Do, (27.10.), 23:00h. Anscheinend jeden Abend üben an der Strandpromenade, gegenüber vom Containerhafen (wo sie niemanden stören) die Mitglieder eines gigantischen Blasorchesters, sicher 150 Mensch (auch Frauen) stark, alle Instrumente, vier- bis zehnfach besetzt, mit ultrahohen Sopran-Trompeten, die sich über Ventile halb- oder vierteltonweise verstellen lassen und Tubas und Posaunen und Trompeten und einer viel zu lauten Pauken- und Konzerttrommel-Sektion. Abgefahrenes Zeug, das sich (aus der Ferne) anhört wie von einem violinlastigen Symphonieorchester gespielt, die könnten eine Corrida [Stierkampfveranstaltung] ebensogut bespielen wie Filmmusik für eine Endzeit-Dystopie aufnehmen. Unfassbar gut und präzise und zugleich völlig unprätentiös (die Trompeter rauchen während sie ein paar Takte Pause haben; zwischen den Stücken (die Rhthmusgruppe hält den (Marsch-)Takt) checkt die Hälfte der Band die neuesten Handynachrichten). Strange und schön. Hab leider bisher nicht rausgekriegt, wie die sich nennen, scheinen ambitionierte Amateure zu sein. Guckst du: https://youtu.be/bfVerZX1XeM. Jedenfalls superschön am Abend. Z.B. beim Heimtrotten von einem heftig guten Abendessen (Krabben-Kroketten, (Meeresfrüchte-) gefüllter Squid mit Muscheln (Schalen zum Aufbewahren in Spülmittel einweichen!), Tarta de la abuela (Schokoladen-Keksbrei-Torte), Rotwein, Kaffee, Kognak. Hoffe, den Jungs geht’s ebenso gut, die mussten zehn Kilometer marschieren, um morgen ihren Blabla-Car nach Vila Real zu kriegen. Jam Session war also nicht, ebensowenig wie ich losgefahren bin. Ganz nach Lektion 21: Lieber eine zusätzliche Nacht im Hafen verbringen als einen Tag lang gegen widrigen Wind zu kreuzen … Morgen sehen wir weiter.



Manche lernen’s nie

Sa., 29.10. Sancti Petri. Die Jungs sind weg, doch das Glück ist geblieben: Gestern Nacht den Versuch abgebrochen, gegen den Wind anzukreuzen. Der Club Nautico Sancti Petri (17 km südlich von Cádiz) liegt an [ist auf einem (gegen den Wind) fahrbaren Kurs direkt zu erreichen], nur am Ende, schon in der Landabdeckung, als Wind und Seegang sich beruhigen, zwei Meilen gegenan motort und in die lange Einfahrt um eine vorgelagerte Insel mit Festung und Leuchtfeuer herum eingebogen. Halb zwei Morgens per Funk die Marina und kurz darauf den Warteponton erreicht. Von der Gegenströmung (der Hafen liegt in einer Flussmündung) nichts gespürt, ich hatte sie im Rücken. Merkte ich erst später. Denn Club Nautico ist nicht die (danebenliegende) Marina (des Puerto Sancti Petri), sondern ein Muringbojenfeld. Der Marinero weist mich ein, übergibt mir die Muringleinen zur Boje. Und alles ist gut. Aufgedreht, erst um vier einschlafen können.
Nachtankunft – Morgenschön. Die vorgelagerte hügelige Sanddüneninsel mit der Festung sieht nach Nordsee aus. Die weißgetüchten hingeduckten Häuschen des Hafens mit Schmuckgiebeln und dunkelblau abgesetzten Kanten erinnern an die spanischen Missionsstationen an der kalifornischen Küste (El pueblo de Nuestra Señora la Reina de los Àngeles [geht noch weiter] – Nervt euch meine Schlaumeierei? Tja: einmal Lehrer – immer Lehrer, sorry). Und das Örtchen heißt auch so und ist wahrscheinlich auch aus derselben Zeit.

