36. Das erste Jahr

Eindrücke vom Schmetterlingssegeln

Curaçao, Mo., 24.04. Filmen ist gar nicht so einfach. Muss ich bei André Abbitte leisten. Gestern war ich nämlich Schnorcheln und GoProFilmen am Jeremi Beach, Empfehlung u. a. von Melisa, der guten Fee im Büro der Curaçao Marina. Gordon und Louise vom Nachbarboot hatten einen Wagen gemietet und mich bis zur Busstation in Otrabanda mitgenommen. Dort Kreuzfahrtschiff gecheckt, Norwegian Cruising Line klang vielversprechend. Aber sie fahren nicht nach Europa, nur zurück in die Staaten; gefrühstückt und auf den Bus E3 gewartet. Dann Riesenstau, ganz Curaçao hatte augenscheinlich die gleiche Idee: anderthalb Stunden für knapp über 30 km; Riesenfloats, Sattelschlepper mit ausgebauter Ladefläche, gigantischer PA und teilweise sogar die Bands an Bord, fahren selbstverständlich nur Schritttempo. Irgendwo unterwegs findet am Abend eine Riesenparty statt. Traveller im Bus: nippen am Haschisch-Aufguss aus goldglänzendem Trinkbecher, der zwischen ihnen rumgeht. Ausstieg (»Bushalte« heißen die Busstopps auf Curaçao) fast verpasst. Jeremi Beach ist schön, aber nicht atemberaubend. Auf den Felsen im Norden wird gerade eine Ferienhauskolonie entwickelt, gebaut, vermarktet. Am Strand schwimmen verendete Fischchen (4 cm) schulenweis und verfaulen auf dem Sand. »Wenn es dort drüben auch so stinkt, fahren wir an einen anderen Strand!«, unverkennbar eine genervte Münchnerin. (Ein Strand südlich, in Lagun, wo Gordon und Louise waren, herrschte das gleiche Bild, hab ich heute erfahren).

Jedenfalls: Schnorchelsachen ausgepackt, Proberunde geschwommen. Flossen und Schnorchel funktionieren gut, Brille kannte ich schon. Fische von armlang bis winzig, auch die wogenden Rhabarberblätter. Vor allem aber: die 4cm-Winzlinge schwimmen in ausladenden Schwärmen, die zwar nachgeben, aber nicht wirklich ausweichen. Kann man durchschwimmen. Wollte ich unbedingt auf Video haben. Also beim zweiten Ausflug GoPro angeworfen. Storyboard: Die ersten nagelneuen Strandhäuser, dann abtauchen, den Felsen entlang, dann unter dem Fels auftauchen (Steindach nur wenig über dem Wasser), dann ein großer Fels, der im Wasser liegt, unter dem größere Fische dümpeln, dann durch den Schwarm Winzlinge. Doch es kam anders: die Winzlinge schwärmten vor einer kaum meterbreiten Kluft im Fels, mit angehaltenem Atem (Wellen, Felsen) durchgeschnorchelt, mitten durch den in der Sonne blinkenden Schwarm. Hätte atemberaubende Aufnahmen geben müssen. Nur: die Kamera war nicht angeschaltet. Stattdessen aufgenommen: vier Minuten Flossen abschnallen, zum Strand gehen (kopfüber: Kamera baumelte am Handgelenk), Kamera auf der Liege ablegen und Männerbeine vor Sandstrand. Wieder einmal: Bilder, die man nicht geschossen hat. Ansonsten ist Jeremi ganz nett, Sonnenliegen kosten ein paar Euro, Schatten extra. Aber eben nicht umwerfend. Wie auch die Insel (so weit ich sie gesehen hab): Hügelig, an der Westküste reiht sich ein Tafelberg an den nächsten. Zwischen den Hügelketten breite Ebenen, alles grün, aber Busch, Macchia, Gestrüpp. Viele Kakteen: trocken. An der Landstraße verstreute Kneipen, Läden, Supermärkte, jeweils mit großem Parkplatz davor. Wirkt irgendwie amerikanisch.
Rückweg mit dem Bus klappt reibungslos, Königin-Emma-Brücke will in dem Moment aufgehen, als ich sie passiert habe. Musste gefilmt werden (diesmal mit dem Handy).

Weltweit einzigartiges Schätzchen von 1888

Total pragmatisch sind die Leute von Willemstadt: Punda, Spitze, heißt das diesseitige Ufer, Otrabanda, andere Seite, der gegenüberliegende Stadtteil. Wie in Kölle eben: Hey (Stadt) und Schäl sick.

