16. ab Vigo

Vigo

3.10. Anscheinend immer, wenn ich nach einer Nachtfahrt irgendwo ankomme, ist die Stadt am nächsten Morgen im Sonnenschein strahlend schön. Vigo macht da keine Ausnahme. Die Fahrt von Finisterre hierher war 10 (von 10): günstiger Wind, keine Wellen, die Segel schlafen, Sonnenuntergang, Sternenhimmel, halber Mond hängt freundlich schief und wirft festliche Reflexe aufs Wasser – perfekt!

360° Sonnenuntergang – die Kimmkrümmung ist von mir, sorry.
Die Einfahrt nach Vigo – der Canal del Norte im Kringel

Festgemacht um 04:30. Die Einfahrt nach Vigo ist nicht ganz ohne (vorgelagerte Inselchen). Vor der Marina per Funk Liegeplatz angefragt – »Affirmativo!« In der verwinkelten Hafeneinfahrt spielt das AIS verrückt, alle 5 Sekunden (nicht übertrieben!) geht der collision alarm los – der Hafen ist voller Yachten mit AIS. Zwischendurch krächzt das Funkgerät »Es la otra marina!« – Hä? Ich bin doch laut Navi in der richtigen Marina? Überfordert mich jetzt, in der engen Gasse zwischen teuren Yachten. Finde ich einen Platz am Steg, kaum fest kommt die Nachtwache (Typ Cyborg: durchtrainiert, braungebrannt, platinblonde Haare): dies ist das Hafenbecken für große (teure) Yachten. Ein kleines Ding wie die Elizabeth kommt in das andere (kleinere) Becken. Die Nacht über (es ist halb fünf Uhr morgens) kann ich aber erstmal hierbleiben. Erleichterung und Schlafen.

Rankin: Let it bleed – ganz, ganz großes Kino. Perfekt: alle sozialen Schichten von Junkiehöhle bis Geldadel, gut kompliziert geplottet, Dialoge und Figuren zum Niederknien, Detective Inspector J. Rebus ein Wrack (Zahnabszess, Alkoholkonsum) (Das Spätnachmittagssegeln gestern war so entspannt, dass ich Zeit zum Lesen hatte.)

Zuckertüte vom Café an der Hafenpromenade, Vigo
(doch kein Linsenfehler, der Schatten, sondern ein (billige Handy-)Hüllenfehler – hat die Nagelschere behoben)

»Wenn du’s erträumen kannst, kannst du’s auch machen.«

Zuckertütchenweisheit

Könnte auch das Motto für diesen Blog sein.

Zweitbeste Eisdiele der Welt (Jutta & Christian) nicht gefunden („Capri“ »direkt gegenüber der Marina«). Eis ist sowieso nicht so meins (die machen hier keine Amarena-Becher).

Schiffsbewegungen …

… gibt es drei (außer der (hoffentlich) Fahrt nach vorn): Rollen [Schaukeln in der Längsachse des Rumpfs – links-rechts] (gleicht der kardanisch [schwenkbar] aufgehängte Herd locker aus – wenn der Deckel auf dem Topf festgebunden ist) (Rollen ist vor allem unangenehm bei Flaute, weil die Segel dann die Bewegung nicht dämpfen, sondern schlagen; das Geräusch mag der Seemann gar nicht; Stampfen [Schaukeln um die horizontale Querachse – vorne hoch, hinten runter und umgekehrt] glücklicherweise setzt die Elli dabei (meist) sanft ein, d.h. der Bug schlägt nicht ins Wasser (auch kein angenehmes Geräusch), und Rütteln [kein Fachausdruck, hab ich erfunden; ruckartige Rumpfbewegungen in alle Richtungen: links/rechts, oben/unten, vor/zurück (Abbremsen/Beschleunigen); ab 6,5 kn, bei Seegang.

In Spanien müssen sogar die Plastikblumen diebstahlgeschützt vergittert werden


Gestern Abend, nach Stadtrundgang (Festung auf dem Hügel über der Stadt, bronzezeitliche (Castro) und römische Ruinen auf der Meerseite des Hügels, Altstadt mit Fischerhäuschen (die ich nicht gefunden hab): Abendessen. Tunfischbauchsalat (der aus der Virgen del Mar in Mazarron ist unerreicht), Pulpo auf galizisch (in feine Rädchen geschnitten, gebraten, mit Paprikaöl beträufelt, Peppinos (gegrillte kleine grüne Paprikas), Wein und Kognak (52€ – teuerstes Abendessen bis dato). Aber fein. Zeit zum Philosophieren (Frauen glotzen). Diva: teurer Haarschnitt, perfekt gebräunt, Glitzersandalen mit Absatz, Lederröckchen, achselfreies T-Shirt, damenhaftes Gehabe (Zeigefinger an Unterlippe, Köpfchen geneigt) – macht was her, muss man gar nicht ausnehmend hübsch sein für. Dagegen die Bedienung: perfekte Figur, hübsches Gesicht, Pferdeschwanz und Brille. Ein Augenschmaus, aber eben nur diensteifrig, neutral, kein bisschen anbiedernd oder flirtend: verkauft sich unter Wert. Wahrscheinlich hab ich zuviel Zeit (und zu viel Magno (schmeckt superdünn) im Kopf) gehabt. Vigo (Vicus bei den Römern) traditionsreiche Salz- (Bronzezeit), Industrie- (Zementfabrik mitten in der Altstadt) und Fischerstadt, heute vor allem Tourist trap, ist ganz nett, aber kein Muss.

Do., 6.10. Leixões [Ley-SCHO-ish] ist hässlich (Industriehafen). Liegt aber günstig zum Flughafen – gleich kommt Leon, der ein paar Tage mitsegelt. Darauf freue ich mich. Jetzt noch Aufräumen, Spülen, klar Schiff. Hab ja nicht so oft Besuch.

Leixões: nicht einmal im Morgenrot schön.
Schön: Seesterne im Hafenbecken

Zwischen zwei Schräubchen (Bilderrahmen im Salon, Cockpitbeleuchtung solar) kurz übers Heck gepinkelt. Ungehörig. Kommt aus dem Nichts ein kleines Motorboot vorbei. Peinlich. Die wohlverdiente Strafe folgt auf dem Fuß: Tabak und Papierchen ins Wasser gefallen.

