansch von Ruderlager und -stoffbuchse gefluchtet hat, einseitig auflaminiert. Danach sollte das Ruderlager flächenschlüssig (und nicht nur auf Unterlegscheiben, wie nach der Verzweiflungsreparatur im Boatyard in Cornworthy) klemmen und damit so stabil sein wie der Rest der guten alten ELIZUPA.
Gleich geht’s wieder ins Getümmel, die Bands trommeln sich schon warm …
Marinarundblick: im Osten, hinter der Fischmarkthalle, wo die Boote anlanden, schwanken hohe Motivwagen, grellweiß angestrahlt heran, Samba dröhnt herüber, ein Stück weiter links ist ein Bühne aufgebaut, Requeton wummert heran, noch ein Stück weiter malen Luftabwehrscheinwerfer Lichtschwerter in den Nachthimmel, die gehören schon zur nächsten Bühne (Rumbarausch mit Frauenstimmen), am Kreisverkehr vor der Marina treffen sich Trommlergruppen und Tanzschulenkostüme von beiden Seiten, begegnen sich irgendwie, ohne sich zu mischen und augenscheinlich ohne sich zu stören (jeweils eigene Musik), ein Steg weiter gähnt ein schickes rotleuchtendes Dreieckslokal mit atemberaubend ausgeleuchteter Terrasse (aber gähnend leer, Musik jedoch voll aufgedreht), gegenüber singt sich eine Calypso-Boygroup die Seele aus dem Leib, auf dem nächsten Platz, etwas zurückgesetzt, tanzt eine (oder mehrere?) Rumbaschulen völlig synchron (eigene Musik) … und das war nur die Uferpromenade. Die richtig großen Bühnen und Tribünen sind zwei Blocks den Hügel hinauf im Stadtzentrum aufgebaut. Dort tanzt er kapverdische Bär. Dazu: Brathuhnduft und Holzkohlegrillrauch, Popcornaroma und Garküchendunst. Aber: kein Alkohol im Straßenverkauf! Im Sturm (herrscht ununterbrochen seit drei Tagen!) fliegt der Plastikmüll und kreiselt im Windschatten eines Rohbaus zu Boden. Bilder, die man nicht geschossen hat. Und die hoffentlich dennoch bleiben.

Endlich Band I der Recherche zu Ende gelesen (die Passage war lang (8 ½ Tage), trotz Sturm und Starkwind und hohem Wellengang). Großer Stilist, unbestritten, aber große Kunst? Das unvermittelte Changieren zwischen Gesellschaftssatire und Empfindsamkeitsliteratur, die unglaubwürdigen Figuren und ihre lächerlichen Manien, die unentschlossene Erzählhaltung (bin ich Swan, bin ich Marcel, bin ich auktorial?), die verschiedensten Erzählblöcke (Sehe ich Landschaft und Gegend? Lese ich Gefühle und Irren/Wirren?), die verschwimmenden Zeitebenen und Orte und Bezüge (erfahre ich die Erinnerung des Erzählers oder seine gerade gewonnenen Einsichten) – nicht der angekündigt (und angestrebte) große Wurf (für mich). Aber vielleicht zuviel Zeit zwischen den Lektüreschüben (seit Oktober!) vergangen. Jedenfalls wieder einmal: großes Leiden (unglückliche Affäre mit irgendeinem Antoine) schafft große Kunst. Und Gravity‘s Rainbow. Muss im LSD-Rausch geschrieben worden sein: hemmungslos episodisches Geistesblitz-Erzählen, das sich an nichts vorher Geschildertes erinnert oder stilistisch annähert (die Kotz-Szene, wo ein paar wildgewordene Alliterationskünstler mit erfundenen ekligen Gerichten eine ganze Abendgesellschaft nach und nach zum Hinausstürmen und Erbrechen bringen; die finale Erlösungsrakete mit fügsamem Menschenopfer; die Irrfahrten des schiffbrüchigen Slothrop, der kaum von einer Yacht gewaschen, auf den nächsten Nachen gerettet wird und nicht einmal Zeit findet, vernünftig auszunüchtern; die sexuellen Obsessionen jeder einzelnen Figur – irgendwie hat Th. Pynchon es am Ende doch noch geschafft, so etwas wie einen Bogen zu schließen, aber die Auflösung hab ich nicht verstanden. War Slothrop Opfer eines ungeheuerlichen Menschenversuchs oder („nur“) seiner überschießenden (und alle Hauptfiguren einbeziehenden) Paranoia? Sind alle seine Gespielinnen eigentlich ein und dieselbe Frau? Spiegeln sich seine Erlebnisse in den anderen (episodisch erzählten) Figuren oder wird eine einzige Geschichte, eine Parabel, („einfach“) an verschiedenen Charakteren durcherzählt?) Aber, wem nach einer Erzählung über den Irrsinn des Krieges und was er mit seinen Akteuren und deren Psyche anstellt, ist, dann ist er mit diesem Brocken von Grausamkeit, Sinnlosigkeit, Paranoia und Kadavergehorsam, sexueller Unterwürfigkeit und Dominanz gut bedient. Juli Jurik:Die Schule von Beslam (wieder) gelesen. Und laut schluchzend und tränenüberströmt im Cockpit gelitten, bei Sonnenschein und tropischer Umgebung (allerdings Starkwind, 35 kn). Und gegen die Hitze: J. Krakauer: In eisige Höhen (wieder). Geht immer wieder. Und kühlt immer wieder. Und bewegt immer wieder.
Und (wieder) B. Schenk Transatlantik in die Sonne. Auch dieser Profi wickelt sein Spinnakerfall in den Fockroller. Auch dieser Großnautiker ist nervös vor dem Landfall. Auch der bestverkaufende Segelbuchautor Deutschlands schlägt sich mit den Nachlässigkeiten seiner Crew herum. Wieder viel gelernt (nur nicht über vegane Ernährung: mit den Rezepten und Mengenangaben konnte Marlene nichts anfangen. Allerdings haben wir auch nicht zwei (!!) Gefriertruhen an Bord und müssen deshalb täglich (!!) eine Stunde den Motor anschmeißen (dafür lassen wir das Masttopplicht brennen; dieses Birnchen bringt uns dann auch nicht mehr um)). Tatsächlich hat die Batterie 7 Tage lang durchgehalten, nach einer Stunde Motor war sie zwar wieder auf 12,6 V, ging dann aber rasch runter. Muss auf dem Atlantik besser laufen.

Hexenweg
Richtung Santo Antao

Freitag (24.02.) hab ich endlich (zur Belohnung für die gelungene Ruderlagerreparatur) den lange geplanten (vorgehabten) Landausflug gemacht, eine Wanderung über Santo Antao, die vielleicht schönste der Inseln. Gestartet bin ich wie ein Pro: halb sieben aufgestanden, über den Zaun geklettert, weil die Marinero-Nachtwache auf Rufe nicht reagiert hat, um halb acht das Fährticket gekauft und um acht die Fähre (halbe Stunde) zur Nachbarinsel genommen, die im Dunst zu ahnen ist.

Hier nicht im Nebel: Pico da Cruz (höchster rechts)

Fliegender Fisch: fliegt einige Meter weit, bevor er wieder in die nächste Welle taucht (vier von der Sorte lagen bereits bei uns an Deck, einer hat es sogar (durch die Luke?) bis auf die Saloncouch geschafft.) Von einem hiesigen Studenten angesprochen worden, sein Vater sei Taxifahrer. Also schnell das richtige collectivo (hier: aluguer) gefunden, in der Wartezeit gefrühstückt (Bratfisch mit cachupa, einer Mischung aus gekochten Bohnen, Mais und irgendeiner Art Graupen. Halbe Stunde Fahrt in die Berge, traumhafte Strecke, atemberaubende Landschaft, wenn auch ziemlich trocken auf der Ostseite von Santo Antao. An der Abzweigung zum Pico da Cruz rausgesetzt worden, aluguer war nicht, also losgewandert (Sonnenhut und -Brille, kurze Hosen). Deutschsprachige Vierergruppe mit eigenem gechartertem Minibus angesprochen und die letzten Kilometer mitgenommen worden. Schlag Mittags auf dem Gipfel, Feuermelder-Ausichtsplattform, höchster Punkt rundum, König-der-Welt-Aussicht. Aus dem Nebel ragt der Gipfel eine Berges auf einer entfernten Insel (???), von Santo Antao ist nur die Küste auf der Ostseite zu sehen, die in strahlendem Sonnenschein liegt.

Nur die Alemannen kommen irgendwie nicht bei. Auf dem Rückweg streifen sie durch ein Waldstück, glauben den Gipfel gefunden zu haben.
Informationstafel gelesen. Schwerer Fehler. Der Weg hinab nach Ribeira da Penedo („da Penad“) (520 Höhenmeter, fast alles bergab) dauere drei Stunden, eine Seitenstrecke führe durch das malerische („lush green“) Seitental Faja de Janela (=Hexenkessel, wusste ich da aber noch nicht). Gemacht (gedacht). Außerdem gebe es lokal produzierten Käse. Dass die Strecke acht Stunden länger dauert, stand da nicht. Käse gekauft, Bier genehmigt.
Anfangs führt eine breite, gepflasterte Straße zwischen einfachen Steinhäusern und -ställen sanft bergab. Esel werden be- oder entladen, fressen Heu, brüllen herzerweichend. Kuhhirte treibt drei Rinder zur Tränke. Nach dem Weg gefragt. In einer scharfen Rechtskurve geht der Wanderweg, breit aus dem Berg gehauen, geradeaus. Wird rasch schmaler, führt aber traumhaft schön auf dem Kamm des Zentralgebirges entlang. Immer wieder lauthals geschrien vor Glück, weil die Umgebung so schön ist.

Zwei Jahreszeiten im selben Augenblick

Links des Wegs geht es hinab nach Osten, weißer Nebel drängt die Berge hoch, schiebt sich über den Grat und löst sich im heißen Westen sofort in Nichts (Luft) auf. Unfassbar beeindruckend.

Andererseits bräuchte man für die Wanderung zwei Outfits: geht der Weg links des Grats, läuft man durch Regensturm und Matsch. Rechts vom Kamm brütet Hitze im Sonnenschein. Also sollte man eigentlich links Regenhose und -Jacke tragen, rechts dagegen Sonnenhut, T-Shirt und kurze Hosen. War irgendwie nicht gleichzeitig zu machen. Gegen drei trifft der Weg auf eine Baustelle mit Lastwagengeeigneter Zufahrt. Scheint bergab zu gehen, in die richtige Richtung. Irrweg: obwohl die Straße bald gepflastert ist, führt sie „nur“ zu einem winzigen Dorf, kein Weiterkommen, obwohl ich bis auf die untersten Felder am Rand einer tiefen Schlucht geklettert bin. In den Häusern ist keiner anzutreffen, vor einer Hütte steckt feinsäuberlich ein Paar neu aussehender Wanderstiefel auf zwei Pfählen – die werden hier doch wohl keine Bergwanderer essen?

Wassersammler

Ohne Karte, ohne Wegmarkierung warte ich ratlos. Urplötzlich steht eine Señora mit Eimer auf dem Kopf zwischen den Hütten. Bringt sie mich freundlich zurück auf den Weg über der Baustelle, den ich niemals hätte verlassen sollen. 400 Escudos (4 €) nimmt sie auch. War der Rückweg zu ihrer Hütte, sie war anscheinend Wasser holen. Irrweg hat mich sicher eine Stunde gekostet.
Atemberaubend schön geht der Weg weiter. An einem Baum auf der Wasserscheide des Grats läuft so viel Regen (von der anderen Seite) herab, dass es sich gelohnt hat, ein Stück Folie anzudengeln und das Wasser zu sammeln.

Kommt ein Trupp Bauarbeiter mit Hacken und Schaufeln den Weg hoch (die haben die Strecke in Schuss gehalten, vermute ich). – Ja, das ist der richtige Weg nach Ribeira do Penedo. Und weiterhin wunderschön. Manchmal nur schulterbreit, fast zugewachsen zwischen Büschen, an anderen Stellen anderthalb Meter breit gepflastert und mit Randsteinen versehen, führt der Weg bergauf-bergab den Grat entlang. Nur eben keine Markierungen, nirgendwo ein Wegweiser.

Links vom Grat düsterer, regensatter Wald mit verwunschen bemosten Baumstämmen und fettgrünen Agaven, rechts vom Kamm baumhohe Agavenblüten im lichter, sonnenüberfluteter Trockensteppe mit niedrigem Buschwerk. Unfassbar.


Oben vor einem Abstieg ins Tal dringen Stimmen aus einer Hütte, zwei Männer unterhalten sich lautstark beim Essen. Einer tritt aus der Tür und grüßt. Ich, auf dem unübersehbar und breit gepflasterten Weg, grüße zurück. Frage aber nicht. Fehler.

JEDEN fragen. Wirklich jeden, selbst wenn die letzte Auskunft erst wenige Minuten alt ist.

Regel No. 23

Weil: der herrlich breite Weg führt steil bergab, im dunkelbraunen morschen Fels lagern dicke Kalkschichten, auch die Erde auf den in Terrassen fixierten Feldern leuchtet in diesem Teil des Tales hellbeige.

kalkbeige

Jahrhundertealte Terrassen aus Steinwällen ziehen sich über jedes Fitzelchen beackerbares Land, weit die Schluchten hoch. Die Pflasterstraße folgt dem Verlauf der Hänge und Schluchten kunstvoll. Die große Chinesische Mauer und die Reisterrassen von Güelin liegen assoziativ gar nicht so fern. Traumhaft.
Dann endet die aufwendig gebaute Pflasterstraße in einem Dörfchen auf einer Klippe. Geht zwar weiter auf einen (zunächst) sanft abfallenden Hügel, endet aber unten am Abhang im Nichts: die Trampelpfade sind vom Vieh, kein Weg führt ins Tal. Auf dem Geröll ausgerutscht, Knie verstaucht, Handgelenk aufgeschürft. Hoch ins Dorf zurück geklettert. Keine Menschenseele, alle Häuser versperrt. Ratlos.
Am Ende fühl ich mich verschreckt und zaghaft wie ein Hühnchen. In der Not sogar das Handy angeschmissen, mobile Daten und Karten aktiviert. Gibt sogar Netz. Aber meinen Standort kann die App nicht finden, nicht die Kapverden und Ribeira do Penedo schon gar nicht. Online war ich vielleicht drei Minuten. Aber die SMS meines Providers folgt auf dem Fuß. „Sie haben Daten im Wert von 47,50 € heruntergeladen. Wenn sie weitere Daten nutzen möchten, wählen sie die folgende Rufnummer:…“ Was tun? Guter Rat sauteuer. Verzagtheit.
Der letzte Mensch war der Abendesser, zwei Kilometer, sicher hundert Höhenmeter und anderthalb Stunden Weg zurück. Aber Alternative sehe ich keine.
Noch arbeiten die Jungs auf dem Feld (selten mich so über Menschen gefreut wie da), sind superfreundlich und hilfsbereit. Bloß: der richtige Weg ist wenige Meter weiter bergauf unscheinbar und gegen die Laufrichtung abgebogen. Drei Stunden durch den Irrweg verloren (drei Zigaretten geschenkt). Aber vor allem: inzwischen ist es 17:00h geworden, die Strecke dauert noch drei bis vier Stunden und ist auf keinen Fall im Dunkeln zu meistern, ich müsse mich wirklich beeilen (»Corre! Corre!«, und macht es mir mit Trappelschritten sogar vor). Andererseits ist der junge Mann zu einem Schwätzchen aufgelegt, will mir sein Haus und seine Felder zeigen, fragt mich wo ich herkommen etc.

Nebelklippen

Doch ich muss weiter. Nicht in die Dunkelheit zu kommen leuchtet mir, nach meinen bisherigen Erfahrungen (unmarkierter, an Klippen und Abgründen ungesicherter Weg, schwer zu deutende Abzweigungen (die Ackerwege der Bauern sind vielbenutzter als der Wanderweg), schon bei Tageslicht kaum auszumachende Strecke zwischen Büschen und Gräsern) klar ein. In einer Stunde wird es dunkel. Auf der anderen Seite des Grates, wo der Weg hinführt, herrscht Nebel und wahrscheinlich Regen. Das kleine Dorf auf der Klippe mit mehreren einladend leeren Ställen ist mehr als eine Stunde Fußweg entfernt – und in die falsche Richtung.

Und dann kommt eine zweideutige Weggabelung. Das ist mir ein Zeichen.

In eine Terrassenecke wächst dicht neben der hüfthohen Stapelmauer eine junge Bananenpalme, im beckenbreiten Zwischenraum liegt Heu oder Stroh. Das wird mein Nachtlager. Eine halbe Stunde Licht bleibt noch für ein paar Buchseiten, dann ziehe ich alles an, was ich dabeihabe (leere Mülltüte unter den Po, dicker Troyer und Regenjacke, Mütze und Kapuze, Hose in die Socken gesteckt, Sonnenhut um die Hände gewickelt, Rucksack als Rückenstütze – ausgestreckt liegen kann ich nicht, auch weil die zusätzliche (neongelbe) Regenjacke, die ich mir, Kapuze übers Gesicht, als Biwak überstülpe, nur bis zu den Knien reicht). Regennebel zieht über den steilen Berg vor mir, um den herum (hoffentlich, morgen) die richtige Strecke geht … Dann bibbere ich mich in zwölf Stunden Dunkelheit, kein Geräusch (außer dem Wind und den (wenigen) Tropfen von den Blättern der Bananenpalme), zum Glück kein Regen…

Zwischen Mitternacht und halb sieben, als das Schwarz sacht zu Grau wird, scheine ich tatsächlich geschlafen zu haben. Sobald es hell genug ist, meine Kippen aufzusammeln und nichts zu vergessen, esse ich mein letztes Stück Käse und ziehe los. Neblig, schmaler Weg, ein kaum Eselsbreiter Trampelpfad zwischen blühenden Büschen, aber es geht immer irgendwie weiter. Mehrere Klippengipfel werden entweder überstiegen oder seitlich umschifft, oft geht es zum Glück bergab, manchmal leider auch steil bergauf. Ein Bauer hinter einem Esel kommt mir entgegen, was ein Glück! Ich bin auf dem richtigen Weg, und weil der alte Mann seinen Esel ein dutzendmeterlanges Tau nachschleppen lässt, (an dem er sich auch festhält und bergauf zieht) habe ich eine Art Fahrradspur im sandigen Geröll des Weggrabens zur Orientierung.
An einer Engstelle, kaum meterbreit, fällt der Berg auf beiden Seiten fast senkrecht ab, sicher hundert Meter tief. Die Stelle ist nur wenige Schritte lang, aber es herrscht starker Seitenwind. Nichts zum Hinabsehen, gut, dass es rasch vorbei ist. Und definitiv ein Grund, diese Strecke auf keinen Fall bei Nacht zu versuchen …
An den steilsten Stellen des Pfades (die für mich zum Glück meist bergab führen), häuft sich Eselkot – die heftige Anstrengung presst den Dung aus den Tieren. – Frohgemut (auf dem richtigen Weg zu sein, scheiß auf die Eselscheiße!) geht es beschwingt durch dichten Nebel bergab. Aber Regel 23 »JEDEN fragen!«, beherzige ich stur.