Am Mittwoch, das bekam ich heute bestätigt, kommt die LIESEL aus dem Wasser, vielleicht schon morgens um acht. Muss noch viel passieren bis dahin, räumen und packen vor allem. Was bis jetzt schon passiert ist: Mittwoch (18.04.) mittags angekommen, nachmittags Zoll und Immigration erlaufen. Donnerstag Großsegel abgeschlagen. Freitag Mitfahrgelegenheit mit Willi zum Supermarkt. Nachmittags Groß geflickt (Latte eingepasst, Lattentasche nachgenäht) und gefaltet, Genua dito. SailClearAccount eingerichtet. Freitag Salon (»the square«) geräumt, Tisch abgebaut, 2½ Eimer (14 l) aus Salonbilge getupft. Boden angeschliffen und lackiert. Samstag (22.04.) Niedergänge und -treppen klarlackiert (gevarnished). Abends in der Captains‘ Bar, rappelvoll wegen Boxkampfübertragungen. Sonntag Jeremi Beach.

Freitagabend (21.04.) war großes Boatyard-Grillen. Veranstaltet von Melisa (Boatyard-Sekretärin), ihre Tochter (ca. 10) war auch da, ihr Sohn (ca. 20) hat gekocht: Cheeseburger, Grillspieße, Hühnerteile, Nudelsalat, spicy cabbage (scharfes eingelegtes Rotkraut: lecker!). Jede Menge SeglerInnen kennengelernt: Kathy (USA) und Serge (franz. Kanada), Dave (Brite), noch zwei Amerikaner, Steve und Laura,  und Dirk haben mich unter die Fittiche genommen und Bier ausgegeben. Paul und Herta, Holländer. Matthieu (ca. 20), den ich auf mindestens drei verschiedenen Booten hab arbeiten sehen, Guido (Chido), Holländer, auf dem selbstgebauten Boot seines Vaters unterwegs, dessen junge Frau hier ihr Baby geboren hat, dessen Mutter hier lebt. Und das Münchner Paar (Hans und Marion), beim Anlegen in blütenweißem Segleroutfit, altklug (Bordfunkgerät auf den Ohren), unbelehrbar («Den Stromkasten hab ich gar nicht gesehen!«), blendendweiße Yacht, shiny & new, aber keine einzige Leine vernünftig vorbereitet (zu kurz, unklar, nicht festgemacht). Typisch Münchner halt. (»Obacht, mir san aa aus Mencha!«, warnt Charlie, ein anderer Segler.) Die am nächsten Morgen ab sieben Uhr morgens SÄMTLICHE Segel nacheinander knarrend (elektrisch) ausfahren und sorgfältig abspritzen. Und Gordon und Louise vom Nachbarboot. Gordon schmirgelt und ölt jetzt zum bereits dritten Mal seine vorher schon makellos aussehenden Fußbretter, am liebsten morgens ab sechs (allerdings geräuschlos). Und Moritz (Schweizer), hat mit seinem Boss monatelange Urlaube vereinbart. Und Jens, unabhängig durch eine Erbschaft, der sich hier ein Boot gekauft hat und es seit acht Monaten herrichtet. Und ein französisches Paar, das im Yard liegt und den Unterboden abkratzt (und auch die Segel wäscht – ich glaube, ich bin ein schlechter Segler: hab meine Segel noch nie gewaschen!). Willi, Holländer, der mich zum Supermarkt mitgenommen hat (weil seine Holzwerkstatt dort ganz in der Nähe liegt), Daniele, noch ein Franzose, superstolz auf sein hochkompliziertes Aluschiff (Seitenschwerter, drei Ruder, Dinghygarage), sich aber mit seiner Frau nicht einigen kann, wie Planen gefaltet werden sollen. Lustiges Völkchen eben.

Do., 22.04. Königstag, höchster Feiertag in Curaçao. Und allergrößte Hitze. Heute früh Handläufe zum zweiten Mal geölt. Um neun, als die Hitze anfing, zum Glück fertig gewesen. Und im Schatten des aufgebockten Bootes einen Blechschutz für das Salonluk gekniffen, gefeilt und gebohrt (weil sich das Holz sonst an den vorstehen Bolzen des Schlosses stößt).  Cockpitpersenning aufgezogen, um wenigstens ein bißchen Schatten zu haben. Jens verabschiedet, geduscht – und schon wieder schweißgebadet.  Jetzt Filmchen zusammenstellen, diesen Blog schreiben – und ab ins Getümmel: es soll so eine Art Volksfest geben. Außerdem ist es so heiß (am notebook läuft das Gebläse ständig), dass der Rechner langsamer buchstabiert, als ich tippe – hab ich noch nie erlebt, dass er wegen Hitze die Leistung derart runterfährt … 

Königstag!

Der höchste Feiertag auf Curaçao bietet Stände mit Kosmetika oder Klamotten, ein wenig Kinderbespaßung wie Wasserrutschen, aber vor allem: Party! DJs legen alle paar Meter auf, im Stadtpark spielt sich eine Band warm, im Ausgehviertel Pietersmaai reiht sich ein Ausschank, eine Tanzfläche, eine Musikbühne an die nächste. Man trägt orange.