Kann ich zwar rausfischen und zu trocknen versuchen, aber die nächsten zwei Tage brennt keine einzige Kippe richtig. Selber schuld.

Lauchsuppe zum Frühstück

Dienstag nachmittag um eins (es soll günstigen Wind geben, zumindest für ein paar Stunden) von Vigo losgefahren, eine Stunde bis zur Einfahrt in die Bucht (Ria) motort, dann stolzgeschwellt aus dem Canal del sur hinausgesegelt.

Canal del Sur, Vigo

T-Shirt-Wetter, genial. Um halb sechs, der Wind ist schwach, den Gennaker [größtes, geblähtes Vorsegel] gesetzt, das Meer ist glatt, bis auf winzige Wellen („ripples“), wir machen vier Knoten, die Segel schlafen, ein Traum. Und diesmal auch mit Delfinen. Weil der Wind schwach bleibt und nichts auf eine Wetteränderung hindeutet, riskiere ich es und lasse den Gennaker über Nacht oben (das Segel ist nicht ganz einfach zu bergen [einzuholen]). Außerdem kreuze ich vor dem (Nicht-) Wind [wenn der Wind genau von hinten kommt, schaukelt das Schiff, die Segel flappen. Einige Grade seitlich fährt man zwar einen Umweg, hat aber angenehmere Bewegungen (und ist auch nicht viel langsamer)] Um halb eins in der Nacht zeigt das Navi, dass ich die Grenze zu Portugal überfahren hab, prima. Um zwei Uhr fahre ich meine erste Gennaker-Halse. Klappt fast ohne Probleme. Um halb vier fährt ein grell beleuchtetes Fischerboot genau auf mich zu, dreht auch nicht ab. Sie leuchten mich an, ich richte meine Taschenlampe auf die Segel – hilft alles nichts, sie halten stur auf mich zu. Als sie bis auf 20 Meter (!!!) herankommen, – ich sehe die Fischer so nahe wie an der Bushaltestelle über die Straße, winke, bekomme aber außer Starren keine Reaktion – erkenne ich den Grund: sie ziehen ein ewig langes Tau hoch, nehmen es aufs Boot (untersuchen es, pulen wahrscheinlich evtl. gefangene Fische ab) und werfen es wieder ins Meer. Ab und an kommt auch ein betongefüllter Autoreifen (Ballast) ans Licht (nicht ans Tageslicht, es ist mitten in der Nacht).
Mittag- und Abendessen: Zwiebelreis mit Ratatouille (in Vigo vorgekocht). Kochen auf einer Flamme: Zwiebeln in der Pfanne anbraten, Reis und abgemessene Menge Wasser (1/3 Meerwasser) dazu, einmal aufkochen, dann kommt die Suppe in den Thermosbehälter (Danke, Tom!) und nach einer halben Stunde ist (das Ratatouille in derselben Pfanne und) der Reis fertig, gar und duftend – das Prinzip Kochkiste. Auch die Thermoskanne (Danke, Paula!) funktioniert super: vor der Abfahrt mit kochendem Wasser gefüllt, kann man sich die ganze Nacht über Kaffee aufbrühen.

Ich hab eine Tonne zum Freund
Windpark im ersten Licht

Stundenlang bin ich auf die roten Lichter eines Offshore-Windparks zugefahren/getrieben, teilweise mit unter 0,5 kn (Vergleichstempo: gehbehinderter Rentner mit Spazierstock, der vor jedem Schaufenster verschnauft), um halb acht morgens piepst der Kollisionsalarm los: ich bin an den Schwimmpontons der Windräder (die ich noch nicht sehen kann). Im Halbschlaf drücke ich am Funkgerät die falsche Taste und hab plötzlich das Hindernis (die Tonne AtoN [keine Ahnung, wofür die Abkürzung steht] als „Freund“ eingespeichert. Vorteil: das nervtötende Piepsen hört auf. Nachteil: Weil das AIS davon ausgeht, dass ich ein befreundetes Boot im Blick behalte, warnt es mich nicht mehr vor meinem „Freund“, Tonne Anton (die ich noch nicht sehen kann). Um acht, im ersten Licht, habe ich den Windpark (noch nicht einmal die halbe Strecke nach Porto!) endlich passiert. Und erblicke meinen Freund Anton zum ersten Mal: eine gelbe Bake.

Anton leuchtet schwach in der Bildmitte (hinter dem rechten Delfinrücken)

Die Delfine, mindestens sechs Stück, die die ganze Nacht über um mein Ruder herumgespielt haben (sehr elegant!), fangen jetzt auch noch an, mich anzupfeifen! Deren Sprache spreche ich leider nicht, obwohl ich zurückpfeife, so gut ich kann. Sonnenaufgang hübsch wie gewohnt, Stimmung bessert sich bei Tageslicht deutlich. Mittags passiert mich ein Fischerboot, das in rasender Fahrt klappernd sein Netz auslegt (und auch nicht ausweicht). Um halb eins, die Flaute ist perfekt, noch nicht einmal „ripples“ auf dem Wasser, habe ich noch mehr als 21 nm bis Porto. Maschine angeschmissen und 6h, am Ende auch noch rechtwinklig um das Sperrgebiet um einen Ölhafen herumgefahren, hat mich sicher eine zusätzliche Stunde gekostet, in den Hafen von Leixões eingefahren. Hat nicht viel Charme: draußen, weithin sichtbar, die unzähligen Kamine einer Riesenraffinerie, am Wellenbrecher wird gewerkelt, das Leuchtfeuer funktioniert nicht, ist wohl abgebaut, drinnen Riesencontainerschiffe und am Kai die hochaufgetürmten Lagerflächen für die Überseekisten.

Aber: direkt neben der Kaimauer liegt ein wunderhübscher Sandstrand, incl. Surfer und Kitesurfer, die ihre akrobatischen Kunststücke vorführen. Sundowner in der Strandbar: Pingo („pingado“), das portugiesische Pendant zum cortado (Espresso mit einer Haube Milchschaum). Da sieht die Welt (und der Hafen) doch schon gleich viel freundlicher aus. (Bin ich zu ausführlich? Langweile ich euch?) Abends Taxas, Tapaskneipe, mit dem Spiel Benfica Lissabon gegen Paris St. Germain: unglaublich packender Fußball, die portugiesischen Underdogs lassen sich von der Beste-Spieler-die-für-Geld-zu-haben-sind-Truppe nicht die Butter vom Brot nehmen, kassieren aber in der 20. Minute völlig unverdient (eine einzige Chance) ein unhaltbares Traumtor durch Messi. Danach musste ich gehen, der (rote) Vinho verde (junger, fruchtiger Wein) forderte seinen Tribut. In der Nacht ist jeder Hafen schön.