Schlängelt sich ein Weg ins Tal …

Kommt eine Gruppe Männer; kommt ein junger Bauarbeiter im Overall. Unten werde es sonnig und warm, richtig schön. Kann ich, in dicker Nebelsuppe steckend, nicht wirklich glauben.
Ist aber so. Kommen drei Schuljungen mit ihrem Opa.
Dann ist an einer Biegung plötzlich das Meer zu sehen!

Das Ziel in Reichweite, allerdings weit unten, die steilen Berghänge scheinen sich bis direkt an die Küste zu ziehen. Oft ist der Weg nur eine tiefe Rinne zwischen Steinen und Geröll, bisweilen breit und komfortabel gepflastert.

Jetzt führt er auch über die Findlinge in einem Flussbett. Und dann, das Örtchen am Talausgang ist schon zu sehen, fangen, als wären sie schon immer dort gewesen, stolz die Markierungen an: blaue und weiße Pinselstriche wie auf jedem Wanderweg in den Alpen. Zum Kotzen.
Inzwischen ist es zehn Uhr, die vier Stunden habe ich, obwohl langsam und mit zitternden Knien, gut geschafft. Kommt mir eine russische Wandergruppe entgegen (Stöcke, Turnschuhe, bauchfreies Top). Der einheimische Führer weit dahinter, cool-entspannt. Dass ich vom Pico da Cruz komme, kann er nicht glauben, guckt auf seine Uhr. Nein, das war gestern, ich habe die Nacht in den Bergen verbracht. Ja, dann, das leuchtet ihm ein. (Der alte Bauer mit dem Esel mit Abschleppseil hatte ähnlich reagiert.) Will heißen: es lag nicht nur an mir (oder meinen Irrwegen), die Strecke ist in drei Stunden einfach nicht zu schaffen.
Kommt eine Gruppe französischer Pensionäre. Keuchen schon jetzt, wenige Meter über dem Meeresspiegel. Möchte ich nicht gerne wissen, wie weit die gekommen sind.
Ribeira do Penedo, stellt sich heraus, ist das Bergdorf (mit Westler-Freaks, klar) und gar keine Stadt. Müllhalde ist das Flussbett, in das über mir ein leerer Farbeimer im hohen Bogen fliegt. Die Werferin klingt allerdings etwas verwirrt (ich kann ja auch weder portugiesisch noch kreolisch), jedenfalls gebe es im Ort keinen Laden (also keine Kippen, keine Cola). Beschwerlicher Weg durch das trockene Flussbett (wie das bei Regen gehen soll, ist mir ein Rätsel), dann letzte Pflasterstrecke, ein Fahrweg, die Straße am Meer. Wie für mich gemacht gibt es ein Straßencafé, Wasser, Cola, Kippen; Frühstück (Bratfisch mit Graupen-Mais-Bohnen-Mus, Kaffee: leckerster ever!) und, nach zwei Stunden Wartezeit, das Collectivo zurück nach Porto Novo („Port Nov“). So heißt, wie ich jetzt endlich erfragt habe, der Ort, wo die Fähre zurück nach Mindelo ablegt.

Porto Novo, Santo Antao

Dort um 14:00 eingelaufen, gelesen, Kaffee und Kuchen, um fünf die Fähre genommen.

Vor Mindelo, links der Fels in der Einfahrt
Mindelo, Sao Vicente

Um halb sieben zurück auf dem Boot. Um sieben hab ich einen Telefontermin, Paula hat für Freunde gekocht, ich will mich dazuschalten.
Findet aber nicht statt, Paula ist krank, auch die Freunde schwächeln. Weil ich schon mal im Luxushotel-Strandbar-Poolareal mit hervorragendem Wifi bin, telefoniere ich lange mit Axel und arbeite meine E-Mails ab. (Heute ist der Blog über den schrecklichen Sonntagabend mit Gawain vorprogrammiert online gegangen).
Auf dem Boot haben Marlene, Alba, Gustave und André mit dem Abendessen gewartet, die Guten, und sogar einen Kuchen mit einem Topping aus Zitronencreme (lemon turd) und kandierten Nüssen gebacken: es ist mein Geburtstag. Ausklang mit Grock (Zuckerrohrschnaps) und Livemusik im Pub. Ich muss mich leider früh zurückziehen. Und schlafen.

Fazit: Unverzeihlich leichtsinnig und selbstüberschätzend mangelhaft vorbereiteter Ausflug. Konnte die Hexe nichts für. Und zugleich die wildeste (und schlimmste und vielleicht schönste) Wanderung meines Lebens. Hexenweg heißt der Weg (für mich) nach dem Tal: Unten am Hostal (und dem Wartepunkt für das Aluguer) ist eine riesige Hexe samt Kopftuch und Besen an die Wand gemalt.

Auf dem Pickup nach San Pedro: André, Gustave, Marlene, Alba, komischer Typ

Heute kurz zum turtle beach (San Pedro), halbe Stunde Pickup-Fahrt. Aber Marlene, Tauchlehrerin, lehnt es ab, zu unterstützen, dass Tiere (die Schildkröten) angefüttert werden (um Fotomotive für Touristen abzugeben) und dadurch vergessen, sich naturgemäß zu ernähren. Also nur Strandspaziergang und Schattenbaden.

Turtle beach

Und pünktlich zum Karnevalsausklang (Gustave hat erfahren, dass heute ein Sarg durch Stadt getragen und im Meer versenkt wird – de Nubbel is et all schuld!) zurück in der Stadt. Und diesen Blog geschrieben.

Morgen oder übermorgen geht es (wieder mal!) los, see you on the other side. Drei Wochen (mindestens) Pause. Vergesst mich nicht.

26. Kanaren (aber nur mit der Fähre)

Die Sonne geht hinter Fuerteventura unter, Delfine springen um den Bug der Fähre, in der Ferne blasen Wale, dahinter landet ein Flieger nach dem anderen (dazwischen starten welche, beinahe im Minutentakt). Und dann geht auf der anderen Seite auch noch tiefrot der Mond auf – Ferienende auf den Kanaren. Ich bin auf der Rückfahrt nach Cádiz, der Abschied von Paula war schwer, ist vielleicht für länger … Wir haben fünf Wochen zusammen gehabt, drei davon wunderschön. Nur auf die Kanaran zu segeln haben wir nicht geschafft.

Der Vormittag nach Sylvester kam schwer in die Gänge. Aaron ließ sich erst am Nachmittag blicken. Die Disko, in der wir am Ende gelandet sind, war um zwei, als wir ankamen noch so gut wie leer. Erst ab halb vier ging der Betrieb los, aber da sind wir dann auch schon weg. Aaron hatte ich in der Dusche angesprochen, sein Boot FORWARD UNTO DAWN (nach einem Raumschiff aus dem Ego-Shooter Halo) lag genau neben der LISBETH. Er hatte nichts vor, aber eine Flasche Portwein offen. Die haben wir uns beim Abendessen geteilt, den Rest hat er mitgenommen in die Stadt. Traubenessen auf der Plaza del Ayuntamiento war nicht – die Glocken schlugen die Stunde nicht. Scheint eine Ausnahme gewesen zu sein, weil die Einheimischen ebenfalls fassungslos waren. Dann hat Paula Sherry spendiert, in einer Musikbar haben sich drei junge Lissabonner um Zigaretten anschnorren lassen, mit denen sind wir weitergezogen (ich kam später, hab mich zum zweiten Mal verlaufen), aber am Ende konnten sie sich nicht auf die richtige Disko einigen und sind wieder abgezogen.
An Neujahr Paellaessen am Stadtstrand im Süden von Cádiz und langer Strandspaziergang in die Stadt. Auch der zweite Januar ist Feiertag in Spanien, alles geschlossen. Museum mit den Ausgrabungen (Römervilla am Kap Trafalgar, ägyptisch anmutenden Sarkophage, Vorzeitfunde) war aber offen. Treffen am Markt (ich hab mich verlaufen) und Mittagessen am Marktrestaurant. Dienstag früh bei Mariluz (Nautica Benítez, direkt am Kai des Puerto américa) das Bimini noch einmal gecheckt (ist vorrätig) und Taxi zur Fähre (und Churros con chocolate zum zweiten Frühstück).

Das Meer ist wirklich weit zwischen Cádiz und den Kanaren. Einen Nachmittag, eine Nacht und einen Tag und noch eine halbe Nacht. Im Winter fahren die Fähre nicht direkt zu den Inseln, es verkehrt nur eine und landet auf Lanzarote (Arrecife), Fuerteventuras (Rosario), Gran Canaria (Las Palmas) und fährt dann weiter nach Teneriffa. Jedesmal mit Autoausparken und von der Rampe fahren. Ankunft um halb vier Uhr morgens, wir haben tatsächlich vorher ein wenig geschlafen. Pepe und Sophia sind Goldschätze und wohnen in einem Architektentraum von Haus. Aber erstmal haben wir ausgeschlafen bis zehn.

Wer im Neujahrskranz („roscón“) das Püppchen findet, darf die Krone tragen

Fünfter und sechster Januar waren meine Tage in Las Palmas, aber am Donnerstag hatten viele Geschäfte (auch die Ferreterías) puente, also geschlossen. Und an Reyes (magos) hat eh alles zu. Im Einkaufszentrum Las Terrazas haben wir Marlene (und ihren Vater Mark) getroffen. Vielleicht fährt sie mit über den Atlantik. Ist jedenfalls so geplant. Nachmittags um drei feistes Mittagessen im Lupé, ganz wunderfein. Pulpo auf Kartoffelbrei (ich), Ceviche (Paula), Turm aus Auberginen, Tomaten, Ziegenkäse und karamellisierten Zwiebeln (Sophia), Tortilla (Pepe), fruchtiger junger Weißwein: alles köstlich. Licht und Klima auf den Inseln sind göttlich. Müsste man glücklich sein, dort zu leben. Am Donnerstag Juan (und Vincent) getroffen. Juan weiß alles und mehr und wird Paula dabei unterstützen, ein Angebot für ein Bimini nach Maß einzuholen (Danke, Paula!). Für die Karibik: Martinique muss toll sein (sagt auch Vincent, Franzose, klar). Außerdem die BVI (die Britischen Jungferninseln, auf denen Qazqrom teilweise spielt). Sind aber weit nördlich und ziemlich ab vom Schuss für mich. Aber wer weiß? Außerdem vorgeführt: Sicherheitsausrüstung, u.a. Knoten in der Safety line (zum wieder an Bord klettern), Notfallsender in der Hosentasche und an der Schwimmweste, Funkgerät im Grab-bag [Notfalltäschchen, das man sich greift, wenn man in die Rettungsinsel AUFsteigt]. Redet gern und viel (und nicht alles, was er an Erfahrungen erzählt hat er tatsächlich auch selbst gemacht). Juans Rennyacht liegt im Real Club Nautico von Las Palmas, eher exklusiv, eher schwer, dort einen Platz zu kriegen. Aber Restaurant schick und Siegerliste im Treppenhaus beeindruckend.

Heute früh zurück in den unübersichtlich riesigen Hafen, Fähre liegt dort schon, aber einsteigen muss man im Hafenbüro, fünf Fahrminuten entfernt. WahWah (Oah-Oah?) heißt der Bus, Camarote die Kabine und papas arrugadas die (runzligen, in Salzwasser gekochten) Kartoffeln (mit mojo: grün, rot oder tieforange scharfe Kräutersoße) der Inseln. Essen auf der Fähre gut. Kabine klein (und ohne Fenster: Innenkabine), aber pflegeleicht-schick und hell ausgeleuchtet. Meer ruhig, Sonnendeck windig (das Ding macht bis zu 20 kn (!!)). 

Aaron auf der FORWARD UNTO DAWN (???)

Am Herweg, 03.01., 16:49h hätte ich geschworen, die FORWARD UNTO DAWN gesehen zu haben, aber zu weit weg für Fotos. Allerdings schienen die Pixel dort, wo unter den weißen Segeln der Rumpf sein müsste, türkisblau zu sein – falls ich Aaron nochmal treffe, checke ich das, ob sie unsere Fähre vorbeifahren sehen haben.

Der Stadtstrand von Las Palmas ist grausig. Wunderschön, aber die Promenade ist fest in der Hand von urlaubsentschlossenen Touristen, kurzbehost und kaum bekleidet von Jungfreak bis Altpauschal. Klar sind alle Hinweisschilder und Speisekarten auch auf Deutsch. Muss man mögen.

Pepe, Sofia, Unbekannter, Paula

Am Sonntag (08.01.) begann die Rückfahrt ruhig, glatte See. Traumhafter Sonnenuntergang, scheine ich mich nie dran sattsehen zu können. Dann dunkle Wolken, lange alte Dünung, dann Seegang und die Fähre (nicht riesig, aber ganz und gar nicht klein) fängt an zu rollen. Muss man mögen bzw. aushalten. Um acht plötzlich Lichter im Osten: die marokkanische Küste ist nur wenig über 20 nm entfernt (sagt Navionics). Dann auch noch Regen.
Drei warme Mahlzeiten sind fast wie Kreuzfahrt. Außer Lesen nichts zu tun: Louise Erdrich: Der Nachtwächter. Groß. Nicht erhaben, sondern saftig und anschaulich. Und brutal, nicht in den Beschreibungen, sondern in Andeutungen, bei denen die eigene Phantasie die schrecklichen Details beisteuern muss. Kommt stilistisch einfach daher (…, sagte P. – …, sagte T. – … sagte V. – …), aber die göttlichen, erdnahen Dialoge reißen es mehr als raus. Und die First-nation-Leute nennen sich einfach Indianer. Hunde sprechen, Pferde haben Sex (sind aber danach voneinander genervt), Geistererscheinungen und Eingebungen bahnen die Wendepunkte in der Handlung an, Körpererfahrungen sind deftig und anschaulich und schön. Indianer zerfließen im Schlaf, ihr Bewusstsein zieht sich auch in Tagträumen schrittweise zurück. Stark. Dass eine 18-(??)jährige in Geschlechterdingen so unbedarft sein soll wie Pixie (Pardon: Patrice) klingt unwahrscheinlich (zumal das Chipewah (zwar keine Wörter für Hass aber) jede Menge Begriffe für sexuelle Aktivitäten kennt); dass ihre Kurzsichtigkeit niemandem aufgefallen sein soll (wo sie doch zu allem anderen (Holzhacken!) auch noch eine überragende Gewehrschützin sein soll), verwundert. Aber Pulitzerpreis, und zwar hoch verdient. Und die Geschichte der Terminierung, der Zwangsanpassung und Enteignung und Auflösung der Stämme gehörte wirklich schon längst erzählt (zumal der unsägliche letzte US-Präsident damit wieder anfangen wollte). Kommt in die Bordbibliothek. Noch elf Stunden bis zur geplanten Ankunft [ETA]. Besser Schlafen versuchen. Ab Übermorgen könnte der Atlantik dransein.

Montagmorgen (09.01.) um halb sieben (kanarische Zeit) weckt uns die Stimme aus der Borddurchsage: Wir nähern uns dem Hafen von Cádiz. Die BESS ist an ihrem Liegeplatz zu ahnen, alles gut, fast schon wehmütige Gefühle dem Boot gegenüber.

LIZZY: Bildmitte links mit rotem Ball am Heck

Die kleine Dicke (gordita), die mit ihrer schüchtern-dreist-anspruchsvollen Hilfslosigkeit schon verschiedene Passagiere während der Fahrt genervt hat, ist nicht nur gehbehindert, sondern hat auch ihre komplette Aussteuer dabei (oder einen Umzug vor), als die Fußpassagiere auf das Lieferwagen-Taxi (furgoneta) warten, das uns drei Minuten aus der Fähre zum Reedereibüro bringt.
Langer Weg den Hafen entlang zur Marina.
In der Nautica Benítez nur kurz vorbeischauen wollen, um zu sagen, dass ich am folgenden Tag bestellen will. Aber Doña Marieluz ruft sofort dort an, klärt meine letzten Fragen und hat bereits einen Liefertermin: Wenn ich noch am Nachmittag bestelle, sollte das Bimini am Donnerstag hier sein. Verführerisches Angebot. Kurzes Telefonat mit Paula, die inzwischen in Las Palmas bei Alisios ein Angebot für eine nach Maß gemachte Bimini angefragt hat. Dann bestellt.
Bei Nacex an der Plaza Mentidero liegt mein Paket mit Höhlenkletterleiter, Seilbremse und Sicherheitsschlinge abholbereit. Einmal Pass zeigen und eine elektronische Unterschrift und es ist meins. (Danke, Paula, die mit Alicante telefoniert und Franzisco bequatscht hat, damit das alles reibungslos läuft.)
Pizza in der allerletzten Touristenbude an der Plaza de Flores. War entsprechend lahm. Aber ich scheine doch mehr übernächtigt zu sein, als ich glaubte. An diesem langen Tag besser keine Entscheidungen mehr treffen. Segel (Gennaker) ausgebreitet (zu trocknen versucht): Gerissen ist nicht der uralte Stoff, sondern die Flickstellen. Nicht gut; die Segelmacher in Marbella, die Colin aus Almerimar drangesetzt hat, haben zu schwaches Tuch verwendet. Will ich selbst besser machen.

