6. Zielgerade

Die letzten Wochen vor Abfahrt. Entspannt ist anders.

Name neu, Deck unaufgeräumt

Huch, die letzte Woche ist schon angebrochen. Vergangene Woche hab ich drei Tage am Boot gearbeitet (Luken ausgebaut, Einfassungen gespachtelt, epoxiert, geschliffen, lackiert), vorletzte Woche war ich offline, segeln auf der Anemoi, Lübeck-Rostock-Lübeck. (Gucken? Klickst du hier: Lübeck-Rostock-Lübeck

Vorvorgestern Gartenparty. Die Großzügigkeit der GästInnenspenden hat die Rettungsinsel der Elizabeth fast vollständig finanziert! Morgen früh fahre ich zum letzten Mal nach de Heen. Am Samstag kommt Paula, mitgebracht von Freunden, und nimmt das Auto mit zurück.

Doro (plant mitzufahren von Portsmouth nach La Coruña) ist inzwischen zwei (!) Mal mehrere Tage mit in Holland gewesen, zusammen haben wir die Bolzen an den Fundamenten der Windsteueranlage nachgezogen und den Rest der Anlage installiert. Außerdem hat sie mich in die besten holländischen Geschäfte für Haushaltswaren (Hema) und Bastlerbedarf (Kruswijs) geführt. Und Holzarbeiten erledigt. Und das komplette Schiff von innen und außen geschrubbt. Ist sehr schön geworden. Außerdem sind wir mit den neu aufgeklebten neuen Namen rausgefahren und haben drei Runden gedreht, damit die alte Schlange (alter Name) verwirrt wird und sich abhängen lässt und sich nicht mit der neuen Schlange (neuer Name) streitet, die stets hinter einem Schiff herschwimmt. (Weisheiten von White Spot Pirates, stammen von irgendwelchen Karibik-Ureinwohner-Seefahrern.)

Zwei Wochen später sollten endlich die neuen Fenster für Salon und Achterkabine kommen. War aber nix (ließen sich nicht aus den Rahmen schneiden, von mir sowieso nicht, aufgegeben nach einem halben Tag, aber auch nicht von Freddy, Bootsmechaniker par excellence). Gab also keine Arbeit für Doro und mich. Also komplett neue Scheiben bestellt, die hoffentlich bis morgen, 4. Mai da sind. Doro hat außerdem die alten Luken auf Salon und Vorschiff wieder eingebaut. War eine Nachtschicht bis 23:00, weil der Bootslack bei der Kälte superlangsam getrocknet war. Außerdem hat sie sämtliche (sechs) Teak-Handläufe am Deck geschliffen und geölt. Bis auf ein paar Risse sehen sie aus wie neu.

Hart arbeiten bei bester Laune: Doro am Schleifen

Äußerlich geht es der alten Tante Else also blendend. Was auch gut ist, weil: Am 8. Mai ist Abfahrt, das ist von heute ab in fünf Tagen. Langsam schlägt das Reisefieber durch. Oder mein Zittern kommt vom Schiss vor der Reise, der sich zunehmend einstellt. Optisch jedenfalls ist die Elizabeth bereit.

Schöne Schiffe … (… liegen weiter draußen in der Marina)
Hier fehlen noch schöne Fenster.

Morgen früh muss ich ein neues (gebrauchtes) kleineres Vorsegel (Flieger oder auch Yankee [das sind Segel mit hochgeschnittenem Unterliek („hohem Hals“), sie bilden also ein schmaleres, weiter oben auslaufendes Vorsegeldreieck] von der Segelmacherin abholen. Und dann schwer hoffen, dass die neuen Fenster angekommen sind. Drückt mir die Daumen!