Sicher sehr schön – wenn man es ausmachen könnte: Aveiro (Foto: Leon)
Aveiro im Nebel

Sa., 8.10. Gestern ist Leon angekommen, Hurra! Sein Flug wurde abgesagt (Eurowings streikt), hat er umgebucht und landete (Lufthansa) schon um zwei (statt um sechs, wie geplant). Bringt meinen Arbeitsplan (Klar Schiff, kleinere Verschönerungen, Kühlschrank putzen, s.u.) völlig durcheinander. Dann steht auch noch Siggi (TALOFA, Regensburg) auf dem Kai über der Lizzy und will zu einem Kaffee eingeladen werden. Kann man nicht ablehnen. Weltumsegler (1989 bis 96), jetzt seit sieben Jahren im Mittelmeer unterwegs, Bär, graue Mähne im Pferdeschwanz, grauer Rauschebart, grollendes Lachen. Weiß Bescheid. (»Im Mittelmeer gibst du deine (letzten) Mittel her«, »Du siehst aus wie ein typischer Ostseesegler.« (kein vernünftiges Dinghi, keine Bimini, keine elektr. Ankerwinsch). Kann ich meinen Arbeitsplan komplett vergessen. Als Leon um vier am Pier steht, scheuche ich Siggi weg, komme nicht mal dazu, seine Tasse wegzuräumen … Aber Leon ist unkompliziert. Einbuchen für eine weitere Nacht, Einkaufen im Supermarkt, Sundowner-Bier in der Strandbar am Surferstrand (dabei steht die Sonne noch hoch), Abendessen beim ersten Portugiesen an der Touristenmeile – aber gut, weil authentisch (und günstig). Schön.

Freitag früh kommen vier Franzosen an, quetschen sich mit Mühe an den winzigen Platz am Steg hinter uns, kommen aus dem Süden und haben einen Tag motoren hinter sich (erzählen uns aber auch von Aveiro). Zehn Uhr abgelegt, unter Motor einen Abstecher in die Einfahrt nach Porto gemacht (Foto für Doro: Porto war unser Sehnsuchtsort nach der geplanten gemeinsamen Biskaya-Überquerung …), die berühmte Brücke ist im Dunst nur blass auszumachen, dann raus und Kurs Süd.

Porto – Brücke im Dunst (Foto: Leon)

Der Nebel wird den Tag über immer dichter, kein Wind, dafür eine lange alte Dünung vom Atlantik herein. Leon steuert die gesamte Fahrt unter Motor, teilweise mit Segelunterstützung (Motorsailing ist gar nicht so verkehrt, die Fock bringt sicher einen halben kn zusätzlich). Aber keine Sicht. Nachmittags soll uns laut AIS ein Schiff mit CPA 1 nm, also in 1800m Abstand passiert haben, wir halten Ausguck, als ginge es um was, können das Ding aber nicht ausmachen. Vor der Einfahrt nach Aveiro wird die Suppe noch dichter, falls das möglich ist.

Im Mælstrom

Als wir uns der Küste nähern und die Wassertiefe unter 20m sinkt, schiebt sich die lange Dünung höher und kürzer auf. Unangenehm, zumal der (laut Karte und Navi) weit ins Meer ausgreifende Wellenbrecher vor Aveiro im Nebel nicht auszumachen ist – es ist noch zu hell für die Leuchtfeuer. Noch unangenehmer. Als die inzwischen meterhohen Wogen oben kleine Gischtkämme bilden, wird es richtig ungemütlich: wenn die brechen, sind wir in Schwierigkeiten. Dann dreht kurz vor der Hafeneinfahrt (hoffen wir) das Navi komplett durch. Obwohl wir mit fast voller Kraft Richtung (vermuteter) Einfahrt fahren, spielt der Richtungspfeil verrückt, dreht in alle Quadranten der Windrose und zeigt als Fahrt über Grund höchstens 2 kn (irgendwohin). Bei Vollgas sollte die Ellie fast sechs kn machen. Das Meer um uns brodelt und kocht, Strudel und aufquellende Flächen. Kabbelwasser auf hohem Niveau. Mehrfach wird das Schiff wie von Geisterhand um 180° gedreht und herumgeworfen. Die Hölle. Leon steuert tapfer. Doch wohin soll er sich orientieren? Was tun?
Laut Karte führt ein Kurs von 60° direkt in die Einfahrt, laut Navi wirbelt es uns mitten in der Einfahrt durch die Gegend. Laut Ausguck ist es in alle Richtungen gleich hellgrau. Also neue Ansage: Navi ignorieren und stur nach Kompass 60° steuern. Klingt so abenteuerlich, wie es war. Trotz auf vollen Touren laufender Maschine kommen wir nur schleichend voran, mit ein bis zwei kn.
Dann taucht schemenhaft eine dunkle Wand backbords auf: wir haben den Wellenbrecher erreicht! Am Fuß der hohen Steinmauer herrscht heftige Strömung aufs Meer hinaus. Überraschung: die Einfahrt nach Aveiro ist zugleich die Mündung eines Flusses, der das angrenzende Naturschutzgebiet mit seinen ausgedehnten Wasserflächen entwässert. Die alte Tante Else muss mit voller Kraft dagegenhalten und doch kriechen wir nur im Schritttempo am Wellenbrecher entlang. Den wir nicht aus den Augen verlieren wollen, das andere Ufer ist nicht zu sehen! Nach einer Stunde motoren haben wir endlich die zwei Meilen zu unserem geplanten Ankerplatz, einer durch Dämme geschützten Bucht außerhalb der Strömung, geschafft und biegen sacht in ruhigeres Fahrwasser ein. Sofort zeigt der Geschwindigkeitsmesser 6,3 kn: die gute Tante Elsbeth hat wirklich alles gegeben. Stand nur eine Tidenströmung von sicher fast 5kn dagegen. Und jetzt, bei Hereinbrechen der Dunkelheit, gehen endlich auch die Leuchtfeuer an den Bojen an. Die Bucht ist voll, die besten Ankerplätze belegt. Wir finden eine Boje in einem Muringfeld der örtlichen Angler. Und setzen zum ersten Mal das Wunderding von Ösengreifer ein, das ich in Plymouth erstanden habe.
Brot mit Oliven, grüner Salat mit Zwiebeln und Kirschtomaten, Spiralnudeln mit zwei Farben Soße, Champagner – der Abend macht den Tag rund.
Die Flasche Schampus wollte ich bei gelungener Biskaya-Überquerung köpfen. Jetzt, in Gesellschaft mit Leon haben wir endlich Gelegenheit dazu. Auf der Biskaya ging mir ein nervtötendes Sägegeräusch an die Nieren. Als ob zwei mittelalterliche Holzfäller mit einer Langsäge einen dicken Stamm bearbeiteten: Ritsche – (Pause) – Ratsche. Immer wieder. Konnte nicht herausfinden, woher das Geräusch rührte (dass keine Holzarbeiter am Schiff werkelten, war klar). Nach der Ankunft in La Coruña die Auflösung: ich hatte die Champagnerflasche schon mal in den (fast leeren) Kühlschrank gelegt. Bei jedem Rollen des Boots kugelte sie über den Gitterrost im Kühlschrank von Bb nach StB (Ritsche) und zurück (Ratsche). Deswegen sind Etikett, Korkenfolie und Zierbänder komplett in Fetzen (und im Kühlschrank verstreut). Und ich kann nicht mehr entziffern, wem ich die Flasche verdanke (Thomas und Paola?). Auf jeden Fall war der Champus, trotz heftigen Rüttelns (inzwischen wieder beruhigt und gut gekühlt) absolut köstlich (Danke, Jemand)!