Abends kommt der Kostenvoranschlag aus Las Palmas durch: ein maßgemachtes Bimini würde „nur“ neunhundert mehr kosten als die bestellte von der Stange, Einbau schon inbegriffen. Echt faires Angebot der Alisios-Leute. Plus Zusage, das Teil ab Aufmaß innerhalb von 15 Tagen (approximamente) fertig einzubauen. Schwere Entscheidung.
Heute früh getroffen: Ich nehme das Fertigteil von hier, will es auch gleich hier einzubauen versuchen, Marieluz ist im Wort, mir mit allen evtl. benötigten Zusatzteilen zu helfen. Im Übrigen bin ich der Überzeugung, Oceansouth gehört aus dem Verkehr gezogen.

Cádiz, Cádiz, immer nur Cádiz

Gestern (11.01.) und vorgestern jeweils zwei Mal im Mast gewesen. Die Höhlenforscher-Strickleiter von Juan (VAGABONDO) funktioniert super. Ist aber trotzdem immer eine Schisser-Angelegenheit. Auf dem Weg nach oben bin ich an einer Seilklemme (aus dem Klettereibedarfsladen in Alicante) gesichert. In der hänge ich auch (Klettergurt) während der Arbeit. Aber der Rückweg bleibt ungesichert, die Seilklemme funktioniert nur in eine Richtung (aufwärts). Dampfer- und Deckslicht sind in etwa vier Meter Höhe (von unten gesehen: keine große Sache) unterhalb der Saling angebracht. Die Abdeckung der Decksbeleuchtung lässt sich abnehmen. Strom kommt an (1. Aufstieg), aber nicht, wenn das Lämpchen in der Fassung steckt. Dampferlicht (Vorschrift, wenn man unter (Segeln und) Motor fährt) lässt sich nicht aufschrauben (2. Aufstieg). Schuurd hat ein Ersatzteil besorgt, ich bei Marieluz die Lämpchen dafür. Die Schaltung verstehe ich zwar nicht, aber am Boden (Schalttafel) funktionieren beide Lichter, wenn sie jeweils gegen Masse gesteckt werden. Die alte Armatur ist mit Blindnieten befestigt. Müssen aufgebohrt werden. Ziemlich kipplige Sache, vor allem, wenn (wie bei mir) der Bohrer drei Mal blockiert und stecken bleibt und nur unter heftiger Sorge (wenn er abbricht, ist die ganze Reparatur gefährdet) wieder herauszuwuchten ist (3. Aufstieg). Als Anschluss kommt ein handelsübliches 220V-Kabel mit drei Litzen aus dem Mast: blau, braun, grün/gelb. Blau ist mit weiß an der Armatur verbunden, scheint Masse zu sein. Also müssten die anderen beiden geschaltet sein. Klemme ich so an (4. Aufstieg). Nichts funktioniert. Das war der Vollfrust gestern Abend. Musste ein Glas Whiskey dämpfen.
Ebenfalls gestern: Bei Marieluz habe ich eine Segelmacherei angefragt, um Stoff für die Reparatur des Gennakers zu besorgen. Paco ist schwer beschäftigt, will sich aber Fotos des kaputten Segels angucken und dann reden. Kam gestern und holte das Segel ab. Soll bis Freitag, spätestens Montag, fertig sein.

Mitfahrgelegenheit gesucht

Beim Warten vor Marieluz‘ Laden (Nautico Benítez) einen Anschlagszettel antelefoniert. Gawain ist Deutscher, will auf die Kanaren, ist zurzeit in Tarifa. Long story short: Er kommt morgen, Freitag (13.01.), damit wir uns beschnuppern können. Und gestern Nacht hat auch noch Lioba geschrieben, dass Lukas, ein Freund von ihr, gerade in Alicante ist und ebenfalls Lust hätte, nach Lanzarote mitzusegeln. Wenn alles klappt, wird es langsam voll auf der LILIBETH.
Heute früh (Do., 12.01.) in der Stadt, süßes Frühstückscafé gefunden. Hafermilch und Käse und auf dem Markt Obst und Gemüse gekauft. Jetzt muss ich leider wieder in den Mast.
PS Selbstverständlich herrscht zum Hohn die ganze Woche über eitel Sonnenschein und NordNordWest-Wind: – wäre geradezu ideal für die Überfahrt auf die Kanaren.

Kai: schwarz vor Menschen

Samstag, 14.01. Riesenauftrieb im Hafen, schon am Vorabend tuckert eine Yacht nach der anderen herein. Die ELCANO (Juan Sebastian de Elcano), Viermaster, das Segelschulschiff der spanischen Marine wird am Samstag Mittag auslaufen und alle sind geschmückt und ausstaffiert (es gibt spanische Flaggen in der Größe von Squash-Feldern!) und wollen sie begleiten auf ihrem kurzen Trip nach Rota hinüber.

Ein Feuerlöschboot sprüht Fontänen und der Kai ist schwarz vor Schaulustigen. Ganz großes Kino: draußen vor dem Hafen ziehen sie sogar die Segel hoch (alle vier Masten, drei Vorsegel), obwohl sie höchstens eine Stunde unterwegs sein werden. Echte Seemannschaft.

Die ELCANO (Juan Sebastian de Elcano)


Donnerstag nachmittag kam das Bimini-Paket, wie versprochen. Leichte Abnutzungen an einer Lagerfalte, sonst guter Eindruck: stabile Inox-Rohre. Freitag war es installiert – zumindest provisorisch: sitzt viel zu hoch und wirkt blockig. Unzufrieden. Samstag kommt Gawain, supersympathisch und der angekündigte Sonnyboy. Quatschen. Samstag abend will er noch im Hostel verbringen, wo er sich mit dem Personal angefreundet hat. Außerdem ist er total übernächtigt, weil er am Vorabend lange gefeiert hat. Aber zuversichtlich. Gleich (So., 15.01.) bringt er Brötchen zum Frühstück und steigt tatsächlich ein. Mal sehen. Gestern abend zum letzten Mal im Franzisco Uno. Eher enttäuschend.

Gestern die Bimini tiefer gesetzt, sechs Mal 25mm Edelstahlrohre gesägt. Jetzt sitzt sie besser, ist auch leicht aus- und einzufahren. Fehlen nur noch die Sicherungsstifte zwischen Stützen und Strebebogen. Die waren gestern nicht mehr einzuhämmern, scheint schwieriger als gedacht.

Gawain ist der rechts


Hat mir heute (16.01) Gawain dabei geholfen. Zu zweit kein Problem. Einkaufen gewesen. Sicherheitseinweisung. Abendessen gekocht. Morgen soll es losgehen.

25. (Zurück) nach Cádiz

Frohes, glückliches, gutes Neues Jahr wünschen P. & U.
Zum Estrecho ((Meer-)Enge=Straße von Gibraltar)

Fr., 16.12., Motril. Mittags Salonbilge ausgeschöpft (3 ¾ Eimer, ca. 15l) und zum Fischereihafen (Deposito) gefahren (Fahrrad, gibt’s bei der Marina umsonst, weil sie ziemlich außerhalb liegt, halbe Fahrradstunde, teilweise bergauf. Außerdem macht der nähergelegene Zugang zum Hafengelände abends zu und man ist auf einen ziemlich entfernten Zugang angewiesen, der immer geöffnet ist – allerdings muss man sich kontrollieren lassen. Wenn jemand (mit P.) spätabends einfach um die Schranke herumfährt, wird der Wachhabende ungehalten. Doch das war später); das Ölentsorgungsdepot steht auf rot, kurz vor dem Überlaufen; zum Glück ist niemand in der Nähe, ein paar Eimer passen noch rein. Abends um sechs herrscht allerdings Hochauftrieb im Hafen: Brüder und Väter erwarten die einlaufenden Fischerboote (von denen noch nichts zu sehen ist). Für einen alten Mann, der seinen Eimer auf dem Fahrrad balanciert und Öl in die Auffangwanne um das Depot schüttet, haben sie kein Interesse.

Abends Städtchen, Buchladen, Waschsalon, Abendessen im Meson Medina; Tapas vom Feinsten, der Kellner erklärt, welcher Fisch der Beste sei. (Warum brauchen die Spanier keine Speisekarten? Weil ohnehin jeder nachfragt, welcher Fisch gerade reingekommen ist, wie er so ist, und was er so kostet. Ohne Palaver geht es nicht ab.)

Am Samstag (17.12) ist wieder Diesel in Motor- und Salonbilge. Nachgelaufen (weil Diesel ziemlich ölig und zähflüssig ist)? Eher nicht. Für Sonntag ist endlich Ostwind (also Rückenwind) angesagt, Abfahrt 08:50 aus Motril. Nach einer guten Stunde fetzt der frische, bei Vorwindkurs gern unterschätzte Rückenwind den frisch reparierten Gennaker weg. Auf den ersten Blick ziemlich direkt neben/unterhalb der Reparaturstelle. Das Segel war eben a) nur für Leichtwind geeignet und b) alt und mürbe. Ob ich es selbst noch einmal zu nähen versuchen soll? steht mit großem Fragezeichen im Logbuch. Mit Wind platt von hinten stehen Vor- und Groß Schmetterling, sieht sicher super aus, ist aber bei seitlichem Seegang eine ziemlich kipplige Fahrt.

Beispielfoto: Schmetterling

Zwischendurch Anruf von Melli, Schwester einer Freundin von Lioba, die evtl. von den Kanaren aus in die Karibik mitsegeln möchte. Super. Als die Sonne sich zum Sinken neigt, ist Malaga noch immer etliche Stunden entfernt. Wir biegen ab nach Caleta de Velez und fahren dort noch bei vollem Tageslicht ein. Über Funk (in der Halbzeit des Endspiels, das wir über Radio verfolgen*) hat sich in der Marina niemand gemeldet, die Telefonnummer stimmt nicht mehr, der Warteponton (Muelle de espera) ist schon von einem Katamaran überbreit mehr als belegt. Kurven wir durch Hafen, fassen einen unbenutzt aussehenden Liegeplatz ins Auge, parken rückwärts ein (so dicht, dass man auf den Kai absteigen kann, so viel Abstand, dass das Ruder der Selbststeueranlage nicht anstößt – nicht viel mehr als einen Viertelmeter Spiel). Aber Paula fängt die Poller für die Achterleinen wie ein Profi, ich kann die sumpfigen Muringleinen aus dem Wasser und zum Bug ziehen und dort belegen. Fest in Caleta de Velez um viertel vor sechs. Dann, gerade, als alle schmutzige Arbeit erledigt ist, kommt auch der Marinero an. Der Liegeplatz ist zwar eigentlich nur für Boote bis zwofuffzich Breite, aber für eine Nacht lässt er uns gnädigerweise dort liegen.
Nachbar im Wohnmobil erzählt mir sein Leben als Preis dafür, dass ich ihn um eine Kippe anschnorren will.
Abends Siegerehrung in Qatar. Wer das Spiel gesehen hat, hält es für das beste Endspiel aller Zeiten. Muss ich irgendwann auf Youtube nach-schauen.
Montag Vormittag Einkaufen, Bäcker, Konditorei, Ersatzpullover, persönlich empfohlenes Olivenöl vom Mini-Supermarkt (mit einer Spanierin in der Crew wird jeder Einkauf, jede Restaurantmahlzeit, jeder Besuch im Hafenbüro zum Event (bzw. Palaver): Ob sie sein Olivenöl (aus einem Bergdorf ganz in der Nähe, klar) probieren würde? – Claro que sí. – Lässt er Paula den Zeigefinger (Kuppe nach oben) ausstrecken, über einem Stück Küchentuch, dass er zuvor auf den Schiebetresen an der Kasse gebreitet hat, träufelt ein paar Tropfen Öl auf den Finger und fordert mit zwei Handbewegungen dazu auf, zu riechen und zu schmecken (und – mit einem erwartungsvollen Hhm?– zu loben). Bestes Olivenöl ever, selbstverständlich.)

(* FUSSNOTE: Fußballübertragungen im Radio (Gab es viele zur Zeit der Weltmeisterschaft) sind in Spanien eine Operette für sich. DREI Sprecher(Innen) teilen sich den Äther. Einer kommentiert aufgeregt die Spielzüge, Tore werden minutenlang ausgeSUNGEN: GOL! GOL! GOL! In allen Tonlagen der Begeisterung. Golgolgolgolgol auf höchster Stufe. Golgolgol mit Variationen. Goooool mit steigender Intonation (macht natürlich der aufgeregte Spielkommentator.) Zweite Rolle: vorsichtig Zweifelnder (»Könnte nicht auch …?«, »Man muss auch bedenken, dass …« mitteldünne Sprechstimme (diese Rolle wurde bei einer Übertragung auch von einer Frau übernommen). Dritte Rolle: Tiefer, rauchiger Bass – ewige Wahrheiten und Weisheiten, im Brustton der selbstverständlichen Überzeugung vorgetragen. Beim Endspiel überschlugen sich alle drei vor schierer Begeisterung, der aufgeregte Kommentator kriegte sich kaum noch ein. Am nächsten Tag zwei volle Seiten Tageszeitung (El Pais, kein Sportblatt): Messi und das Endspiel. Kommentarspalte dazu: Das beste und bewegendste und spannendste Endspiel aller Zeiten, ohne jeden Zweifel.)

In Adra

Stichwort Marinabüro: kommt der Marinero und fragt ganz defensiv, ob wir dort noch kurz vorbeischauen könnten … Kann nichts Großes sein, wir haben bereits bezahlt, die Abrechnung kam per Mail, alles geregelt.
Klarer Fall von Denkste: Das Marinabüro von Adra hat die hiesigen Kollegen kontaktiert (Suchmeldung? Eingabe in einer zentralen Datenbank? Wird nach uns an der gesamten Südküste gefahndet?) dass a) wir einen Stromadapter nicht abgegeben hätten (wir hatten gar keinen geliehen) und b) bei der Abrechnung ein Fehler passiert ist: statt € 77 sind nur 77 Cents abgebucht worden, sie können das mit der Quittung belegen. Lege ich die Karte hin und zahle den Rest.
Schwerer Fehler, denn die Spanierin an meine Seite hatte mir ausdrücklich verboten, noch IRGENDetwas zusätzlich bezahlen. Und jetzt behält sie natürlich recht: Wenn die in Adra, denen wir eine Nacht geschenkt (zuviel bezahlt) haben, uns jetzt Schwierigkeiten machen wollen, dann rechnen wir die Nacht gegen und wollen das Geld dafür zurück. Kann der Hafenmeister in Caleta de Velez nicht machen. Soll P. eine Mail schreiben. Eben hatte sie es noch eilig, loszufahren, jetzt lässt sie sich von niemand, schon gar nicht vom Skipper, davon abhalten, die Beschwerde- bzw. Rückforderungsmail rauszuhauen.

In Adra hatte nämlich, nachdem wir morgens den Mietwagen zurückgegeben hatten (in El Ejido, halbe Stunde Busfahrt) und zurück in den Hafen kamen, das gesamte Büropersonal Fortbildung (u.a. Feuerlöschübung), es regnete in Strömen (und suppte in das nagelneue brutalmoderne Sichtbetonbüro), beide Marineros wollten rauchen (aus der Tür, Vordach gibt es nicht im Betonkubusmodernismus), der jüngere (unerfahrenere) musste in den sauren Apfel beißen und uns ausbuchen. Tat sich mit der Anzahl der abzurechnenden Nächte und der zugehörigen Addition etwas schwer. Und tippte eben auch falsch in das elektronische Abbuchungsgerät. – Jetzt, Paula kocht vor Ärger und tippt – selbstverständlich findet sie zwischen zwei Beschwerden auch noch Zeit, den hiesigen Hafenmeister zum Reden zu bringen, er erzählt von den Sorgen des Adra-Hafenmeisters, auch von seinen eigenen Sorgen, auch von seiner Zeit in Deutschland (man spricht deutsch) etc. pp. – kommt der Anruf des (überarbeiteten: Personalmangel!) Hafenmeisters aus Adra, er entschuldigt sich, es sei ihr Fehler (bzw. der des Marineros) gewesen, und will die Sache auf jeden Fall aus der Welt schaffen. Und plötzlich ist es relativ einfach möglich, meine Nachzahlung rückgängig zu machen und eine Zahlung des (um eine Nacht) verminderten Fehlbetrags auf den Weg zu schicken.
Drei Uhr legen wir ab, wollen noch tanken, (Montags geschlossen! Aber Montagnachmittag kommt doch einer!), sind um 16:00 endgültig auf dem Weg Richtung Malaga, wollen den endlich wehenden Ostwind zu nutzen, so gut es geht.

Meuterei hat ein Gesicht: weiblich

Geht aber leider gar nicht. Draußen vor dem Hafen und weiter draußen vor irgendwelchen Fischreusen weht kein Lüftchen. Eine halbe Stunde hält die Crew das aus. Dann Meuterei. Durch die Nacht segeln wollten wir ohnehin. Aber die Nacht durch auf der Stelle stehen? No way. Segel runter, Selbststeueranlage abbauen: wir motoren.

Abbauen. Hier: Ruder der Hydrovane („Georgie“)

Unter Motor muss die ELLI die gesamte Zeit von Hand gesteuert werden. Wir fahren zwei-Stunden-Wachen. Paula hat von sechs bis acht, ich mache von acht bis zehn und von zwölf bis fünf, Paula bis halb acht, ich den Morgen. Tierisch anstrengend, obwohl es eine sternklare, schöne Nacht ist. Wenn wir vor neun in Gibraltar sind, steht die Strömung gegenan. Also drosseln wir für die letzten drei Stunden. Insgesamt wird der Motor bis in die Marina Alcaidesa von La Linea de la Conception 21,5 Stunden klaglos gelaufen sein, wir haben unzählige Frachter, Tanker, Kreuzfahrtschiffe gesehen. Und Delfine. Auch grünlich leuchtend.

The Rock

In La Linea steht Programm an: Einkäufe, Besorgungen, Gibraltar: Fußgängerzone Uhren- und Schmuckparadies. Was der Engländer halt so kauft, wenn er in Urlaub ist.

Paula und zwei Affen
Drei Affen

Seilbahn zum Affenfelsen. Der erste Pavian wartet gelangweilt direkt an der Ausstiegsstelle auf die Gondeln. Der winzige Bereich am Bergkamm, von dem aus man auf das Mittelmeer schauen kann, ist sehr eng abgezäunt. Mauerreste von militärischen Ausgucksgebäuden. Ein Pavianpärchen posiert. Erst laust sie ihn „liebevoll“ würde man menschelnd sagen. Dann begattet er sie, das Vorspiel sind zwei Klapse auf den Rücken, sie hebt den Hintern, er steigt auf, stößt kurz zu, nach fünf Sekunden (nicht untertrieben!) stöhnt er auf und alles ist vorbei. Er stolziert weg, rekelt sich in der Sonne, ihr läuft der Saft aus seinen extradicken Klöten aus dem Hinterteil. »Like they do it on Discovery Channel«. Irgendwie frustrierend und schockierend, wie unsere zweitnächsten Verwandten so gar nichts Charmantes an sich haben. Dann wieder typisch menschliche Gebärden: Sie puhlt sich am Hintern, schnüffelt am Finger, was sie gefunden hat, schüttelt leicht den Kopf und reibt das Zeug an den Mauerrest, auf dem sie sitzt.