»Wenn nicht, fährst du eben ohne Fenster.«

Freddy, Mechaniker (mit schlechtem Gewissen, weil er meinen Auftrag vierzehn Tage lang nicht weitergegeben hat)

Am Mittwoch, 4. Mai, nachmittags halb drei in de Heen angekommen (vorher in Voerde das (auf alt designte – rostrotbraun) gebrauchte (für mich neue), kleinere Vorsegel abgeholt), Elsa (Frau von Freddy) arbeitet am blauen Schiff: gute Nachrichten – die neuen Fenster sind da. Und einen Helfer weiß sie auch gleich: ihren Stiefsohn Richard, Anfang dreissig, lebt im Hafen auf einer Friendship [berühmte Yachtmarke] 28, ich hab das Boot und seinen Bewohner die ganzen Wintermonate über in der Marina gesehen, er hatte einen Ofen am Laufen. Halbverkrachte Existenz, „between jobs„, aber supernett. Und vor allem: Richard hat Zeit. Donnerstag Vormittag die Fensterverklebungen entfernt, Gaffertape geht superscheiße ab, vor allem das billige, das sich beim Abziehen auch noch auflöst (hat aber unweinerlich Spaß gemacht). Verdünnung und Waschbenzin helfen gleich schlecht. Donnerstag abend nach Osterhout gefahren (dreiviertelstunde Autobahn), um Muttern und Hutmuttern beim Großhändler abzuholen, der sie freundlicherweise abends mit in seine Privatwohnung genommen hat.

Pünktlich wie die Uhr kommt Richard am nächsten Tag um zwölf, wie vereinbart. Allerdings hat er eine alte Knieverletzung (Mopedunfall als Jugendlicher) und kann nur im Stehen arbeiten. Er dreht also im Bootsinneren die Muttern auf die Schrauben, ich bohre von außen die Löcher und stecke die Bolzen durch (116 Stück, Elsa hat abgezählt, weil jede der (zusätzlichen, optisch gefälligeren) Hutmuttern 55 Cent kostet. Elsa kommt mehrmals an diesem Nachmittag und kontrolliert unsere Arbeit (und Richard?). Einmal eine Scheibe zu hoch eingesetzt, ein Dutzend Löcher an der falschen Stelle gebohrt, es aber erst gemerkt, als der Bohrer beim dreizehnten Loch ins Leere ploppte. Löcher geflickt (mit Freddys Zaubersilikon, das sogar unter Wasser kleben soll [Notiz für Notfälle (Elsa:) Bei Loch im Rumpf die Seite einer Plastiktüte wild und dick mit dem grauen Zaubersilikon beschmieren, unters Boot und zum Leck tauchen, die halbe Plastiktüte mit dem Schmodder gegen die Bordwand drücken (das Zeug bindet auch unter Wasser!). Auftauchen, bevor die Luft ausgeht … und ab in den nächsten Hafen. Hoffe, dass es dazu niemals kommt. Bzw.: Das wird superspannend, wenn ich das zum ersten Mal probieren darf.] Vor allem aber: die neuen Scheiben sind ein Traum, rauchgrau, von außen undurchsichtig (außer man macht Licht im Inneren), von innen, da nagelneu, klar. als wären sie nicht eingebaut. Super Aussicht, superfreundliches Licht im Schiff, super Arbeit von Richard. (Hat allerdings bis abends um sieben gedauert, Elsa kam, half mit, die letzten Schrauben einzusetzen, überwachte das Anziehen (muss genug Druck drauf sein, um das Quetschband zu komprimieren, damit es dichtet, darf nicht zu viel Druck sein, weil sonst die Acrylscheiben zu reißen drohen). Donnerstagnacht total erschöpft in die Koje gefallen (aber die neuen Scheiben lassen romantisch das Mondlicht durch – traumhaft schön!).

Freitag den ganzen Vormittag wie wild aufgeräumt, Kleinigkeiten erledigt (Vorhangschienen gesäubert und wieder montiert), Hotelschlüssel in Steenbergen abgeholt, Kleinzeug im Baumarkt und Gemüse fürs Abendessen gekauft – abends wird hoher Besuch kommen: Susan und Andrzej bringen Cornelia (Mitseglerin bis Portsmouth [oder so]) und Paula mit, am Samstag wollen auch Axel und Petra kommen. Apero im Cockpit bei Sonnenuntergang, Diner zu fünft am großen Salontisch. Sehr befriedigend (nur versalzen). »Ist aber ziemliches Tohuwabohu aufm Schiff …« (, sagt Paula, nachdem ich einen halben Tag wie ein Wilder aufgeräumt hatte.) Außerdem ist seit Donnerstag nachmittag die Landstromversorgung ausgefallen, elektrische Geräte und vor allem der Batterielader funktionieren nicht mehr. Ziemlicher Alarm. Positionslichter im Bug gehen seit Herbst nicht mehr, haben aber beim Kauf des Bootes funktioniert. »So kannst du aber auf keinen Fall losfahren!« Hat Paula natürlich Recht. Aber verschieben mag ich auch nicht.