8.10. Figueira da Foz. Sonnenschein bei der Ankunft nach einem Tag undurchdringlichen Nebels. Leon hat wieder tapfer gesteuert, unter Motor, alles gut. Das Städtchen macht einen netten Eindruck. Gehen wir heute Abend essen.

So., 9.10. Francesinhas (“kleine Französinnen“) heißen die lokalen Spezialitäten (des Restaurants Taxas de Lucia): Filet und Paprikawurst und Käse zwischen zwei Toasts, das Ganze in Käse eingewickelt, auf Pommes, schwimmt in einem halben Liter Bratensoße, obendrauf ein Spiegelei – eine komplette Mahlzeit, sagt Leon. Spaziergang durchs Städtchen: nett.

14. Biskaya

Bekalmt auf der B.

Blauer Himmel von Horizont bis Horizont, die letzten beiden Frachter verschwinden gerade über die Kimm [Horizont, auf dem Meer nur wenige Meilen (6?) entfernt], die Sonne steht tief, putzt sich die Zähne und macht sich zum Schlafengehen bereit, ein laues Lüftchen schiebt die gute Lisbeth gemächlich voran (1,5 kn, Spaziergangsgeschwindigkeit), keine nennenswerte Bugwelle, im Kielwasser noch nicht einmal Bläschen – traumhaft und friedlich: fantastisch. (Dienstag, 19.9.)

Falmouth Adieu

Gestern, Montag, in Falmouth abgelegt (an dem Kai, an dem 1968/69) Knox-Johnston losgefahren und ein Jahr später auch wieder angekommen ist: Bronzeabdrücke seiner Seglerschuhe (erste Einhand-Nonstop-Weltumsegelung, ein ziemlich berühmtes Rennen mit tragischen Geschichten (Selbstmord (??), Nervenzusammenbruch (??): Moitessier fährt einfach weiter in die Südsee). Legendäres Pflaster also.

Morgens die Schwimmhilfen vom Heck und alle Festmacher und alle Fender weggenommen – die werde ich in den nächsten Tagen nicht brauchen. Fühlt sich an wie der Aufbruch zu etwas Bedeutendem. Ein Mitsegler scheint das zu sehen und wünscht mir Glück, er wird auch gleich rausfahren. Kaum Wind, höchstens ablandig, keine Tidenströmung – der Ableger klappt wie im Bilderbuch, das Hydrovane-Ruder ist auch bereits installiert (hab ich vor dem Schuhe-Anziehen in Crocks gemacht, ich muss dazu jedes Mal auf die Badeleiter und knöcheltief ins Wasser). In der Hafenausfahrt, noch vor der Ansteuerungstonne, ziehe ich das Vorsegel auf und schalte den Motor ab. Von jetzt an wird gesegelt. Wind spielt mit, bald liegt Lizard Point, der vorletzte östlichste Zipfel Cornwalls, querab (starkes Leuchtfeuer, das mich die ganze Nacht begleiten wird), dahinter ist die Landzunge von it Land’s End (letzter Zipfel) im Dunst zu ahnen.

England Landesende

Sonnenschein. Morgens beim Spülen und Frühstücken habe ich BBC 2 angemacht und komme den ganzen Tag nicht davon weg: Berichte und Erlebnisse von der Beerdigung der Queen. Der Gottesdienst wird in voller Länge übertragen, über den Trauerzug mit allen Stationen berichtet (dazwischen Verkehrsmeldungen: ganze Stadtteile von Landon und Westminster sind gesperrt, dazu die Autobahn nach Windsor). Große Patrioten, die Briten, stolz auf ihren Dienst in der Armee, auf ihre Fähigkeit, Pomp und Trauer zu inszenieren (das größte Polizeiaufgebot in der Geschichte Großbritanniens), ihrer Queen zugeneigt wie einem Familienmitglied, einer Großmutter. Auch wenn sie bekennende Nicht-Monarchisten sind. Dazwischen die angemessenste Musik, die man sich vorstellen kann: Musical-Arien, Nora Jones, Tom Taylor, Simply Red, Simon&Garfunkel. Nachmittags Telefonbeteiligung und SMS-Berichte von Erfahrungen des Tages (»sind um 4 Uhr morgens losgefahren, 13 Stunden in der Schlange gestanden«, »gucke die Beerdigung auf dem Glockenturm meiner Kirche, nachdem ich 93 Mal für die Queen geläutet habe«, »unser Sohn spielt in der Militärkapelle/ist als Polizist im Dienst/schmiert Sandwiches für den Besucherandrang in den Parks und bei den Public Viewings«. Ein Tag, der schon an seinem Morgen als historischer Tag (»das werden wir niemals vergessen«) markiert ist. Sehr schön und sehr bewegend. »Erinnern Sie sich, wo Sie waren am Tag als die Queen zu Grabe getragen wurde?« – »Auf dem Weg auf die Biskaya.«

So ruhig ist die Fahrt, dass ich dazu komme, meine neuen (auf dem Müll gefundenen) Festmacher auf Länge zu kappen und zu betakeln [die Enden einzuschnüren, damit sie nicht ausfransen]. Es ist derart windstill, dass ich zum Schmelzen der Kunststoff-Taue sogar eine Kerze auf Deck brennen haben kann. Sie wird offiziell zur Takelkerze erklärt.