Rückweg noch einmal durch die Fußgängerzone. Paula ersteht eine grüne Armbanduhr beim Araber und eine Silberkette beim Inder. Abends gibt es Superschinken (»pata negra«) in einer Stehkneipe in La Linea.

Nächster Morgen Aufbruch. Slawomir und Adriana fragen am Hafenmeisterbüro (wo wir anlegen müssen, um auszuchecken) nach einer Mitfahrgelegenheit für ihre Freundin Lina. Die habe jetzt so oft und lange (mehrere Wochen) Gelegenheiten für ihre Bekannten gesucht und selbst keine gefunden … Schneller Vorlauf: Inzwischen bin ich in Kontakt mit Lena. Wenn alles klappt fährt sie von Cádiz aus mit auf die Kanaren.)

Aus der Bucht raus laufen wir schon unter Segeln, bei leichtem Wind. Der einschläft, als wir mitten in der Einfahrt stehen. Das Boot reagiert nicht aufs Ruder, wir drehen uns unkontrolliert. Ob es Strömung gibt? Also Motor wieder an. Draußen frischt der Wind auf. Dabei zeigt der Windmesser (frisch repariert für 220€ (Platine)+70€ (Marco)) nur vier kn Wind: – kaum ein leichtes Lüftchen. Uns dagegen pfeift der Gegenwind um die Ohren: der Windmesser (Anemometer) spinnt ganz offensichtlich. Tatsächlich legt es uns ziemlich auf die Backe bei der Überfahrt nach Ceuta. Sicher Bf 6 bis 7.

Quer über die Straße: Rauschefahrt nach Ceuta

Als wir dort anlegen, erzählt uns der Marinero, dass die Leute von einem anderen Boot, das eine Stunde vor uns ankam, auch geklagt hätten über den heftigen Wind. Dabei ging es uns eigentlich ganz gut damit. Und rumgeheult haben wir auch nicht.

Abbauen. Hier: Skipper tucht auf (Beispielfoto)

Paulas Lieblingswitz:
Nach einer heftigen Segelpartie dreht eine Yacht unter Motor in den Hafen ein, nutzt das größte, leere, in Windrichtung liegende Becken, um die Segel einzuziehen. Kommt ein Polizeiauto vorbeigefahren, kehrt um, ein Polizist steigt aus, winkt und wedelt heftig gestikulierend mit den Armen.

»Da drüben ist die Polizei.«

Steuerfrau

»Die meinen nicht uns.«

Skipper (hängt über dem Großbaum und tucht auf)

»Die winken aber zu uns rüber«.

Steuerfrau

»Lass mich hier arbeiten!«

Skipper

»Ese velero, ese velero!« („Das Segelschiff da!“)

Polizeiauto (über Megaphon)

Und dann rast auch noch ein Lotsenboot mit Karacho auf uns zu: Wir müssen ins andere Hafenbecken, wo die Marina ist. Und zwar schleunigst.
(Wollten wir eh, nur in Ruhe die Segel einholen. Fanden die nicht gut.)

Die Überfahrt war nicht ganz einfach. Zwar hatte der Skipper Strömung und Kurs bestimmt, aber nicht mit derart starkem Wind gerechnet. Mitten auf der Straße (von Gibraltar) fällt ihm auf, dass sie auf dem geplanten Kurs den Hafen von Ceuta verpassen werden (und damit ein Landfall erst Stunden später möglich sein wird – östlich von Ceuta kommt erst einmal Wasser). Der Skipper versucht, Ruhe zu bewahren und spricht gelassen:

»Wir sind in Schwierigkeiten.«

Skipper (betont ruhig)

»Wüsste nicht, welche!«

Steuerfrau (überschwänglich, achselzuckend)

Hat echt Vertrauen in ihren Skipper, diese Paula. Irgendwie ließ sich dann doch ein Kurs noch höher am Wind anlegen, eine halbe Stunde lang musste auch der Motor zusätzlich aushelfen, aber irgendwie schafften wir es in den Hafen.

Porras: dicke Churros

Am Vorvorabend von Heiligabend gibt es Churros und Chocolate fast direkt am Anleger, an der Hafenpromenade. In der Stadt ist der Bär los. Ein Feinkostladen (Besitzer sind zwei fesche Jungmänner) präsentiert exquisite Köstlichkeiten und schenkt auch davon aus. Auf der Einkaufsstraße lärmt eine Blaskapelle, bollert der Weihnachtsmann persönlich freundlich winkend seinen Elektrowagen-Schlitten mit vorgeheißten Rentieren durch die Menge, führen identisch hergemachte Eleven einer Flamencoschule (Haare streng nach hinten in einen Dutt gefasst, blutroter Lippenstift, Augen auf schwarzes Loch geschminkt) stolz, vorgereckten Kinns, souverän und absolut synchron ihre Kunst auf (und im zweiten Durchgang die Tanzlehrerinnen, alle durchtrainiert, großaügig, unbeteiligt-stolz und zugleich berückend elegant).

Gestern (23.12.) die Bilge ausgeschöpft (wie immer nach heftigem Seegang), die Bolzen in den Decksabschlussleisten nachgezogen, zum Strand spaziert (fünf Minuten Weg, auf der anderen Seite der Innenstadt auf ihrer schmalen Halbinsel), Bier in Freiluftbar genommen: lauter aufgebretzelt-animierte junge Leute.


Weihnachten in Afrika
Hafenmeisterschaft

Heute, Heiligabend, findet in Ceuta die Hafenbeckenmeisterschaft statt: vierhundert Meter schwimmen. Manche nehmen‘s ernst.

Fisch: nur bei Lucas

Wir haben viel telefoniert (Famillich), Guiri („Fremde“)-Fisch bei Lucas, (Albadejo, edler als Mero, aber aus derselben Familie – »bestes Fisch in Meer!«.) Strandspaziergang, Turron. Spanierinnen präsentieren an Heiligabend alles, was Beine und Brust hergeben. Aufbretzeln ist gar kein Ausdruck. (Müsste eigentlich eher Abbretzeln heißen.) Nach dem Aperitif geht man in die Disko (klärt mich die Spanierin auf).

Sonntag (1. Feiertag) erst die Küste entlang getuckert, Grenzzaun gucken. War aber nicht deutlich zu sehen. Dann zum zweiten Mal die Straße gequert, guter Wind, Sonnenschein, nicht viel Seegang: Rauschefahrt mit 6 kn. Später, Richtung Tarifa, waren sogar über 8 Knoten drin (könnte günstige Strömung dabei gewesen sein; durfte aber laut Kartenangaben zu dem Zeitpunkt gar nicht geherrscht haben). Andererseits: später am Tag, schon fast in Sicht von Barbate, ging die Strömung, die eigentlich für uns sein sollte, gegen uns. Deutlich spürbare Fahrt (durchs Wasser), aber nur anderthalb Knoten (über Grund). Irgendwie hab ich die Strömungen (wieder mal) nicht richtig gecheckt. Ist aber auch schon anderen Yachten passiert, z.B. POLAR SEAL, Ryan & Sophie sailing. Trotz allem guter Schlag, Ankunft nach 13 Stunden und fast 40 nm um Mitternacht. Marinero (über Funk nicht erreicht: zu früh den Kanal gewechselt!) ruft vom Kai – wir können uns einen Liegeplatz aussuchen.

Montag (26.12., 2. Feiertag) Juan vom Nachbarboot VAGABONDO gesprochen, mit seiner Yacht (nach schwerem Unfall: von Frachter gerammt) achtmal den Atlantik überquert, mit dem Vorgängerboot ebenfalls acht Mal. Segelt später am Tag einfach los (obwohl nach meiner Wettervorhersage der Wind gar nicht besonders günstig zu werden versprach). Beruhigt mich: auch im Februar sind die Trade winds (Passatwinde) noch stabil. Nur weil sie an Weihnachten in der Karibik sein wollen, fahren die meisten schon Ende November. Und weil die Karibiksaison halt spätestens Anfang Mai zu Ende ist: Hurrikane. Nachmittags feinen Sand am Strand gesammelt: Orca-Vorsorge. (Danke, Petra, für den Tipp!) Ausprobieren muss ich es hoffentlich niemals. Feistes Abendessen mit Mojama (gepökeltes Tunfischfilet, mindestens so gut wie Schwarzwälder Schinken) und Lagrein aus Südtirol (Danke, ihr Piepers!). Dienstag (27.12.) viel zu spät (12:30) den Schlag nach Cádiz angefangen, aber (anders als vorhergesagt) Glück mit dem Wind gehabt, fast glattes Meer, Sonne: Rauschefahrt bis an Sancti Petri vorbei, die letzten drei Stunden unter Motor. An Cádiz: 20:30. Für einen Gang in die Stadt und ein Abendessen im Franzisco Uno hat es auch noch gereicht.

Cádiz

Heute Motorbilge (wieder einmal) ausgetupft, 200ml Öl, aber hauptsächlich Diesel und Wasser. Nebenbilge (Wasser) dito, Salonbilge (zwei Eimer) dito. Die See war nicht wild genug, um einen Vergleich zu haben, aber an den hundert Schrauben durchs Deck (ein gutes Drittel davon ließen sich mindestens eine Viertelumdrehung nachziehen, zwei mehr, die meisten gar nicht) scheint es nicht zu liegen, dass die ELLI leckt. Bimini zu bestellen versucht, passendes Teil gefunden, die Ferreteria-Frau Marieluz ruft auch beim Hersteller an. Aber: Betriebsferien bis 10. Januar. Da hoffe ich schon aus Cádiz abzufahren. Eine Höhlenkletterer-Strickleiter (Alu; Tipp von Juan) zu beschaffen stellt sich als noch viel schwieriger heraus: der einzige Laden dafür ist in Alicante; die können aber vielleicht nach Cádiz liefern. Mal sehen. Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass Oceansouth eine Scheißfirma ist und aus dem Verkehr gezogen gehört.

Landausflüge

Nationalpark Doñana: Flamingos, Hirsche, Wildschweine, Dachse. Zwei von vier haben wir gesehen. Das Westernstädtchen Rocío könnte ohne Umdekoration als Filmkulisse herhalten: vor den Häusern Querstangen, um Pferde anzubinden, vor den Kneipen überkopfhohe Tresentische, damit man auch hoch zu Ross sein Bier genießen kann – einmal im Jahr (25 Tage nach Ostern) ist der Ort Ziel einer Pilgerfahrt aus ganz Europa, große Herbergshäuser unzähliger Bruder-/Schwesternschaften (Hermandades) stehen 50 Wochen im Jahr leer. Aber in den zwei Wochen des Pilgerfestes kommen eine Million Feierfreudige, alle zu Pferd (Autos sind in der Zeit nicht erlaubt). Ach ja: es gibt kein Stück asphaltierte Straße, nur Sandwege. Nach einem Monat Dauerregen war die Anfahrt ein echtes Abenteuer. „Schlaglöcher“, also Pfützen, von der Größe eines halben Tennisfeldes säumen und versperren den Weg. Und sind bis zu hüfttief (was man nicht sehen konnte). Klar, dass es nacht war, als wir ankamen. Klar, dass es geregnet hat. Klar, dass wir zur falschen Pension gefahren sind. Klar, dass es die Straße mit der richtigen Adresse zwei Mal gab. Klar, dass wir zur falschen gefahren sind. Aber immerhin haben wir in ein leerstehendes Hostal hineingesehen: Auch innen sind die Häuser/Hostales noch im Zustand der mexikanischen Kolonialbauten –weißgekalkte Wände, dunkle Jalousien-Holztüren; Innenhöfe. Bezaubernd. Ach ja: die süßmild lächelnde Madonna wird zu den Feiertagen selbstverständlich auch aus der Kirche und durchs Dorf geschleppt.

Landroverfahrt durch den Nationalpark. Halb Sumpf-, halb Waldgebiet. Vögel ohne Ende, Rehe und Hirsche. Und der Spanische Luchs (nicht gesehen).

Außerdem: Granada, schnuckelige Pension im Albayzin, zwei wunderschöne Aussichtsplätze (Miradore): ein tieferliegender, von dem aus die Alhambra ohne die später ergänzte 19.Jhdt-Kuppel ausssieht wie zu Zeiten von Al-Andalus; ein höher liegender, von dem aus die gesamte Bebauung auf dem Hügel gegenüber zu sehen ist. Sacremonte-Spaziergang; Höhlenmuseum; weiter oben Hundegebell und das unangenehme Gefühl, Elendstourismus zu betreiben.

 29.12.: Segelausflug nach Rota, einmal quer über die Bucht von Cádiz. – Weißgekalktes Bilderbuchstädtchen, wie es die Amerikaner (große Navy-Base am Südrand von Rota) lieben. Kunstvoll-kitschige Blumentöpfe (Männer- und Frauenköpfe) hängen an den Hauswänden, überall sind Sinnsprüche, auf Kacheln gebrannt, angebracht. Einer der Matrosen von Kolumbus stammte aus Rota (und hat auf der zweiten Fahrt eines der Schiffe geführt). Auf dem Rückweg in der Dunkelheit fast verfahren und die Hafeneinfahrt von Cádiz nicht gefunden – Navionics musste aushelfen.

Cádiz: perfekt, um sich zu verlaufen

Gestern, Freitag (30.12.), in der Altstadt verlaufen, auf dem Zentralmarkt Tapas gegessen – Sylvester ist für die Spanier wie Heiligabend: Ausgehen und Party, Almodóvar hätte an den Frauenfiguren seine Freude gehabt – falsche Flasche Wein „great italian wine“ aufgemacht. Paula war im Museum: Ausgrabungen aus der Römerzeit. Cádiz ist mit dreitausend Jahren Geschichte eine der/die älteste Ansiedlung Europas.

Traubenverschlingen mit Aaron (Nachbarboot)

Programm für heute (Sylvester): Museum, Tapas auf dem Markt, Abendessen kalte Platte auf dem Boot, Requetón im Nachtclub an der Hafenpromenade. Schaun wer mal, wie Kaiser Franz gesagt hätte. Wenn er sich nach dem Qatar-Skandal noch zu äußern traute (lebt der überhaupt noch?).

Happy New Year am Strand

24. Richtung Kanaren mit Paula

Montag (5. 12) abends halb elf wieder in Almerimar angekommen. Die Marineros haben die Leinen zusätzlich befestigt, muss wohl Sturm gegeben haben. Dienstag Mittag kommt Victor aus Cartagena, zwei Stunden Fahrt, fährt am selben Abend wieder zurück. Trotzdem schön. Mittwoch Mittag ist Marco, der Elektriker angesagt, der den elektronischen Windanzeiger repariert hat. Ihn aber inzwischen an einem anderen Boot ausprobiert hat, dort hat er nicht funktioniert. Entsprechend defensiv tritt er auf. Aber: auf der Elizabeth funktioniert er, zunächst angestöpselt ans Netzwerk, dann auch oben im Mast.

Abstieg: Skipper, Marco, Christian (Bootsnachbar)

Also können wir am Donnerstag los, einen vorhergesagt sturmfreien Nachmittag ausnutzen und zumindest den kurzen Schlag nach Adra (12 nm) schaffen.

Sturm, Sturm, Sturm

… und wenn nicht Starkwind, dann zumindest Starkregen. Der Sommer war in Spanien der trockenste seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Dezember holt alles wieder auf, Überschwemmungen und sensationsheischend-mitfühlende Berichterstattung im Fernsehen. Drei Tage Landurlaub mit Nationalpark.

Am folgenden Mittwoch (14.12.) ist das nächste sturmfreie Wetterfenster angesagt. Wind noch immer aus der falschen Richtung (von Westen). Also motoren wir fünfeinhalb Stunden nach Motril (25 nm). Ziemlich ungemütlicher Seegang von vorn und zwischendurch auch Wind auf die Nase. Aber alles klappt, um halb sechs am Nachmittag laufen wir in der Marina ein. In der Motorbilge steht mindestens eine Handbreit ölige Flüssigkeit, in der Salonbilge immerhin zwei Finger breit, bräunlich verfärbt. Nicht gut.

Heute, Donnerstag, erst die Motorbilge ausgeschöpft (fast 20 l), Diesel mit Wasser vermischt: die Reparatur der Dieselrückleitung ist schiefgegangen, der zu lockere Schlauch hat sich gelöst und wir haben den Sprit statt zurück in den Tank über den Motor gespritzt. Ziemlich blöd.

Auch blöd: Nachdem ich fünf Wochen (!!!) lang versucht habe herauszukriegen, warum mein in Deutschland bestelltes Bimini [Sonnenschutzabdeckung über dem Cockpit] nicht ankommt (keine funktionierende Telefonnummer rauszukriegen, beim Lieferant Oceansouth existiert die Telefonnummer nicht, an einem anderen Anschluss geht nie jemand ans Telefon; beim Lieferservice GLS gibt es keine Telefonnummer, auf der Internetseite lässt sich als Herkunftsadresse nur das Land Belgien einstellen). Inzwischen habe ich über die Sendungsverfolgung herausbekommen, dass mein Paket (das über Wochen als „wird sortiert“ in Madrid angezeigt war) anscheinend schon am 21. November zugestellt (und der Vorgang damit erledigt) sei: Augenscheinlich ist eine Sendeverfolgungsnummer zwei Mal vergeben worden, mein Paket hatte dieselbe Nummer …

»Making mistakes is human.
But to really fuck up things you need a computer.«

Programmierer-Weisheit

Nach sechs Wochen vergeblicher Kontaktversuche per Mail und Telefon habe ich eine Adresse in Brüssel erfunden und endlich eine Antwort (mit nicht existierender Telefonnummer, aber zumindest funktionierender Mailadresse) aus Belgien bekommen, eine Mail an den spanischen Customer support geschrieben und die beiläufige Antwort erhalten, dass mein Paket (tut uns leid, »Sentimos las molestias«) verloren gegangen ist.