Dauert ewig: Haulout

Gestern kam die LIESEL aus dem Wasser, untenrum sah sie richtig sauber aus, sehr befriedigend. Nur die Kielunterseite ist abgeschliffen, auch rostig. Wollte ich selber machen. Hat mir der Boatyard-Manager JayJay eine attraktive Schätzung vorgelegt (300 $ US), hab ich die Reparatur vergeben. Weil ich genug zu tun habe. Vorgestern hab ich das Dinghy in den Innenraum gehievt, ebenso das Bimini. Der Salon ist jetzt der totale Verhau. Und angefangen, das alte Wasser aus den Kanistern zu leeren, weil ich Sorge habe, dass es schlecht wird. Jetzt fehlt noch:  Bb-Wasserkanister leeren, Vorratsschrank entmüllen (alles, was verschimmeln kann), Kühlschrank ausräumen. Furler, Mastwinschen und Hydrovane in Plastiktüten verkleben, Batterie abklemmen, Dieseltank randvoll machen, Gas abdrehen. Irgendwann in den nächsten Tagen kommt das Schiff in die storage, das Depot, ein drahtzaunabgespannter und nachts hell beleuchteter Bereich (auch: Zollverschluss) ein paar Meter den Hügel weiter hoch. Dort werden die Yachten bei Hurrikanwarnung auch gegen den Boden abgespannt.

Mindestens bis Ende September (Hurricaneseason) bleibt die ELLI dort. Und zur Not auch länger.

Heißt für euch: Dieser Blog macht Pause. Wenn ihr AbonnentIn seid, werdet ihr benachrichtigt, sobald es weitergeht (Tut mir übrigens leid für die vielen Aktualisierungen und dass ihr jedesmal eine Nachricht bekommt. Sind stets nur winzige Änderungen, weil ich so viel vergesse, oder nachgelieferte Videos. Könnt ihr getrost ignorieren). Alle anderen: Schaut einfach um Weihnachten wieder rein, ob sich was getan hat.
Bis dahin, Alles Gute und liebe Grüße

Ulrich.

Hurrikanvorsorge

In einer Woche hab ich das erste Jahr voll (Abfahrt am 08. Mai 2022). Bilanz nach elf Monaten: Ich hab eine Menge gelernt, bin vielleicht nicht mehr der völlig unerfahrene Segler, als den ich mich noch immer sehe. Ich hab einen Ozean überquert und die ersten schwachen Stürmchen abgewettert. Die ELIZABETH ist ein Herzchen von einem Schiff, in besserem Zustand (bis auf die Schiffbruchschäden) als ich sie gekauft habe, absolut zuverlässig und seegängig – am Schiff scheitert es nie. Die Hydrovane war die beste Investition ever (und die teuerste). Ich hab jede Menge Leute getroffen, einen Haufen Geschichten gehört, ein paar davon sogar wahr. Ich hab von neuen Gegenden (Kapverden, Karibik) zumindest einen ersten Eindruck, ich hab neue Welten erschnuppert (Einhandsegler) und bin in neue Universen mit ureigenen Regeln gefallen (Boathitchhiker). Nina (Cornelia) ist die erste und einzige der vorab zugesagten MitseglerInnen geblieben. Mit ihr und allen anderen hab ich beste Erfahrungen gemacht. Und alle haben die ELLI geliebt und sich superwohl und sicher auf ihr gefühlt. Ich hatte sagenhaftes Glück und tolle Erlebnisse, die ich nie vergessen werde (sonst kann ich sie hier nachlesen.) Ich hab Delphine, Wale, Schildkröten gesehen, Kolibris und Vögel, deren Namen ich nicht kenne. Ich hab sensationelle Mond- und Sonnenauf- und -untergänge erlebt.

Gästebuch:

Der Hafen von Willemstad, hinterste Ecke

Im übrigen bin ich der Meinung, Oceansouth gehört aus dem Verkehr gezogen. Und Traveller A. schuldet mir 30 €.

2 Kommentare zu „36. Das erste Jahr“

  1. Lieber Ulrich, herzlichen Dank, dass du uns so intensiv an Deinem Leben auf dem Schiff teilnehmen lässt! Ich freu mich immer, wenn deine Nachrichten kommen (auf meinem Dienstaccount.) sie beamen mich immer direkt aus meiner  Arbeitswelt. Jetzt drücken wir die Daumen, damit Du eine gute Passage zurück findest und freuen uns dich bald zu treffen. Wir sind vom 18. -21. Mai in Köln, vielleicht klappt da was. Sei umarmt von  Andrea & Norbert Freundliche Grüße   Andrea U. Asch Vorständin   Augen auf! DIAKONIE  

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  2. Lieber Uli,

    wie immer schön zu lesen und teilzuhaben. Danke fürs Mitreisen – habe einiges über Abenteurer, die gefährliche See … erfahren und gelernt. Einen guten Heimweg und bis zum Ackerbeat. Pass auf Dich auf!
    Herzliche Grüße Sonja

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