Noch’n Sonnenuntergang

Gewohnt spektakulärer Sonnenuntergang, Keksmond und Sternmiriaden etc. Fluoreszierende Delfine (diesmal mindestens fünf), einer springt im hohen Bogen aus dem Wasser (damit ich sie nicht wieder für Tunfische halte!) und bei der geruhsamen Fahrt fluoresziert sogar meine (mickrige) Bugwelle – ein Traumbild.

(Beispielbild)

Wird aber noch besser: in der Morgenröte kommen die Delfine wieder, tauchen ihre Rücken aus dem ölig glatten, in allen Regenbogenfarben schimmernden Wasser – schöner geht es nicht (Leider die Kamera zu spät herausgeholt).

Nachts ging ungefähr jede halbe Stunde (gefühlt: gerade, wenn ich mich wieder hingelegt hatte) der collision alarm (»Bidip!-bidip!-bidip!«) los. Aufrappeln, hoch ins Cockpit, Horizont absuchen. War nie was. Bis auf einmal, als ein flutlichheller Fischer auf uns zuzufahren schien … hat aber schnell abgedreht.

Draußen, kurz vor der hundert-Meter-Tiefenlinie, liegen Frachter vor Anker, warten auf Aufträge: es herrscht Krise. Auf einen von ihnen halte ich zu, erreiche ihn aber nicht mehr vor dem Schlafengehen. Morgens liegt er da noch immer (in der Nacht hat der Wind gedreht und wir sind nach Westen (statt nach Süden) gelaufen, aber bei dem lahmen Vorankommen macht es nicht viel Unterschied): der Frachter liegt noch immer dort, es dauerte den ganzen Tag, ihn endlich hinter der Kimm zu lassen.

Auch Frachter schlafen …

Gegen Mittag schläft der wenige Wind komplett ein. Aber alte Wellen (Dünung) lassen die Lillibeth trotzdem rollen und die Segel schlagen (sanft). Fock [Vorsegel] ausgebaumt, dazu den Spinnakerbaum zum ersten Mal in Betrieb genommen und Vor- und Achterholer [Leinen, die den Baum, eine Alu-Stange, die seitlich vom Mast absteht, nach vorn und hinten (und unten) stabilisieren] aufgeriggt.

Die Drei-Punkt-Position: bei jeder Verrichtung, auch bei Flaute, stemmt sich der Seemann mit gespreizten Beinen mit Hüfte oder Hintern an einem Teil der Einrichtung ab. Oder hält sich mit einer Hand fest, beim Zwiebelschälen, beim Erbsenglas aufdrehen, beim Reis abmessen, beim Gasherd anzünden. Stürze fangen mit einer kleinen Bewegung an, die sich aber (unabgestützt) unkontrolliert verstärken würde.

DreiPunktPosition (wenn das Ölzeug einmal nicht rasch genug ausgezogen ist)

Auf Deck ist der Seemann (außerhalb des Cockpits: immer!) mit einer Sicherheitsleine eingeklinkt, die zur Not einen Sturz auffangen würde. Was man aber nicht möchte und sich, wenn geht, zusätzlich festhält.
Auf der großformatigen Karte der Biskaya (1:1.350.000, im Din-A-2-Format, Südküste Englands am oberen, Nordküste Spaniens am unteren Kartenrand) liegen die Kreuzchen, mit denen ich meine Position mindestens alle vier Stunden markiere, fast übereinander. Bei dieser Geschwindigkeit wird das eine SEHR lange Überfahrt. Hoffentlich kann ich an der französischen Küste eine SMS absetzen, damit die Zuhause sich keine Sorgen machen.
Andererseits: heute Nachmittag wuselte ein Schwarm kleiner Fische (Sardinengröße) im Schatten der alten Tante Else um das Ruder der Selbststeueranlage. Das erklärt, was die Delfine unter dem Rumpf des Schiffes wollen: Häppchen abgreifen.
Gerade, rechtzeitig zum Sonnenuntergang (Was soll ich sagen? Kitschig knatschbunt eben) taucht am Horizont wieder ein blendend weißer Frachter auf und es ist vorbei mit der Herrlichkeit, dass der gesamte Ozean allein mir gehört. Traumhaft jedenfalls.
Und: Pinkeln vom Heck (im Lee [windabgewandte Seite]) – die Freuden der Flaute und der Einsamkeit.

Rauschefahrt

Donnerstag, 22.9., etwa auf Höhe von Lorient/Bretagne. Die See liegt ölig, nur ein laues Lüftchen weht: keine Fahrt (aber in die richtige Richtung, haha).

Meer so weit

Flautenzeit ist Lesezeit: Karin Slaughter (der Name ist Programm): Zerstört. (Blanvalet). Kann man lesen, muss man aber nicht. Überkonstruiert, verwirrend geschachtelt, Hauptfiguren hölzern, sprunghaft und unglaubwürdig. Dabei brutal grausam. Und schrecklich mies übersetzt. Aber: mutiges tragisches Ende (kein happy ending!) Eric Hiscock: Sailing around the world in Wanderer III. Stoisch, nüchtern, veraltet (von 1959!). Aber natürlich ein Klassiker.

Flipper (links im Bild)

Irgendwann am Dienstagabend frischte der Wind auf, um neun machte die gute Lizzy 3,5 kn Fahrt. Erfrischend nach zwei Tagen Flaute. In der Nacht (03:00) steigerte sie sich auf viereinhalb (in der Spitze 5,8 kn) und rauschte nur so dahin. Kein Geräusch außer dem Gurgeln und Rauschen des Wassers unter dem Rumpf. Mondsichelchen, sternenklar, Delfine – das ganze Programm. Berauschend. Oder schlicht oberaffengeil.