Nachmittags waren zwei Mechaniker von Triton Marine Services da und haben den abgeschorenen Dieselschlauch innerhalb von zwanzig Minuten repariert. Wenigstens das. Regnen tut es immer wieder. Und der Wind bläst immer noch aus Westen, genau in die falsche Richtung. Saublöd.

23. Im Superyachthafen Malaga

Künftiges Model (2.v.l.) im Morgenrot in Marbella

Dienstag (08.11.), 02:17h (!!). In Málaga soll es, sagte mir der Hamburger vom Nachbarboot in La Linea, ein völlig leeres neues Hafenbecken geben, wo man gut (und umsonst) ankern kann. Auf Karte und Navionics finde ich nur einen erweiterten alten Flusslauf, außerhalb und neben dem Industriehafen. Die Marina liegt ebenfalls ab vom Schuss (und hat schlechte Kritiken: teuer, keine Liegeplätze für Durchreisende, unfreundlich). Aber in der Karte ist im innersten Hafenbecken eine Marina verzeichnet, allerdings nur als Symbol, kein Funkkanal, keine weiteren Angaben. Aber wenn da eine Marina ist, kann ich dort auch reinfahren. Als endlich die drei Kreuzfahrtschiffe größer werden, auf die ich drei Stunden zugedampft bin, (kein erwähnenswerter Wind), tuckere ich gegen halb fünf endlich in die Einfahrt (16:30 Uhr wird die Málaga Port Control später als TOA [time of arrival] eintragen: ich hätte mich per Funk (Kanal 11) anmelden müssen, das war aber weder in der Karte noch auf Navionics vermerkt). Das innerste Hafenbecken (noch ein viertes Kreuzfahrtschiff) ist zwar leer, aber superschick und die Yachten am Kai sind alle riesig. Vorsichtig frage ich über VHF, ob sie auch eine kleine Yacht wie die Elli nähmen? – Klar, ich soll irgendwo festmachen, er (der Marinero) werde dann gleich vorbeikommen und mich einweisen. Gut. Kommt er auch und gibt mir einen Platz zwischen zwei Megayachten. Rückwärts Einparken, der Besitzer (vermute ich) des spiegelblanken hellgrauen Luxuskatamarans neben mir wirkt sehr nervös, packt zusätzliche (unbenutzt aussehende) Fender an die Seite zwischen uns, springt schließlich auf die Kaimauer und hilft dem Marinero, mich festzuzurren. Denn: der Hafen ist auf Yachten ab 30m eingestellt, die Muringleinen ziehen uns gegen das Nachbarschiff. Erst eine zusätzliche Spring vom Bug zu einem seitlichen Poller (es gibt keine Klampen) hilft.

SABETH: zwischen zwei Megayachten kaum zu sehen

Auch die Megayacht auf meiner anderen Seite funkelt in Lichtgrau: elephant breath scheint die Farbe der Saison zu sein.
Kaum angelegt checke ich Mails. Eine von Hendrik, Ehemann einer lieben ehem. Kollegin, allerdings gerichtet an eine »Liebe Frau Anja F…«. Leichte Panik. Anja heißt meine ehem. Schulleiterin, evtl. hat sie neu geheiratet …? Alles Quatsch: Hendrik verteidigt mein Blog gegen die (berechtigten) Vorwürfe von Frau F., ich hätte den Jungs (Julian und Lukas) nicht deutlich genug klargemacht, dass ihre Segelerfahrungen nicht für eine größere Tour ausreichen (u.a.). Danke, Hendrik! Und danke, Frau … da fällt mir auf, dass Frau F. die erste Blogleserin sein muss, die nicht mit mir verwandt, befreundet, bekannt ist. Holla, die Waldfee: Wie schön!

Die IYG-Marina in Málaga ist auf Superyachten spezialisiert. Vorteil 1: Es gibt keine Chipkarte für die Zugangskontrolle (muss man sonst immer Pfand zahlen und morgens zurückgeben), weil: die Anleger sind Tag und Nacht engmaschig bewacht: als ich eben nicht mehr schlafen konnte (Alptraum: Fressmaschine von Riesenziege schlachtet an einem Berghang ein allzu zutrauliches Kalb. Wobei das Kalb so groß war, dass ich (im Traum unten am Abhang) hastig ausweichen musste, damit mich der mit einem Huftritt bewusstlos gehauene, den Hang herabtorkelnde Tierkörper nicht erschlägt. Der Kopf der Riesenziege sprang in der Mitte auf (wie Schwarzenegger in Total Recall) und hatte im Inneren einen bleichen (Briten-) allesfressenden Menschenkopf, darunter ein Fahrgestell aus kreiselnden Raupen – Ende Alptraum). Als ich jedenfalls meine (quietschende) Achterluke aufschob, war die freundliche Vigilantin bereits auf dem Kai über dem Boot, noch bevor ich ins Cockpit geklettert war. À propos Kai: der ist natürlich auch überhoch, weil er für die Überhecks der Megayachten gedacht ist; bei Ebbe musste ich gestern Nacht ziemlich klettern (mich sitzend von der Hafenmauer herablassen), um aufs Boot zu kommen. Grüßt mich die junge Frau von der Nachtwache schon, als ich gerade die Luken aufschließe … 

Wo war ich? Ah ja: Vor- und Nachteile. Vorteil 2: Standort; nur fünf Minuten Fußweg zur Kathedrale, zum römischen Amphitheater, zur maurischen Stadtfestung. Zentrales Zentrum, die Marina liegt ideal. Vorteil 3: SEHR persönlicher Service. Die Desk Managerin (»Ich bin Alejandra, encantada«) begrüßt mich mit Handschlag, gibt mir zum Abschied ihre Karte (»Sie können mich JEDERZEIT anrufen!« – »Auch, wenn ich das Restaurant nicht finde (das sie mir kurz zuvor empfohlen hatte – sollte ein Witz sein!)?« – »Auf jeden Fall (in vollem diensteifrig-charmantem Ernst)!«. (Klar, dass sie jung und attraktiv ist; klar, dass ich das nicht persönlich nehme, oder?)
Nachteil: Es gibt keine Duschen (»alle Megayachten haben ihr eigenes Bad.«). Nachteil: Preis. Nachteil: Stress beim Ablegen. Links spiegelblanke fünf Millionen (der Übervorsichtige war der Matrose, er und ein Kollege wohnen vorne im rechten Rumpf), rechts blitzende acht Millionen (geschätzt, ich hoffe, ich trete niemandem auf den Schlips (nicht vorhanden: Links saß abends ein Typ (Mitte 40, unscheinbar) im Sweatshirt vor dem Rechner, allerdings im Salon, den die Matrosen sonst nicht benutzen). Keine Ahnung wie ich da morgen schadlos rauskomme – wahrscheinlich darf ich mit meinen dreckigen Fendern den spiegelnden Monstern nicht einmal nahekommen …

Eben (mitten in der Nacht), die Elli schaukelt bedenklich in der kaum sichtbaren Hafendünung, während sich die 30m-Monster kaum bewegen, sitze ich im Cockpit: knarrt ein Festmacher. Ich sofort nervös. War aber der Festmacher vom 8-Mio-Nachbar – auch Großgeld bewahrt einen nicht davor, die falsche Art Leine einzuziehen!

Malaga ist übrigens ein Traum: wunderschön und geschmackvoll überlaufen (Turronladen [span. Süßware] mit 300 Sorten Mandelkonfekt, alle handgemacht!). Weil der Laden, den mir Alejandra empfohlen hat (»da geh ich selber auch hin«), geschlossen hatte (die machen erst um halb neun auf, hatte ich nicht die Nerven und zuviel Appetit für), war ich beim Edelitaliener. In meiner Lasagna war (Hackfleisch vom) Stierschwanz, daher wahrscheinlich der Alptraum! Später doch noch am La Campana vorbeigeschaut: winzige Bar, Tische davor, fischlastige Karte – das wäre es gewesen. Fazit: Málaga ist schön, aber schlecht für’s Budget. Aber hier (für lau) zu ankern wäre eine unerhört verschwendete Gelegenheit gewesen – alles richtig gemacht.

Vladimir Nabokov: Die Schwestern Vane (Erzählungen, danke, Cornelia!). Welch ein Stilist! In drei Sprachen! Chancenlos neidvolle Bewunderung. So ein Leben/Schicksal muss man aber auch erst einmal durchstehen, um davon berichten zu können (Leben, um davon zu erzählen hat Marques seine Memoiren betitelt). Ganz großes Kino für die Ohren bzw. das Sprachgefühl (oder wie das heißt).

Almerimar
Ebenfalls grau (aber alt): Nachbarn am Kai in Almerimar

Do (10.11.), 06:00h. Der Vollmond steht über dem Hafen, alle Häuschen am Kai schlafensstill, nur ein früher Raucher hustet auf seinem Balkon, in der Ferne rumort die Straßenreinigung und in der Ferne ist das sanfte Rauschen der Küstenautobahn zu hören. Almerimar wird nach allem, was ich bisher gesehen habe, die abgeranzteste Marina, in der ich jemals war. Aber nett. Und vor allem: alle Gewerke im Hafen, sogar ein umfangreiches Lager mit gebrauchten Ersatzteilen – muss ich noch checken.

Die Etappe von Malaga war eine Druckfahrt, 78 nm [ca. 137 km]. Musste aber sein, weil ab Donnerstag widrige Winde angesagt waren. Segeln unter Zeitdruck ist ein Widerspruch in sich.
Bei der frühen (08:45) Ausfahrt aus dem Hafen – wichtig: vorher von der Malaga Port Control die Erlaubnis dazu einholen, kein Problem: »no hay trafico«– ziehen schon die ersten zwei Delfine sachte ihre Bahnen im Hafenbecken. Sicher ein gutes Omen.
Draußen weht der angekündigte Westwind, allerdings nicht so ausgeprägt wie erhofft. Dann Mittagsflaute. Dann Abendflaute. Aber dazwischen immer wieder ein wenig Wind.

Glorioser Abschluss einer lahmen Nacht: mit vier Knoten an Motril vorbeigerauscht
Gegenschuss: Motril im Morgengrauen

Dann Morgenflaute. Um halb zehn werfe ich die Maschine an. Fazit: fünfzig Meilen in 24 Stunden gesegelt, 25 Meilen in fünf Stunden motort. Zwei Längengrade überfahren. Aber: nur die (60) Minuten der Breitengrade entsprechen einer Seemeile, deswegen darf man Entfernungen nur an den seitlichen (nicht: oberen oder unteren) Rändern der Seekarte abgreifen! Deswegen liegen zwischen den LÄNGENgraden keine 60 sm. Dennoch Dank an Mercator für seine Kartenprojektion, die (zwar keine realistische Darstellung der Oberfläche, aber) winkel- und distanzgetreue Wiedergabe bereitstellt (und so Navigation erst ermöglicht). Es wurde eine lange Nacht, obwohl Signore Giorgio brav gesteuert hat, die meiste Zeit unter Schmetterling. Zweimal Kartoffel-Lauchsuppe, zwei Schachteln Kippen. Eins der Projekte für Almeria: Rauchen aufhören. Der einsame Huster heute früh klang genauso krank wie mein kehlig-knorpeliges Abhusten am Morgen. Allerdings liegt genau gegenüber meines Festmacheplatzes (»por polpa«: Heck zum Kai) ein tabaco. Wenn das kein Wink eines übelmeinenden Schicksals ist …

Almerimar habe ich angesteuert, weil lt. Youtube dies der Hafen für Reparaturen und Ausrüstungsergänzungen ist. Der Hafenmeister äußerte sich ähnlich selbstbewusst – dafür sind wir der beste Platz. Also stehen in den nächsten zwei Wochen Arbeiten an. Über die ich erst die Ergebnisse berichte. In anderen Worten: dieser Blog macht drei Wochen Pause. Dank euch für eure Treue bisher, für eure vielen aufmunternden und (wenigen) kritischen Anmerkungen (Hartwig, Susan, Andrea (muss meinen inneren Schweinehund [male chauvinist pig] im Zaum halten), Frau F.), bleibt der ELIZABETH und mir gewogen und schaltet Anfang Dezember wieder ein!

Herzliche Grüße

Ulrich

Gästebuch:

Reparaturen und Ausrüstungsergänzungen

So voll waren die Tage in Almerimar, dass ich geglaubt (und dem schwedischen Nachbarn gesagt) habe, ich wäre schon zwei Wochen hier, dabei sind es (erst) acht Tage …
Alleinsegler sind Schwadlappen, bzw. haben ein erhöhtes Mitteilungsbedürfnis. Asha und Helge (www.gegenwind.de), John. Lektion 23: (Ich nehme mir vor:) Nicht erzählen, nur auf Fragen antworten.
T. Pynchon: Gravity’s Rainbow (wieder mal) angefangen. Bildmächtig, sprachverliebt, groß. Nicht Ulysses oder Der Mann ohne Eigenschaften, aber nicht weit darunter. Erkenntnis 1: die Klo-Szene aus Trainspotting ist geklaut. Erkenntnis 2: the Kenosha Kid. Insgesamt hocherotisch, schreckt auch vor pornographischen Passagen nicht zurück. Und frech: als er zwei Figuren loswerden will, schickt er sie (einfach?) auf einen Strandspaziergang, wo sie sich im Nebel verlieren … großes Kino für Kopf, Bauch und Lenden.
Endlich Zeit gehabt, die 120 GB (!!) Musik durchzuflöhen, die Hartwig mir auf Festplatte gebrannt hat: einmal quer durch die Musikgeschichte, fast alles drauf, was mich seit der Jugend begleitet hat, Perlen von individuellen Playlists („Red Mix Michel“; früher hätte man Mixtape dazu gesagt), Hörbücher, Klassik, alphabetisch geordnet, fantastisch. Danke, Hartwig! (Billig-Bluetoothbox vom Chino gekauft, jetzt kann ich auch im Cockpit Musik hören, wie von Leon angeregt/moniert.)

Auszug aus dem Logbuch
  • (09.09.) 15:10 an Almerimar
  • (10.10.) beim Segelmacher, Gennaker (zerfetzt) und Genua (Flicken nötig, wo sie an der Saling scheuert) weggebracht / Christian (Nachbarboot) kennengelernt, Markus & Julia (Insieme) gesehen, Andres (Mechaniker) kennengelernt / Waschsalon, Ferretería gecheckt / Nachmittags Bus nach El Ejido und Almería – Rückfahrkarten gekauft
  • (11.10.) Niederholer umgehängt (oben und unten vertauscht) / 2x20l Dieselkanister gekauft. Zwei neue Lüfterhutzen bestellt / Bimini bestellt / 15:00h: Sturm
  • (12.11.) drei Mal Motorbilge ausgelöffelt und -getupft: 2x Diesel, 1x Öl / Dieselrückleitung geflickt / WiFi: in der Bar Ankara, direkt gegenüber am Kai / Asador Almerimar: Scheißladen, bringt mir das falsche, Riesenkotelett (war aber lecker, nur zu viel, Hälfte zurückgehen lassen)
  • (13.11., Sonntag) Strandspaziergang
  • (14.11.) Elektrik umgebaut: neue Schalter für die zwei alten Panels über dem Navitisch eingesetzt [Geilo: jetzt funktioniert das Masttoplicht (Dreifarbenlaterne)!], neues Panel in Betrieb genommen, Kühlschrank abschaltbar angeschlossen
  • (15.11.) Wasser aufgefüllt / Thalys gebucht / Video „Delfine“ hochgeladen / Marina bezahlt (bis 09.12., 12,50/Tag) / Herd geflickt (aufgebohrt, Düse gesäubert)
  • (16.11.) Ruder (etwas) leichtgängiger eingestellt (am Quadrant Spannung rausgenommen) / Gerüst für Decksleistenreparatur ausgebracht (Schaden von La Linea und alt: von Oude Tonge), laminiert – Polyester zieht nur sehr langsam: zu kalt / Mail: OceanSouth (Bimini) hat kein Geld erhalten, Bestellung ist also nicht bearbeitet!
  • (17.11.) Scheuerleiste gespachtelt und laminiert / Bimini bezahlt / Superschnuck geschrieben / geduscht / Wraps (noch von Luke&Juli)
  • (18.11.) Regen / Dieselleitung abgedichtet (noch von Gareth) / Wäsche gewaschen / Scheuerleiste (angeschliffen und) einmal weiß gestrichen / 19:00 John (Versicherungsrechtsstreit nach Kollision bei Tag und Windstille) im Stumble Inn
  • (19.11.) Superschnuck fertig (alle 52 Folgen) / Scheuerleiste 2. Mal weiß und königsblau gestrichen (auch: Cockpitkästchenboden [weiß noch nicht, wie ich das finde])/ Restaurant Espigón: gut; lecker Fischsuppe.
  • (20.11., Sonntag) Navileuchte hinten braucht viel Strom – austauschen! / Handläufe (und Cockpitkästchen und Achterleiste) zwei Mal geölt
  • (21.11.) Lukas und Julian sind auf ihrer JASSEMINE losgefahren (Video und Nachricht über Signal), auf den Atlantik! (Ich denk an Sie, Frau F.!) / Marco (Bootselektriker) repariert Motorpanel, Überhitzungsalarm, checkt Windmesserkabel, hievt mich (zum 2. Mal) in den Mast, Platine des Anemometers ist korrodiert (Wasser eingedrungen), Ersatz bestellt (220 €) / Motor endlich fertig (Bilge zum 5. u. 6. Mal getrocknet) / am 18. Nov. hatte Proust 100sten Todestag
  • (22.11.) Birne Hecklampe ausgetauscht; Kontakte passen nicht wirklich (LED, China) / Lüfterhutze abgeholt, montiert, inkl. Sicherungsleine / Genua abgeholt / John’s Schooner angeschaut [wunderschön!] / Loch für (neuen) Lüfter ins Deck gesägt [5h Arbeit: schlecht – aber Deck ist massiv, 6-7mm dick: gut]

Fazit: Ich muss aufhören, von der Elli als alter Dame zu schwafeln: Sie ist eine gepflegte, guterhaltene Mitte Vierzigjährige, gut in Schuss und voll im Saft, »Nothing wrong with her a hundred Dollars can’t fix« (T. Waits) – eigentlich genau mein Beuteschema (wäre ich auf Beute aus).
Jeden Morgen Sonnenaufgänge (weil ich nicht mehr schlafen kann; weil ich pinkeln muss), immer wieder schön. Dafür abends früh zu Bett – Strom sparen. Sonnenkollektor hab ich mir abgeschminkt, bräuchte ich ein neues Ladegerät, am besten sogar eine zusätzliche Batterie. Dabei bin ich sehr froh, wie meine Elektro-Reparatur geklappt hat …
»Lange Zeit bin ich früh aufgestanden …« (als ich noch im Job war). Aber nicht jedes Mal vor Tagesanbruch, wie derzeit. Unterwegs zu Swann (Eine Liebe von Swann), Band 1 der Recherche (wieder einmal) angefangen, wird meine Reiselektüre. Jedenfalls genug Lesestoff für 36 Stunden Fahrt …
Rückfahrt: Donnerstag 07:00 ab Almerimar, Bus kommt nicht. An der Haltestelle gegenüber gefragt, an eine andere, etwas entfernte Haltestelle verwiesen worden. 07:10 kommt der Bus, fährt gerade weit genug entfernt vorbei, dass Rufen und Laufen sinnlos waren. Nächster Bus: 08:09 – zu spät. Taxi bestellt. 08:45 ab El Ejido, 09:30 ab Almería, 16:15 an Madrid. 18:15 ab Madrid, aber von einem ANDEREN Busbahnhof. 23:30 an Vitoria Gasteiz (Baskenland). 01:30 (Freitag) ab Vitoria, 15:15 an Paris-Bercy, im Studentenviertel, gegenüber der Großbibliothek. Abendessen mit Celia, lecker vegane Vorspeisenplatte beim Türken, bei ihr auch übernachtet. Samstag vormittag 11:25 ab Gare du Nord, 15:30 an Köln. Aber: nicht geflogen!

