36. Das erste Jahr

Eindrücke vom Schmetterlingssegeln

Curaçao, Mo., 24.04. Filmen ist gar nicht so einfach. Muss ich bei André Abbitte leisten. Gestern war ich nämlich Schnorcheln und GoProFilmen am Jeremi Beach, Empfehlung u. a. von Melisa, der guten Fee im Büro der Curaçao Marina. Gordon und Louise vom Nachbarboot hatten einen Wagen gemietet und mich bis zur Busstation in Otrabanda mitgenommen. Dort Kreuzfahrtschiff gecheckt, Norwegian Cruising Line klang vielversprechend. Aber sie fahren nicht nach Europa, nur zurück in die Staaten; gefrühstückt und auf den Bus E3 gewartet. Dann Riesenstau, ganz Curaçao hatte augenscheinlich die gleiche Idee: anderthalb Stunden für knapp über 30 km; Riesenfloats, Sattelschlepper mit ausgebauter Ladefläche, gigantischer PA und teilweise sogar die Bands an Bord, fahren selbstverständlich nur Schritttempo. Irgendwo unterwegs findet am Abend eine Riesenparty statt. Traveller im Bus: nippen am Haschisch-Aufguss aus goldglänzendem Trinkbecher, der zwischen ihnen rumgeht. Ausstieg (»Bushalte« heißen die Busstopps auf Curaçao) fast verpasst. Jeremi Beach ist schön, aber nicht atemberaubend. Auf den Felsen im Norden wird gerade eine Ferienhauskolonie entwickelt, gebaut, vermarktet. Am Strand schwimmen verendete Fischchen (4 cm) schulenweis und verfaulen auf dem Sand. »Wenn es dort drüben auch so stinkt, fahren wir an einen anderen Strand!«, unverkennbar eine genervte Münchnerin. (Ein Strand südlich, in Lagun, wo Gordon und Louise waren, herrschte das gleiche Bild, hab ich heute erfahren).

Jedenfalls: Schnorchelsachen ausgepackt, Proberunde geschwommen. Flossen und Schnorchel funktionieren gut, Brille kannte ich schon. Fische von armlang bis winzig, auch die wogenden Rhabarberblätter. Vor allem aber: die 4cm-Winzlinge schwimmen in ausladenden Schwärmen, die zwar nachgeben, aber nicht wirklich ausweichen. Kann man durchschwimmen. Wollte ich unbedingt auf Video haben. Also beim zweiten Ausflug GoPro angeworfen. Storyboard: Die ersten nagelneuen Strandhäuser, dann abtauchen, den Felsen entlang, dann unter dem Fels auftauchen (Steindach nur wenig über dem Wasser), dann ein großer Fels, der im Wasser liegt, unter dem größere Fische dümpeln, dann durch den Schwarm Winzlinge. Doch es kam anders: die Winzlinge schwärmten vor einer kaum meterbreiten Kluft im Fels, mit angehaltenem Atem (Wellen, Felsen) durchgeschnorchelt, mitten durch den in der Sonne blinkenden Schwarm. Hätte atemberaubende Aufnahmen geben müssen. Nur: die Kamera war nicht angeschaltet. Stattdessen aufgenommen: vier Minuten Flossen abschnallen, zum Strand gehen (kopfüber: Kamera baumelte am Handgelenk), Kamera auf der Liege ablegen und Männerbeine vor Sandstrand. Wieder einmal: Bilder, die man nicht geschossen hat. Ansonsten ist Jeremi ganz nett, Sonnenliegen kosten ein paar Euro, Schatten extra. Aber eben nicht umwerfend. Wie auch die Insel (so weit ich sie gesehen hab): Hügelig, an der Westküste reiht sich ein Tafelberg an den nächsten. Zwischen den Hügelketten breite Ebenen, alles grün, aber Busch, Macchia, Gestrüpp. Viele Kakteen: trocken. An der Landstraße verstreute Kneipen, Läden, Supermärkte, jeweils mit großem Parkplatz davor. Wirkt irgendwie amerikanisch.
Rückweg mit dem Bus klappt reibungslos, Königin-Emma-Brücke will in dem Moment aufgehen, als ich sie passiert habe. Musste gefilmt werden (diesmal mit dem Handy).

Weltweit einzigartiges Schätzchen von 1888

Total pragmatisch sind die Leute von Willemstadt: Punda, Spitze, heißt das diesseitige Ufer, Otrabanda, andere Seite, der gegenüberliegende Stadtteil. Wie in Kölle eben: Hey (Stadt) und Schäl sick.

Am Mittwoch, das bekam ich heute bestätigt, kommt die LIESEL aus dem Wasser, vielleicht schon morgens um acht. Muss noch viel passieren bis dahin, räumen und packen vor allem. Was bis jetzt schon passiert ist: Mittwoch (18.04.) mittags angekommen, nachmittags Zoll und Immigration erlaufen. Donnerstag Großsegel abgeschlagen. Freitag Mitfahrgelegenheit mit Willi zum Supermarkt. Nachmittags Groß geflickt (Latte eingepasst, Lattentasche nachgenäht) und gefaltet, Genua dito. SailClearAccount eingerichtet. Freitag Salon (»the square«) geräumt, Tisch abgebaut, 2½ Eimer (14 l) aus Salonbilge getupft. Boden angeschliffen und lackiert. Samstag (22.04.) Niedergänge und -treppen klarlackiert (gevarnished). Abends in der Captains‘ Bar, rappelvoll wegen Boxkampfübertragungen. Sonntag Jeremi Beach.

Freitagabend (21.04.) war großes Boatyard-Grillen. Veranstaltet von Melisa (Boatyard-Sekretärin), ihre Tochter (ca. 10) war auch da, ihr Sohn (ca. 20) hat gekocht: Cheeseburger, Grillspieße, Hühnerteile, Nudelsalat, spicy cabbage (scharfes eingelegtes Rotkraut: lecker!). Jede Menge SeglerInnen kennengelernt: Kathy (USA) und Serge (franz. Kanada), Dave (Brite), noch zwei Amerikaner, Steve und Laura,  und Dirk haben mich unter die Fittiche genommen und Bier ausgegeben. Paul und Herta, Holländer. Matthieu (ca. 20), den ich auf mindestens drei verschiedenen Booten hab arbeiten sehen, Guido (Chido), Holländer, auf dem selbstgebauten Boot seines Vaters unterwegs, dessen junge Frau hier ihr Baby geboren hat, dessen Mutter hier lebt. Und das Münchner Paar (Hans und Marion), beim Anlegen in blütenweißem Segleroutfit, altklug (Bordfunkgerät auf den Ohren), unbelehrbar («Den Stromkasten hab ich gar nicht gesehen!«), blendendweiße Yacht, shiny & new, aber keine einzige Leine vernünftig vorbereitet (zu kurz, unklar, nicht festgemacht). Typisch Münchner halt. (»Obacht, mir san aa aus Mencha!«, warnt Charlie, ein anderer Segler.) Die am nächsten Morgen ab sieben Uhr morgens SÄMTLICHE Segel nacheinander knarrend (elektrisch) ausfahren und sorgfältig abspritzen. Und Gordon und Louise vom Nachbarboot. Gordon schmirgelt und ölt jetzt zum bereits dritten Mal seine vorher schon makellos aussehenden Fußbretter, am liebsten morgens ab sechs (allerdings geräuschlos). Und Moritz (Schweizer), hat mit seinem Boss monatelange Urlaube vereinbart. Und Jens, unabhängig durch eine Erbschaft, der sich hier ein Boot gekauft hat und es seit acht Monaten herrichtet. Und ein französisches Paar, das im Yard liegt und den Unterboden abkratzt (und auch die Segel wäscht – ich glaube, ich bin ein schlechter Segler: hab meine Segel noch nie gewaschen!). Willi, Holländer, der mich zum Supermarkt mitgenommen hat (weil seine Holzwerkstatt dort ganz in der Nähe liegt), Daniele, noch ein Franzose, superstolz auf sein hochkompliziertes Aluschiff (Seitenschwerter, drei Ruder, Dinghygarage), sich aber mit seiner Frau nicht einigen kann, wie Planen gefaltet werden sollen. Lustiges Völkchen eben.

Do., 22.04. Königstag, höchster Feiertag in Curaçao. Und allergrößte Hitze. Heute früh Handläufe zum zweiten Mal geölt. Um neun, als die Hitze anfing, zum Glück fertig gewesen. Und im Schatten des aufgebockten Bootes einen Blechschutz für das Salonluk gekniffen, gefeilt und gebohrt (weil sich das Holz sonst an den vorstehen Bolzen des Schlosses stößt).  Cockpitpersenning aufgezogen, um wenigstens ein bißchen Schatten zu haben. Jens verabschiedet, geduscht – und schon wieder schweißgebadet.  Jetzt Filmchen zusammenstellen, diesen Blog schreiben – und ab ins Getümmel: es soll so eine Art Volksfest geben. Außerdem ist es so heiß (am notebook läuft das Gebläse ständig), dass der Rechner langsamer buchstabiert, als ich tippe – hab ich noch nie erlebt, dass er wegen Hitze die Leistung derart runterfährt … 

Königstag!

Der höchste Feiertag auf Curaçao bietet Stände mit Kosmetika oder Klamotten, ein wenig Kinderbespaßung wie Wasserrutschen, aber vor allem: Party! DJs legen alle paar Meter auf, im Stadtpark spielt sich eine Band warm, im Ausgehviertel Pietersmaai reiht sich ein Ausschank, eine Tanzfläche, eine Musikbühne an die nächste. Man trägt orange.

Dauert ewig: Haulout

Gestern kam die LIESEL aus dem Wasser, untenrum sah sie richtig sauber aus, sehr befriedigend. Nur die Kielunterseite ist abgeschliffen, auch rostig. Wollte ich selber machen. Hat mir der Boatyard-Manager JayJay eine attraktive Schätzung vorgelegt (300 $ US), hab ich die Reparatur vergeben. Weil ich genug zu tun habe. Vorgestern hab ich das Dinghy in den Innenraum gehievt, ebenso das Bimini. Der Salon ist jetzt der totale Verhau. Und angefangen, das alte Wasser aus den Kanistern zu leeren, weil ich Sorge habe, dass es schlecht wird. Jetzt fehlt noch:  Bb-Wasserkanister leeren, Vorratsschrank entmüllen (alles, was verschimmeln kann), Kühlschrank ausräumen. Furler, Mastwinschen und Hydrovane in Plastiktüten verkleben, Batterie abklemmen, Dieseltank randvoll machen, Gas abdrehen. Irgendwann in den nächsten Tagen kommt das Schiff in die storage, das Depot, ein drahtzaunabgespannter und nachts hell beleuchteter Bereich (auch: Zollverschluss) ein paar Meter den Hügel weiter hoch. Dort werden die Yachten bei Hurrikanwarnung auch gegen den Boden abgespannt.

Mindestens bis Ende September (Hurricaneseason) bleibt die ELLI dort. Und zur Not auch länger.

Heißt für euch: Dieser Blog macht Pause. Wenn ihr AbonnentIn seid, werdet ihr benachrichtigt, sobald es weitergeht (Tut mir übrigens leid für die vielen Aktualisierungen und dass ihr jedesmal eine Nachricht bekommt. Sind stets nur winzige Änderungen, weil ich so viel vergesse, oder nachgelieferte Videos. Könnt ihr getrost ignorieren). Alle anderen: Schaut einfach um Weihnachten wieder rein, ob sich was getan hat.
Bis dahin, Alles Gute und liebe Grüße

Ulrich.

Hurrikanvorsorge

In einer Woche hab ich das erste Jahr voll (Abfahrt am 08. Mai 2022). Bilanz nach elf Monaten: Ich hab eine Menge gelernt, bin vielleicht nicht mehr der völlig unerfahrene Segler, als den ich mich noch immer sehe. Ich hab einen Ozean überquert und die ersten schwachen Stürmchen abgewettert. Die ELIZABETH ist ein Herzchen von einem Schiff, in besserem Zustand (bis auf die Schiffbruchschäden) als ich sie gekauft habe, absolut zuverlässig und seegängig – am Schiff scheitert es nie. Die Hydrovane war die beste Investition ever (und die teuerste). Ich hab jede Menge Leute getroffen, einen Haufen Geschichten gehört, ein paar davon sogar wahr. Ich hab von neuen Gegenden (Kapverden, Karibik) zumindest einen ersten Eindruck, ich hab neue Welten erschnuppert (Einhandsegler) und bin in neue Universen mit ureigenen Regeln gefallen (Boathitchhiker). Nina (Cornelia) ist die erste und einzige der vorab zugesagten MitseglerInnen geblieben. Mit ihr und allen anderen hab ich beste Erfahrungen gemacht. Und alle haben die ELLI geliebt und sich superwohl und sicher auf ihr gefühlt. Ich hatte sagenhaftes Glück und tolle Erlebnisse, die ich nie vergessen werde (sonst kann ich sie hier nachlesen.) Ich hab Delphine, Wale, Schildkröten gesehen, Kolibris und Vögel, deren Namen ich nicht kenne. Ich hab sensationelle Mond- und Sonnenauf- und -untergänge erlebt.

Gästebuch:

Der Hafen von Willemstad, hinterste Ecke

Im übrigen bin ich der Meinung, Oceansouth gehört aus dem Verkehr gezogen. Und Traveller A. schuldet mir 30 €.

33. Z‘abricots

Rocher de Diamant

Mo., 03.04. Marina Etang Z’abricots, Fort de France, Martinique, wo ich seit Donnerstag abend liege.
Martinique ist wunderschön. Heftig grün, dschungelüberwucherte Berge und Schluchten, zerklüftet, Berg&Tal (kein Ort für Radfahrer, sorry, André) überall wachsen Bananen und anderes Grünzeug (die Felder sehen aus wie Hopfen, Drahtnetze hoch oben, aber keine Ahnung, welche Früchte darauf wachsen). Außerdem Zuckerrohr ohne Ende, hab ich aber nicht gesehen.

Die Marina it Etang Z’abricots liegt im Osten von Fort de France, etwas abgelegen. Und sehr ruhig. Aber es gibt dort einen Bäcker, einen Supermarkt, den schlechtesten Waschsalon der Antillen (Maschine wäscht ohne Waschmittel, drei von sechs Trocknern sind hors service), und einen Autoverleih. Auto gemietet, rumgefahren. La Trinité, Städtchen am Meer und Zugang zum Naturschutzgebiet auf der Halbinsel dahinter (nicht gesehen). Sainte Marie und der sandige Damm zu den davor aufragenden Felsen, Vogelschutzgebiet (Sterne de Douglass) und beliebtes Ausflugsziel.

Kluftbaden an den Felsen

Samstagabend ist Kirchgangszeit auf Martinique, alle im Sonntagsstaat. In Le Marigot Abendessen eingekauft (Brot, Käse, Wein), aus einem offenen Kirchenportal erklingt eine Arie (vom Band?) nach der Melodie der Choräle aus der Matthäuspassion (und von American Tune, P. Simon with a little help from John Sebastian). Gerührt ein paar Minuten gelauscht.

Saut Gendarme

Die lange Auffahrt zum Montagne Pelée hinaufgekurvt, Vulkankegel, der 1902 und 1929 ausbrach und Saint-Pierre katastrophal zerstört hat . Mehrere Tausend Tote (trotz tagelanger Vorzeichen) und die weltweite Skandalmeldung im Mai 1902. Oben (ca. 800 m Höhe) leider Nebel und Regensturm. Berghotel war ausgebucht, im Auto übernachtet. Auch am nächsten Morgen raining sidewise (das Motto von Devon, GB), keine Lust auf die vier Stunden Wanderung zum Krater (le Chinois) im Nebel und Regen. Allerdings nehmen zahlreiche Läufer/Wanderer (winzige Sportrucksäcke mit Trinkwasser) den Parkplatz am Ende der Stichstraße als Ausgangspunkt bzw. Ziel ihre sonntagmorgendlichen Trainingseinheiten. Cascade Saut de Gendarme. Perfektes Ausflugsziel für Autofahrer, der Wasserfall in Regenwaldambiente gerade mal 50m vom Parkplatz entfernt.

Dashcam

Die D1, schmale Bergstraße hinab zum Meer, schlängelt sich pittoresk durch Regenwald, Steinschlag und vom Sturm herabgewehte Kokospalmenwedel und -nüsse am Wegrand und auf der Fahrbahn (und weggeschwemmte Straßenabschnitte). 

Kaffee im Restaurant Kay Ti Jo am Straßenrand in Fonts St. Denis, es regnet Bindfäden, aber immer nur kurz. Frittierte Fischbällchen ausgegeben bekommen, auch ti rhum [petit rhum] (abgelehnt: ich muss noch fahren). Es ist erst 11 Uhr.
Saint-Pierre (dort wieder heiß und drückend) verbirgt seine Vergangenheit als Katastrophengebiet nicht. Ruinen (Gefängnis, Theater, Kaibebauung) mitten in der Stadt, noch immer schwarzgrau verrußt. Im Museum zum Ausbruch vom 8. Mai 1902 geschmolzene Glas- und Porzellanteller, verformte Glocke (im Erinnerungsraum mit den Namen von über 7000 nachgewiesenen Opfern), zusammengebackene Nägel, Scheren, Kabel.