»Das lauteste, was Sie hören, ist das Klacken der Hängeseifen gegen die Klowand.«

(aus dem Werbeprospekt für die Elizabeth)

(Hängeseifen waren Werbegeschenke von Oscar – Möbel & Objekte. Danke!)
Wir sausen mitten durch die Frachterroute am Südeingang zum Kanal. Endlich kapiere ich die Wunder des AIS [Automated Information System]: Es gibt mit zu jeder Kollisionswarnung auf Tastendruck Name und Herkunft des betreffenden Frachters, auch Ziel, Größe etc. Und eine Peilung (bearing). Am Kompass ist einfach abzulesen, welches der vielen (jeweils 6 bis 8) Schiffe in meinem Sichtbereich gemeint ist. Und die errechnete nächste Annäherung (CPA: Closest Point of Approach) und die Zeit bis dahin (TCPA). Ein Wunderding. Im Morgenrot passiert mich die SOLONG in einer halben Meile Abstand (900m). Ich kann ihre Maschine hören.

Solong (oder so)

Der Mittwoch (21.9.) geht genauso herrlich weiter. Rauschefahrt und strahlender Sonnenaufgang. Gegen acht warnt mich das AIS vor einer Kollision (»collision alarm!  Bidip-bidip-bidip-bidip (da capo al fine)!« Nervtötend und nicht zu überhören, nicht mal im Schlaf!) vor einem Crash mit der ARKLOW CADET aus Irland, untewegs nach IEWAT (nie gehört. Steht wahrscheinlich für It’s Exactly What Anybody Thinks). CPA sollen 0,10 Meilen sein. Ganz schön knapp. Aber immer noch 180 Meter. Und dann dreht der Kahn direkt auf mich zu!
Funke ich ihn an: »Are you aware of me?« – »Yes. I just changed my course to give you way.« – »Thank you. Have a good watch.« Tatsächlich zieht der Frachter in engem Abstand vorbei und geht dann wieder auf seinen alten Kurs. Dankeschön, Arklow Cadet!
Um halb neun kommt mir ein Segelschiff entgegen, seltener Anblick.
Zum Frühstück gibt es Toast. So schräg legt sich die gute Liz ins Zeug, dass ich (von der Salonkoje gegenüber den BODEN der Pfanne von unten sehen kann!
Inzwischen sind wir auf der Höhe der Ile d’Ouessant, dem östlichsten Zipfel Frankreichs. Aber leider kein Handyempfang (»kein Signal« hätte Peter Kress übersetzt): zu weit weg. Ich hätte gerne Zuhause Bescheid gesagt, dass ich mich verspäte, geschätzt hatte ich drei bis sechs Tage für die Überquerung der Biskaya. Werden wahrscheinlich doppelt so viele. Aber jeder einzelne ein Genuss. Mittags sausen wir noch immer mit vier Knoten voran, ein Etmal [Tagesstrecke von Mittag bis Mittag] von 75 sm: nicht schlecht für einen Nachmittag Flaute. Die NORD CRUX aus Singapore passiert mit CPA 1,2 sm – easy!

Kurz darauf die Ellen Essberger, besonders hübsch rot und weiß angemalt, CPA 0,4 sm, 450m.

Ellen Essberger

Wir sausen mitten durch die endlose Reihe von Frachtern am Nordeingang zum Kanal. Aber: kein Verkehrstrennunggebiet (TSS) ist hier ausgewiesen, ich kann fahren, wie ich will (und habe sogar Vorfahrt). Georgie macht dabei seinen Job tadellos, wird nie müde und braucht nie Pause. Ein wirklicher Schatz.

»Nobody does ist better.
Forget about all the rest.
Nobody does it quite like you do,
Georgie, you’re the best!«

Aus der Playlist zum Queen’s Funeral-Radioprogramm. Alles nachdenklich-gedämpfte Songs: Fragile, I will fix you, Bridge over troubled water

Um halb fünf kommt mir schon wieder ein Segelschiff entgegen, ein Katamaran. Unter Motor (und Großsegel) hält er genau auf mich zu. Die MAHANA ist auf Kollisionskurs. Und funkt mich an. Sie kommen aus La Coruña, sei sehr windig dort gewesen. Wollen nach Brest. Und vor allem reden. Erst als sie vorbei sind, entdecke ich die deutsche Fahne am Heck. Hätte mir schon am Akzent auffallen müssen.

Mahana – die wollen nur quatschen

Außerdem meldet er sich mit »Katamaran Mahana«. Ich hätte die beiden bitten können, in Brest einr SMS nach Hause abzusetzen. Als ich ihn anfunke, noch in Sichtweite, geht er nicht dran. Hat wahrscheinlich sein Funkgerät wieder abgeschaltet, wollte wohl nur plaudern.
Ausführliche Fußhygiene (der Gestank fiel schon unter das Biowaffen-Kontrollabkommen) in Atlantikwasser. Die Meerwasser-Seifenmühle funktioniert eins A – Danke, Norbert!
Um halb neun kommt der Nicht-Wind aus allen Richtungen, die Nadel im Masttopp dreht sich mehrfach im Kreis. Ich halse (oder wie immer man das nennt, wenn man versucht, zu erraten, wo der Wind herblasen könnte und Segel und Selbststeueranlage entsprechend einstellt). Kein Erfolg, um halb zehn halse ich zurück. Eine dreiviertel Stunde später zieht Liz gemächlich ihre Bahn, 2,3 kn. Delfine sind nah am Schiff. Kaum zu sehen, aber ihr plätscherndes Auftauchen und prustendes Ausblasen und Atemholen sind eindeutig zu hören.

(Beispielbild)

Inzwischen sind wir auf der Höhe von Douarnez/Bretagne, haben also über ein Drittel der Überquerung geschafft.

AIS: Schwarz vor Frachtern

Donnerstag, 22.9. 01:30: die Nacht ist voller Frachter, die Delfine fluoreszieren wieder (schwach). Um halb vier passiert die EURICA LATVIA mit CPA 0,00 – theoretisch ein Crash. Fährt aber dann doch in einer Entfernung vorbei. Das AIS gibt eben nur Schätzungen und Annäherungen an. Vielleicht sind die Letten auch ausgewichen. In der Nacht schlafe ich bei (sanft) schlagenden Segeln. Ist einfach kein Hauch auszumachen. Im Morgengrauen sehe ich, dass auch die Dampfer nachts schlafen: um mich herum dümpeln 6 Frachter antriebslos (auf über hundert Meter Tiefe werden sie wohl nicht ankern, schätze ich). Jedenfalls gehen ringsum nach und nach die Navigationslichter aus, auch meine.