22. Straße von Gibraltar

Überraschung: Marbella liegt am Mittelmeer

Na, das war nun keine Überraschung. Aber wie viel sich verändert hat auf den knapp über 40 nm seit Gibraltar: Marinas (heißen nicht mehr so) sind ausgebucht, Yachten von 10m nehmen sie überhaupt nicht (»wir haben nur Liegeplätze für Yachten ab 12 m«, die Snobs), keine Schwimmstege (weil: (so gut wie) keine Tide), Anlegen römisch-katholisch [(keine Ahnung, woher diese Bezeichnung kommt): Heck zum Kai, zwei Achterleinen; im Hafenbecken sind tief unter und vor dem Bug lange Muringleinen verankert, deren Ende vom Kai aus hochgezogen (Marineros), nach vorn geführt und am Bug belegt werden]. Marbella (Victor: »con el jet-set!«) ist am strahlenden nächsten Morgen genauso (wenig) schön wie in der Nacht. Aber wenigstens hat uns der überhilfreiche Abend-Hafenmeister einen Platz am Wartesteg zu- und uns nicht abgewiesen wie sein Kollege von der anderen Marina. Heute morgen mussten wir dann umlegen. Rückwärts in eine kaum schiffsbreite Lücke zwischen zwei andere Yachten gesetzt, der Marinero nimmt die Heckleinen und hebt uns die Muringleine aus dem Wasser. Klappt Bombe. Jetzt ist Celia am Strand, ihren ausgefallenen Sommerurlaub nachholen.

Endlich was gelernt

… hat aber nur einen Tag funktioniert. Und zwar: Richtige Entscheidung, in Sancti Petri fünf (!!!) Tage auf besseren Wind zu warten. Weil: die Strecke nach Barbate, die ich einen langen Tag lang nicht mal zu einem Drittel geschafft hatte, war mit Rückenwind unter Gennaker locker in einem Tag zu machen. Und: Sonntag Nachmittag rief Celia (Tochter) an, setzte sich noch am selben Abend in den Zug und kam am Montag Abend in Cádiz an! Große Freude. Bacalao in Cognaksoße an der Plaza San Franzisco (die zu probieren ich nicht mehr gehofft hatte), Rückweg mit der S-Bahn durch die Vororte, deren Straßen an Halloween komplett verstopft waren. Auch aus der ankommenden S-Bahn stiegen jede Menge feierwütig Verkleidete (Lieblingskostüm: Engelchen (weißes Brautkleid), Teufelchen (schwarzer Minirock, Netzstrümpfe): Cádiz hatte bridge&tunnel day.

Am nächsten Tag Sicherheitseinweisung für Ce und Aufbruch. Sicher einer der schönsten Tage bisher: kräftiger raumer [schräg von hinten] Wind, der Gennaker zog den ganzen Tag, strahlender Sonnenschein. Das Kap von Trafalgar (wo Nelson pures Glück (und günstigen Wind) hatte, wie uns ein missgünstiger Ire angesäuselt-wortreich im Irish pub an der Plaza San Franzisco erklärt hatte) gerundet.

Celia am Cabo de Trafalgar

Gegen fünf kommen hohe Berge weit draußen auf dem Meer, abseits von Spanien in Sicht: Afrika! Das Atlasgebirge Marokkos.

hinter Celias Tasse: Afrika

Beim Dunkelwerden in Barbate eingefahren, erst am falschen Steg festgemacht, dann vom Hafenmeister Liegeplatz, Chipkarte (für Klo- und Stegzugang) und Wegweisung zum Städtchen bekommen. Super Abendessen in Strandpromenadenrestaurant – wir waren die letzten Gäste. Barabate scheint die Hauptstadt des Atun de almadraba (gewesen) zu sein, hat sich aber scheint es nicht halten können: der entsprechende Infopavillon am Hafen ist verwaist und verfallen. Aber immerhin gibt es auf der Speisekarte eine eigene Abteilung für den berühmten Fisch (und eine Abbildung der Fischteile, damit der Kellner einem zeigen kann, welches Stück man serviert bekommt. Ich natürlich nur das Beste: den Bauch. Ce, vegan: Salat, patatas bravas [gekochte, dann frittierte Kartoffeln mit scharfer Soße]. Der Sandstrand von Barbate ist unerreicht: vogelkäfigfein und breit.

Schon beim ersten Versuch, Barbate zu erreichen waren im Funk irgendwelche Amphibien-Manöver angekündigt, das Gebiet ist Übungsgebiet der spanischen Marine. Als wir am Mittwoch (02.11.) die nächste Landspitze südlich umfahren, liegt oder kreuzt dort ein graues Navy-Schiff. Tasächlich sollen wir das Kap mit drei Meilen Abstand umfahren, weist uns der freundliche Funker (»gracias por su collaboration«) an. Zwei Stunden Umweg straks nach Süden. Und später schießen die tatsächlich blitzend explodierende Salven Richtung Land!


Tatsächlich hat die neue Planungskompetenz gerade noch für einen halben sonnigen Tag unter Gennaker gereicht, dann kam der Wind wieder von vorn und wir sind fast vier Stunden nach Tarifa motort (die engste Stelle der Straße von Gibraltar (Ce: »Wahrscheinlich heißt die auf spanisch „Straße von Tarifa“!«, entsprechende Strömungen, die wir aber eingeplant hatten!) und spät, wieder bei Einbruch der Dunkelheit, nach Tarifa reingefahren. Riesenhafter, leerer, ausladend beleuchteter Hafen, keine einzige Yacht zu sehen, spooky. Erst weist uns einer der Männer vom hinausjagenden Piloten-Zubringerboot aus im Hafenbecken nach weiter hinten. Dort ist der Fischereihafen – kein freundlicher Empfang zu erwarten. Von dort scheucht uns der Hafenpolizist vom Land aus weg, zeigt uns in Richtung porentief ausgeleuchtetem, völlig leerem Kai. Dann zeigt uns der zurückkommende Lotsendampfer (mit dem Suchscheinwerfer) einen kurzen leeren Schwimmsteg. Als wir dort festmachen, kommt der Polizist schon angelaufen: für eine Nacht okay, aber am nächsten Morgen müssen wir weg sein, bevor die (Fähre? oder) Ausflugsschiffe den Steg nutzen. Denn (Planungsfehler): Tarifa hat keine Marina. Und kurz darauf legt eine riesige Kreuzfahrtfähre rückwärts entlang des angestrahlten Kais an – Tarifa ist augenscheinlich DER Fährhafen in Länder, wo Frauen Kopftuch und Männer Schnurrbart tragen. Busladungen stehen rauchend und auf Gepäck sitzend am Kai. Später dreht noch eine überbreite Katamaran-Hochseefähre im Hafenbecken und legt an.

ELISHA vor der maurischen Festung von Tarifa

Tarifa hat noch Gebäude aus der Zeit der Conquista, der arabischen Herrschaft in Spanien. Und ein Hafenviertel mit engen Gassen (und Seemannskneipen, bzw. heute Touristenbars. War anscheinend immer Grenz- und Festungsstadt. Und schön.

Tarifa: Burgfried am Hafen

Berückendes Morgenrot am Donnerstag (03.11.), früher Start (09:30), voller Tag unter Gennaker, »farbkastenblauer Himmel« (Ce) in allen Schattierungen und gut Fahrt gemacht. „The Rock“, der Affenfelsen, schiebt sich steil aufsteigend und brüsk abbrechend hinter der nächsten Landzunge in den Horizont: Gibraltar. Die Queensway Quay Marina (im britischen Bereich) hat keinen Platz für ein Schiff wie unseres, liegt anscheinend schon im Mittelmeer.

In der ewig langen Hafeneinfahrt, die voller Frachter vor Anker steht, zerfetzt uns eine Bö den Gennaker, später brechen wir im Seegang am überkragenden Betonkai der Marina von La Linea ein handbreites Stück aus der Scheuerleiste am Übergang zwischen Deck und Rumpf der armen Lizzy – Zeit für den Reparaturaufenthalt irgendwo im Mittelmeer. Zwei Hamburger vom übernächsten Nachbarschiff empfehlen Fuengirola, kurz hinter Marbella. Eine schweizer Rennyacht mit Familienbesatzung, die in der Nacht in Tarifa noch neben uns festgemacht hatte (und uns tagsüber hat stehen lassen), steht schon am Kai und wartet, dass das Büro (nach der Siesta) aufmacht – sehr viel haben die uns auch nicht abgenommen.

kaum zu erkennen: die Bucht von Gibraltar im letzten Licht

Druckspaziergang in die britische Enklave, Grenzübertritt klappt reibungslos, obwohl Ce nur einen Perso dabei hat. Quer über die Landebahn in die Festungsstadt, die gleichzeitg ein britische Seebad am Mittelmeer ist. Mainstreet wie in irgendeiner englischen Kleinstadt, inklusive kaum bekleideter Britinnen. Sauftourismus. Seilbahn auf den Felsen hoch hat bereits geschlossen (nur bis 17:45h), also bergauf. Wir schaffen ca. ein Drittel, mehr als ein Blick über die Bucht incl. Sonnenuntergang ist nicht drin. Keine Affen. Rückweg durch altes Viertel. Gibraltar ist so klein, dass jeder jeden kennt, Vorteil und Nachteil zugleich, erklärt ein Gibraltese (o.ä.). Abendessen in la Linea, im Sparfuchs-Restaurant: Einheitsmenü für € 11, solala.

Ce vor Affenfelsen (Affen nicht zu sehen)

Am Freitag (04.11.) Rauschefahrt unter großer Genua, teilweise im Schmetterling, teilweise bis über 7 kn (wahrscheinlich incl. Meerengenströmung). Und Delfine, eine ganze Schule, sicher mindestens 15 Stück, begleiten uns sicher eine Stunde lang. Ce, die im Bugkorb mit dem Gesicht nach unten lag, kommt ganz beseelt zurück: die Tiere spielen unter und hinter dem Bug mit der Strömung, schubsen sich gegenseitig weg, reiben sich aneinander …

Abends schläft der Wind ein, zwei Stunden unter Motor bis Marbella. Also nicht ganz. Ce am Steuer, ich schau mir unten die Karte für die Einfahrt an, ruft Ce mich hoch: ein Motorboot, und ganz nah! Als ich hochkomme, blendet uns ein Suchscheinwerfer. Ein Schnellboot der Guardia Civil (unbeleuchtet) fährt fast längsseits. Erst sollen wir den Motor stoppen, was wir machen, dann sollen wir wieder aufs Meer hinausfahren, was wir nicht machen. Tatsächlich sollen wir nur den Bug gegen die Wellen stellen, damit ein Polizeibeamter an Bord kommen und das Schiff durchsuchen kann. Schicken sie den jüngsten, der sowas ersichtlich auch zum ersten Mal macht, es kaum herüber schafft (Seegang) und alle Fächer und Bettstellen durchsucht. Und Fragen stellt. »Woher? Schon vorher in Spanien gewesen? Schon mal im Knast gewesen? Weswegen?« Nach einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei und sie wünschen uns gute Fahrt.
Die kleinere Marina in Marbella, die sie uns empfohlen haben, hat keinen Platz für ein Boot von nur 10 m. Der freundlichere Kollege vom Puerto deportivo (»Bin selbst Seefahrer seit ich ein kleiner Junge war, weiß wie das ist, wenn man nachts ankommt, da kann man doch niemand abweisen!« (er hat den Funkverkehr und mein Betteln um einen Liegeplatz mitbekommen). 21:30 an Marbella, heftiger Bar-, Disko- und Shisha-Cafébetrieb an der Promenade, Abendessen eine Ecke weiter in die Stadt. Und sehr glücklich.

Sehr glücklich: Celia vor Trafalgar

Am Samstag (05.11.) geht Celia Baden, es ist ihr Sommerurlaub, und einkaufen, ich schreibe. Für abends hat sie eine vegetarische Paella an einer Strandbude aufgetan, darauf freuen wir uns. Dann ein Spaziergang den Berg hoch zur Busstation – dort wird am nächsten Tag Ce‘s Blablacar losfahren. Und in der Altstadt (casco antiguo) im el Gallo Bier und ein köstlicher arroz vegetariano (Paella). Wunderschöner letzter Abend mit Ce. Sonntags Baden und Schreiben, Bratkartoffeln mit gebratenen grünen Paprika, um halb vier geht die Mitfahrgelegenheit los. Ich mache um Viertel vor fünf los und dampfe drei Stunden (Flaute) durch einen Sonnenuntergang in allen Regenbogenfarben, der Felsen von Gibraltar und gegenüber der hohe Atlas zeichnen sich deutlich gegen das Abendrot ab, nach it Fuengirola, an 20:30h. Die Promenade ist Gangstalandia: Shishabars, Sportsbars, Discos. Marbella in arm, selbst die Animierpersonen vor den Bars sehen abgelebter aus. Als nichts wie weg hier (Montag, 07.11.), sobald dieser Beitrag hier abgeschickt ist – selbst das WiFi schwächelt.

21. Ab Cádiz

Do, (27.10.), 23:00h. Anscheinend jeden Abend üben an der Strandpromenade, gegenüber vom Containerhafen (wo sie niemanden stören) die Mitglieder eines gigantischen Blasorchesters, sicher 150 Mensch (auch Frauen) stark, alle Instrumente, vier- bis zehnfach besetzt, mit ultrahohen Sopran-Trompeten, die sich über Ventile halb- oder vierteltonweise verstellen lassen und Tubas und Posaunen und Trompeten und einer viel zu lauten Pauken- und Konzerttrommel-Sektion. Abgefahrenes Zeug, das sich (aus der Ferne) anhört wie von einem violinlastigen Symphonieorchester gespielt, die könnten eine Corrida [Stierkampfveranstaltung] ebensogut bespielen wie Filmmusik für eine Endzeit-Dystopie aufnehmen. Unfassbar gut und präzise und zugleich völlig unprätentiös (die Trompeter rauchen während sie ein paar Takte Pause haben; zwischen den Stücken (die Rhthmusgruppe hält den (Marsch-)Takt) checkt die Hälfte der Band die neuesten Handynachrichten). Strange und schön. Hab leider bisher nicht rausgekriegt, wie die sich nennen, scheinen ambitionierte Amateure zu sein. Guckst du: https://youtu.be/bfVerZX1XeM. Jedenfalls superschön am Abend. Z.B. beim Heimtrotten von einem heftig guten Abendessen (Krabben-Kroketten, (Meeresfrüchte-) gefüllter Squid mit Muscheln (Schalen zum Aufbewahren in Spülmittel einweichen!), Tarta de la abuela (Schokoladen-Keksbrei-Torte), Rotwein, Kaffee, Kognak. Hoffe, den Jungs geht’s ebenso gut, die mussten zehn Kilometer marschieren, um morgen ihren Blabla-Car nach Vila Real zu kriegen. Jam Session war also nicht, ebensowenig wie ich losgefahren bin. Ganz nach Lektion 21: Lieber eine zusätzliche Nacht im Hafen verbringen als einen Tag lang gegen widrigen Wind zu kreuzen … Morgen sehen wir weiter.

Manche lernen’s nie
Schiffsfriedhof in Sancti Petri

Sa., 29.10. Sancti Petri. Die Jungs sind weg, doch das Glück ist geblieben: Gestern Nacht den Versuch abgebrochen, gegen den Wind anzukreuzen. Der Club Nautico Sancti Petri (17 km südlich von Cádiz) liegt an [ist auf einem (gegen den Wind) fahrbaren Kurs direkt zu erreichen], nur am Ende, schon in der Landabdeckung, als Wind und Seegang sich beruhigen, zwei Meilen gegenan motort und in die lange Einfahrt um eine vorgelagerte Insel mit Festung und Leuchtfeuer herum eingebogen. Halb zwei Morgens per Funk die Marina und kurz darauf den Warteponton erreicht. Von der Gegenströmung (der Hafen liegt in einer Flussmündung) nichts gespürt, ich hatte sie im Rücken. Merkte ich erst später. Denn Club Nautico ist nicht die (danebenliegende) Marina (des Puerto Sancti Petri), sondern ein Muringbojenfeld. Der Marinero weist mich ein, übergibt mir die Muringleinen zur Boje. Und alles ist gut. Aufgedreht, erst um vier einschlafen können.
Nachtankunft – Morgenschön. Die vorgelagerte hügelige Sanddüneninsel mit der Festung sieht nach Nordsee aus. Die weißgetüchten hingeduckten Häuschen des Hafens mit Schmuckgiebeln und dunkelblau abgesetzten Kanten erinnern an die spanischen Missionsstationen an der kalifornischen Küste (El pueblo de Nuestra Señora la Reina de los Àngeles [geht noch weiter] – Nervt euch meine Schlaumeierei? Tja: einmal Lehrer – immer Lehrer, sorry). Und das Örtchen heißt auch so und ist wahrscheinlich auch aus derselben Zeit.