Scheren

Ziemlich beeindruckend. Und zu seiner Zeit eine Weltsensation: Ein Häftling, der den Ausbruch in seiner Zelle tief unter den Felsen mit schweren Verbrennungen überlebt hat, wurde Teil des Programms von Barnums Greatest Show on Earth. Ein knappes Dutzend Wracks von Schiffen, die auf Reede oder in der Bucht warteten, liegen dort noch heute und bieten beliebte Taucherziele. Katastrophentourismus at its best. Piment für Lydie erstanden.

Piments vegetariens

Stadtstrand von St.-Pierre im Norden: gutbesucht (Sonntag!), Picknicks im Schatten der (Tabak-?) Stauden am Straßenrand (Blätter machen schreckliche Flecken auf weißen Handtüchern!), schwarzgrauer Sand, herrlich temperiertes Wasser.
Im letzten Licht abenteuerliche Zufahrt (Wasserrinnen, halben Meter tief) und 20min Wanderung zu Mahagony-Bäumen (nicht gesehen) und Wasserfall Cascade d’Anba So. Ist hoch, fällt tief, führt aber wenig Wasser (zum Glück: ich hatte mitten auf dem Brückenüberlauf geparkt). Rückweg etwas eilig; Sorge vor der einbrechenden Dunkelheit, es ist inzwischen 18:00h. Und in den Tropen: Sonnenaufgang um sechs, Sonnenuntergang kurz nach sechs. Und dann sehr rasch. Ging aber alles gut, in Schoelcher (keine Ahnung, wie man das ausspricht) letzte Strahlen und nach 15 Min zurück in der Marina – Martinique ist herrlich abenteuerlich, aber nicht sehr groß.

Leere Flaschen wegbringen ist schwer – außer einer

Letzten Donnerstag früh das Dinghy rausgehoben und mit Gustave und Marlene gefaltet, ging so einfach wie nie. Schon um kurz vor elf an der Tanke, Gas leider ausverkauft, außerdem können wir dort nicht bleiben – zu viel Betrieb. André kommt erst exakt um elf (wie ausgemacht), aber da hatte ich schon zwangsweise abgelegt. Leere Gasflaschen am Kai vergessen. Also noch einen Schlenker zurück, Gustave übergibt vom Nachbarboot (und hat auch das schwarze Säckchen mit den Dinghy-Clips in der Einkaufstasche deponiert, danke!). André kann ich nur noch aus der Ferne grüßen. Schon in der langen Ausfahrt aus Le Marin den Motor abgestellt und hinausparadiert (riesige Motoryacht mit seitlich ausgeklappter Liegewiese: schick). Der kurze Schlag von le Marin herüber bot prächtiges Segeln, Seitenwind nur unter der Genua – entspannt. Und froh, allein zu sein.

Rocher de Diamant

Der Rocher de Diamant macht seinem Namen alle Ehre, hat eine Militärgeschichte aus den Napoleonischen Kriegen, die verrückten Engländer haben das Inselchen (schlangenverseucht) besetzt, mit Kanonen ausgerüstet und zum Kriegsschiff erklärt, waren auch kaum zu besiegen (Nelson hat in der Schlacht seinen Arm verloren. Übrigens derselbe Nelson, der zwar Trafalgar gewonnen, dabei aber sein Leben gelassen hat.) Nachmittags immer wieder Buchten mit Segelschiffen vor Anker passiert. Das mächtigste: STAR CLIPPER, fünf (sic!) Masten, Badeplattform größer als mein komplettes Schiffchen.

Segeln geht auch in groß: STAR CLIPPER

Aus der Bucht von Fort de France weht heftiger Gegenwind, früh die Genua dichtgeholt, ein paar Meilen weit eingefahren, aber dann doch den Motor gestartet.
Der Hafenmeister von Z’abricots behauptet am Funk, er könne mir keine Hilfe schicken, also alleine festgemacht (Heck zum Pier). Und ziemlich geschwitzt: Gegenwind presst die ELLI quer gegen den Steg, erst mit einer Hilfsleine zum Nachbarschiff ließ sie sich mit dem Bug in den Wind ausrichten und die Muringleine heben und festmachen. Später im Hafenbüro: Ein anderes Schiff fordert Hilfe an, der Hafenmeister sagt zu, hat aber keine Eile, tatsächlich aufzubrechen. Ich bin einfach zu naiv, er etwas träge. Aber supernett.
Und ich bin sehr froh, endlich wieder mit Landzugang zu liegen. Feistes Abendmahl im Kairestaurant Le Spice. (Fischbällchen, Entrecôte, Kokospudding zum Nachtisch, lecker. Zwei Gläser Wein.) Absacker? Käme jetzt gut. Sehr gefreut habe ich mich, als ich im Weinfach Gustaves letzten Rest Barbadosrum gefunden habe, Old Brigand, der laut den (zwei) Einheimischen (die ich getroffen hab) beste Rum der Insel. Aber: Der Rest des Whiskeys, den wir für den Half-way-Abend gekauft hatten, ist weg. Klar gehörte der uns allen. Aber Bescheid sagen wäre wohl drin gewesen, oder?

Am Freitag klar Schiff angefangen, geräumt und die abgeschorene Scheuerleiste (Hektik an der Tanke in Le Marin) wieder angedengelt. Und eingekauft (zwei Gasflaschen, Käse, Saft). Und das Auto vorbestellt.

Martinique ist super. Weil es europäisch ist. Doitscher Strom, doitsches Geld, doitsches Auto (Opel Corsa). Könnte sich der doitsche Spießer nicht besser erträumen.
À propos: Hab ich schon erwähnt, dass ich einen riesen Hals auf Boathitchhiker/Traveller habe? Kam bisher noch nicht so richtig rüber? Dann schreibe ich mir das jetzt vom Leib: 

Modern wording

Traveller/Boathitchhiker U. versieht seine Nachtwachen, indem er liest. Und sich dabei nicht stören lässt. Die Segel schlagen, der Steuerautomat schuftet sich den Wolf, aber U. widmet sich unbeteiligt einer Lektüre. Hätte ich, ur-old school Spießer, der ich numal bin, gedacht, dass Traveller U. wohl ein perfektes A…loch sein muss. – Weit gefehlt! – »Er hat nur das falsche Boot erwischt.« (Es gibt Atlantiküberquerer, die keine Nachtwachen machen.). Feilscht ein Boathitchhiker um seinen Anteil an den nachgewiesen entstandenen Kosten (Guten Morgen, André; ich seh dein Lächeln!), dann war er eben auf dem falschen Boot. (Es gibt Skipper, die keine Kosten umlegen. Manchmal wird die „Crew“ sogar bezahlt – der feuchte Traum jedes Boathitchhikers!) Wie allerdings die Sprachregelung lautet, wenn der/die TravellerIn trotz Bezahlung ihren/seinen Job nicht macht, entzieht sich meiner Kenntnis. Finde ich aber sicher auch noch heraus.


„Ich mach mir die Welt, widewidew… wie sie mir gefällt!“ Pipi stellt eigentlich, genauer überlegt, die Urmutter aller Traveller avant la lettre dar: Hausbesetzerin, containert, akzeptiert keine Regeln, kommt ohne Geld aus (bis auf das Ersparte des Papas). Und wenn man die Traveller als nie erwachsen gewordene Elfjährige versteht, ergeben ihre Arroganz (gegenüber Touristen, oder sogar nur Hostel-Typen (der echte Traveller nächtigt für lau)) und ihr Stolz auf selbstgemachte Erfahrungen tatsächlich Sinn.

Regel 24: Boathitchhiker machen keine Fehler. Sie sind höchstens auf dem falschen Boot.

Ewige Weisheit, mühsam erlernt

Nur um das klar zu äußern: Ich hab enormes Glück gehabt mit meinen Hitchhikern: Gustave ist eine Seele von Mensch, ebenso Gawain, ohne den ich das hier nicht hätte schreiben können, Alba und Marlene haben auf der langen, engen Überfahrt für entspannte Stimmung gesorgt und ihre Jobs gemacht. André hat sich wirklich für das Schiff interessiert und mir mit seinen nüchternen Kommentaren den Verstand gerettet. – »Wir hatten eine wundervolle Überfahrt, das kann uns niemand mehr nehmen.« Das hab ich zu Gustave und Marlene zum Abschied gesagt und aus ganzem Herzen gemeint.

Gute Stimmung: Abschiedstänzchen in Mindelo

Wahrscheinlich ist es der pure Neid meinerseits, auf die jugendliche Unbekümmertheit, auf die Spontaneität und Bedürfnislosigkeit, auf die Lust am Leben (und am Weed). Allen Boathitchhikern wünsche ich jedenfalls alles erdenklich Gute. Nur eben ohne mich.

Marina Le Marin
André hat bezahlt!

Di., 4.4., Le Marin (wieder). (Gestern, Mo., vier Stunden ELLI gestaubsaugt und aufgeräumt, vier Stunden Filmchen „geschnitten“ und diesen Blog geschrieben; abends in Städtchen: Fort der France ist herrlich abgerockt, Industriehafen, Imbissbuden, Vergnügungspark am Kai. Uralte Geschäftshäuser mit Schmiedeeisen-Baldachinen über dem Trottoir stehen noch verwahrlost mitten in der Fußgängezone. Und einen vorbedachten schweren Fehler gemacht:

Regel 25: »Geh NIEMALS, unter keinen Umständen, bei MCDonalds (oder Wurger King oder KFC) essen!«

Touristenweisheit

… weil nämlich die nächste, sehr einladend aussehende lokale Grillstation um die Ecke, am Fähr- und Busterminal und gut frequentiert ist.)
Eigentlich wollte ich heute früh nach Süden fahren und André irgendwo auf dem Weg treffen. Aber er war bereits um sieben in der Frühe in Etang Z’abricot! Und hat, nach stundenlanger Diskussion, zumindest seinen Anteil für die Atlantiküberquerung abgedrückt. [Er sieht das anders: Er hat Boathitchhiker getroffen, die über ihre Kostenbeteiligung für die Atlantiküberquerung geredet (gestrunzt? Wenn es Seemannsgarn gibt, gibt es dann auch Boathitchhikerboast?) haben. Demnach gibt es Yachten, auf denen man für € 80.- mitfahren kann. Geht so: Skipper kauft Reis, Nudeln, Tomatensoße (und gibt die aus), Hitchhiker kaufen jeder für sich, was sie wollen (Chips, Cola, Bier). Und rechnen sich die Welt schön … Außerdem: drei Wochen lang nur entweder Reis oder Nudeln mit Tomatensoße: da wäre ich sicher vom Schiff gesprungen. Jedenfalls: André sieht sich mit den € 200.- (für fünf Wochen) als angemessen finanziell beteiligt (womöglich großzügig aufgerundet) an.] Ich bin jedenfalls gottfroh, dass ich eine Crew hatte, die (zwar Geld für die unmöglichsten Dinge rausgeschmissen hat: Tofu in allen Arten und Formen, Miso-Konzentrat, Algenblätter, Trockenpilze (6 Tüten!), div. Mehle und (Kartoffel-)Stärken, Gewürze in allen Farben, aber) Wert auf abwechslungsreiche und gesunde Ernährung (Obst, Gemüse, Säfte) gelegt hat, auch wenn das etwas mehr gekostet hat. War André eben auf dem falschen Boot. Hätte das aber von Anfang an wissen bzw. erfragen können. Über die Finanzen haben wir früh, offen und ausführlich geredet. – Ähem: mein dicker Hals will einfach nicht abschwellen…

Fort de France

Jedenfalls bin ich wieder im blue-working-Büro in der Marina in Le Marin, klimatisiert, Kaffee frei, stabiles Internet: alles super. Und sehe mir später den Südosten der Insel an. Und bin für morgen abend mit André zum Bier verabredet. Denn eigentlich ist er ja supernett. Nur bin ich eben superstur.

Hier noch, wo ich jetzt gelernt hab, wie man You-Tube-Videos einbettet, noch zwei Filmchen: Celia segelt mit von Cádiz nach Marbella; und: Impressionen von einem Aussichtspunkt an der Küstenstraße bei Case-Pilote. Viel Spaß damit!

Durch die Straße von Gibraltar
Strandparty und Jetskis

28. Willkommen bei den Potheads

Gustave im Mast (Foto: Marlene)

Hart ist das Leben der Boat-Hitchhiker. Dumpster diving [containern], Leben am (Geld-)Limit im Camp, jeden Tag Party oder Jam Sessions am Strand, all die Drogen, die genommen oder geraucht werden müssen, damit sie nicht in Kinderhände geraten … Alle sprechen hervorragend Englisch und Spanisch. Und alle (zumindest in meiner Crew) kochen wie die Weltmeister.
Adam (heißt nicht wirklich so), Typ Moses in jung, sitzt seit Wochen im Marinabüro herum und haut jeden Skipper an, der hereinkommt. Er ist an unserem allerersten Tag direkt ins Cockpit gesprungen, (hat seinen Anschiss kassiert: Man fragt um Erlaubnis, bevor man in ein Boot steigt!) ist willkommen geheißen worden und tat superfreundlich. Danach hat er mich eine Woche lang nicht gekannt (man begegnet den gleichen Hippies andauernd, weil man/sie in den immerselben Locations rumhängt/en). Gestern war wieder Donnerstag und Jam Session im Motown und ich habe ihn aufgezogen (warum er mich nicht kennen will). Wurde superlustig (für mich), aber eigentlich eine tragische Geschichte. Er ist Israeli, hat sein Visum überzogen, kein Schiff [Mitfahrgelegenheit] gefunden und wird/muss jetzt 8 Monate auf der Insel warten, bis im November die Saison wieder anfängt, sucht einen Job etc. … Dabei sieht er hammer aus ist wahrscheinlich ein supernetter Kerl.

Gustave steigt ab (Foto: Marlene)

Effi (heißt nicht wirklich so), groß und sehnig, Locks im dicken Scheiteldutt, wirkt hochintelligent, gebildet, aufmerksam, kennt eine Menge psychisch aufschlussreicher Gesellschaftsspiele (und guckt auch gerne zu), aber nachdem er vorgestern bei uns auf dem Schiff war, gegessen und gespielt hat, erkennt er mich gestern nicht. Ich winke, lächle, grüße. Er wirkt genervt, als müsste er einen Anbaggerversuch abwehren. Dauert (gefühlte) drei Minuten, bis er orientiert ist (und es ihm leid tut). Blue (heißt sicher nicht wirklich so), die mit ihm reist, auch Französin (kein Knoblauch, keine Zwiebel), nimmt alles furchtbar ernst, wie es nur Mitte-20jährige können. Zum Essen waren wir zu siebt (auch Ludo, ganz un-hippiemäßig zivil aussehend), sechs Tassen Reis gekocht, hat gerade so gereicht, obwohl der größte Topf auf der BITSYBETH randvoll war. Gaston, ebenfalls Franzose, Riesenkörper, sympathisches immer freundliches Kindergesicht, begnadeter Percussionist (er war auf der Bühne), augenscheinlich ein sehrsehrguter Freund von Alba, hat sein Fahrrad mit einem Poster ausgestattet: „Fuerteventura/Boat“. Er wenigstens weiß heute (als Alba ihn mitbringt) noch, dass wir gestern nacht geredet haben. Gestern Nacht war nämlich wieder Jam Session, das Motown zum Brechen voll. Und alle Boathitchhiker da (bzw. draußen vor der Tür, weil ihnen die Drinks zu teuer sind). Superabend, nach einer Woche Las Palmas stupst mich mich die kleine rundliche Bedienung von hinten an und grüßt freundlich. Und für meine Crew bin ich „mi cápitan“, der den Kumpeln vorgestellt wird. War lustig.

Wird aber unter Potheads auch schnell wieder vergessen. – Alba hatte nach drei Tagen vergessen, wie der Motor angeht. Gustave erinnert sich am Folgetag nicht mehr an den Job, den er angefangen hat. Marlene lässt die Klopumpe ausgefahren (wenn der Handgriff abbrechen sollte, wären wir ohne Toilette!), klebt einen Erinnerungszettel an die Innenseite der Klotür. Am nächsten Morgen steht der Pumpstößel wieder hoch. Ich hänge den »Handle down!«-Zettel tiefer: auf Sitzhöhe. Ein paar Stunden später steht der Griff wieder oben. Dabei sind alle höchst anstellig und interessiert. Aber irgendwie reicht der Schwung nicht bis zum Aufräumen der Werkzeuge, Utensilien, Verpackungen. Bin ich zu spießig? Ich verkaufe es mal als Sicherheitsdenken. It’s hip to be square, weiß Huey Lewis. Und dune wie alle dauernd sein müssten (merken tu ich es nicht), so viel wie sie rauchen, reagieren sie tiefenentspannt und heiter.

