28. Willkommen bei den Potheads

Gustave im Mast (Foto: M. Schwerd)

Hart ist das Leben der Boat-Hitchhiker. Dumpster diving [containern], Leben am (Geld-)Limit im Camp, jeden Tag Party oder Jam Sessions am Strand, all die Drogen, die genommen oder geraucht werden müssen, damit sie nicht in Kinderhände geraten … Alle sprechen hervorragend Englisch und Spanisch. Und alle (zumindest in meiner Crew) kochen wie die Weltmeister.
Adam (heißt nicht wirklich so), Typ Moses in jung, sitzt seit Wochen im Marinabüro herum und haut jeden Skipper an, der hereinkommt. Er ist an unserem allerersten Tag direkt ins Cockpit gesprungen, (hat seinen Anschiss kassiert: Man fragt um Erlaubnis, bevor man in ein Boot steigt!) ist willkommen geheißen worden und tat superfreundlich. Danach hat er mich eine Woche lang nicht gekannt (man begegnet den gleichen Hippies andauernd, weil man/sie in den immerselben Locations rumhängt/en). Gestern war wieder Donnerstag und Jam Session im Motown und ich habe ihn aufgezogen (warum er mich nicht kennen will). Wurde superlustig (für mich), aber eigentlich eine tragische Geschichte. Er ist Israeli, hat sein Visum überzogen, kein Schiff [Mitfahrgelegenheit] gefunden und wird/muss jetzt 8 Monate auf der Insel warten, bis im November die Saison wieder anfängt, sucht einen Job etc. … Dabei sieht er hammer aus ist wahrscheinlich ein supernetter Kerl.

Gustave steigt ab (Foto: M. Schwerd)

Effi (heißt nicht wirklich so), groß und sehnig, Locks im dicken Scheiteldutt, wirkt hochintelligent, gebildet, aufmerksam, kennt eine Menge psychisch aufschlussreicher Gesellschaftsspiele (und guckt auch gerne zu), aber nachdem er vorgestern bei uns auf dem Schiff war, gegessen und gespielt hat, erkennt er mich gestern nicht. Ich winke, lächle, grüße. Er wirkt genervt, als müsste er einen Anbaggerversuch abwehren. Dauert (gefühlte) drei Minuten, bis er orientiert ist (und es ihm leid tut). Blue (heißt sicher nicht wirklich so), die mit ihm reist, auch Französin (kein Knoblauch, keine Zwiebel), nimmt alles furchtbar ernst, wie es nur Mitte-20jährige können. Zum Essen waren wir zu siebt (auch Ludo, ganz un-hippiemäßig zivil aussehend), sechs Tassen Reis gekocht, hat gerade so gereicht, obwohl der größte Topf auf der BITSYBETH randvoll war. Gaston, ebenfalls Franzose, Riesenkörper, sympathisches immer freundliches Kindergesicht, begnadeter Percussionist (er war auf der Bühne), augenscheinlich ein sehrsehrguter Freund von Alba, hat sein Fahrrad mit einem Poster ausgestattet: „Fuerteventura/Boat“. Er wenigstens weiß heute (als Alba ihn mitbringt) noch, dass wir gestern nacht geredet haben. Gestern Nacht war nämlich wieder Jam Session, das Motown zum Brechen voll. Und alle Boathitchhiker da (bzw. draußen vor der Tür, weil ihnen die Drinks zu teuer sind). Superabend, nach einer Woche Las Palmas stupst mich mich die kleine rundliche Bedienung von hinten an und grüßt freundlich. Und für meine Crew bin ich „mi cápitan“, der den Kumpeln vorgestellt wird. War lustig.

Wird aber unter Potheads auch schnell wieder vergessen. – Alba hatte nach drei Tagen vergessen, wie der Motor angeht. Gustave erinnert sich am Folgetag nicht mehr an den Job, den er angefangen hat. Marlene lässt die Klopumpe ausgefahren (wenn der Handgriff abbrechen sollte, wären wir ohne Toilette!), klebt einen Erinnerungszettel an die Innenseite der Klotür. Am nächsten Morgen steht der Pumpstößel wieder hoch. Ich hänge den »Handle down!«-Zettel tiefer: auf Sitzhöhe. Ein paar Stunden später steht der Griff wieder oben. Dabei sind alle höchst anstellig und interessiert. Aber irgendwie reicht der Schwung nicht bis zum Aufräumen der Werkzeuge, Utensilien, Verpackungen. Bin ich zu spießig? Ich verkaufe es mal als Sicherheitsdenken. It’s hip to be square, weiß Huey Lewis. Und dune wie alle dauernd sein müssten (merken tu ich es nicht), so viel wie sie rauchen, reagieren sie tiefenentspannt und heiter.