Auch Frachter schlafen …

Die FMT BERGAMA lag die ganze Nacht in der Nähe. Um halb acht funke ich sie an. »Do you have any form of land communication?« – »Yo, I have Whatsapp.«
Der Mann auf der Brücke ist superfreundlich und nimmt meine Nachricht auf. Er kommt aus Malta, sein Englisch ist makellos, zeigt höchstens leichten Akzent. »Everything okay. Only takes longer. No wind. Ulrich.« (Ulrich hab ich buchstabiert).

Die Stunden später funkt er mich wieder an (»This is Bergama calling unknown sailing vessel, Ulrich«), kann aber meine Antwort nicht hören (vielleicht zu weit weg, meine Antenne sitzt zwar auf der Mastspitze, aber die Antennenhöhe entscheidet über die Reichweite)(später erfahre ich den wahren Grund, s.u.). Ich denke mal, meine Nachricht ist angekommen. Oder er hat sich inzwischen mit Paula angefreundet – er hat schließlich ihre Handynummer.

Eine lange, hohe Dünung (1,50m) rollt vom Atlantik herein – irgendwo da draußen IST Wind. Und nicht zu knapp.
Das Funkgerät spinnt schon wieder. Zwar machen wir im Moment wenig Fahrt, aber 0,0 kn scheint mir doch untertrieben. Ein bisschen Strömung müsste es doch wenigstens geben! (Das Funkgerät misst die Fahrt über Grund (SOG=speed over ground). Dass es ohne Fahrt auch die Kursangabe (COG=course over ground) nicht verändert, leuchtet dagegen schon eher ein.

Knie und Ischias sind schon wieder fast in Ordnung (Tat weh. Sogar Peterspitz-Wickel gemacht – Danke, Mutter! Alte Männer und ihre Wehwehchen: Stoff für einen anderen Blog (den ich nicht schreibe, versprochen! Deswegen erwähne ich auch meine ausführlich Zahnhygiene von heute früh hier nicht.)

Das AIS zeigt Länge und Breite auf vier Stellen hinter dem Komma genau an, also auf eine Zehntausendstel Meile oder 18 cm genau (theoretisch -tatsächlich ist es technisch unscharf gestellt und nur auf ca. zehn Meter genau; doch auf 3m exakt für die US-amerikanischen Truppen – und ihre Freunde). Doch gerade verändert sich noch nicht einmal die letzte Stelle: Wir stehen.

Also: Flautenzeit ist Schreibzeit. Jetzt ist es fast Zwölf und der Windhauch wirkt beinahe, als könnte er sich verstärken … Es ist ein herrlicher Tag, sonnig. Eben hab ich sogar ein paar Fotos von Delfinen UNTER dem Schiff geschossen – glaubt mir doch sonst eh keiner …

WilderRitt

Donnerstag (22.9.) 14:25 die GUANYIN, CPA 0,37sm (genug von Frachtern gehört? Genug Frachterfotos gesehen? Kommen aber noch mehr.) Eine Stunde später kommt Wind auf, dazu Sonnenschein, 4 kn Fahrt aufs Ziel – geht nicht besser. Viertel vor vier das erste Funkgespräch auf spanisch: wahrscheinlich zwei Fischer weit draußen. 16:00 die 200m-Tiefenlinie überfahren. Es geht ins Blauwasser.

20:00 die 2000m (sic!)-Linie überfahren, bin auf der Höhe von Nantes. Der Himmel ist bedeckt, kein Sonnenuntergang, kein Sternhimmel, keine Delfine. Die HAPPY RIVER passiert (CPA 1,2sm) (Nerve ich euch? Wahrscheinlich habe ich aus Nervosität so viel notiert. Und: Jeder Frachter ist Zivilisation in dieser Wüste von Meer. Fluoreszierende Delfine. Kochkartoffeln à la Yayi, Brechbohnensalat, Joghurt.

23:40 Die gute Tante Else zieht genügsam ihre Bahn durch die Nacht, rauscht dahin wie auf Schienen, 4,3 kn. Als ich aufwache ist alles ruhig, das Schiff läuft – genial. Also nochmal umdrehen und weiterschlafen. Oder doch sicherheitshalber den Kurs kontrollieren? Muss ich den inneren Schweinehund schwer an die Kette nehmen. Dabei ist alles bestens: Kurs 250°, 4,3 kn: Läuft.
Obwohl: 250° ist fast direkt nach Westen (270°), wir jagen mit inzwischen 5,1 kn direkt auf den Atlantik hinaus! Die gute Windsteuerung macht ihren Job tadellos. Dafür, dass der Wind gedreht hat, kann sie nichts. Also angezogen (Jacke, Schwimmweste, Sicherheitsleine), Segelstellung korrigiert, Georgie auf den neuen (alten) Kurs 195° justiert, wieder hingelegt.

03:00 bedeckt, draußen alles zappenduster, kein Stern, kein Mond (es herrscht ohnehin Neumond, oder fast. In La Coruña werde ich kein Mondlicht haben – das konnte ich nicht auch noch berücksichtigen.

Freitag früh (04:30) regnet es, die Kimm ist kaum auszumachen. Um 07:10 weckt mich ein merkwürdiger Funkspruch, südländisch (oder Nafri-) klingender Typ, Anbaggerintonation, nuschelt und nennt seinen Schiffsnamen nur verwaschen. Sucht Kontakt zu irgendeiner Segelyacht, mein Schiffsname fällt nicht. Schlaftrunken wie ich bin, melde ich mich trotzdem. In kurzer Entfernung schaukelt eine Motoryacht. Was will der Typ von mir?

»This is Elizabeth. What can I do for you?«

(etwas unwirsch)

Ende der Funkkommunikation. Jetzt, wach, schaue ich mich um (inzwischen hat das Morgengrauen eingesetzt): weit und breit keine Motoryacht zu sehen, überhaupt kein anderes Schiff. Muss ich halluziniert haben.