Heute ist Freitag (10.02.) Morgen wollen wir losfahren und alles ist vorbereitet. Gustave hat die Deckenlampen in Vorraum und Klo montiert, Marlene ein Obstnetz (ihre Hängematte) unter dem Bimini aufgehängt, Gustave und Alba haben unseren Wasservorrat am Heck verzurrt. Wir haben die Heckplanke (ex: Pasarella) montiert, die Passatbesegelung [beide Genuas in der Rollfockanlage. Bei Rückenwind werden sie zu beiden Seiten ausgebaumt (=ausgespannt)] einmal aufgeriggt, 200 l Wasser in Plastikflaschen (zusätzlich zu den 100 l in Kanistern und 140 l im Tank) gebunkert, haben eingekauft wie für einen längeren Lockdown: u.a. 15 Kilo Teigwaren, 18 kg Reis, Konserven, Mehl, Kartoffeln, Kohl, Möhren ohne Ende. Im Augenblick sind Marlene und Gustave auf dem Markt, Frischgemüse holen. Alba hat die Nacht woanders verbracht – gestern war Abschiedsfeier. Diesel wollen wir bei der Abfahrt bunkern, werden aber höchstens 20 l reingehen. Jedoch: vollgetankt ist vollgetankt.

Marlene schießt Fotos; Gustave sichert sie.

Seit einer Woche liegen wir im RCNCG, dem Real Club Nautico de Gran Canaria. Alles phantastisch: Personal freundlich, Duschen heiß, Wifi zuverlässig. Nur kommt man ohne Beziehungen eben nicht rein. Das Boot ist komplett auf den Bestzustand gebracht, sogar den Luftfilter am Motor habe ich befestigt, Öl und Wasser gecheckt. Marlene hat alle Einkäufe federführend getätigt ([Paulas] Onkel Pepe hat uns gefahren. Danke, Pepe!) und z.T. auf den Kai neben dem Boot liefern lassen. Die Woche verging wie im Flug. Die Potheads müssen sich von ihrem FreundInnen im Camp und auf der Straße (Musik) verabschieden, Alba hat ihre eigene Einkäufe zu erledigen (Tofu in allen Formen und Zubereitungen, Bierhefe!, vegane  Nutella, spezielle Gewürze (Knoblauchpulver, Maza und Nahrungsergänzungsmittel)). Die Passatsegel bleiben hochgezogen und sind eingerollt. Wahrscheinlich (hoffentlich!) kann man so auch an den Wind gehen. Gestern vor dem Abschiedsabend Wettercheck und Kartenbesprechung. Alba will sogar einen Routenplan schreiben. (Das glaube ich, wenn ich es auf Papier sehe.) – Alles ist bereit. Morgen werden nur noch die Fender am Heck verzurrt und die Leinen kommen in die Backskiste. Es kann losgehen.

Falls nicht (heute stand der Wind voll entgegen), können wir problemlos eine (oder zwei) weitere Nächte bleiben, hat mir Ivan, der superüberarbeitete, aber herzlich-freundliche Marinamanager des Clubs versichert. See you on the other side.

Die Kanaren: Inseln und Inselchen

Spanien – 15. La Coruña

Sonntagvormittag eine Runde durchs Städtchen gedreht, Cafe con leche, Kippen, Frühstück in der besten (Eigenwerbung) winzigen Bäckerei an der Plaza do Xeneral Azcarraga geholt, wunderschöne Altstadt, Vormittags noch menschenleer. Ausführlicher Mittagsschlaf, Großfall (verhakt sich am Radarreflektor im Mast) klargemacht, Klo (vollgelaufen, pumpt nicht ab, Riesensauerei) kaputtrepariert, Gasherd dito. Abendessen an der Plaza, gebratene Sardinen, gegrillte Peppinos, Ölkartoffeln (à la Yayi), Salat, zwei Estrella Galicia und ein Carlos III – Paradies.

Elizabeth hinter Gischtvorhang (Foto: J. Huth)

Montagvormittag E-Mails an Paula (Organisatorisches), dann den Blog ab (13.) Plymouth aktualisiert und ins Netz gestellt. Die neuen Festmacher sind Schrott, sie knarrten die ganze Nacht über nervenzerrend. Es sind ehemalige Fallen, null Reck [Dehnung]. Das Knarren ließe sich (möglicherweise) aushalten, aber es rührt daher, dass sich die Taue bei jedem Rucken ein paar Millimeter in den Klampen [zweiarmige Haken am Steg] verschieben. Über Nacht kommen so fast 20 Zentimeter neues Spiel in die Festmacherleinen. Mehr Spiel heißt mehr Belastung beim nächsten Ruckeln – unhaltbarer Zustand. Nachmittags Vorräte einkaufen bei it Gladis (Supermarkt), vier schwere Taschen Konserven,Nudeln, Säfte, Obst und Gemüse – Taxi zur Marina (€ 4,80 – gegen England ist alles scheißbillig hier!). Abends Dichtungssatz für Klo aus der ferreteria naval Pomba (scheißteuer und eine halbe Stunde Fußmarsch am anderen Ende des Hafens entfernt), frisches Brot und Salami (fuet), Dreiviertelflasche Rotwein. Und die alten Festmacher wieder eingezogen.

Dienstag halb zehn Blog geschrieben (Biskaya), als nächstes ist die Kloreparatur dran. Für heute ist draußen starker Seegang angesagt, auch hier, hinter dem Wellenbrecher schaukeln die Schiffe. Also bleibe ich noch eine Nacht. Abends mit Christian und Jutta (Nachbarschiff, kommen aus Hamburg) zum Essen verabredet.

Griff ins Klo

Leider hatte die Überschrift so ganz und gar nichts Metaphorisches an sich: die Schüssel war verstopft. Kein Klopapier, ich schwöre, sondern nur rein organische Materie. Aber gut abgesetzt und verdichtet. Weil der Abfluss im rechten Winkel abgeht, musste ich sogar um die Ecke stochern (halbe Wäscheklammer, davon hab ich genug). Hat mich eine Stunde gekostet, das Ding wenigstens an Laufen (Spülen) zu bekommen. Ich erspare euch die Details. (Doch neugierig geworden? Mehr Einzelheiten, in Farbe, gefällig? Guckst du //http:/youtube/watch=grrrgharch!/ [Link funktioniert nicht? War auch nur ein Witz bzw. ein Geschmackstest]). Um eins gefrühstückt (nach GRÜNDLICHEM Händewaschen), kurz nach halb vier funktioniert die Schüssel wieder, besser denn je – Hurra. Jetzt Waschen, Rasieren, Duschen. Vielleicht reicht die Zeit noch für einen Wisch mit dem Feudel durch das Schiff. Geschirr spülen und Kühlschrank auswischen wären auch dran. Tja, das herrliche Yachtie-Leben hat auch seine Schattenseiten …

Der Leuchtturm am Ende der Welt

Fr., 30.9., Finisterre (Fisterra), das absolute Ende (km 0,00) des Jakobswegs. Voller hard-core-Pilger in entsprechendem Outfit (Sonnenhüte, Wanderschuhe, Kniebandagen, Gehstöcke), Typ Altfreak bevölkern das Örtchen. Fin do Camino heißen die Restaurants und Herbergen. Außerdem der billigste Liegeplatz ever: umsonst. Strom, Duschen? Fehlanzeige. »Es gratis, pero no hay nada.« Am A… der Welt eben.

Das Abendessen in La Coruña mit Christian und Jutta (Roth & Reichelt (consulting)) war sehr schön, Touristenschuppen in der Altstadt, aber raciones und tapas vom Feinsten. Leckere Tortilla und Pepinos. Die beiden haben in Valencia ihr Schiff CAÑAS DOS gekauft und wollten es innerhalb von vier Wochen (!!) nach Norddeutschland (Liegeplatz auf der Schlei) überführen. Haben sie in Vigo abgemustert, einen Skipper (von Navismare) angeheuert, der die Fahrt vollenden sollte. Ist nur bis La Coruña gekommen, 24 h motort. Dort liegt das Schiff jetzt fest, mit Motorproblemen. Sie leben darauf und haben sich in der Stadt in einer Bürogemeinschaft eingemietet (Freiberufler). Im November geht’s nach Hamburg und für nächste Saison ist geplant (das Unterwasserschiff zu machen) und mit dem Skipper über die Biskaya. Guter Plan.

Am nächsten Morgen wollte ich um zehn Uhr los, ist Viertel vor Zwölf geworden. Ziel: Vigo. Selten so gelacht. Ewig gebraucht, das Groß hochzuziehen (Mastrutscher [Plastikteil, das in einer Nut am Mast verschieblich angebracht ist und das Großsegel dort hält] verklemmt). Fast bis zum Sandstrand am Hafenende getrieben, der Rettungskreuzer kam schon an (hab ich mir vielleicht auch eingebildet). Dann zog sich die Ausfahrt nach Norden wie Kaugummi, Eine Dreierformation von Polizeihubschraubern, die während der vergangenen Tage ihre Runden über die Innenstadt zogen (Große Polizei(sympathie)ausstellung im Hafen: Fahrzeuge, Ausrüstung, Mitmachaktionen (Fahndungsforo schießen)) kamen drei Mal herangeflogen bis über mich, drehten dann wieder ab zur Stadt. Nach Westen war kein Vorankommen (Nordwestwind). Und La Coruña und der alte Torre Hercules lagen den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht immer wieder querab. Frustig.

Zwei Stunden motort, bis das Großsegel so geknattert hat, dass es nicht mehr auszuhalten war. Mit soviel Wind muss doch zu segeln sein! Gesagt, getan. Beste Entscheidung bisher! Hart am Wind mit 5 Knoten auf Kurs 220 (Südwest) bzw. 310 (Nordwest) Heissa! Hat Spaß gemacht.

Nur: Nach Westen kam ich dennoch nicht. Und Aufkreuzen in der Nacht ist kein Vergnügen. Und stets leuchtet La Coruña querab oder schräg hinter uns wie um uns zu verhöhnen.

Regel 19: Lieber zwei Tage auf guten Wind warten als eine Nacht gegenan bolzen.

Ullis Depp, durch Erfahrung weiß geworden

Morgens um 01:30 Wende, doch die Windanzeige spinnt. Ohne die ist in der Dunkelheit die optimale Segelstellung sauschwer auszumachen. Weniger als 310° sind jedenfalls nicht zu schaffen. Scheißlaune.

Die Mörtelkiste

Costa de la muerte heißt die Küstenlinie um die Nordwestecke Spaniens herum. Keine Ahnung, was das heißen soll, Mörtelkiste vermute ich mal. (Vielleicht hab ich die Übersetzung auch falsch nachgegoogelt. Aber sie passt wie A… auf Eimer: Zäh wie Segeln im Maurerschlamm fühlt sich das an, wenn man trotz Wind und Superfahrt einfach nicht dort hinkommt, wo man hinwill). Und der andauernde Collision alarm bringt mich auch zur Weißglut. Anscheinend sind schon andere Seefahrer an dieser Küste verzweifelt, weil rundherum ODAS-Tonnen [Bojen als Unterschlupf für Schiffbrüchige] aufgestellt sind: Sicher haben sich schon öfter Seeleute aus Frust über die vergebliche Anstrengung an der Mörderküste … ähm: der Mörtelkiste über die Reling gestürzt. Ganz so weit bin ich noch nicht. Aber verstehen könnte ich es.

Der Scheiß, den ich in diese Nacht zusammengefahren bin.
Gelbe Kringel: gefahrene Schleifen. Pinker Balken: Wunschkurs.

Foto

Um halb acht fängt endlich das Morgengrauen an, dann soll laut Funkwettervorhersage der Wind auf N drehen. Und tatsächlich: 08:30 weist das Logbuch Kurs 270° (straks W) und 5 kn Geschwindigkeit aus: »Läuft!« hat der Skipper geschrieben. Dabei ziehen lange hohe Wellenberge vom Atlantik herein, 3-4 m sagt der Wetterbericht. Und: »Meereszustand: ruhig.« Dabei schaukeln selbst die treibenden (oder ankernden?) Frachter wild hin und her. Guckst du Video: Frachterschaukeln
Dennoch: rauschende Fahrt, Müsli zum Frühstück fast vollständig einverleibt (statt: im Cockpit verteilt). Lisbeth legt sich immer wieder hart in den Wind bzw. in die Wellentäler, sicher 15° nach jeder Seite [diesmal sind die °-Angaben Winkel gegen die Senkrechte]. Unten im Salon klatscht Wasser gegen die Bodenbretter, seitlich, wo sie nur wenige Milimeter über dem Rumpf liegen, spritzt es sichtbar hoch. Es ist Salzwasser (Geschmacksprobe!). Die Elsbeth wird doch auf ihre alten Tage nicht inkontinent geworden sein?
Um 11.30 liegt das Cabo Vilàn endlich so weit querab, dass ich auf Südkurs gehen kann, um eins platt vor dem Wind [Wind genau von hinten]. Jetzt schaukeln uns nur noch die Wellen, nicht mehr der Wind. Besser ist das auch nicht.

Einfahrt in Muxía (Foto: J. Huth)

16:45 angelegt in Muxía [„Muschíah“]. Die Marina Muxía, nebenher auch eine Tankstelle, ist die günstigste bis dato.: 16,80, inkl. Strom, Duschen und funktionierendem WLAN. Respekt!
Viereinhalb Eimer Wasser (ca. 30 Liter) aus beiden Bilgen geschöpft (mit dem Schwamm getupft), danach Salon mit Frischwasser gefeudelt – Salzwasser klebt und trocknet sehr schlecht. Nur: Wo kam das ganze Wasser her? Im Schiffsinneren und auf der Einrichtung sind keine feuchten Stellen zu finden. Die Deckskante, die Verbindung zwischen Deck und Rumpf? Immerhin jagte die gute Elli mit so viel Lage [schief] durchs Meer, dass die seitlichen Laufdecks überspült worden sind. (Zum Glück hab ich Verenas Ratschlag befolgt und sämtliche Fender und Festmacher vorher verstaut! (Danke, Hartwig und Verena!)). Am Mast haben sich Leinen um den Radarreflektor verheddert. Als ich das behebe, fällt mir auch der Grund für das Salzwasser im Schiff ins Auge: Auf dem Vorschiff habe ich in der wilden Nacht einen Lüfter abgefetzt, wahrscheinlich mit der Fockschot [wird bei jeder Wende über das Vorschiff gezogen/gezerrt]. Im Deck klafft ein Loch mit fünf Zentimeter Durchmesser!

Hier (Gaffertapekreis) war einmal ein Lüfter

Allerding haben die pfiffigen Konstrukteure der Moody den Lüfter im Klo exakt über dem Waschbecken eingebaut. Und selbst das Wasser, das danebenging, hat auf dem Toilettenboden (dient zugleich als Dusche) keinerlei Spuren hinterlassen.

EntspannendesAbendessen ist angesagt nach dieser Nacht und diesem Tag. Frag ich den Tankwart/Hafenmeister (jung, gelangweilt, unbedarft) nach einem Fischrestaurant. Empfiehlt er mit das beste Haus am Platz (Gruß aus der Küche, Stoffservietten). Aber was solls, musste sein. Salat mit lecker chèvre chaud, aber unter Erdbeersoße versteckt. Exzellenter Pulpo, Grillgemüse leider aus der Dose. Bier, Wein, Kaffee, Kognak: € 47. Tat gut.

Marina Muxía

Heute früh 07:00 wach geworden, stockfinster. Tankstelle/Marinabüro macht um acht auf (Stromadapter zurückgeben, Superbenzin für Außenborder bunkern).
09:45 nach exzellentem Ablegemanöver (mit montiertem Hydrovane-Ruder – da lässt sich das Schiff kaum manövrieren!) hoffnungsvoll alle Segel hochgezogen. Gerade mal aus der Bucht heraus geschafft. Flaute.
Um halb eins den Motor angeschmissen, viereinhalb Stunden bei 1800 U/min und 5 kn Fahrt motort, am Ende um das Cabo finisterre herum. Die MOANA, Jonathan und Frau und zwei 6-8jährige Kinder, ist auch ausgelaufen. Jonathan hatte mich am Vorabend angesprochen. Er hat »tolle Fotos« von meiner Einfahrt in Muxia gemacht (er und die Kinder standen auf der Mole) und will sie mir schicken. Super! Die wollen die Rias abklappern, fjordartige Flussmündungen, von denen es zwischen Muxia und Vigo zahlreiche gibt. Außer der MOANA läuft noch eine Yacht aus, fast drei Stunden motoren wir parallel. Am Kap Finisterre liegt eine Insel im Weg.

Ich fahre innerhalb vorbei (an dem Tag herrschte höhere Brandung, der Fels an der Insel warf meterhoch Gischt in die Luft), ein paar Minuten Kabbelwasser, das war’s. Die anderen beiden fahren außenrum. Bin ich zu leichtsinnig? Um halb fünf in Finisterre eingelaufen, ein junges dänisches Paar, deren Yacht dort schon liegt, über nimmt meine Leinen [hilft beim Anlegen].

Hafen Finisterre. Elizabeth in der Bildmitte

Nagelneue moderne Fischauktionshalle mit Zuschauertribüne hinter Glas. Einladende Strandpromenade (Mama Celia hat ein anheimelnd altmodisches Kneipenschild, ist aber ein hochtechnisierter Schnellabfüllschuppen).

Von der Meerseite gesehen hat Finisterre einen wunderbaren Sandstrand. Dort wandele/pilgere ich jetzt hin, zum Sonnenuntergang. Vielleicht nehm ich sogar die angebrochene Flasche Wein mit … Toilette funktioniert übrigens wie neu.