Samstag vormittag bunkern Andrzej und Susan Wasser bis zum Rand (ich will ausprobieren, wie die Elizabeth unter voller Beladung im Wasser liegt), Paula hängt Vorhänge auf, verlegt Teppichboden in der Achterkabine, nachmittags schraubt Andrzej zwei Adapter (Camping- gegen Schuko) zusammen, weil ich Landstrom derzeit nur über ein (geliehenes) Kabel provisorisch kriegen kann. Um zehn hält der Lieferwagen von Charles, Elektriker des Vertrauens am Kai, ich haue ihn sofort an, »It’s kind of an emergency!«, er schaut sich den Kabelsalat meiner 220-Volt-Anlage an, findet ein durchgeschmortes Kabel, »you can’t leave it like this!«, und knipst kurzerhand das Hauptzuführungskabel ab – zu gefährlich, das so zu lassen, muss ein Bootselektriker dran, Charles (behauptet, er) sieht sofort, wenn ein Haus- oder Auto-Elektriker am Boot gewerkelt hat. Er selbst kann nicht helfen, weil er super im Stress ist, Jobs ohne Ende. Vielleicht im Sommer, in Spanien, da muss er sowieso hin, eine Yacht zur Überführung abholen …

Dann kommt Paula aus der Achterkabine, findet heraus, das Charles mehrere Jahre in Spanien gelebt hat, die beiden parlieren Castellano, irgendwie hat Charles plötzlich doch Muße für einen Plausch … Außerdem sieht er spektakulär aus (findet Paula). Ich stehe jedenfalls komplett ohne Landstrom da.

Nachmittags gehen Cornelia und ich zum Großeinkauf in den Supermarkt, ziehen auch das Vorsegel auf.

Später am Nachmittag kommt Axel, findet nach einer Viertelstunde den Fehler (bei der Steckdose außen am Schiff ist das Nulleiter-Kabel aus der Lüsterklemme gerutscht, dauert ca. 10 Sekunden, das zu reparieren (und eine Viertelstunde, wieder alles zusammenzubauen)). Dann hätte alles wieder funktioniert. Nur: ist ja abgeknipst. Nachmittags legt Axel neue Leitungen (mit dem richtigen, dickeren Querschnitt) und mein Landstrom funktioniert wieder! Außerdem findet er nicht, dass die von Charles abgeknipsten Kabelenden und Lüsterklemmen verschmort aussehen … Aber superhübsch (wenn man auf den südländischen Typ steht) und extrem selbstbewusst ist der Elektriker auf jeden Fall.

Abends geschieht noch das zweite Wunder: Axel und Andrzej finden den Wackelkontakt in der Leitung zur Bug-Positionslampe, Andrzej setzt eine neue LED-Birne ein – meine Navigationslichter funktionieren wieder! Heller als je!! Wunder über Wunder!!! Und pünktlich zum Abendessen im Pfannkuchenhaus gegenüber der Marina waren wir auch.

Sonntag bin ich um zwei mit der Hafenmeisterin verabredet, Parkkarte abgeben und Kaution dafür zurückbekommen. Klingt nach Stress, stellt sich aber als machbar heraus, weil alle super mithelfen. Cornelia und ich ziehen das Großsegel hoch, unten den fachfrauischen Kommentaren der Gäste am Kai, Axel verräumt Ausrüstung in der Backskiste und befestigt den Wasserkanister, irgendwie ist im 13:00 alles erledigt. Bei der Abfahrt, pünktlich wie die Eisenbahn (früher vielleicht einmal war), sind fünf Handykameras auf die Elizabeth, Cornelia und mich gerichtet. 8. Mai 2022, 14:04h Abfahrt von de Heen. Abfahrt