Sancti Petri: LIZ an Boje
Lady in Red

Elli mit der ungebrauchten, aber dreißig Jahre alten winzigen Fock (mein Sturmsegel), stierblutrotbraun und hochgeschnitten (hab ich für die Kanalüberfahrt geplant gehabt, weil man gut drunter durchgucken kann), mit zwei Reffs im Großsegel (haben die Jungs noch eingebunden). Rausgefahren, rauschend überholt von einem Sportsegler mit Code 0 [Zero, einem übergroßen fliegend [nicht am Stag] gesetzten Vorsegel]. Die haben mich praktisch stehen lassen. Draußen zeigt sich, dass ich exakt für den auffrischenden Wind besegelt bin. Die rotbraune Fock steht gut, mit nur einem Reff im Groß (mit Mühe ausgeschüttelt, Reffleinen übersehen) ist das Rigg ausgeglichen. Wenn die rote Fock innerhalb der Oberwanten geschotet ist [üblicherweise laufen die Schoten des Vorsegels außerhalb der Wanten], ist sogar Höhe zu machen. Allerdings knattert das Achterliek hart am Wind [„Kneifen“] brutal, versetzt das gesamte Rigg in übles Rütteln. Keine Freude. Trotzdem knüpple ich einen kompletten Segeltag gegenan bei Windstärke 5, in Böen 7 (laut Wetterbericht), Seegang 1, oft auch fast 2 Meter. Die gute alte Else steckt das tapfer weg, ein zähes Luder von alter Dame. Signore Giorgio steuert es klaglos aus wie ein hartgesottener Macho. Dennoch anstrengend für Mensch und Material. Manche (z.B. ich) lernen’s eben nie (Lektion 21/Regel 8: lieber zwei Tage im Hafen, als einen Tag gegenan). Das Schiff macht (jetzt noch) allerhöchstens 80° gegen den wahren Wind, nach Süden waren nicht mehr als 220° drin (bei wahrem Wind aus 140°), auf Gegenkurs sind es gerade mal 60° – wir fahren als sozusagen zurück auf Cádiz zu. War ohnehin schwer genug aus dem Hafen heraus, die lange Ausfahrt um die weit außen liegende letzte Tonne – den halben Nachmittag waren die hohen Pylonen der Hängebrücke zu sehen, bis sie gegen Abend endlich im Dunst verschwanden. Andererseits: Für Mensch … Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke, Seegang hoch aber handhabbar, idealer Segelwind – nur eben aus der falschen Richtung. Und wer leuchtet uns abends an der Boje zum Greifen nah heim: die zwei nachts signalrot illuminierten Pylone der Hängebrücke (auf die wir ein paar Nächte zuvor mit den Jungs schon mehr als vier Stunden unter Motor zugefahren sind). Die guck ich mit dem Arsch nicht an und auch Liz streckt ihnen nur das breite Hinterteil entgegen (Flut).

Heute früh die Marineros angefunkt, die einen sofort abholen vom Boot, geduscht, Kaffee getrunken, telefoniert. Und gleich auch noch Mittag gegessen, weil sie abends zumachen … Nachmittagsschläfchen.

Wochenendausflügler

Ewig langer Sandstrand, Kitesurfer, Windsurfer, ein Touristenbähnchen und eine ganze Reihe Fressbuden – Sancti Petri scheint eines der Naherholungsziele von Cádiz (oder von Chiclana de la Frontera, liegt gleich im Osten) zu sein. Immernoch Samstag, kurz vor Sonnenuntergang (hinter den Dünen der vorgelagerten Halbinsel). Wasser aus beiden Bilgen ausgetupft (zweieinhalb Eimer, ca. 18 l). Anscheinend macht die Lisbeth bei starkem Seegang Wasser (die Laufdecks waren gestern teilweise überspült). Tja, wenn man alte Damen richtig rannimmt, werden sie eben feucht. Sonst nicht. Motorbilge entölt bzw. damit angefangen. (Dort unten stehen sicher fast zwei Liter. Wo die herkommen? Keine Ahnung. Im Motor ist ausreichend Öl – gecheckt, zusammen mit Lukas (Maschinenbauer)). Zeitungen zerknüllt und reingetaucht. Aber nicht einmal zum Ölaufsaugen taugt die Frankfurter Allgemeine. Wahrscheinlich imprägniert (genau wie gegen fortschrittliches Gedankengut). Gennaker heißbereit zurechtgelegt, Schoten nach hinten gezogen, Kopf und Fuß oben im Sack (auf Deck festgezurrt) deponiert. Theoretisch kann ich das Ding direkt aus seinem (festgebundenen) Segelsack hissen. Probiere ich demnächst.

Isla Sancti Petri, Dinghy im Vordergrund; rüberrudern hab ich mich nicht getraut

Bacalao-Salat (mit Orangen) und Chipirones (frittierte Baby-Tintenfische, heißen hier aber Puntillitas und sind die örtliche Spezialität) gegessen, schon mittags, weil sie abends zumachen. Abends scheinen die Ausflügler nach Hause zu fahren.
Pläne: Morgen (Sonntag) das Dinghy klarmachen und einen Ausflug zur Insel mit der Festung – wenn die Flut es zulässt, die hier mit fast drei kn rein- und rausblubbert. Wir stehen in der Mündung eines langen Flusses, der hier auch noch Wasser aus einem ausgedehnten Naturschutzgebiet zieht. Frühestens Dienstag soll der Wind sich drehen, dann aber mehrere Tage lang nach Osten pusten. Plan: Auslaufen mit der höchsten Flut, und wenn es mitten in der Nacht ist. Endlich was gelernt zu haben hoffe ich. Jetzt ist blaue Stunde, der Mond halb oben, Leuchtturm und Bojen in der langen Einfahrt sind angesprungen, der Himmel in allen Pastelltönen taubengrau. Nur der Wind kommt aus der falschen Richtung. Und auf der anderen Seite strahlt die Brücke von Cádiz höhnisch rosig herüber.

20. Nach Cádiz

Am Ende haben die Jungs den Bogen dann doch noch überspannt (zu niedriges Gebot und dann auch noch Zeitdruck gemacht). Jedenfalls sind sie jetzt als Kontakt bei drei Engländern (Andy, Andrew und ein Berufstaucher irgendwo am anderen Ende der Welt) gesperrt. Tja, Fortuna ist eine launische Dame.

Spät am Nachmittag (die Nachtfahrt war geplant) in Guerreros de Rio losgemacht, den Guadiana mit der auslaufenden Ebbe hinab motort, unter der langgestreckten Hängebrücke hindurch, die mich von der Einfahrt in den Panama-Kanal träumen lässt (Telefonat mit Axel), im Dunkeln in Vila Real kurz angelegt, weil Lukas von einem (weiteren) Engländer eine gebrauchte Schwimmweste für Hund SlowMo versprochen bekommen hat, dann hinaus auf die Bucht von Cádiz. Zunächst mit frischem, aber wechselhaften Segelwind gut Fahrt gemacht, dann schläft er ein, wir dümpeln die halbe Nacht, in Julians Wache (00:00 bis 03:00) läuft so gut wie gar nichts, mit der Hydrovane ist er unzufrieden. Auch ich mache in meiner Wache (drei bis sechs) keine nennenswerte Fahrt (und dafür drei ungeplante Halsen). Lukas (sechs bis neun) schwärmt am Morgen vom »schönsten Sonnenaufgang meines Lebens« (er hat schon oft die Sonne aufgehen sehen) und macht Julian neidisch. Am Vormittag weht uns der Wind auf die Nase (von vorn), es geht nur nach Süden voran, wir wollen aber nach Südosten. Schließlich um 17:00 die (ausnehmend zuverlässige!) Maschine angeworfen und motort. Ein Ankerplatz mit vielen Frachtern zieht sich ewig, dann kommen Land und in der Abenddämmerung die Lichter der Großstadt in Sicht. Die Jungs sind begeistert von ihrer ersten Etappe über mehr als einen Tag, am Ende werden es über 30 Stunden, und nach wie vor wild entschlossen, ein Boot zu kaufen und die Atlantiküberquerung anzugehen. In Julians Telefonat mit seinem Vater (Zuschuss angefragt) und seiner Mutter (über die Gefahren beruhigt) höre ich meine milden Weisheiten mit Inbrunst und wortwörtlich zitiert als ewig gültige Wahrheiten wieder – für die Jungs bin ich der Segelgott. Hätten die vielen Zweifler Zuhause mal mitkriegen sollen.

Nachts um halb elf (die Einfahrt nach Cádiz zieht sich ewig) in der Marina Puerto America (gutes Omen für die Jungs, die einen Hitch auf die Kanaren auftun wollen) festgemacht, für uns (über Funk angekündigt) hat die Nachtwache das Marinabüro noch offen gehalten. Ich geh duschen und eine Flasche Wein aufmachen (nur halb geleert, wie Zuhause versprochen), die Jungs haben noch Energie für einen Gang ins Städtchen (SlowMo leeren) und einen Barbesuch.

Heute (Di., 25.10.) sind Reparaturen angesagt: Beim Beiliegen hab ich mir den UV-Schutz der Genua aufgeschlitzt, außerdem ist der Baumniederholer gebrochen. Zudem will ich endlich den Yankee (oder Flieger) aufziehen, den ich zu teuer gekauft, falsch umarbeiten lassen und noch nie gesetzt habe. Und die Jungs gehen selbstverständlich auf Bootssuche: Laut Internet stehen hierin Cádiz mehrere Yachten in ihrer Preisklasse zum Verkauf.

Càdiz hat eine mindestens so schöne Hängebrücke wie Vila Real: schlanke Pylonen, die mit geschlossenen Füßen ihre Knie spreizen, damit die Autos auf der Fahrbahn dazwischen hindurchfahren können. Großer Hafen, Industrie, Fähren ins Mittelmeer und auf die Kanaren, riesenhafte Kreuzfahrtschiffe (AIDA, TUI MEIN SCHIFF). Die Marina Puerto Amerika ist mitten im Hafengewusel, dabei super ruhig und günstig, mit allem, sogar WiFi (in der unmittelbarer Nähe des Büros).

Streunender Hund

Q:  »Woran erkennst du, dass Hippies zu Besuch waren?« –
A: »Weil sie immer noch da sind.«

(Witz, Julians Version)

A: »Weil ihre Hundehaare immer noch da sind.«

(Witz, meine Version)

… wirklich nur ein Witz, die Jungs haben vorbildlich saubergemacht. Also vor allem Lukas. Julian hat eher die Oberaufsicht geführt und intensive Boote gesucht (oder irgendwas anderes am Handy geregeltmacht).
Cádiz ist wunderschön, aber drei Nächte sind (mir) genug. Heute nachmittag weiter Richtung Barbate. Leider steht der Wind ungünstig, genau auf die Nase. Mal sehen, wie weit ich komme.

Knallharte Hippies mit Hund und Glückssträhne (nicht im Bild): Julian und Lukas auf dem Steg in Cádiz

Am Ende haben die Jungs doch wieder Glück gehabt, der Taucher hat sich noch einmal mit einem sehr akzeptablen Gegenangebot gemeldet. Lukas will ihn noch runterhandeln, aber eigentlich sollten sie sich leicht einig werden. Tja, knallharte Verhandler, diese Hippies … Ich glaubejedenfalls, dass ich die JASSEMINE und die Jungs in irgendeinem Hafen noch einmal treffen werde … Ihnen und ihrem Boot herzliche Glückwünsche, Mast- und Schotbruch und immer eine Handbreit … bzw. eine Faustbreit, wie Lukas sich ausdrücken würde (z.B. im Gästebuch)) – Allzeit gute Fahrt, JASSEMINE!

Heute früh tapste der Hund noch über das Achterdeck, habe ich im Halbschlaf mitbekommen. Als ich gegen halb neun losziehe, um Vorräte einzukaufen, ist nichts von SloMo zu sehen. Auf der Hafenpromenade, sicher einen halben Kilometer von der Marina entfernt, kommt er mir entgegen. Ich weise ihn an, sitzen zu bleiben und zu warten, bis ich zurückkomme, selbstverständlich macht er das nicht, sondern trottet mir hinterher. An der ersten Straßenüberquerung rennt er auf die Fahrbahn und hält den Verkehr auf. Von der Baustelle an der Plaza de España knote ich ein Stück Absperrband los und improvisiere daraus eine Leine. Alles geht gut, brav wartet er beim Frühstück im Straßencafé (eine Frau hat ihn schon früher am Morgen herumstreunen gesehen (»Tiene dueño?« – »Si, es el perro de un amigo.«)) Klar hat SloMo nicht nur ein Herrchen, sondern auch dessen Nummer um den Hals. Vor dem Supermarkt binde ich ihn wieder fest. Als ich eine halbe Stunde später herauskomme, ist er weg. Keine Spur von ihm.
Kaum zurück am Boot, bekommt Lukas einen Anruf: Wir haben deinen Hund gefunden! – Wenn das Glück dir hold ist, kämmt es dir eine Strähne. Jetzt ist SloMo wieder da und alles ist gut. Um zwei machen sich die drei auf den Weg, heute abend sind sie (beide Schlagzeuger) zu einer Jam session eingeladen. Wenn der Gegenwind nicht nachlässt, bleibe ich noch eine Nacht und hör mir das an.

Die EILISH im Puerto America in Cádiz

19. Ein Wunder von einem Abenteuer inmitten eines Abenteuers

Weltwunder, ganz bescheiden

Wolfgang Herrndorf Arbeit und Struktur. Auch beim Wiederlesen groß und bewegend. Schrecklich natürlich, dass einer erst sterbenskrank werden muss, bevor er zu einem produktiven (druckbedingt hastigeren, oberflächlicheren) Schreibtempo findet. Bestätigt natürlich das hoffentlich falsche Vorurteil, dass nur große persönliche Tragik große Kunst hervorzubringen imstande ist. Dass er Tschick schon unter dem Bewusstsein seines Todesurteils geschrieben/fertiggestellt hat, hatte ich schon wieder verdrängt.

Die ISOBEL (Bildmitte) in der Marina von Vila Real de Santo Antonio (Rio Guardiana)
Foto: unbekannter Drohnenpilot im Hafen

Sa., 22.10., Guerreros de Rio (Guadiana). Der Fluss bildet die Grenze zwischen Spanien und Portugal, wir sind auf der portugiesischen Seite, aber selbstverständlich hat das roaming-info meines Telefonanbieters eine SMS nach der anderen geschickt. Die Grenze zwischen den Ländern ist leicht zu erkennen. Portugiesische Seite: Olivenhaine, Pinien – Toskana. Spanische Seite: Bettenburgen, Ferienwohnungsblöcke, teils noch (seit Jahren) im Rohbau: Benidorm. Wir liegen an einem Schwimmsteg, nicht wie geplant an einer Muringboje oder vor Anker, alles einfacher, vor allem für Hund SlowMo („Slow Motion“). Lukas hat den Anleger gefahren, alles easy.
Überhaupt läuft es supergut mit den beiden, lieb und nett und rücksichtsvoll und superinteressiert. Wollen alles lernen, wollen alles selber machen. Herrliches Skipperleben: Ansagen absetzen, der Rest ist Entspannung.

Schöne junge Menschen vor schöner alter Landschaft: das muss wohl Glück sein.
Bittersüßer Tee

In Lagos war ich mit dem Weltumsegler des Nachbarbootes ins Gespräch gekommen. Erik, Schwede, hat zurzeit seine Frau an Bord, aber lange Strecken segelt sie nicht mit. Gerne teilt er seine Erfahrungen mit mir, zeigt mir sein Sturmsegel (allererste Qualität, 30 Jahre alt), das er gerne loswerden möchte, für einen Spottpreis, leider passt es nicht ans Babystag der Lizzy, schenkt mir wertvolle Bücher (Bootsreparaturen (auf schwedisch), Atlantikinseln, Atlantikkarte) und erklärt sich bereit, mich in die tieferen Ebenen von Navionics einzuführen, das er selbst auch benutzt. Ich lade ihn auf einen Tee zu mir herüber ein. Er nimmt Zucker. Ich reiche ihm das ehemalige Marmeladenglas mit dem braunen Pulver. Was das sei? – Ich: Brauner Zucker, trinken die jungen Leute heutzutage, schmeckt malziger, aber gut. Erik ist einverstanden. Über Navionics lerne ich Aufschlussreiches, Gezeiten- und Satellitendarstellung bei hoher Auflösung. Nur seinen Tee trinkt er irgendwie nicht. Als wir durch sind (Ich: Will er seinen Tee mitnehmen?) würgt er ihn (wie ich jetzt weiß) dankend hinunter: Ich hab die Gläschen verwechselt und ihm Nesquik angeboten. Erik, falls du das liest: Es tut mir schrecklich leid. Und ist mir peinlich. Wieder einmal bewahrheitet sich Regel 8: Arroganz (»Das trinkt man heutzutage so!«) ist die Wurzel allen Übels.

Tatsächlich am Dienstag (18.10.) abends noch Julian und Lukas an Bord genommen, Sicherheitseinweisung, Kojenzuteilung, Betten überziehen etc. Julian kocht Salat und Nudeln mit Tomatensoße (mit Gemüse aufgepeppt). Mittwoch Morgen (Mittag) los. Die Jungs sind nicht nur süß, sondern total geflasht – für die geht ein Traum in Erfüllung. Video? Guckst du: Ab Lagos https://youtu.be/HO4AZqRm8V8

Und irgendwie ist dieser jugendliche Enthusiasmus auch ansteckend. Die Sandsteinfelsen an der Punta de Piedade bei der Ausfahrt noch einmal aus der Nähe fotografiert (den Touristen oben auf den Felsen zugewunken (zugejubelt: »Alegría!«) und ihren (imaginierten) Neid genossen. Dann ab Richtung Vilamoura. Entspannter Segeltag, ordentlich Wellen, guter Wind, lebhafter Halbwindkurs. Die Jungs schwärmen und bedanken sich bei mir gefühlt jede halbe Stunde (und wollen mich abends drücken, ist inzwischen fast schon Ritual geworden). Vilamoura ist ein Retortenressort, Luxusmotoryachten am besten Pier, wir weiter hinten auf den billigen Plätzen (und unsere Zugangskarte passt auch nur auf unseren Pier – ausgefuchst). Riesenhotel (Tivoli) in der Einfahrt, Hafen gesäumt von Fressbuden aller Nationalitäten. Aber vor allem Engländer. Riesenpavillon am Strand, Sektempfang, Dinner am Pool, schöngemachte Menschen in leichten Kleidchen, mit Blumen im Haar: Height Ashbury (San Franzisko 1969) für pauschal (Bus vom Flughafen, am Eingang warten schon die Kellner mit den gefüllten Tabletts). Dennoch einen Tag geblieben: Es schüttet wie aus Kübeln, keine Besserung in Sicht. Schreib- und Videoschnitt-Tag. Freitag einigermaßen früh (10:30h) wieder los, ewig lang auf die Landzunge vor Faro zugefahren, danach Gennaker rausgeholt und auch die Sonne zeigt sich kurz: die Jungs im Glück (und mir geht’s auch gut).