Der Strand (an der Meerseite) von Finisterre

Sonnenuntergang verpasst (lag eh hinter Wolkenbank) weil: Abendessen (Taschenmessermuscheln), Merca Chino (Brillenschraubenzieherchen, neues Solarlämpchen, Bilderrahmen). Auf dem Weg zum Strand kommen mir Jungfreaks entgegen (Rauschebärte oder Dreadlocks (aber nie beides), barfuß, einer trägt ein meterlanges meergeschwärztes Wurzelholz (Strandgut – wird sicher ein Kunstwerk) oder sitzen im letzten Abendrot in Grüppchen am Strand: das (westliche) Ende der (europäischen) Welt ist ein Sehnsuchtsort. Später, in der Dunkelheit, fluoresziert die rauschende Brandung deutlich. Hab ich zum ersten Mal vor fast fünfzig Jahren an einem Nordseestrand irgendwo in Holland gesehen. Hat mir nie jemand geglaubt. Vielleicht halluziniere ich auch (drei Gläser Wein). Aber bei den Delfinen bin ich mir sicher: irgendwelches Mikroplankton gibt bei Wasserbewegung grünliches Licht ab.

Das Kap der Sehnsucht

Sa., 1.10. Finisterre. Morgens Nieselregen, Videos geschnitten (zusammengefriemelt), hochgeladen. Das über die Biskaya (viereinhalb Minuten) hat fast drei Stunden gedauert. Zwischendurch läuft gar nichts mehr. Kommt eine SMS meines Handy-Providers: meine High-Speed-Daten sind aufgebraucht. Mit einer einzigen Taste kann ich aber 2 GB zusätzliche Daten buchen. Drück ich. Läuft der Upload wieder. Innerhalb von Sekunden. Die Wunder der modernen Technik. Kostet allerdings 10 Euro, später nochmal 10: ihr wisst gar nicht, was mir euer Lesevergnügen wert ist …

Nachmittags klart es auf, spitzelt sogar ab und zu die Sonne raus. Pilgere ich die allerletzten zwei Kilometer des Jakobswegs. Mitten in einer Horde echter Pilger. Die Entgegenkommenden wünschen »Buen camino«, im Café auf dem Kap gibt es Stempel fürs Pilgerbuch, dort steht auch ein Sammelcontainer für ausgebrauchte Wanderschuhe (damit sie nicht in Flammen aufgehen »Ein Ritual, das es niemals gab« – Waldbrandgefahr!). Und dann steht dort der weltberühmte Leuchtturm. 

(Der Schatten oben links ist ein Linsenfehler, danke für den Hinweis. Mein Finger wäre dicker.)

Erinnerungsfotos werden geschossen, Pilger fallen sich in die Arme »Wir haben’s geschafft!«, weltbewegende Telefonate werden geführt »Hello, I am calling from the end of the world …«. Almosenbettelnde Jungfreaks sind selbstverständlich auch da, springen Hunde drumrum … Der Ausblick ist wirklich schön, weites Meer, Brandung, das Ende von etwas. 

Getreidespeicher

Auf dem Rückweg, über den Hügel hinter dem Kap, bin ich fast alleine. Im alten Dorf oben am Hügel stehen noch mehr der in Galizien üblichen Getreidespeicher. (Die Säulenfüße und Kragsteine sollen die Mäuse abhalten). Anderthalb Stunden Lesen am Stadtstrand, dann zum Argentinier. Das größte (und beste) Rinderkotelett meines Lebens (Verzeihung Celia, Lioba: musste mal sein). Jetzt noch diesen Blog abschicken und Feierabend. Morgen soll es Nordwind geben. Gut, um nach Süden zu kommen …

Nach dem Bruch – 12. Nach Dartmouth

Ende August ging die Elizabeth wieder ins Wasser und lief sogar fast eine halbe Stunde aus eigener Kraft. Beweise? Hier:

25. August 2022 – ein schöner Tag

Nachträge:

Seit 7. Juni war ich im Gästeappartment der East Cornworthy Farm untergebracht, bei der Familie, die Blackness Marine betreiben. Zwei Minuten Fußweg zum Schiff, sehr praktisch. Das Wochende 11./12. Juni mit Gareth, Lisa, Zac, Oli, Etty (Badger und Moss) auf der Lorelia verbracht. Ausflug zur Fishcombe Cove bei Brixham, wo alles passiert ist. Am Samstagnachmittag das untere Teil des Skegs und ein Stahlteil vom Kiel gefunden. Die Felsen zeigen noch immer Abschürfungen und Reste der schwarzen (und darunter blauen) Farbe meines Unterwasserschiffs.

(Abschürfungen nicht zu erkennen)

Am Sonntagvormittag (Niedrigwasser um 10:45) vergeblich den Anker gesucht. Traumsegeln hin und zurück, Fish&Chips in Brixham, Grillschinken im Brötchen auf dem Boot.

Anfang Juli bin ich, wie lange geplant, auf Heimaturlaub gefahren.

Lobpreis

(vom Stand vor der Rückfahrt nach Köln)
Weil es mir ein tiefes Bedürfnis ist und auf Anregung einer reizenden älteren Dame (meiner Mutter) formuliere ich hier meinen Dank an „Jenes Höhere Wesen, das wir verEhren“ (Heinr. Böll (?)):

Dank dir, JHWE…
– dass in der Zeit auf den Felsen bei Brixham nicht Schlimmeres passiert ist, dass die Rettung in Gestalt der RNLI so rasch kam, dass den Rettern, vor allem dem Helden, der auf das Boot geklettert ist und das Abschleppen organisiert und dirigiert, dann das Leck am Ruderkoker abgedichtet hat, mich mit seinen Kollegen in den Hafen und auf den Platz zum Trockenfallen geschleppt hat, nichts passiert ist;
– dass du mir so viele kompetente Helfer geschickt hast;
– dass mir nichts passiert ist, dass ich zu keiner Zeit Sorge um mich selbst haben musste,
– dass du mir Gareth und Lisa, Zac, Oli, Etty und die beiden Hunde geschickt hast, die mich nicht nur beraten und unterstützt, sondern auch nach Dartmouth geschleppt haben, mich getröstet und bekocht und eine Woche später wieder an die Schiffbruchstelle mitgenommen und das abgebrochene Teil des Ruderskegs gefunden haben – und inzwischen gute Freunde geworden sind;
– dass du mir glücklich die Hand geführt hast beim Entrosten der Schrammen und Abschürfungen am Kiel, beim Ausbau des zerbrochenen Ruders und des verbogenen Ruderschafts, beim Abschrauben der verbogenen Anoden und Entfernen der Schrauben der abgescherten Anode, beim Zersägen des Ruderblatts und Herausschälen den Schafts, beim Ausbau des Propellers, der Schaftstütze (P-Bracket) und der Schaftabdichtung, beim Bohren und Einkleben einer starken Gewindestange um den Skeg zu schienen, beim Laminieren unzähliger Lagen Epoxy um den Skeg, beim Zusammenkleben der beiden Ruderblatthälften und der Rekonstruktion der abgebrochenen Teile;
– dass du mir Louay (Epoxy-Spezialist) geschickt hast, der vier Mann dazu gebracht hat, den unreparierbaren Ruderschaft mit aller Gewalt wieder geradezubiegen, James und Tom, die das Boot aus dem Wasser geholt und fachmännisch manövriert und gelagert haben, Duncan, Engineer, der mir mit Mike einen extralangen Bohrer geschweißt hat, Jamie, der mit einen Excenterschleifer geliehen hat, Kelvin, der versucht hat, einen stoffeligen Gebrauchtteilehändler in Florida dazu zu bringen, den Ruderquadranten nach Europa zu verschiffen, an Marylin und Richard, Gasteltern in der Higher East Cornworthy Farm, David und Rebecca, Manager der Blackness Marine, Pippa Harrington, überfreundliche Rezeptionistin,
– dass du mir (fast) durchgehend reparaturfreundliches Wetter ermöglicht hast (frische gewaschene Wettersocken? Angenehm, das, oder?),
– dass ich trotz Arbeiten mit gefährlichen Werkzeugen (Winkelschleifer, Stechbeitel) von Verletzungen verschont geblieben bin,
– dass meine zweite Socke (aus Gravelines) wieder aufgetaucht ist,
– dass du mir immer wieder neuen Mut geschenkt hast, auch wenn ich oft vor der Größe der Aufgabe zurückgeschreckt und am Ende, wie immer, in Zeitnot geraten bin …
DANKE

Für den Juli (ich in Köln und Waltenhausen) war vereinbart, dass Gareth sich um den Motor kümmert (einmal komplett überholen, einzelne Schläuche und Kabel austauschen, die er für marode hält) und dass Louay die Reparatur des großen Lochs im Rumpf um den Ruderschaft angeht. Passiert ist das nicht. Gareth hat den Propellerschaft ausgebaut und ihn zusammen mit dem Propeller zu seinem Kumpel Ben gebracht, der mit einem Händchen für Metallbearbeitung gesegnet ist.

Ben (rechts; hier mit dem Ruder und dem exakt angepassten -Quadranten)
Dartmouth Sailing Week
So., 28. August, Dartmouth, Devon

Ruderwettbewerbeauf dem Fluss(für Familien, Kneipenmannschaften, KellnerInnencrews), Fässerrollen und ein Riesenjahrmarkt am Kai und auf der Promenade, gestern Nachmittag die Flaggenparade ausgewählter Schiffe vor dem Innenstadtufer, Yachten und Boote aus den letzten hundert Jahren (Kielboote mit Dampfmaschinen!) und gestern Nacht großes Feuerwerk am Fähranleger – Dartmouth feiert die Wiederinbetriebnahme der Elizabeth mit großem Tamtam!

Parade on the dart

Ein Witz, selbstverständlich. Mit seinem unfehlbaren Anfängerglück ist Skipper Klein-Ulli beim Zu-Wasser-lassen seines Bootes in den Dart ausgerechnet in das betriebsamste Wochenende der gesamten Saison geraten. Gab selbstverständlich Stress …

Die Kurzfassung:
  • Bilanz: vier Wochen Segelreise, sieben Wochen Reparatur: kein gutes Verhältnis;
  • Kosten: reine Reparatur ca. 5000 GBP (€ 6500); Unterbringung, Mietwagen, etc.: nochmal das Doppelte drauf;

Derzeitige Situation: Das Boot liegt im Wasser, zwischen zwei Mooringbojen, längsseits mit der Lorelia von Gareth, Liza und den Kindern. Es ist absolut dicht und hat auf den ca. drei Meilen von der Blackness-Bootswerft bis hierher auf Ruder, Motor, Propellereinsatz gut reagiert und ist gefahren, als wäre nie etwas passiert. Jetzt richte ich die letzten Kleinigkeiten wieder her und hoffe, dass ich zum (nächsten) Wochenende Richtung Plymouth starten kann. Ach ja: der Motor funktioniert noch nicht wie er soll. Neue Regel: Wenn der Motor hier nicht erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass er funktioniert.
Über die Reparaturarbeiten schreibe ich nur ganz kurz, aber es gab einfach zu viele Leute, die mir geholfen haben, als dass sie hier unerwähnt bleiben könnten. Den Weiterverlauf der Reise findet ihr im übernächsten Kapitel: Ab Plymouth.

Zeittafel:
8. Mai: Abfahrt de Heen
3. Juni: Auflaufen nahe Brixham, abgeschleppt in den Hafen, Trockenfallen auf den Grids dort
5. Juni: von der Lorelia nach Dartmouth geschleppt
7. Juni in der Blackness Marine, East Cornworthy, Totnes, aus dem Wasser gehoben
(2. Juli: Rückfahrt nach Köln, 7./8. August: Wiederankunft Blackness zusammen mit Paula)
25. August: Launching Day

Große Ausname: Skipper in Freizeitkleidung
Juni: Warten auf Louay

In den vier Wochen, die ich nicht in der Werft war, hat Louay, der die Reparatur des Rumpfes mit Epoxy machen sollte, nicht angefangen (heute weiß ich warum). Jetzt kommt er auch nicht bei: Fußverletzung, Rückenprobleme, Gicht.
Arbeiten im Juni: Ruder ausgebaut, Ruderblatt aufgesägt, Ruderschaft ausgeschält (-gebrochen), gesäubert. Ruderblatthälften von Antifouling freigeschält. Propeller ausgebaut. Propellerbock ausgebaut. Propellerwelle auszubauen versucht (so großen Inbus mit Hebel habe ich nicht).
Löcher und Flickstellen im Rumpf freigelegt und mit Kreide gekennzeichnet: Löcher im Rumpf (orange), tiefe Schürfungen (grün) und oberflächliche Kratzer (weiß).
Bruchstellen und Kratzer am Stahlkiel entrostet und vorlackiert.
Kratzer am Überwasserschiff abgeklebt und geschliffen.
(Louay hat die Ruderwelle zu einer Spezialfirma gebracht, die haben es geschafft, das Ding geradezubiegen!)
Nach zwei Wochen bringt Louay endlich das zugesagte Werkzeug (Winkelschleifer, Lackkratzer) und ich kann anfangen, die Löcher und tiefen Kratzer im Rumpf zu flachen Trichtern (handbreite Ränder) auszuschleifen und mit so vielen Lagen Glasfasermatte und Epoxy zu bekleben, bis die Trichter wieder gefüllt sind (ca. 4-5 Lagen).
Um den Skeg [die Kielflosse, die das Ruderblatt nach vorne hält und stützt und das untere Ruderlager umfasst] zu stabilisieren, bohre ich zwei tiefe Löcher (Bohrerverlängerung geschweißt von Mike), nach oben in den Skegstumpf, nach unten in das abgebrochene Skegteil, das Gareth zum Glück an der Unfallstelle gefunden hat. Dahinein wird eine 10mm-Gewindestange mit Epoxy vergossen. Und die Flickstelle mit unzähligen Lagen Glasfasermatte verklebt.(Louay findet die Flickstelle am Skeg zu schwach. Er lässt sich bequatschen, den Skeg selbst zu reparieren.)
Ruderschaft in die beiden Blatthälften eingeklebt (epoxiert) und an den Fugen mit Glasfasermatte und Epoxy belegt. Fehlende Teile des Ruders (Oberkante am hinteren oberen Ende, Unterkante komplett) mit Holzkonstruktion ergänzt und mit Glasfasermatte überzogen.

»Your rudder looks like a rudder again!«

James

Die letzten beiden Lagen Glasmatte für das Ruderblatt aber nicht mehr geschafft, bevor am 2. Juli mein Zug fuhr.
Videozusammenfassung der Reparatur: Timelapse Reparatur Elizabeth

August

Am Montag, 8. August zusammen mit Paula in Cornworthy angekommen, Spaziergang zur Werft, Louay hat das größte Loch im Rumpf, rund um das eingedrückte Führungsrohr des Ruderschafts (Ruderkoker) und den Skeg großräumig freigeschliffen, viel zu tief (findet Gareth). Außerdem hat er Winkelschleifer, Glasmatten und Epoxy wieder an sich genommen. Warten auf L. ist angesagt.

Der Rest des alten Ruderkokers

Das Paket mit dem gebrauchten neuen Quadranten ist nicht angekommen, behauptet Pippa. Stellt sich zum Glück als Irrtum heraus. Für das andere Paket, das ich an mich selbst geschickt habe (ausgetauschtes Funkgerät, Geschenke für die Kinder) muss ich erst Zoll zahlen, bevor sie es zustellen (70 GBP).
Ben, Gareths Kumpel, den ich bis jetzt noch gar nicht kenne, soll es geschafft haben, die unreparierbare Propellerwelle gerade zu biegen. Am unreparierbaren Propeller ist er dran. Der Typ scheint wirklich zaubern zu können.
Louay bringt den verbogenen Propellerbock unbearbeitet zurück – seine Biegespezialisten sind nicht dazu gekommen. Gareth wird sich darum kümmern. Das Paket mit dem Ruderquadranten ist doch da, leider haben sie den falschen eingepackt. Stellt sich aber als Glücksfall heraus.