Heute ist Freitag (10.02.) Morgen wollen wir losfahren und alles ist vorbereitet. Gustave hat die Deckenlampen in Vorraum und Klo montiert, Marlene ein Obstnetz (ihre Hängematte) unter dem Bimini aufgehängt, Gustave und Alba haben unseren Wasservorrat am Heck verzurrt. Wir haben die Heckplanke (ex: Pasarella) montiert, die Passatbesegelung [beide Genuas in der Rollfockanlage. Bei Rückenwind werden sie zu beiden Seiten ausgebaumt (=ausgespannt)] einmal aufgeriggt, 200 l Wasser in Plastikflaschen (zusätzlich zu den 100 l in Kanistern und 140 l im Tank) gebunkert, haben eingekauft wie für einen längeren Lockdown: u.a. 15 Kilo Teigwaren, 18 kg Reis, Konserven, Mehl, Kartoffeln, Kohl, Möhren ohne Ende. Im Augenblick sind Marlene und Gustave auf dem Markt, Frischgemüse holen. Alba hat die Nacht woanders verbracht – gestern war Abschiedsfeier. Diesel wollen wir bei der Abfahrt bunkern, werden aber höchstens 20 l reingehen. Jedoch: vollgetankt ist vollgetankt.

Marlene schießt Fotos; Gustave sichert sie.

Seit einer Woche liegen wir im RCNCG, dem Real Club Nautico de Gran Canaria. Alles phantastisch: Personal freundlich, Duschen heiß, Wifi zuverlässig. Nur kommt man ohne Beziehungen eben nicht rein. Das Boot ist komplett auf den Bestzustand gebracht, sogar den Luftfilter am Motor habe ich befestigt, Öl und Wasser gecheckt. Marlene hat alle Einkäufe federführend getätigt ([Paulas] Onkel Pepe hat uns gefahren. Danke, Pepe!) und z.T. auf den Kai neben dem Boot liefern lassen. Die Woche verging wie im Flug. Die Potheads müssen sich von ihrem FreundInnen im Camp und auf der Straße (Musik) verabschieden, Alba hat ihre eigene Einkäufe zu erledigen (Bierhefe!, vegane  Nutella, spezielle Gewürze (Knoblauchpulver, Maza und Nahrungsergänzungsmittel)). Die Passatsegel bleiben hochgezogen und sind eingerollt. Wahrscheinlich (hoffentlich!) kann man so auch an den Wind gehen. Gestern vor dem Abschiedsabend Wettercheck und Kartenbesprechung. Alba will sogar einen Routenplan schreiben. (Das glaube ich, wenn ich es auf Papier sehe.) – Alles ist bereit. Morgen werden nur noch die Fender am Heck verzurrt und die Leinen kommen in die Backskiste. Es kann losgehen.

Falls nicht (heute stand der Wind voll entgegen), können wir problemlos eine (oder zwei) weitere Nächte bleiben, hat mir Ivan, der superüberarbeitete, aber herzlich-freundliche Marinamanager des Clubs versichert. See you on the other side.

Die Kanaren: Inseln und Inselchen

3 Kommentare zu „28. Willkommen bei den Potheads“

  1. Lieber Ulrich,
    ich wünsche euch eine sichere und schnelle Überfahrt! Klingt alles so als lebst du deinen Traum und was kann es schöneres geben. Bin gespannt wann man wieder von dir hört. Jetzt checke ich erstmal täglich deine Position, Leinen los!

    Martin

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  2. Lieber Capitan, wir wünschen Dir und Deiner Crew alles, alles Gute für die große Überfahrten ; Mast – und Schotbruch und immer genug Wind in den Segeln!
    Wir drücken die Daumen und als Ober- Diakonisse schicke ich noch Gebete nach oben. Alles Liebe
    Norbert & Andrea

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