Julian and Jenny have fun

Die Strecke ist zu lang geplant, wir kommen in die Dunkelheit (finden die Jungs spannend, sind andererseits super motiviert und checken alles, ich kann mich sogar ein Stündchen hinlegen!), die anvisierten Koordinaten vor der Einfahrt nach Vila Real de Santo António erreichen wir um halb zwölf in der Nacht. Flussmündung des Rio Guardiana nicht ganz übersichtlich und nicht eng betonnt. Vor der Einfahrt in die Stadtmarina steht die Tidenströmung stark, aber alles geht gut. Halb eins sind wir da, der Papa geht schlafen, die Kids treiben sich noch bis vier Uhr in der Früh im Städtchen herum.

Heute (Sa., 22.10.) steht der Wind exakt in den Fluss hinein (und hinauf), also segeln wir, nur unter Genua, betörend schön und entspannt, den Guadiana hinauf und machen am Steg fest, den uns der freundliche Engländer (und Hundebesitzer: Kunstrasen als Pissplatz) und Nachbar am Steg in Vila Real empfohlen hat. Kaffee direkt am Anleger, Bar del Rio, die auch extrazuverlässiges WiFi hat.

Vila Real de Santo Antonio. Die LISBETH liegt ganz unten am äußeren Steg.

Wieder ein wunderschöner Tag, wieder umarmen wir uns, weil die Jungs ihr Glück nicht fassen können (sich andererseits als Glücksbringer anbieten und verkaufen wollen – tatsächlich haben sie den Charme, die Ausstrahlung und das Selbstbewusstsein dazu). 

Jeder Tag ein Abenteuer

… wird (vielleicht) der Titel des Reiseberichts, den Julian schreibt. Seine Erlebnisse zu notieren hatte er sich schön länger vorgenommen und hat hier auf der Liz angefangen zu schreiben …
Tatsächlich haben die beiden mit ihren 24 bzw. 25 Jahren schon viel zu erzählen. Julian (Typ Jonny Depp), Zimmermann, war ein paar Monate auf La Gomera und ein Jahr in Australien auf der Walz bzw. hat work&travel gemacht (und im Unterschied zu vielen anderen tatsächlich als Zimmermann gearbeitet), ist viel in Europa herumgereist und jetzt seit mehreren Monaten unterwegs. Lukas (Bilderbuch-Freak, blonde Locks bis zur Brust, leuchtend graue Augen, Zauselbart, sehnig und großgewachsen), Maschinenbauer, hat schon als Schüler angefangen, Oldtimer (Autos und Motorräder) zu restaurieren und sich damit finanziert, auch eine größere Werkstatt betrieben. Mit seinem VW-Bully ist er ab Genua die Südküste Europas entlanggefahren, hat jeden Strand abgeklappert und ist schließlich in Portugal auf dem Campo (Pampa) auf einem eigenen Stück Land inkl. selbstgebautem Haus und Lehm-Iglu (mit Waschmaschinentüren als Fenster) gelandet (sesshaft ist er nicht geworden). Seinen (ersten) Jugendtraum, einen 1956er Magirus-Deutz Laster mit Kastenaufbau („Grummel“) hat er sich bereits erfüllt und war damit unterwegs bis in Marokko.

Er ist nach der Schulzeit und (abgekürztem) Militärdienst (Lastwagenführerschein!) seit mehreren Jahren unterwegs. Die beiden sehen sich, völlig nachvollziehbar, als Glückspilze und auch Glücksbringer – bis jetzt kann ich das nur bestätigen.

Gestern (Sa, 22.10.), nachdem wir den Guadiana mit perfektem Wind und schiebendem Tidenstrom heraufgesegelt sind, 10 Meilen ins Land hinein auch endlich die vielen Yachten gesehen haben, die hier vor Anker oder Muringbojen liegen sollen (ich bin aus sentimentalen Gründen hier, weil ich den Ort sehen wollte, an dem ich beinahe meine erste Moody erstanden hätte (Danke Nacho, Danke Perico)), gestern jedenfalls, wir liegen an einem Steg mit nettem Hafencafé (Guerreros de Rio) und haben den Nachmittag frei, der fiese Platzregen hat sich zum Glück verzogen, übt im Dorf einer lautstark Dudelsack. Muss sicher ein Schotte sein, wie der Typ mit dem ich vor zwei Jahren über die Moody verhandelt habe – am Telefon, hab ihn nie kennengelernt.
Kaum zwei Stunden später, ich sitze hinten unten in der Achterkabine und tippe, da werden die Jungs von einem Mann angesprochen (»Ist das nicht eine Moody 37?«) und in ein Gespräch gezogen. Er ist der Mann mit dem Dudelsack, der Schotte. Aufgescheucht klettere ich aus meinem Kabuff: kennt er nicht etwa (»Schotten kennen sich doch!«) Scot, den anderen Schotten, der hier irgendwo leben muss? Er kennt einen Scot, weiß dessen Nachnamen aber nicht. Wäre wohl auch ein Zufall zuviel gewesen. Lukas war gerade dabei, nach Yachten zu googeln, die zu verkaufen sind und findet auf Apollo Duck tatsächlich ein Boot (JASSEMINE), das wir kurz zuvor im Fluss verankert umkreist und bewundert haben. Komplett ausgerüstet für die Langfahrt und gar nicht unerschwinglich. Aufgeregte SMS-Kontaktaufnahme. Tatsächlich, der Besitzer antwortet, ist zwar nicht im Land, aber ein Freund von ihm schon … long story short: heute vormittag haben die Jungs einen Besichtigungstermin mit klaren Anweisungen („no starting the engine, no hoisting the sails„) auf dem zum Verkauf stehenden Boot, das sie sich sogar leisten könnten! Der Freund, der uns (ich bin eingeladen, mitzubesichtigen) gleich abholen wird, ist … der dudelsackdudelnde Schotte! Wer auch sonst, wenn Julian und Lukas ihre magischen Glückfinger im Spiel haben? – Nach vier Tagen Segeln (auf der Elli) und sieben Tage, nachdem sie ihren Traum (über den Atlantik und in die Karibik) zum ersten Mal angesprochen haben. Wie als Krönung ihrer Erlebnisse: zehn Tagen zuvor in Sines gestartet, innerhalb von fünf Minuten (am Hafen) einen Hitch nach Sagres (Mitsegeln auf dem Boot eines Holländers) klargemacht, (nach Lagos zu Fuß gewandert) und dort, fünf Minuten nach ihrer Ankunft, mich reinfahren sehen und angesprochen. Si non é vero, é buon trovato! [Falls es (die Geschichte) nicht wahr ist, ist sie gut erfunden]. Und jetzt also sogar das eigene Boot in Griffweite – nicht zu fassen!

Der Dudelsackschotte war es am Ende doch nicht, der um zehn an den Steg kam und sein Dinghy ausschöpfte, sondern ein anderer Andy (der allerdings meinen Scot kannte und versprach, ihm Grüße auszurichten). Die Yacht JASSEMINE besichtigt (fünfzig Jahre alt, komplett ausgerüstet (ist schon um die Welt gesegelt), gut in Schuss, aber vor allem: riecht (im Inneren) gut). Die Jungs sind in Verkaufsverhandlungen und haben bereits ein Gegenangebot gemacht. Wahnsinn. Mit Paula telefoniert. Jetzt noch Strecke für heute Nachmittag abchecken, Vorleine betakeln, Bilge ausschöpfen (Milch ausgelaufen). Um vier soll es losgehen, Richtung Cadiz.

18. Ab Oeiras

Morgenröte Lissabon
Vasco da Gama

Der Entdecker des Seewegs nach Indien ist in Sines [„Síndsh“] allgegenwärtig. Nach ihm ist der halbmondförmige Sandstrand im süßen Stadthafen (heute von riesigen Industriekais und Wellenbrechern umbaut) benannt, in dem auch die Marina liegt, darüber die Festung, in der sein Vater Bürgermeister war, daneben die Kirche, in der er mit elf oder zwölf seine erste Tonsur geschoren bekommen hat, das Stadthäuschen, in dem er (vielleicht) geboren worden ist – die Tourismusbroschüre erspart uns kein Detail. Gibt allerdings Schlimmeres, als überall an einen der Helden des Zeitalters der Entdeckungen (heute eher: der Beginn der Kolonialisierung(en) – das Abschaffen der individuellen Sklaverei lässt sich leicht verschmerzen, wenn man (die Europäer) es vermocht hat, sich ganze Volkswirtschaften zur Ausbeutung bereitzuschießen) im 15./16. Jahrhundert erinnert zu werden. Dass die großen Entdecker Hazardeure waren, Glücksritter und Hochstapler, verkrachte Existenzen, die in ihrem bürgerlichen Leben nicht zurechtkamen, steht auf einem anderen Blatt (und nicht so deutlich in den Geschichtsbüchern). Aber wie schon Barr (Justizminister unter Trump) zitierte (ich weiß nicht, wen): »Geschichte wird von den Siegern geschrieben.«

Alles Vasco oder was? Festung, Kirche, Sandstrand (v.r.n.l.), neue Großschot

Auf allen Bildern wird da Gama mit strammen Waden dargestellt (ungewöhnlich für einen Seefahrer!) Wer (wie ich heute zweimal) die steilen Treppen vom Meer zur Festung hochgestiegen ist, kennt den Grund.
Wie immer nach Nachtankunft (Sa., 15.10., 02:00h) ist am nächsten Morgen das Städtchen strahlend schön. Leon, du hast wieder mal Recht gehabt: sobald du abgeflogen warst, hat hier das Wetter auf Sommer zurückgeschaltet, blitzeblauer Himmel, leichter perfekter Segelwind.

Kreuzfahrtschiff am Morgen – zu spät für den Sonnenaufgang über Lisboa

Am Freitag (14.10.) morgens in Oeiras (bei Lissabon) abgelegt, der enge Liegeplatz, nur rückwärts gegen Seitenwind zu verlassen, hat mir unnötig Sorgen gemacht: alles lief gut. Draußen, ich hab eine Strecke von 53 nm vor mir, schlief erst einmal der Wind ein. Hab ich ausgesessen, auch die Motorsegler ignoriert, die mich überholt haben. Eine Stunde später setzt Segelwind ein, erst aus NW, dann aus NE: perfekt. Nach dem Kap Espichel auf Kurs SE gewechselt, der Wind kommt mit Bf 4 genau von hinten, Schmetterling [Groß- und Vorsegel stehen in unterschiedliche Richtungen quer, soll schick aussehen]! Georgieboy (ab heute: Signore Giorgio) steuert den Schmetterling tadellos aus, mehr als sechs Stunden, bis in die Nacht, bis zu fast 5 kn, ab und zu fällt das Vorsegel ein, aber mit mir am Steuer wär das noch viel öfter passiert – ein Traum. So ausgeglichen ist die Fahrt, dass ich (essen und) Kartoffeln kochen und -salat daraus machen kann. Nicht so lecker wie bei Muttern, aber dennoch ein Stück Heimat. Dann zieht sich die Strecke, inzwischen wird sie vom Navi mit 83 nm angegeben, bin ich Umwege gefahren? Ausgerechnet nach Mitternacht, das Ziel ist nur noch weniger als 10 Meilen entfernt, frischt der Wind auf, die gute Elli braust mit 5 kn drauflos. Kann ich nur nicht mehr genießen, weil ich mich jetzt auf die Ankunft vorbereiten muss (Leinen und Fender raus, Hydrovane-Ruder einziehen, Marina anfunken). Um halb zwei am Morgen ist das Marinabüro nicht mehr besetzt, also alleine in den Hafen geschlichen und den erstbesten Liegeplatz angesteuert. Erleichterung. Ich war noch nicht wieder auf Nachtfahrten eingestellt und hatte tagsüber zu wenig geschlafen, war anstrengend (auch danach wieder runterzukommen).

Kartoffelsalat zum Frühstück

Heute Morgen (für mich: Mittag) angemeldet, die lächerlich niedrigen (18€) Gebühren bezahlt, geduscht, Wäsche gewaschen, eingekauft. Dazu im Städtchen (gegenüber der Festung, s.o.) portugiesisches Süßgebäck (Blätterteig, Buttercremefüllung) und einen kleinen Kaffee für 0,85€ (!!) genossen. Paradies. Jetzt Filme schneiden, ausruhen, Abendessen, Wetter für morgen checken. Viel schlafen.
Adega de Sines heißt der Originalportugiese, geführt von zwei tattrigen Alten (auf die alle warten müssen), gibt keinen Fisch mehr, nur Hühnchen, Pommes, Salat, Pudding des Hauses (span. Eierpudding). Ben gegenüber am Tisch, 25, Kalifornier, hat den Jakobsweg gepilgert und wandert jetzt von Lissabon die Küste hinab, teilweise am Sandstrand. Und will mit über den Atlantik: Nummern ausgetauscht. À propos: In Oeiras hab ich eine der Nummern von einem Aushangzettel antelefoniert, eine Ina, die schrecklich jung klang auf ihrer Mailbox. Einen Tag später ruft sie zurück, studiert jetzt, gerade angefangen, ihr Freund ist surfen in Südfrankreich, aber nett, dass ich mich gemeldet hab, blabla: Schuss inn‘ Ofen. Kann man vergessen, die Aushänge (in Lagos hängt derselbe, längst nicht mehr aktuelle Aushang).

Seven Sisters

… oder Zwölf Apostel oder so ähnlich hießen in jedem anderen Land der Welt die bizarr-wunderschönen ausgespülten Höhlen und Bögen, einzeln stehenden Felsen und Sandsteinskulpturen an der Einfahrt nach Lagos. Und wären Weltwunder. Hier ist zumindest eine ansehnliche Flotte von Touristenbooten unterwegs, um die Höhlen anzugucken und auch sonst jede erdenkliche Art von Vergnügen zu bieten (Flöße nachschleppen, Trampolins, Delfine gucken, Mittagessen). In einem Wort: Lagos ist wunderschön, teuer und komplett überlaufen. Aber angenehm. Gestern (Montag, 17.10.) abends noch mit zwei Travellern, Lukas und Julian, Bier trinken gewesen, an der Plaza (Praca), Live-Musik von hochprofessionellen Straßenmusikanten, begeistertes Publikum, das mitgeht und tanzt (oder wenigstens wippt). Superschön. Julian und Lukas (und Hund Slo-Mo) wollen vielleicht eine Strecke mitsegeln.

Punta de Piedade (vor Lagos)

Am So. (16.10.) mittags in Sines losgemacht, nachmittags regnet es, dafür weht so gut wie kein Wind, mit 1,5kn schleichen die Lisbeth und ich nach Süden.

Quizfrage: Warum ist die Situation im Bild nicht bedrohlich?
A) Es regnet, kann also nichts anbrennen;
B) Das nächste Land, die Küste ist ja ganz in der Nähe;
C) Das Foto ist doch mit Teleobjektiv aufgenommen;
D) Zwischen uns und dem Frachter sind ja noch die Salonscheibe und irgendein Seil.
Richtige Antwort: E) Der Frachter hat keine Bugwelle, er liegt vor Anker (im Bild nicht zu erkennen)

Sonnenuntergang okay, ich finde zurück in die single-handed-Routine, schlafe immer wieder zwischendurch, esse zweimal warm (Ratatouille und Reis) um 18:00 und Mitternacht. Um zehn war schon einmal das Leuchtfeuer des Cabo de São Vicente zu sehen, des südwestlichsten Punkts Portugals (und Europas?), verschwand dann aber wieder im Dunst (der nachts nicht zu sehen ist). Später geht der Halbmond strahlend auf und die Lichter der Küste funkeln anziehend; leider ziehen sie nicht so flott vorbei, wie ich wünschte. Um halb drei in der Früh rauscht die Lizzy vielversprechend (4,5 kn)dahin, misstrauisch stehe ich auf und richtig: Sie (bzw. der Wind) hat auf 245° gedreht und fährt Richtung Kanaren. Sehr schön, nur für mich zu früh. Dann schläft der Wind wieder ein bzw. scheint aus allen Richtungen zu wehen. Im Dunkeln schaffe ich es nicht, einen neuen Kurs zu finden. Sobald es (gegen halb acht) hell wird, ist das kein Problem. Kommen allerdings wieder nur 1,5 kn raus. D.h. für die vierzig Meilen bis zum Ziel müsste ich auch noch die folgende Nacht durchsegeln. Hab ich keine Lust zu, denke ich an Leon (»bringt doch nichts«) und werfe die Mühle an. Richtige Entscheidung im Rückblick. Zwar werde ich am Abend fast neun Stunden motort haben, aber Mittags runde ich das Kap im Sonnenschein (zusammen mit einem Dreimaster, der BLUE SKY aus GB).

Doppelt so lang, dreimal so viel Masten, aber auch nicht viel schneller: Blue Sky
Kaum zu sehen: Nebelbänke

Zwei Stunden später bei Sagres ist eine Nebelbank so dicht, dass ich keine 100m weit sehen kann (und froh bin, mit der Maschine stur Kurs halten zu können). Andererseits ist der Nebel nur ganz flach: von oben scheint die Sonne durch die Suppe!
Dann bleiben die Nebelbänke zurück und die sagenhaft schöne Einfahrt nach Lagos liegt in der leuchtend orangen Nachmittagssonne. Halb sieben fest am Besucherkai der Marina, wo mir zwei Freaks (Dreadlocks, barfuß, Hund) schon mit einem selbstgemalten Schild („Canaries“) zuwinken. Und alles ist gut.

Weltwunder, ganz bescheiden