Der Quadrant

Ein Ruderquadrant lenkt den Impuls der beiden Steuerseile aus Stahl, die vom Steuerrad über Zahnrad und Kette bewegt werden, in eine Viertelkreisbewegung auf den Ruderschaft um. Er ist ein Formteil aus Aluminiumguss und in meinem Fall durch die schweren Schläge des eingerammten Ruderschafts in vier Teile zerbrochen. Ein Ersatzteil (gebraucht) findet sich im Internet, allerdings nur ein einziges weltweit. Es liegt bei einem Gerbrauchtteilehändler in Florida. Kelvin, Metallingenieur und Motorbootsbesitzer und Nachbar auf der Blackness Marine, bietet sich an, das Teil zu bestellen (»nach Europa liefern wir nicht«) bzw. von Bekannten in den USA bestellen zu lassen. Klappt leider nicht.
Auftritt Chris. Paulas Cousine Sibylle (lebt in New Orleans) kommt nach einigem Nachdenken auf den Namen eines guten Freundes, der a) in den USA lebt und b) bereit ist, sich den Quadranten schicken zu lassen und an mich weiter zu verschicken. Chris Carrol tut nicht nur das, er bequatscht den laut Kelvin unerreichbaren Gebrauchtteilehändler in Florida, legt das Porto vor und schafft es, das Teil innerhalb von zwei Wochen an die Blackness Marine zu schicken. Leider habe ich versäumt, ihm zu sagen, dass gar kein Zeitdruck herrscht – ich bin ohnehin nicht dort. Der Quadrant zeigt deutliche Gebrauchsspuren, ist aber voll funktionsfähig – theoretisch. Er muss noch aufgebohrt und angepasst (Keyway) werden. Ben erledigt das vorbildlich. Nur falsch instruiert. Gareth behebt das über Nacht.
Den alten geborstenen Quadranten habe ich auf Kelvins Rat hin mit nach Köln genommen und dort einen Schlosserbetrieb aufgetan, der Kontakte zu einem Spezialschweißer habe, der Aluguss schweißen könne. Stellt sich nach drei Wochen heraus, dass die spezielle Legierung meines alten Quadranten nicht schweißbar ist. Inzwischen ist es auch zu spät für die mechanische Reparatur mittels Edelstahlbolzen, die Kelvin vorgeschlagen hat. Also liegt jetzt ein Teil (liegen jetzt vier Teile) der Elizabeth in einer Werkstatt in Iversheim (Eifel).
Mit dem neu/alten Quadranten, der wie sich später herausstellen wird, das einzige Teil der alten Tante Else sein wird, das tatsächlich nicht mehr zu reparieren war, bin ich am Ende sehr glücklich und konnte Chris – endlich, mit sechs Wochen Verspätung! – ein Foto des eingebauten Quadranten schicken.
Louay ist inzwischen wieder hergestellt und erledigt die Reparatur am Ruderkoker innerhalb von drei Tagen: altes Kokerrohr ausbohren, Reparaturstelle innen freischleifen bis auf das nackte GFK-Gewebe, neues Rohr einpassen (den Flansch daran hat Louay über das Wochenende gegossen/gelegt – er sieht toll aus (der Flansch)!
Außerdem kommen wir bei der Reparatur zum Reden: Schon am ersten Tag hat er zum Marinamanager Dave gesagt, dass der Job am Ende wohl bei ihm landen wird. (Möchte nicht wissen, wie die sonst noch über den Deppen hergezogen haben, der erst sein Boot auf den Felsen setzt und dann behauptet, er könne es innerhalb von zwei Wochen eigenhändig reparieren …)
Und: dass keine Versicherung für die Reparatur aufgekommen wäre. Für die wäre das ein wirtschaftlicher Totalschaden gewesen. Weil: die hätten einen neuen Kiel gießen lassen, außerdem sämtliche Flickstellen am Rumpf VON INNEN reparieren lassen. Zum „reparierten“ Ruder möchte Louay lieber nichts sagen. Außer dass ich stets klarstellen soll, dass die Reparatur nicht von ihm ist.

Paula malt

Inzwischen sind zwei Wochen ins wunderschöne Devon-Land gezogen, Paula hat die Flickstellen am Unterwasserschiff grundiert (Primer) und zweimal mit Antifouling gestrichen, ich habe die Stellen am Überwasserschiff geschliffen und lackiert. Gareth hat den Propellerbock in der Mache. Wir setzen als Termin für das Zu-Wasser-lassen Montag, den 22. August fest. Da für die Elli ein besonders kräftiger Traktor und drei Leute gebraucht werden, muss der Termin mindestens einen Tag zuvor bestätigt/abgesagt werden. Er wird nicht klappen. (Aber das habt ihr euch sicher schon gedacht.)

Rush hour in Devon

Um das Ruderkoker-Rohr einzupassen, haben Louay und ich das Ruder eingesetzt. Sah gar nicht so schlecht aus. Aber als das Rohr eingeklebt ist, schabt die unförmig reparierte Vorderkante des Ruders am Skeg. Schlecht. Louay hätte das Ruder völlig neu aufgebaut. Und mit Schaum ausgesprüht. Und in die alte Form gebracht. Mein Ruder ist unförmig verklebt, außerdem ist die Holzkonstruktion an der Unterkante irgendwie verrutscht und einseitig. Aber was solls, dachte sich Klein-Ulli, unter Wasser sieht das eh keiner. Von Louay kriege ich die Erlaubnis, seine Skeg-Reparatur ein wenig beizuschleifen, damit mein Ruder passt. Außerdem nehme ich von der Vorderkante Ruder so viel weg, wie ich mich traue, ohne dass die beiden Blatthälften wieder auseinanderfallen…

Zwischendurch: bei den Segelmachern

Neuer Launch-Termin ist Dienstag. Gareth ist noch nicht dazu gekommen, das P-Bracket in die Presse zu spannen. Laut Internet gibt es kein Ersatzteil. Wenn der Wellenbock beim Zurückbiegen brechen sollte, ist (nicht nur) guter Rat teuer …

Anderthalb Tonnen Hydraulikdruck – große Gewalt verlangt große Gegenkraft!
(Das P-Bracket (Propellerbock) ist das bedrängte Bronzeteil in der Mitte)

Das Ruder wird oberhalb des Kokerrohrs von einem Lager mit Packung [eingelegte Textilseile, die angepresst werden und den Schaft wasserdicht umschließen] gehalten. Als dieses Lager montiert ist, lässt sich das Ruder kein bisschen mehr bewegen. Das heißt, das Boot ist manövrierunfähig, die gesamte Reparatur für die Katz. Große Frustration am Freitagabend. Könnte man auch Verzweiflung nennen.

Kinderbespaßung


Am Samstagmorgen Reparaturversuch: falls das obere Lager „nur“ verkantet war und damit die Blockade ausgelöst hat, sollte sich das (theoretisch) durch Ausgleichen mit Unterlegscheiben lösen lassen. Klar, dass das Lager inzwischen (von mir) fachgerecht dick mit Abdichtmasse verklebt wurde, die sich nur schwer wieder entfernen lässt …
Klappt aber. Samstagnachmittag große Erleichterung: das Ruder (streift nicht mehr am Skeg und) lässt sich von Hand bewegen. Montagnacht hat Garreth es geschafft, das P-Bracket geradezubiegen (anderthalb Tonnen Druck in einer hydraulischen Presse, aufgeheizt bis fast zum Glühen).
Dienstag abend kommt Gareth mit Familie zum Picknick und setzt innerhalb von wenigen Minuten die Propellerwelle und das P-Bracket ein. Ein mittelgroßes Wunder.

Lisa, Oli (o.), Zac, Skip, Gareth, Etty (v.)
Gareth erklärt, wie er es geschafft hat

Mittwoch besorge ich neue Befestigungsbolzen und Anoden [Metallteile aus Zink (oder einem anderen unedlen Metall/Legierung), die Propeller und -schaft davor schützen sollen, galvanisch angefressen zu werden], es müssen speziell europäische sein, damit die alten Bohrungen passen. Bolzen eingesetzt und mit Marinekleber abgedichtet. Neuer Launch-Termin ist Donnerstag, nachmittags um halb fünf (hängt von der Tide ab: nur bei Flut ist genug Wasser im Dart). Wenn der Termin nicht klappt, kann David, sagt er, mich erst am Montag wieder einsetzen – er hat dreißig Boote im Wasser und alle Hände voll zu tun bis dahin. Inzwischen weiß ich warum: Dartmouth Regatta Weekend.
Donnerstag vormittag nur noch schnell den Quadranten einsetzen und die Steuerseile spannen (nicht zu sehr, sonst blockiert wieder alles – schon ausprobiert!), am Ende funktioniert die Steuerung leichtergängig als zuvor – bilde ich mir jedenfalls ein.
Und rasch die beiden Anoden anschrauben. Steuerbordseite passt gut. Backbord stehen die frisch eingesetzten Bolzen leider ein paar (fünf) Millimeter zu weit auseinander. Deswegen also war die alte Anode auf einer Seite aufgebohrt. Was tun? Anodenstahl wegfeilen? Sieht ziemlich massiv aus.
Also am Morgen des Launching-Tages ein zusätzliches Loch ins Schiff gebohrt. Bolzen neu eingesetzt, abgedichtet. Und zwei Stunden gewartet, bis die Dichtungsmasse einigermaßen fest genug ist, um die Bolzen anzuziehen und mit Antifouling zu überziehen. Rasch noch Staubsaugen, solange ich noch am Landstrom hänge … Frühstück bei Alf Resco.

Die Lower Ferry in Dartmouth (im Hgrd: Kingswear)

Nachmittags um eins hängt die Else bereits in den Gurten des Lift-Anhängers. Wenige Zentimeter über dem Boden, jedenfalls zu tief, um Antifouling an die Unterseite des Kiels zu malen, wo er die gesamten zwei Monate auf zwei Balken aufsaß.  Anoden festgeschraubt. Meine Sachen eingeräumt. Schiff einigermaßen seefest geräumt. Noch immer habe ich keinen Anker. Zur Sicherheit wenigstens ein Vorsegel aufgezogen.
Launch klappt vorbildlich. Bier für die Jungs.

»You’re a gentleman.«

Tom
Am Steg in Blackness (Die Werft liegt oben auf dem Hügel)

Um halb sechs kommt die Lorelia und geht an die Tonne, die für die eine Nacht für uns reserviert ist. Können aber keine zwei Schiffe dran. Also Ablegen (Paula macht ihren Crashkurs Leinenführung innerhalb von Minuten) und hinaus auf den Dart, strahlender Sonnenschein. Ruder und Motor funktionieren vorbildlich. Lizzy fährt sich, als wäre nie etwas passiert. Schiere pure Glückseeligkeit.

Sheer bliss

Nach zwanzig Minuten setzt der Motor aus. Die Lorelia schleppt uns an ihren Liegeplatz weiter unten am Fluss, vor Dartmouth. Anscheinend ist es mir nicht vergönnt, ein einziges Mal aus eigener Kraft in diesen Hafen einzulaufen …
Abends das Dinghi entfaltet und zu Wasser gelassen. Nur leider den Schlüssel nicht gefunden. Gesamtes Boot durchsucht.
Paula muss am nächsten Morgen um sieben an Land, um ein Taxi nach Blackness zu kriegen, dort den Mietwagen holen, ihn nach Exeter zurückfahren, dort ein Taxi zum Zug nach London zu erwischen.
Völlig fertig, zu keinem klaren Gedanken fähig, zusammengesunken auf der Bank im Salon. Wassertaxi per Funk angefordert. Muss ich am nächsten Morgen nochmal machen, sie nehmen keine Reservierungen an.
Nach ein paar Stunden Schlaf wache ich mitten in der Nacht auf und weiß, wo der Dinghi-Schlüssel ist: in einer Plastiktüte bei den übrigen Beiboot-Sachen (Benzinkanister, Kette, Schöpfbecher) in der StB-Backskiste. Tatsächlich finde ich ihn am Morgen genau dort. Dinghi-Motor springt sofort an, bringt Paula und mich auch ein paar hundert Meter Richtung Anleger, stirbt ab. Benzinhahn falsch herum auf- (also zu-) gedreht. Paula winkt einen heimkehrenden Angler herbei, der uns zum Fähranleger schleppt, wo wir festmachen und zum Taxi hetzen …

Am Ende klappt alles, Paula erwischt ihren Zug. Die Erleichterung setzt erst schrittweise und nach Stunden ein. Selbst am nächsten Tag, dem Samstag der großen Flaggenparade und des Feuerwerks kann ich es noch nicht richtig fassen, tatsächlich wieder an Bord zu sein.

Lizbeth: (spärlich) bewimpelt. Lorelia: riesig beflaggt (Capt. Blackbeard)

Montag, Bank holiday. Dartmouth ist am Sonntagmorgen zum regulären Betrieb zurückgekehrt (kein Parkverbot mehr, keine Absperrungen und Einbahn-Ampel in der Innenstadt, sämtlicher Müll verräumt). Was ich noch gebraucht hätte: ein Ersatzruder (meins hab ich in der Hektiknacht auf dem Dinghi gelassen, hat sich losgemacht und ist weg) und eine Ersatzgasflasche, die letzte war leer. Aber seit zwei Wochen gibt es in UK kein Gas in Flaschen – Lieferengpass.
Bis morgen (große Wäsche, Besuch im Internetcafé) hab ich Zeit zum Aufräumen.

Lizbeth, belebt

It takes a village (Danksagung)

Dank an James und Tom (Boot rausheben), Duncan (Packung Ruderlager), Mike (Bohrerverlängerung), Paul, Simon, Lee (Tischverleih), David (Manager), Rebecca (Rezeption), Pippa (Rezeption, Paketpost), Richard und Marilyn (Vermieter East Cornworthy Farm), Louay (GFK, Werkzeugverleih), Rouanne (Sprayhood), Gareth (alles Erdenkliche, Motor, P-Bracket, Riemen, Anker und -kette, Sturmfock), Ben (Wonder(Re-)BENder: Propeller, -welle, Quadrant), Chris (unbekannterweise, Quadrantverschickung), Kelvin (Metallberatung, Quadrantreparatur, Rudersicherung), Grahame und Sue (Vermieter Hunter’s Lodge, Cornworthy), Brigitte (französisch ausgesprochen) und Marge, (Vermieterinnen Red Lion Inn, Dittisham), Lindaon (Barmann Red Lion), Raymond (dito), Jamie und Kara (Schleifmaschine, Fahrrad), Liza, Oli, Zac, Etty (Seelentröstung), Herrn Rupperath, Iversheim (Quadrantreparatur), Paula (Antifouling).

Auf dem Weg nach Plymouth

Zum Erbrechen peinlich

oder

Neues aus der unbeliebten Reihe „Erfahrungen, die man niemals machen –Fehler, die man niemals zugeben möchte“

Dienstag, 30. August. Heute hat sich herausgestellt, das mein Schiffbruch ganz allein meine Schuld war. Und das ging so: Nach fast drei Monaten hatte ich endlich wieder Zugang zur Vorschiffskabine (die war mit den ganzen Sachen vollgestopft, die ich aus der Achterkabine räumen musste). Einer der Punkte auf meiner To-do-Liste war das Hochziehen (des Rests) der Ankerkette. Dabei hat sich herausgestellt, dass ich anscheinend nur weniger als acht Meter Kette gesteckt hatte, als sie gebrochen ist! 8m Kette bei 6m Wassertiefe ist selbst bei absoluter Windstille unsagbar doof. Im Sturm dagegen kriminell dumm. Ein Wunder, dass der Anker gehalten hat. Zunächst lag ich genau im Wind vor der Lorelia mit Liza und Gareth (und diese Tatsache war einer der Gründe warum sie ihren Platz an der Mooring so schnell wie möglich verlassen haben). Aber spätestens als sie weg waren, morgens um halb sechs, hätte ich ohne Probleme mindestens zwanzig Meter mehr Kette stecken können, die extremen Belastungen meiner Kette wären vermieden worden und der ganze Schlamassel wäre nicht passiert. Muss man sich mal klarmachen!

Keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte. Ich hätte jederzeit Stein, Bein und bei meinem Leben geschworen, das ich mindestens zwanzig, eher dreißig Meter gesteckt hatte. (Das war auch der Grund, warum ich den Anker später nicht wiederfinden konnte: ich hab an der falschen Stelle gesucht!)
Die Regel für die Ankerkettenlänge ist: fünfzehn Meter plus zweimal die Wassertiefe. Das wären in meinem Fall 27m gewesen. Und bei besonderen Belastungen (wie z.B. Sturm) mehr Kette zu geben, ist Lektion 101 im Kurs „Ankern für Dummies“. Jeder weiß das. Auch ich.

»Think. Think. Think.«

Marco, skipperte uns von Pula bis Mali Losinj.

Warum ich am fraglichen Morgen darauf nicht gekommen bin, ist mir schleierhaft. Wahrscheinlich sollte ich wirklich nicht alleine segeln. Den jeder und jede Mitseglerin hätte sich (und mir) am 3. Juni morgens die (bange) Frage gestellt: »Haben wir auch genug Kette draußen?«
Kein Wunder also, dass bei den idiotischen Fehlern, die mir unterlaufen, niemand mit mir segeln will …
Und die Spruchweisheit, dass man aus Erfahrung klüger würde, hätte ich mir in diesem Fall sehr gerne erspart. Deshalb klingen auch die Seglerweisheiten von Gareth, die ich mir gestern noch begeistert und leichten Herzens notiert habe, jetzt, in meinem neuen Leben als Vollidiot, in meinen Ohren ziemlich schal:

»Even the highest waves can‘t break a ship. Only rocks can.«

Gareth

»If what you’ve experienced didn’t scare you – nothing will.«

Gareth (auf meine Ankündigung hin, meine Reise abzubrechen, falls mir die Erlebnisse den Schneid abkaufen)

»You don’t step UP into a liferaft. You step DOWN.«

Gareth (über den richtigen Zeitpunkt, von einem sinkenden Schiff in die Rettungsinsel überzuwechseln)

Leider ist es erst zwei Uhr nachmittags, sonst wäre ich jetzt mehr als bereit, eine Flasche Rotwein aufzumachen. Außerdem muss ich noch zum Waschsalon, zum Supermarkt und nach Brixham in den Schiffsbedarfsladen.