Georgie muss im Regen stehen

10:00 Sprühregen, aber 3,7 kn. Alles okay. Um elf hat der Wind aufgefrischt, NW 3, der Regen hat aufgehört, die Sonne spitzelt raus. Wir jagen bei halbem Wind (beam reach) mit 6 kn nach Süden – super. Mittags sogar 6,4 k!, so muss sich Piratenglück anfühlen! Nachmittags um drei immer noch wilder Ritt, wir haben die untere Hälfte der Seekarte erreicht, ein Etmal von 73 sm.
Inzwischen auf 4000m Tiefe. Da sollte sich doch das angeblich unbeschreibliche tiefe Meeresblau einstellen, von dem alle Langstreckensegler schwärmen … Blau ist die See, satt dunkel königsblau. Aber es ist nur die Reflexion des Sonnenlichts, bei bedecktem Himmel oder Regen, ist das Wasser genauso grau, als wäre es nur wenige Dutzend Meter tief …

16:00 erreicht die Lizzy ihre bisherige Spitzengeschwindigkeit: 7,2 Knoten. Bei Wind NW Bf 5. Wild und rauschend und geil. Störtebeker-Feeling. Inzwischen gibt es Wellen von fast zwei Metern, die ersten zeigen einzelne Schaumkämme – das wäre dann das Anzeichen für Windstärke 6. Nicht das geringste Problem, wird super.

Aber:

»Starkwind im Sonnenschein ist lang nicht so stark wie Starkwind bei Nacht.« 

Regel 9 (selbst erfunden)

Und weil es auf den Abend zugeht, binde ich das zweite Reff ins Groß und rolle die Fock auf 1/3 ein (dauert beigelegt [Boot steht mit back [gegen den Wind] gespanntem Vorsegel und lose schwingendem Großsegel quer zum Wind und treibt sachte ab] rund eine Stunde. (War vielleicht übervorsichtig, das Reffen. Aber Regel 10 sagt: Rechtzeitig reffen! (Da drückt man sich nämlich gerne vor.)) Um viertel vor sieben sind wir wieder unterwegs, trotz Reff bei raumem Wind [schräg von hinten] 5,3 kn direkt aufs Ziel zu – genial. So besorgt es sich die Ellie die gesamte Nacht hindurch, nie unter 4, meist über 5 Knoten: krass Klasse Braut.

Um Mitternacht kommt uns die zweite Segelyacht auf diesem Törn entgegen, TORBAS, aus D. Morgens 05:10 drehe ich im frühen Licht ein paar Minuten Eindrücke von wilder Fahrt und hohem Seegang. (Video folgt)

Samstagvormittag, immer noch flott unterwegs, strahlt die Sonne und wirft einen funkelnden Regenbogen auf die von NW heranziehenden Cumulus-Wolken (mit dunkler Unterkante: es könnte Regen geben). Mittags errechne ich ein Etmal von 120 sm (fast 200 km!), das beste bisher. Um vier steigt eine der hohen Wogen ins Cockpit, vor allem Schaum bzw. Gischt. Nicht mehr als ein Viertelliter Seewasser kommt hereingespritzt. Aber die See zeigt, was sie draufhat. Die langen, hohen Wellen (4-5m) werden nicht schwächer. Aber bei raumem Wind, gerefften Segeln und Fahrt zwischen 4 und 5,5 Knoten gibt es rein gar nichts zu meckern. Merke:

»Mit sechs Knoten über die Wellen jagen ist bei Tag ein herrliches Schauspiel. Nachts aber eher Nervenkitzel.«

(neuste Ulli-Depp-Weisheit)

Außerdem werden die sonst sanften Schiffsbewegungen ab 6kn ruppiger, die Else rauscht nicht mehr glatt dahin, sondern rüttelt sich über die Wellenstöße. Ein klitzekleinwenig fühlt sich das an wie Boris Hermann (nur dass der mit dem sechseinhalbfachen an Geschwindigkeit unterwegs war).

18:25 Land-ho! Die hohen brauen Felsenklippen bei La Coruña sind selbst aus 27 sm Entfernung zu sehen. Und plötzlich ist die See wieder voller Betrieb. Kleine Fischertrawler, aus Frankreich herüber. Merke: auch der Fischer hat gerne Landsicht (Grüße an Nina!). Es wird dunkel, die französischen Fischer werfen ihre starken Scheinwerfer an und juckeln los, Richtung Heimat. 21:30 Handy hat Empfang – Beruhigungs-SMS an Paula abgesetzt: »Ich kann Spanien sehen!«.
Irgendwas stimmt nicht mit dem Herd. Nur eine Flamme geht noch. Sollte die Gasflasche schon wieder leer sein? Hab ich erst in Dartmouth ausgetauscht!
Selbst als ich nahe an der Küste bin, liegt La Coruña noch um ein Kap herum, 21 sm entfernt. Auch bei günstigstem Wind bleiben noch mehrere Stunden zu fahren.
Dann dreht der Wind in alle möglichen Richtungen, ich bekomme die Selbststeuerung nicht wieder justiert, steuere die letzten Meilen von Hand. Im ersten Licht, als hätte ich es so geplant, hole ich in der Hafenzufahrt die Segel ein, befestige die neuen Festmacherleinen (4 Stück) und hänge die Fender raus (6 Stück). Ich starte den Motor, die Einfahrt dauert noch über eine Stunde, und bin bereit für den ersten Anleger nach sieben Tagen. 07:30 passieren wir in der Hafeneinfahrt den Torre Hercules, – aus der Römerzeit, der älteste noch in Betrieb befindliche Leuchtturm der Welt! –, um 08:30 liege ich fest in der Marina Coruña. Ich habe sie angefunkt, aber keine Antwort erhalten. Da klärt sich mit den beiden supernetten Hafenmeistern der Frühschicht auch mein Funkproblem: Irgendwann habe ich den Squelch (Rauschunterdrückung) zu hoch und dafür die Lautstärke zu niedrig eingestellt. Das Funkgerät funktioniert völlig einwandfrei, man muss es nur zu bedienen wissen!

Netter könnte der Empfang nicht sein. Der Hafenmeister kocht mir Kaffee, sein Helfer legt mir eine selbstgedrehte Zigarette hin (die erste seit vier Tagen!)  – geht nicht besser. Nur der Boden schwankt, ich bin noch etwas unsicher auf den Beinen. Eine lange heiße Dusche später (die erste seit sieben Tagen) und ich bin wieder jung. La Coruña ist ein Traum.

Voll die Flaute!