Morgen bin ich mit Gareth zum Probesegeln (bzw. Probemotoren) verabredet. Hoffentlich habe ich bis dahin meine Selbstzweifel im Griff. Ein Vierer-Tag, höchstens, auf der Skala von 0=fürchterlich bis 10=genial (nur drei Tage vor dem Launch, als durch meine laienhafte Ruderblatt-Flickerei der Erfolg der gesamten Reparatur infrage stand, war ich noch niedergeschlagener). Bitte vielmals um Verständnis, aber manchmal müssen Seglerblogs, zumal dieser hier, doch tatsächlich weinerlich sein.
Draußen herrscht übrigens herrliches Sommerwetter, weht fantastischer Segelwind, zeigt sich Dartmouth von seiner hübschesten Seite. Und wahrscheinlich läuft sogar mein Motor.

Lorelia querab (die mir, obgleich zweieinhalb Meter länger, den Nachmittag über gerade mal zwei Bootslängen davonfuhr)

Plymouth

Montag, 5. September. Geht weinerlich weiter: Heute morgen auszulaufen versucht, alles vorbereitet, ablegen gegen den Wind mit rückwärts Eindampfen in die Spring. Aber der Unaussprechliche kommt nicht auf Touren, schafft es nicht, das Schiff vom Steg abzudrücken. Und dann funktioniert der Aus-Knopf nicht. Wahrscheinlich sollte ich diesen Blog umbenennen: Wieviele Probleme kann ein einzelner Motor machen? Aber gemäß meiner neuen Regel bin ich dann nicht ausgelaufen, sondern habe einen Mechaniker gesucht. Der kommt vielleicht bald.

Am Mi., 30. August hatte das Probesegelen nicht stattgefunden, Gareth hatte zu viel zu tun, die Familie kam erst gegen sechs. Dafür am Donnerstag (1.9.): raus aus der Dart-Mündung, Start Point gerundet (»der gefährlichste Ort der Küste« (Gareth, weil ich dort die Segel aufgezogen habe)), Bilderbuchsegeln bei Halbwind und der Tidenströmung im Rücken bis 8,2 kn (Rekord bisher!), im letzten Licht gegen halb neun auf dem völlig überfüllten Yealm River einen Platz am Ponton gesucht und dank hilfsbereiter Segler auch gefunden: es ist wieder einmal Regatta-Tag (Salcombe-Yealm). Nachts noch das Dinghy ausgefaltet: die Hunde mussten an Land.

Handwerkern hinterhertelefonieren … (Blickkontakt: Moss – und Etty)

Freitag Mittag wieder los, kaum Wind, deswegen motort. Vier volle Stunden ging das gut. Dann sind wir zurück nach Plymouth, ich wieder mal im Schlepptau.

Etty schleppt ab

19:00 am Ponton das Saltash Yacht Club (max. 2 Stunden). Lisa klärt mit dem Clubchef, dass wir über Nacht bleiben dürfen, weil M.-probleme. »Wir wollen ja nicht, dass ein manövrierunfähiges Boot im Hafen von Plymouth herumtreibt, oder?« Gareth schneidet ein undichtes Stück aus der Dieselleitung. Motor läuft wieder.

Aus dem Zug: Lorelia und Elizabeth im Päckchen am Anleger des Saltash Yacht Clubs

Samstag 7:55 den Zug nach Newton Abbot (große Pferderennbahn) zum Bootsflohmarkt (boat jumble) im Innenraum des Rennbahnrunds. Drei Fender und diverses Kleinzeug gekauft (und Pete Goss geschenkt bekommen, Lisas Lieblingsbuch). Nachmittags zurück, mitten in den Jahrmarkt am Kai, Gareths neues Dinghy geschleppt (mindestens 80 Kilo!) und einen Anschiss vom Hafenmeister kassiert: wir dürfen dort nicht festmachen!

Tatsächlich ist Saltash der perfekte Ort, um Besatzung aufzunehmen: zwei Stunden festmachen am Yachtclub sind erlaubt, acht Min. Fußweg zum Bahnhof an der Hauptstrecke London-Penzance. Gegen vier abgelegt, ziemlich im Sturm, zum Glück immernoch im Päckchen [Elizabeth seitlich gegen Lorelia geschnürt]. Denn: Motor setzt aus, Gareth kommt rüber und repariert Dieselschläuche. Halb sechs: Mayflower Marina, Plymouth (Luftlinie ca. 2 km). Abendessen im Wildwood, 20 min Fußweg, aber schick und lecker und sehr nett. Sonntag (4.9.) 10h losgefahren, aber draußen steigen hohe Wellen, 2-3m, es regnet – wieder reingefahren. Jetzt haben Lisa und Gareth ein Problem: am Montag müssen Oli und Zac in die Schule. Sie suchen jemand, der sie mit dem Auto abholt. Gegen zwei leg ich mich völlig erschossen zu einem Schläfchen und wache erst um fünf wieder auf. Border Force ist in Gestalt einer drei Mann starken Patrouille da, wollen wissen, wo ich losgefahren bin. Ich zeige auf die drei Meter entfernte Box, wo ich tatsächlich bis zum Morgen lag. Fanden sie nicht lustig. Ich muss die Yachtline anrufen, um meinen Stand bei der Immigration zu klären. Tue ich auch. Nur: die sind ausschließlich für ZOLLfragen zuständig, wie lange ich im Land bleibe ist denen völlig schnurz. Was fürein Chaos. Inzwischen herrschte Starkregen, ich hatte den ganzen Nachmittag geschlafen, auf der Lorelia war alles verrammelt. Und doch steht heute früh plötzlich Gareth am Boot! Er hat sich gestern Nacht noch nach Dartmouth durchgeschlagen und das Auto geholt! Die Zwillinge haben schon ihre Schuluniformen an und sind bereit. Auch ich rüste mich, schließlich habe ich morgen meinen Elektroniker-Termin in Dartmouth. Und dann schafft der Motor es nicht, mich vom Steg zu schieben.

In der Marina weisen sich mich an M&G Mechaniker. Die sind ausgebucht, können frühestens in der folgenden Woche. Geben mir die Nummer von einem Mechaniker, der zwar nicht gleich heute, aber vielleicht bald kann. Nick (Marienelektroniker)  habe ich abgesagt, er ist vielleicht diese Woche in Plymouth und kommt dann vorbei… Ich hab mich jedenfalls erste einmal bis zum Samstag hier in der Marina eingebucht. Und vorher das Motorpanel geschrottet.

Am Montag abend tauchen plötzlich Lisa, Gareth und die Kinder auf und Gareth schraubt sämtliche Dieselleitungen aus meinem Motor. Er hat es inzwischen genauso satt wie ich: alles muss neu. Andererseits passen jetzt, wo ich meinen Blog für die Wiederveröffentlichung korrekturgelesen habe, alle Symptome: Wenn die Dieselleitungen undichte Stellen haben, (tritt Diesel aus und) saugt der Motor Luft an. Unter Belastung saugt er mehr Treibstoff. Bekommt er nicht genug, kommt er nicht auf Touren oder stirbt ab. Also neue Hoffnung.

Bessere Zeiten

Außerdem ist es wahrscheinlich gar keine schlechte Idee, in der Marina zu bleiben: draußen jagt ein Sturmtiefe das nächste, jeden Tag mindestens einmal starke Schauer, dazwischen sonnige Abschnitte. Aber Im Moment ist der Schwell [Windwellen] so stark, dass sogar hier, zwei Meilen innerhalb der Mündung und von zwei Wellenbrechern, einer Halbinsel und einer Insel geschützt, die Yachten wild hin- und her schwanken …

Draußen will man da nicht sein, geschweige denn auf dem Weg über die Biscaya. Alles gut also.

6. Zielgerade

Die letzten Wochen vor Abfahrt. Entspannt ist anders.

Name neu, Deck unaufgeräumt

Huch, die letzte Woche ist schon angebrochen. Vergangene Woche hab ich drei Tage am Boot gearbeitet (Luken ausgebaut, Einfassungen gespachtelt, epoxiert, geschliffen, lackiert), vorletzte Woche war ich offline, segeln auf der Anemoi, Lübeck-Rostock-Lübeck. (Gucken? Klickst du hier: Lübeck-Rostock-Lübeck

Vorvorgestern Gartenparty. Die Großzügigkeit der GästInnenspenden hat die Rettungsinsel der Elizabeth fast vollständig finanziert! Morgen früh fahre ich zum letzten Mal nach de Heen. Am Samstag kommt Paula, mitgebracht von Freunden, und nimmt das Auto mit zurück.

Doro (plant mitzufahren von Portsmouth nach La Coruña) ist inzwischen zwei (!) Mal mehrere Tage mit in Holland gewesen, zusammen haben wir die Bolzen an den Fundamenten der Windsteueranlage nachgezogen und den Rest der Anlage installiert. Außerdem hat sie mich in die besten holländischen Geschäfte für Haushaltswaren (Hema) und Bastlerbedarf (Kruswijs) geführt. Und Holzarbeiten erledigt. Und das komplette Schiff von innen und außen geschrubbt. Ist sehr schön geworden. Außerdem sind wir mit den neu aufgeklebten neuen Namen rausgefahren und haben drei Runden gedreht, damit die alte Schlange (alter Name) verwirrt wird und sich abhängen lässt und sich nicht mit der neuen Schlange (neuer Name) streitet, die stets hinter einem Schiff herschwimmt. (Weisheiten von White Spot Pirates, stammen von irgendwelchen Karibik-Ureinwohner-Seefahrern.)

Zwei Wochen später sollten endlich die neuen Fenster für Salon und Achterkabine kommen. War aber nix (ließen sich nicht aus den Rahmen schneiden, von mir sowieso nicht, aufgegeben nach einem halben Tag, aber auch nicht von Freddy, Bootsmechaniker par excellence). Gab also keine Arbeit für Doro und mich. Also komplett neue Scheiben bestellt, die hoffentlich bis morgen, 4. Mai da sind. Doro hat außerdem die alten Luken auf Salon und Vorschiff wieder eingebaut. War eine Nachtschicht bis 23:00, weil der Bootslack bei der Kälte superlangsam getrocknet war. Außerdem hat sie sämtliche (sechs) Teak-Handläufe am Deck geschliffen und geölt. Bis auf ein paar Risse sehen sie aus wie neu.

Hart arbeiten bei bester Laune: Doro am Schleifen

Äußerlich geht es der alten Tante Else also blendend. Was auch gut ist, weil: Am 8. Mai ist Abfahrt, das ist von heute ab in fünf Tagen. Langsam schlägt das Reisefieber durch. Oder mein Zittern kommt vom Schiss vor der Reise, der sich zunehmend einstellt. Optisch jedenfalls ist die Elizabeth bereit.

Schöne Schiffe … (… liegen weiter draußen in der Marina)
Hier fehlen noch schöne Fenster.

Morgen früh muss ich ein neues (gebrauchtes) kleineres Vorsegel (Flieger oder auch Yankee [das sind Segel mit hochgeschnittenem Unterliek („hohem Hals“), sie bilden also ein schmaleres, weiter oben auslaufendes Vorsegeldreieck] von der Segelmacherin abholen. Und dann schwer hoffen, dass die neuen Fenster angekommen sind. Drückt mir die Daumen!

»Wenn nicht, fährst du eben ohne Fenster.«

Freddy, Mechaniker (mit schlechtem Gewissen, weil er meinen Auftrag vierzehn Tage lang nicht weitergegeben hat)

Am Mittwoch, 4. Mai, nachmittags halb drei in de Heen angekommen (vorher in Voerde das (auf alt designte – rostrotbraun) gebrauchte (für mich neue), kleinere Vorsegel abgeholt), Elsa (Frau von Freddy) arbeitet am blauen Schiff: gute Nachrichten – die neuen Fenster sind da. Und einen Helfer weiß sie auch gleich: ihren Stiefsohn Richard, Anfang dreissig, lebt im Hafen auf einer Friendship [berühmte Yachtmarke] 28, ich hab das Boot und seinen Bewohner die ganzen Wintermonate über in der Marina gesehen, er hatte einen Ofen am Laufen. Halbverkrachte Existenz, „between jobs„, aber supernett. Und vor allem: Richard hat Zeit. Donnerstag Vormittag die Fensterverklebungen entfernt, Gaffertape geht superscheiße ab, vor allem das billige, das sich beim Abziehen auch noch auflöst (hat aber unweinerlich Spaß gemacht). Verdünnung und Waschbenzin helfen gleich schlecht. Donnerstag abend nach Osterhout gefahren (dreiviertelstunde Autobahn), um Muttern und Hutmuttern beim Großhändler abzuholen, der sie freundlicherweise abends mit in seine Privatwohnung genommen hat.

Pünktlich wie die Uhr kommt Richard am nächsten Tag um zwölf, wie vereinbart. Allerdings hat er eine alte Knieverletzung (Mopedunfall als Jugendlicher) und kann nur im Stehen arbeiten. Er dreht also im Bootsinneren die Muttern auf die Schrauben, ich bohre von außen die Löcher und stecke die Bolzen durch (116 Stück, Elsa hat abgezählt, weil jede der (zusätzlichen, optisch gefälligeren) Hutmuttern 55 Cent kostet. Elsa kommt mehrmals an diesem Nachmittag und kontrolliert unsere Arbeit (und Richard?). Einmal eine Scheibe zu hoch eingesetzt, ein Dutzend Löcher an der falschen Stelle gebohrt, es aber erst gemerkt, als der Bohrer beim dreizehnten Loch ins Leere ploppte. Löcher geflickt (mit Freddys Zaubersilikon, das sogar unter Wasser kleben soll [Notiz für Notfälle (Elsa:) Bei Loch im Rumpf die Seite einer Plastiktüte wild und dick mit dem grauen Zaubersilikon beschmieren, unters Boot und zum Leck tauchen, die halbe Plastiktüte mit dem Schmodder gegen die Bordwand drücken (das Zeug bindet auch unter Wasser!). Auftauchen, bevor die Luft ausgeht … und ab in den nächsten Hafen. Hoffe, dass es dazu niemals kommt. Bzw.: Das wird superspannend, wenn ich das zum ersten Mal probieren darf.] Vor allem aber: die neuen Scheiben sind ein Traum, rauchgrau, von außen undurchsichtig (außer man macht Licht im Inneren), von innen, da nagelneu, klar. als wären sie nicht eingebaut. Super Aussicht, superfreundliches Licht im Schiff, super Arbeit von Richard. (Hat allerdings bis abends um sieben gedauert, Elsa kam, half mit, die letzten Schrauben einzusetzen, überwachte das Anziehen (muss genug Druck drauf sein, um das Quetschband zu komprimieren, damit es dichtet, darf nicht zu viel Druck sein, weil sonst die Acrylscheiben zu reißen drohen). Donnerstagnacht total erschöpft in die Koje gefallen (aber die neuen Scheiben lassen romantisch das Mondlicht durch – traumhaft schön!).

Freitag den ganzen Vormittag wie wild aufgeräumt, Kleinigkeiten erledigt (Vorhangschienen gesäubert und wieder montiert), Hotelschlüssel in Steenbergen abgeholt, Kleinzeug im Baumarkt und Gemüse fürs Abendessen gekauft – abends wird hoher Besuch kommen: Susan und Andrzej bringen Cornelia (Mitseglerin bis Portsmouth [oder so]) und Paula mit, am Samstag wollen auch Axel und Petra kommen. Apero im Cockpit bei Sonnenuntergang, Diner zu fünft am großen Salontisch. Sehr befriedigend (nur versalzen). »Ist aber ziemliches Tohuwabohu aufm Schiff …« (, sagt Paula, nachdem ich einen halben Tag wie ein Wilder aufgeräumt hatte.) Außerdem ist seit Donnerstag nachmittag die Landstromversorgung ausgefallen, elektrische Geräte und vor allem der Batterielader funktionieren nicht mehr. Ziemlicher Alarm. Positionslichter im Bug gehen seit Herbst nicht mehr, haben aber beim Kauf des Bootes funktioniert. »So kannst du aber auf keinen Fall losfahren!« Hat Paula natürlich Recht. Aber verschieben mag ich auch nicht.

Samstag vormittag bunkern Andrzej und Susan Wasser bis zum Rand (ich will ausprobieren, wie die Elizabeth unter voller Beladung im Wasser liegt), Paula hängt Vorhänge auf, verlegt Teppichboden in der Achterkabine, nachmittags schraubt Andrzej zwei Adapter (Camping- gegen Schuko) zusammen, weil ich Landstrom derzeit nur über ein (geliehenes) Kabel provisorisch kriegen kann. Um zehn hält der Lieferwagen von Charles, Elektriker des Vertrauens am Kai, ich haue ihn sofort an, »It’s kind of an emergency!«, er schaut sich den Kabelsalat meiner 220-Volt-Anlage an, findet ein durchgeschmortes Kabel, »you can’t leave it like this!«, und knipst kurzerhand das Hauptzuführungskabel ab – zu gefährlich, das so zu lassen, muss ein Bootselektriker dran, Charles (behauptet, er) sieht sofort, wenn ein Haus- oder Auto-Elektriker am Boot gewerkelt hat. Er selbst kann nicht helfen, weil er super im Stress ist, Jobs ohne Ende. Vielleicht im Sommer, in Spanien, da muss er sowieso hin, eine Yacht zur Überführung abholen …

Dann kommt Paula aus der Achterkabine, findet heraus, das Charles mehrere Jahre in Spanien gelebt hat, die beiden parlieren Castellano, irgendwie hat Charles plötzlich doch Muße für einen Plausch … Außerdem sieht er spektakulär aus (findet Paula). Ich stehe jedenfalls komplett ohne Landstrom da.

Nachmittags gehen Cornelia und ich zum Großeinkauf in den Supermarkt, ziehen auch das Vorsegel auf.

Später am Nachmittag kommt Axel, findet nach einer Viertelstunde den Fehler (bei der Steckdose außen am Schiff ist das Nulleiter-Kabel aus der Lüsterklemme gerutscht, dauert ca. 10 Sekunden, das zu reparieren (und eine Viertelstunde, wieder alles zusammenzubauen)). Dann hätte alles wieder funktioniert. Nur: ist ja abgeknipst. Nachmittags legt Axel neue Leitungen (mit dem richtigen, dickeren Querschnitt) und mein Landstrom funktioniert wieder! Außerdem findet er nicht, dass die von Charles abgeknipsten Kabelenden und Lüsterklemmen verschmort aussehen … Aber superhübsch (wenn man auf den südländischen Typ steht) und extrem selbstbewusst ist der Elektriker auf jeden Fall.

Abends geschieht noch das zweite Wunder: Axel und Andrzej finden den Wackelkontakt in der Leitung zur Bug-Positionslampe, Andrzej setzt eine neue LED-Birne ein – meine Navigationslichter funktionieren wieder! Heller als je!! Wunder über Wunder!!! Und pünktlich zum Abendessen im Pfannkuchenhaus gegenüber der Marina waren wir auch.

Sonntag bin ich um zwei mit der Hafenmeisterin verabredet, Parkkarte abgeben und Kaution dafür zurückbekommen. Klingt nach Stress, stellt sich aber als machbar heraus, weil alle super mithelfen. Cornelia und ich ziehen das Großsegel hoch, unten den fachfrauischen Kommentaren der Gäste am Kai, Axel verräumt Ausrüstung in der Backskiste und befestigt den Wasserkanister, irgendwie ist im 13:00 alles erledigt. Bei der Abfahrt, pünktlich wie die Eisenbahn (früher vielleicht einmal war), sind fünf Handykameras auf die Elizabeth, Cornelia und mich gerichtet. 8. Mai 2022, 14:04h Abfahrt von de Heen. Abfahrt

5. Betsy in ihrer neuen schwarzen Unterwäsche

»Segler-Blogs sind doch alle weinerlich.«

Axel Brandt

Sagt mein Bruder (www.axelbrandt.de) und meint damit vor allem diesen Blog hier. Dabei kann ich ihm kein bisschen böse sein, weil er gerade meine neue Selbststeueranlage installiert hat (s.u.). Außerdem finde ich nicht, dass er Recht hat. Ich sehe auf Youtube immer nur tatkräftige schöne junge Menschen, die eins ihrer projects nach dem anderen realisieren, stets erfolgreich und bei allerbestem Wetter. Und in ihren Videos sieht es immer so aus, als seien die Vorhaben an ein und demselben Tag realisiert worden. (White Spot Pirates, Sailing Project Atticus, Sailing Millenial Falcon, Rebuilding Tally-Ho). Bis auf STLT, die zeigen – zur Belustigung der Zuschauer – auch ihre Fails im Schnelldurchlauf. Sehr sympathisch das, wie der ganze Kanal.

Die neue Windsteueranlage und ihr Monteur.

Von Freitag 14:00 bis Sonntag 14:00 haben wir zwei Tage allein für das Laminieren (Epoxy anmischen, manchmal widerborstiges Glasfasergewebe tränken und ankleben) der Fundamente und das Fixieren der Hauptsäule gebraucht. 

Elizabeth in ihrer neuen schwarzen Unterwäsche

Das kleine Schwarze ist (auf diesem Bild) allerdings so klein, dass es kaum zu sehen ist… – Klickbaitwarnung, ihr Testosteron-Helden – falls ihr eine Sexbombe erwartet habt, seid ihr veräppelt worden. Mein Schiff hat neues Antifouling bekommen, das Unterwasserschiff in schwarz. Ein Tag Abschleifen des alten Antifoulings, leuchtend königsblauer Staub, der in jede Ritze dringt (und giftig ist). Hat Spass gemacht. (Neuer unweinerlicher Ton).

Zustand nach einem Tag Antifouling abschleifen. (Das Grinsen ist gephotoshopped)
(Der Hintergrund ist gelb)

Am nächsten und übernächsten Tag zweimal vier Stunden Auftragen des neuen Anstrichs. Der zweite war wesentlich einfacher, hat sogar Spaß gemacht. (echt!)

Betsy geht schwimmen.

Beim Abholen (mit einem Hubwagen, der an einem schweren Traktor hängt) hatte Neve alle Zeit der Welt, ich hab zwei Schichten Antifouling (schwarz) aufgebracht auf die unbehandelten Stellen an den vier Quadraten, wo die Stützen angriffen und auf zwei Flecken unter dem Kiel, wo die Holzklötze saßen.

Antifouling – leidiges Thema. Als ob die Meere nicht vergiftet genug wären. Eine Beschichtung, die langsam Gift absondert, dabei ausgewaschen wird, um Bewuchs (Muscheln, Algen) zu verhindern. Gibt nicht wirklich gute Alternativen, je stärker das Gift im Antifouling ist, desto länger hält es, desto weniger oft muss das Schiff aus dem Wasser und abgeschliffen und neu gestrichen werden. Sind alles faule Kompromisse. Aber ohne Antifouling bleibt der Rumpf einfach stehen, weil der Bewuchs deutlich bremst.

Betsy ist nur einer der 99 Namen der Göttin; Elisabeth („Göttin ist vollkommen“), Elli liebevoll, Sabeth (M. Frisch) stilvoll-klassisch-reserviert, Olle Tante Else, wenn ich böse auf sie bin. Es gibt eine Liste mit 60 Namen in verschiedenen Sprachen, in Kombination mit jeweils »Tante« sind es mehr als genug, um die Benennungen des Propheten zu schlagen. Video vom Zu-Wasser-lassen gedreht, leider alles im Hochformat, sieht quergestellt entsprechend nah und unkoordiniert aus. Gucken? https://youtu.be/U_SWxBFLtMI
Wouter hat geholfen, Neve ist gefahren wie die gesengte Sau, war kaum ein Hinterherrennen. Bei starkem Seitenwind war es nicht ganz trivial, Tante Lisbeth zu halten und entsprechend hektisch. Außerdem hat eine Bö eine der Schwimmhilfen vom Heck geweht und ich musste auf die andere Seite des Kanals, um sie wieder raus zu fischen.

4. Über Navigation

Was an Navionics nervt (wenn man es noch nicht beherrscht); warum ein Leuchtturm Vorfahrt hat (auch wenn es nicht in den KVR steht)

Corona eingefangen, Quarantäne gegangen, Kataloge von awn und SVB [Segelausrüsterversandhändler] gewälzt – und durchbestellt: Leinen, Blöcke [Umlenkrollen], Flaggen, Satellitentracker [Winzsender für GPS und SMS], Funkgerät, Bootsmannsstuhl [Klettergurt], Messer, Kissen fürs Cockpit, Segelnähgarn, Nadel, Nähhandschuh [eine Art überdimensionierter Fingerhut], Rettungsinsel, Sicherungsleinen, Kleinzeug. Danach beim Kartenversand noch einen Satz Seekarten, London bis Gibraltar, da war das zweite kleine Vermögen futsch. Aber niemand hat gesagt, dass Segeln ein Billighobby sei …
Fehlen noch die elektronischen Karten für Navionics (und das Garmin-Abo [so heißt der Winz-Sender]), dann sollten die größten Posten durch sein. Denkt sich der Segelanfänger so.

Barbados – Bequia {“Backway“}: alle Angaben falsch – Userfehler!

Beim Verfassen der dritten MitseglerInnen-Mail hab ich versucht, in Navionics die Routen und Entfernungen ausrechnen zu lassen, auch um mich in das Programm einzufuchsen. Nervig. Weil immer, wenn ich durch Antippen des Bildschirms den Startpunkt einer Route eingeben wollte (pinker Punkt), der Schreibmodus ansprang und mir anbot, die Rechtschreibung zu korrigieren oder zu übersetzen oder zu löschen. Zum Verrücktwerden.

Köln, im Februar

Hey-Ho, ihr Lieben,
es herrschen Sturmtage in NRW und im Norden. Da ist man doch froh, dass man sich im warmen Bett nochmal umdrehen kann und nicht an Deck oder gar aufs Vorschiff muss …
Ich hoffe, ihr seid gut ins Neue Jahr gekommen und die Seuche geht euch nicht zu sehr auf den Keks. Wie die Zeit fliegt – whoops, war der Januar vorbei! Und jetzt auch schon der halbe Februar. Nur das Boot steht aufgebockt und wartet, dass sich jemand kümmert. Warten muss ich auf wärmeres Wetter (Epoxy und Dichtmasse brauchen mindestens zehn Grad plus, zumindest während des Trocknens bzw. Aushärtens).
Heute schreibe ich euch über Details zu euren Vorbereitungen fürs Mitsegeln, zum Ablauf, zum Ankommen, zum Leben an Bord, und: eine kleine Planänderung (davon wird es sicher noch mehr geben).

Erste Abteilung: zu eurer Information I – Videokanäle
Falls ihr euch schon im Vorfeld zum Thema einstimmen wollt, empfehle ich euch gerne einige YouTube-Videokanäle. (Falls ihr genauso gerne Segelvideos guckt wie ich. Eigentlich gibt es nur zwei große Kategorien: JP (junges Paar) und OM (alter Mann)).
Auf Englisch: Sailing Uma – reines Elektroboot, beste (aufwändigste) Cinematographie, unfassbar schöne Bilder (JP); Adventures of an Old Seadog (OM) – ¬ sehr humorvoll, Hochs und Tiefs, so möchte ich in zehn Jahren sein; Sailing Millenial Falcon (JP) – Häufigstes Bild: Khiara; Ryan & Sophie Sailing (JP) – beste Reparaturtipps, beste (franz.) Küche; See the little things (JP) – kopieren das Beste aller übrigen Kanäle, selbsterklärtes Gute-Laune-Programm (die dunklen Zeiten überspringen sie); Sailing Gently (OM) – weiß alles, hat alles gesehen und gesegelt, beste Informationen. So möchte ich in zehn Jahren auf keinen Fall sein (häufigstes Bild: Klugscheißer doziert vom Sofa); Newcomer, ganz aktuell: The Sailing Brothers (JJ), zwei Brüder auf kleinem Boot; klingen authentisch, haben gerade den Atlantik überquert.
Auf deutsch: Guido Dwersteg (M) – hat spät angefangen, beste (Hafen-) Manövertechniken; M. Jambo (OM) – Typ (Chemie-)Lehrer, häufigster Satz: „das wohlverdiente Ankerbier“; Sailing Insieme (JP) – zwei Unsympathen vor dem Herrn, absolute Anfänger, die innerhalb von zwei Jahren zu echten Teerjacken werden, häufigstes Bild: Julias Stirnrunzeln; Newcomer, ganz aktuell: Sailingmanatee (JP) – sind gerade über den Atlantik. Häufigstes Bild: Hannahs eingefrorenes Süßlächeln. –Fast jeder dieser Kanäle hat eine Episode über die Route (den Teil der Route), die mir mit euch vorschwebt.

Zu eurer Information II: für eure konkreteren Vorbereitungen lege ich einen Segeln-Magazinartikel (06/21) über Do‘s und Don’t’s beim Mitsegeln bei (keine Hartschalenkoffer!, nicht mit feuchten Badesachen auf die Polster setzen!). Auf manchen Schiffen gibt es ausformulierte (schriftlich fixierte) Regeln (auf die man schwören bzw. die man unterschreiben muss). Die meisten sind super sinnvoll und nach etwas Nachdenken leicht nachvollziehbar. Wasserhahn nicht laufen lassen (Wasser sparen), Salz draußen halten, also nicht mit nassen Badesachen auf die Polster setzen. Navigationstisch ist für die Navigation/den Skipper reserviert. Lest auch den Artikel durch und meldet euch vor allem bei den Dingen, bei denen ihr Schwierigkeiten seht (vgl. Anhang).
Anscheinend gibt es bisweilen Probleme bei Haftungsfragen. Ich denke, wir alle sollten uns im Klaren sein, dass ich kein Reiseveranstalter bin (und dass es keine Haftungsansprüche gibt!). Ihr und ich organisieren unsere Reise nach bestem Wissen, aber es gibt keine Gewähr, weder für Termine noch Strecken, es gibt auch keine Haftung für Schäden und Unfälle. Jeder fährt auf eigenes Risiko. Übrigens solltet ihr (mir und Mitseglern) rechtzeitig Bescheid sagen, wenn ihr im Segeltagebuch, auf Fotos oder möglichen Videos nicht erkennbar sein wollt.

Zweite Abteilung: Mitbringen
Mitbringen I: Packliste
Sonnenbrille, Sonnenhut/-cap, (Sport-)Schuhe mit Gummisohlen, Mittel gegen Seekrankheit. Warme Sachen: Leggins, Pullover, Mütze, dicke Socken. Dünner Schlafsack (Bettbezug), kl. Handtuch. Am besten KEINE Wertsachen, keine wasserempfindliche Elektronik.
Mitbringen II: Spenden
Was ihr mir mitbringen dürft/solltet: 2 (alte) Geschirrtücher; 1 dickes Lieblingsbuch (Schmöker) für die Bordbibliothek; später im Jahr evtl. ein paar Scheiben Vollkornbrot/Pumpernickel.

Dritte Abteilung: Einklarieren
Wenn ihr ankommt, können wir leider nicht direkt lossegeln. Der übliche Ablauf wird sein, dass wir Vorräte einkaufen. Dafür legen wir in der Regel zusammen. Es gibt (bis dahin, hoffentlich) eine erfahrungsgestützte Einkaufsliste. Wenn ihr euch an Alkohol/ Fleisch/ Weißmehl/ Zucker o.ä. nicht beteiligen wollt, sollten wir dafür eine Regelung finden. Üblicherweise geht alles aus der gemeinsamen Kasse, auch Restaurant- und Barbesuche. Gerne wird der Skipper dabei übrigens freigehalten.
Außerdem müssen wir vor dem Lossegeln zwei Einweisungen absolvieren. Die Sicherheitseinweisung wird ca. drei Stunden dauern, die Einweisung zum Segeln (je nach Vorkenntnissen) weitere ein bis fünf Stunden. Ihr geht jedenfalls besser davon aus, dass wir die ersten paar Stunden bzw. den ersten Tag nicht sofort lossegeln können, sondern Zeit für ein paar grundlegende Vorbereitungen brauchen (und seid darüber bitte nicht enttäuscht). Klinge ich schon wieder zu negativ? Ist mir schon gesagt worden, tut mir leid, ich versuche nur, Frustrationen zu vermeiden.

Ganz anderes Thema: Planänderung
Statt an der belgischen und französischen Ärmelkanalküste entlangzugondeln (viele große Seehäfen, heftige Strömungen und Gezeiten, nicht ganz einfache Hafenansteuerungen) denke ich jetzt eher daran, lieber die Südküste Englands entlang zu segeln. Daraus könnte sich der folgende erste Terminplan ergeben (s.u.). Aber ACHTUNG: der Plan klingt tagesgenau, das wird sich so nicht einhalten lassen, auch wenn viele Extratage/Sicherheitsmargen eingeplant sind: Also bitte nicht irritiert/enttäuscht sein, wenn die Termine nicht so klappen wie hier angekündigt:
07. 05. – 11. 05.: de Heen – Oostende (65 nm, 15h)
14. 05. – 21. 05.: Oostende – Eastbourne (192 nm, 1d)
25. 05. – 01. 06.: Eastbourne – Plymouth (177 nm, 1d 1h)
01. 06. – 07. 06.: Plymouth – Dartmouth – Plymouth (Reserve)
08. 06. – 22. 06.: Plymouth – À Coruña (495nm – 4d)
23. 06. – 02. 07.: À Coruña – Lissabon; da wird mir schon ganz warm von der Sonne Portugals und Muffensausen …

Dritter MitseglerInnenbrief
Im Herbst 2020, noch ohne Navigation

Wenn einer, weil er zum Beispiel auf besseres Wetter wartet, zu viel Zeit hat, dann lässt er sich ins (gebraucht) neu erworbene Handy einen neuen Akku einbauen, damit es auch mal länger als einen halben Tag läuft; dann recherchiert er ein neues UKW-Marinefunkgerät (reicht ein AIS-Empfänger oder braucht es auch den SENDER? Eigentlich müsste ein EMPFÄNGER reichen, wenn er zugleich vor Kollisionen warnt; Anfunken muss man das aufkommende Schiff auf jeden Fall, um nachzufragen, ob es einen gesehen hat. Dann stellt einer fest, dass Marinefunkgeräte neuerdings nicht nur mit GPS, sondern mit GNSS ausgerüstet sind und einer noch nicht weiß, was das ist. Dann macht er sich Gedanken, ob der Haltegriff, den er sich für die Steuersäule hat schweißen lassen (Edelstahl=nichtmagnetisch!) nicht dennoch den Kompass fehllenken könnte, weil dabei zwei winzige verchromte Eisenschräubchen verwendet wurden? Muss man ausprobieren. Navigation jedenfalls ist ein weites Feld – beziehungsweise Seegebiet [und in diesem Beitrag irreführenderweise keineswegs Thema, auch wenn die Überschrift dies versprach]. Fehler passieren dabei auch den Besten …

Der zweitgrößte Navigator der US-Atlantikflotte

Funkverkehr, der im Oktober 1995 zwischen einem US-Marinefahrzeug und kanadischen Behörden vor der Küste Neufundlands stattfand:

Amerikaner: »Bitte ändern Sie Ihren Kurs 15 Grad nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden.«
Kanadier: »Ich empfehle, Sie ändern Ihren Kurs um 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden.«
Amerikaner: »Dies ist der Kapitän eines Schiffs der US-Marine. Ich sage noch einmal: Ändern Sie ihren Kurs.«
Kanadier: »Nein. Ich sage noch einmal: Sie ändern Ihren Kurs.«
Amerikaner: »Dies ist der Flugzeugträger USS Lincoln, das zweitgrößte Schiff der Atlantikflotte der Vereinigten Staaten. Wir werden von drei Zerstörern, drei Kreuzern und mehreren Hilfsschiffen begleitet. Ich verlange, dass Sie ihren Kurs 15 Grad nach Norden, das ist eins-fünf Grad nach Norden, ändern, oder es werden Gegenmaßnahmen ergriffen, um die Sicherheit dieses Schiffes zu gewährleisten.«
Kanadier: »Dies ist ein Leuchtturm. Sie sind dran.«

(DIE ZEIT, 27.03.2002)

3. Schon Februar!

Schon wieder zwei Monate vergangen, seit ich den letzten Eintrag geschrieben habe. Aber so ist das mit den Blogs – sind viel Arbeit. Aber schön.

Im Dezember und Januar Elektronik besorgt, ein Smartphone, ein Tablet, Navionics [Segelsoftware], dazu mich eingearbeitet. Im Januar im Allgäu die bestellten Edelstahl-Arbeiten abgeholt, zwei Konsolen, um eine Art Badeplattform außen an den Rumpf zu hängen, einen Handgriff, der an der Steuersäule befestigt werden soll und auch Ösen für Sicherheitsleinen trägt. Dies alles, damit man am sich nicht ausschließlich am Steuerrad festhalten kann; sollte zusätzliche Sicherheit geben. Außerdem genäht:Kojensegel [seitliche Verspannungen, damit man nicht aus dem Bett rollt] und Vorhänge für die Achterkabine. Außerdem einen Ausflug nach Oostende gemacht. Bietet sich als Stopp an: Yachthafen direkt am Bahnhof, Supermarkt und Restaurants direkt über die Straße, praktische Bahnverbindungen. Allerdings ist der Hafen bei NW-Wind, vor allem wenn er stürmisch weht und Wasser ins Hafenbecken treibt (ca. 6-8m Tidenhub, geschätzt; sie haben sogar Sandsäcke und Flutbarrieren angebracht, weil das Hafenbecken überzulaufen drohte), ziemlich furcheinflößend: Wind steht genau in die Einfahrt, enger Hafen vor Schleuse. Wenn das Beidrehen nicht beim ersten Versuch klappt und reibungslos im Festmachen am Ponton mündet, wird es sofort eng und schwierig. Der eigentliche Schutzhafen ist erst weiter innerhalb der Stadt, hinter zwei Schleusen, erreichbar.

Mögliche Planänderung: Vielleicht gondele ich gar nicht die französische (normannische, bretonische) Kanalküste entlang (schwierige Strömungen, Tiden [Hoch- und Niedrigwasserunterschiede], Winde und Hafenansteuerungen), sondern setze direkt nach England über, fahre die Südküste entlang und starte von Plymouth aus direkt über die Biskaya? Klingt verführerisch.

Ein Segel gekauft (bei Oldenburg, dreihundert Kilometer Fahrt). Gestern zwei zukünftige Mitseglerinnen kennengelernt, super vielversprechend. Weil: Ich weiß noch nicht, wer auf welcher Strecke mit mir segeln wird. Ich weiß nur, dass ich nicht alleine unterwegs sein möchte. Jedenfalls nicht für längere Strecken.

im Volkerak

Rückblende

Ab September habe ich diese Mail an alle möglichen Freunde, Bekannten und SportskameradInnen geschickt:

»Ihr Lieben,

wie ihr sicher bereits wisst, plane ich seit sehr langer Zeit, eine größere Segeltour zu unternehmen. Das möchte ich nicht alleine machen. Jetzt rückt meine Abreise langsam näher und ich suche Leute, die ein Stück weit mit mir zusammen segeln wollen (ohne andere Interessen meinerseits). Heute stelle ich euch die geplante Route vor und ein paar Einzelheiten. Solltet ihr Interesse haben oder einfach nur neugierig sein, antwortet auf diese Mail und ich nehme euch in einen Verteiler auf, wo ich dann die Einzelheiten kläre. Selbstverständlich wäre eure Rückmeldung zum jetzigen Zeitpunkt völlig unverbindlich.
Voraussetzungen: Ihr braucht keinerlei Voraussetzungen mitzubringen, Sicherheitsausrüstung und Segelkleidung sind auf dem Schiff vorhanden. Von euch wird erwartet, dass ihr euch an den Wachen (auch nachts) und am Kochen beteiligt und steuert (am Ruder sitzt/steht). Alles, was ihr wissen und können müsst, wird euch gründlich erklärt.
Einschränkungen: Das Boot ist nicht sehr groß, es wird eng. Schlafen wird anstrengend und kurz. Seekrankheit (kommt leider vor, aber) sollte nach wenigen Tagen verschwinden. Wie auf jedem Boot ist Frischwasser ein kostbares Gut, tägliches Duschen/Haarewaschen wird nicht möglich sein. Ebenso gibt es wahrscheinlich nicht genug Strom, um auf Dauer elektronische Geräte (außer denen zur Navigation) zu betreiben. Alkohol gibt es nur sehr selten. Und ihr müsstet euch nach den Plänen des Schiffsführers (das wäre dann ich) richten.
Das Boot: Ist eine Moody 33 Mk II, 10m lang, von 1979 (!). Es ist ist klein, aber sehr seegängig und sicher. Und gemütlich. Und mit elektron. Navigation, Satellitentelefon und Wind-Selbststeueranlage ausgerüstet. Moody-Yachten sind als extrem seetüchtig und stabil bekannt, auf  solchen Schiffen (auch auf demselben Modell) wurden vielfach Weltumsegelungen sicher durchgeführt. Auf dem Schiff gibt es in zwei Kabinen Platz für vier (zur Not im Salon, aber nicht auf Dauer, für sechs) Leute – die sich besser gut verstehen sollten.
Informationen zum Schiff und zur Reise findet ihr später auf der dazugehörigen Internetseite (die derzeit noch nicht eingerichtet ist).
Kosten: Eure Anreise müsstet ihr selbst organisieren (ich kann euch aber ein Reisebüro empfehlen). Dazu kommen Auslagen für Essen, Treibstoff, Hafengebühren u.ä. von ca. € 150.— pro Woche und Person.

Route und Termine (alle Angaben, vor allem die Termine, sind Schätzungen, außerdem nicht exakt planbar. Eure Anreise könnt ihr nur sehr kurzfristig buchen, wir sind vom Wetter abhängig!)
Mai 2022 Holland – belgische, französische Atlantikküste – Bretagne (drei Wochen, Teilabschnitte möglich)
Juni 22 Bretagne – Biskaya – Nordspanien (drei Wochen. Wild. Nichts für Segel-Anfänger)
Juli 22 Sommerpause
August 22 spanische, portugiesische Atlantikküste – Gibraltar – Cartagena (Spanien)
September 22 vor Cartagena (privat reserviert, Tage- oder wochenweise Ausfahrten evtl. möglich)
Oktober 22 Gibraltar – Kanaren (zwei Wochen, wild)
November 22 Kanaren – Kapverden (zwei Wochen)
Dezember 22 Transatlantik: Kapverden – Barbados (privat reserviert)
Januar + Februar 23 Inselhopping in der Karibik (Curaçao, San Blas usw.; Teilabschnitte von ein oder zwei Wochen möglich )
März 23 Winterpause
April 23 San Blas – Panama
Mai 23 Panama-Kanal (eine Woche, vier Mitsegler/innen gesucht: Linehandler)
Mai 23 Panama – Kolumbien – Guyaquil/Ecuador (vier Wochen)
Juni 22 Guyaquil – Galapagos (privat reserviert, drei Wochen)
von da ab plane ich noch nicht weiter, es soll Richtung franz. Polynesien gehen.

Soviel von mir.
Also: wenn ihr unverbindlich euer Interesse anmelden wollt, antwortet auf diese Mail und ihr werdet in einen separaten Mailverteiler zur Reiseplanung aufgenommen. Wenn nicht: Alles Gute für euch, schönen Herbst und Winter,

herzliche Grüße
Ulrich Brandt (der in den letzten Monaten Segel- und Funkscheine gemacht hat und in diesem und dem letzten Sommer Erfahrungen mit dem Boot gesammelt hat)« 

Erste „MitseglerInnen-gesucht“-Mail

Darauf kamen unterschiedlich ermutigende Antworten, alle möglichen Reaktionen zwischen »Nichts für mich.« und »Supertolles Projekt, bin dabei!«. Und vor allem sehr viele Nicht-Reaktionen.
Manche fanden, wie ich inzwischen weiß, die Mail eher abschreckend, viel zu wenig einladend (»Kein Alkohol? – Ohne mich!«). Doch immerhin rund dreißig Antworten gingen ein. Anfang November ging die zweite Mail raus:

Also,
liebe [XXs], lieber [XYs] ; und jeweilige Familienmitglieder, –

schön, dass ihr euch gemeldet habt, ich freue mich sehr, dass so viele sich für das Projekt zumindest theoretisch interessieren. Von den fast dreißig Menschen, die sich zurückgemeldet haben, können sich etwa die Hälfte vorstellen, möglicherweise eine Teilstrecke mitzufahren, die anderen möchten gerne informiert werden und als „Zaungäste“ dabei sein. Was mich persönlich am meisten beruhigt: dass sich für alle größeren Strecken InteressentInnen gefunden haben, es sieht also so aus, als müsste ich diese Tage- und Nächtelangen Überfahrten nicht alleine durchstehen. Herzlichen Dank und ein herzliches Willkommen an euch alle! Wahr ist allerdings auch, dass ich noch lange nicht ausgebucht bin, es gibt noch Plätze für alle Strecken; falls ihr also diese Mail oder einen Ausdruck weitergeben möchtet: bitte gerne.

Ihr seid super unterschiedlich, eure Erfahrungen reichen von erfahrenen SeglerInnen und RegattateilnehmerInnen bis keinerlei Segelerfahrungen, aber neugierig. Eure Bekanntschaft mache ich gerade, sie reicht bisher von Mitglieder der eigenen Familie bis noch nie gesehen oder gesprochen. Ausgesprochen spannend also.

Mein Plan ist es, euch zwischen heute und Ende April etwa VIER Mails zuschicken, aufgrund eurer Unterschiedlichkeit werdet ihr sie unterschiedlich nützlich finden, tut mir leid.

In diesen Mails erhaltet ihr:
– allgemeine Vorschläge zum Verhalten als Gast und Crew auf Yachten (Magazin-Artikel), inkl. so einer Art Packliste (KEINE Hartschalenkoffer!),
– ein Video bzw, den Link zu einem Video mit der Außenansicht und der Inneneinrichtung des Bootes,
– Antworten (Q&A) auf (hoffentlich sämtliche) eure Fragen; Fragen dazu sammle ich ab sofort, bitte schicken!,
– den Link zur URL (Blog) „sailing-elizabeth“ (existiert derzeit noch nicht [dieser hier!]).

Hier erstmal Infos zur derzeitigen Lage:
Das Boot steht seit Anfang November auf dem Trockenen, südlich von Rotterdam. Voraussichtlich Anfang April wird es wieder zu Wasser gelassen, dann wird es Gelegenheit geben, das Boot zu besichtigen, vielleicht sogar zu segeln. (Fahrtzeit von Köln: 2,5 Stunden, je nach Verkehr).
Letzte Woche habe ich im Innenraum gearbeitet und bin nicht ganz damit fertig geworden, dort herrscht großes Tohuwabohu, deshalb dauert es noch etwas mit dem Video. Im Frühjahr werden zusätzliche Navigationsinstrumente und die Selbststeueranlage installiert, zuletzt Antifouling aufgebracht.

Zur Vorgeschichte/zum Hintergrund:
mein Plan, eine größere Segelreise zu unternehmen, datiert aus den 1980er Jahren. Damals habe ich zusammen mit meinem Bruder angefangen, ein Boot zu bauen, um damit um die Welt zu segeln (Bilder und Erläuterungen dazu auf „anemoi-online.de“, die Webseite wird von meinem Bruder betreut). In den letzten zwanzig Jahren war die Yacht-Baustelle ziemlich zum Erliegen gekommen, da wir beide Familien gegründet und Kinder großgezogen haben. Nach der langen Zeit hatte ich den Glauben an dieses Projekt verloren und im Sommer 2020 mein eigenes Boot in Holland gekauft, das ich jetzt für die Reise (mit euch) vorbereite. Nicht ahnen konnte ich, dass mein Neffe, Axels Sohn Ludwig, uns dazu anstiften würde, unser ursprüngliches (größeres) Projekt doch noch fertigzustellen. In diesem Jahr (Axel seit Oktober 2020) haben wir also die Anemoi fertiggestellt und im Juli in Lübeck ins Wasser gebracht.

Was mich zur Zusammenfassung meiner Vorerfahrungen bringt (eine häufig geäußerte Frage): Seit mehr als vierzig Jahren beschäftige ich mich mit Segeln, Bootsbau, Weltreisen und habe so gut wie alles gelesen (und jedes You-Tube-Video gesehen), was es zum Thema gibt. Seit mehr als vierzig Jahren segle ich (auf kleineren Jollen), habe auch als Segellehrer gearbeitet. Ich bin Eigentümer von 1,4 Yachten.
ABER: Ich war noch nie auf einem großen Ozean. Ich war noch nie in einem schweren Sturm. Und ich möchte auch nicht unbedingt in einen geraten. Weil: ich bin mehr als bereit, aus den Erfahrungen anderer zu lernen und langfristig zu planen. Niemand ist gezwungen, sich in der Hurricane-Saison in der Karibik aufzuhalten, Kurz: Ich halte mich für einen umsichtigen und eher übervorsichtigen Segler.

Soviel für heute,
schöne Vorweihnachtszeit
Ich freu mich auf euch
Ulrich

It is better to be on dry land
wishing you were sailing
than be sailing
wishing you were on the dry.

Zweite „MitseglerInnen gesucht“-Mail

Die Spruchweisheit am Ende ist von Ryan (von Ryan & Sophie Sailing), einem Ex-Piloten. Ursprünglich lautete die (Flieger-) Weisheit: »It’s better to be on the ground wishing you were flying…« Ziemlich nachvollziehbar, nicht?

Wie dem auch sei: Jetzt scheint endlich diese Internet-Seite hier zu funktionieren und es wird Zeit für die dritte Mail.

2. Nachtrag

Ende November zweites Projekt: Verlegen einer Seewasserversorgung. Aus einem ¾“-Schlauch hinter der Toilette [engl.: head im Yachtie-Jargon] soll Seewasser (das ohnehin für die Toilette angesaugt wird) entnommen und über zwei dünnere Schläuche zu einer Fußpumpe am WC-Waschtisch und einer zweiten, kräftigeren Pumpe an der Spüle in der Küche geleitet werden. Insgesamt sind wieder etwa sechs Meter Schlauch zu verlegen, hinter und unter dem Gasherd, hinter dem Kühlschrank, unter dem Salonboden, unter dem WC-Waschtisch und im darunter fest eingebauten Schrank. Dessen Öffnung ist nach Ausbau der Türen gerade schulterbreit genug, dass man sich hineinzwängen und Schläuche einbauen kann (Schläuche durchtrennen, sie (in heißem Wasser erwärmen und) auf Verbindungsmuffen schieben, Schlauchschellen fixieren: Arbeiten, für die zumindest ich ZWEI Hände brauche. Also müssen zwei Arme und zwei Schultern durch die brustenge Schranktür).
Kurz: Wie es im Boot aussah, spottet jeder Beschreibung: dort im Salon mussten alle ausgebauten Teile gestaut werden, dort war der Boden herausgenommen, wurde zusätzlich gegessen und sich aufgehalten (beheizt!).
Am Ende doch einigermaßen zufrieden nach Hause gefahren: Feierabend bis Weihnachten und bis im neuen Jahr die Temperaturen hoch genug für Außenarbeiten sind.