Lady in Red
Elli mit der ungebrauchten, aber dreißig Jahre alten winzigen Fock (mein Sturmsegel), stierblutrotbraun und hochgeschnitten (hab ich für die Kanalüberfahrt geplant gehabt, weil man gut drunter durchgucken kann), mit zwei Reffs im Großsegel (haben die Jungs noch eingebunden). Rausgefahren, rauschend überholt von einem Sportsegler mit Code 0 [Zero, einem übergroßen fliegend [nicht am Stag] gesetzten Vorsegel]. Die haben mich praktisch stehen lassen. Draußen zeigt sich, dass ich exakt für den auffrischenden Wind besegelt bin. Die rotbraune Fock steht gut, mit nur einem Reff im Groß (mit Mühe ausgeschüttelt, Reffleinen übersehen) ist das Rigg ausgeglichen. Wenn die rote Fock innerhalb der Oberwanten geschotet ist [üblicherweise laufen die Schoten des Vorsegels außerhalb der Wanten], ist sogar Höhe zu machen. Allerdings knattert das Achterliek hart am Wind [„Kneifen“] brutal, versetzt das gesamte Rigg in übles Rütteln. Keine Freude. Trotzdem knüpple ich einen kompletten Segeltag gegenan bei Windstärke 5, in Böen 7 (laut Wetterbericht), Seegang 1, oft auch fast 2 Meter. Die gute alte Else steckt das tapfer weg, ein zähes Luder von alter Dame. Signore Giorgio steuert es klaglos aus wie ein hartgesottener Macho. Dennoch anstrengend für Mensch und Material. Manche (z.B. ich) lernen’s eben nie (Lektion 21/Regel 8: lieber zwei Tage im Hafen, als einen Tag gegenan). Das Schiff macht (jetzt noch) allerhöchstens 80° gegen den wahren Wind, nach Süden waren nicht mehr als 220° drin (bei wahrem Wind aus 140°), auf Gegenkurs sind es gerade mal 60° – wir fahren als sozusagen zurück auf Cádiz zu. War ohnehin schwer genug aus dem Hafen heraus, die lange Ausfahrt um die weit außen liegende letzte Tonne – den halben Nachmittag waren die hohen Pylonen der Hängebrücke zu sehen, bis sie gegen Abend endlich im Dunst verschwanden. Andererseits: Für Mensch … Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke, Seegang hoch aber handhabbar, idealer Segelwind – nur eben aus der falschen Richtung. Und wer leuchtet uns abends an der Boje zum Greifen nah heim: die zwei nachts signalrot illuminierten Pylone der Hängebrücke (auf die wir ein paar Nächte zuvor mit den Jungs schon mehr als vier Stunden unter Motor zugefahren sind). Die guck ich mit dem Arsch nicht an und auch Liz streckt ihnen nur das breite Hinterteil entgegen (Flut).
Heute früh die Marineros angefunkt, die einen sofort abholen vom Boot, geduscht, Kaffee getrunken, telefoniert. Und gleich auch noch Mittag gegessen, weil sie abends zumachen … Nachmittagsschläfchen.

Ewig langer Sandstrand, Kitesurfer, Windsurfer, ein Touristenbähnchen und eine ganze Reihe Fressbuden – Sancti Petri scheint eines der Naherholungsziele von Cádiz (oder von Chiclana de la Frontera, liegt gleich im Osten) zu sein. Immernoch Samstag, kurz vor Sonnenuntergang (hinter den Dünen der vorgelagerten Halbinsel). Wasser aus beiden Bilgen ausgetupft (zweieinhalb Eimer, ca. 18 l). Anscheinend macht die Lisbeth bei starkem Seegang Wasser (die Laufdecks waren gestern teilweise überspült). Tja, wenn man alte Damen richtig rannimmt, werden sie eben feucht. Sonst nicht. Motorbilge entölt bzw. damit angefangen. (Dort unten stehen sicher fast zwei Liter. Wo die herkommen? Keine Ahnung. Im Motor ist ausreichend Öl – gecheckt, zusammen mit Lukas (Maschinenbauer)). Zeitungen zerknüllt und reingetaucht. Aber nicht einmal zum Ölaufsaugen taugt die Frankfurter Allgemeine. Wahrscheinlich imprägniert (genau wie gegen fortschrittliches Gedankengut). Gennaker heißbereit zurechtgelegt, Schoten nach hinten gezogen, Kopf und Fuß oben im Sack (auf Deck festgezurrt) deponiert. Theoretisch kann ich das Ding direkt aus seinem (festgebundenen) Segelsack hissen. Probiere ich demnächst.

Bacalao-Salat (mit Orangen) und Chipirones (frittierte Baby-Tintenfische, heißen hier aber Puntillitas und sind die örtliche Spezialität) gegessen, schon mittags, weil sie abends zumachen. Abends scheinen die Ausflügler nach Hause zu fahren.
Pläne: Morgen (Sonntag) das Dinghy klarmachen und einen Ausflug zur Insel mit der Festung – wenn die Flut es zulässt, die hier mit fast drei kn rein- und rausblubbert. Wir stehen in der Mündung eines langen Flusses, der hier auch noch Wasser aus einem ausgedehnten Naturschutzgebiet zieht. Frühestens Dienstag soll der Wind sich drehen, dann aber mehrere Tage lang nach Osten pusten. Plan: Auslaufen mit der höchsten Flut, und wenn es mitten in der Nacht ist. Endlich was gelernt zu haben hoffe ich. Jetzt ist blaue Stunde, der Mond halb oben, Leuchtturm und Bojen in der langen Einfahrt sind angesprungen, der Himmel in allen Pastelltönen taubengrau. Nur der Wind kommt aus der falschen Richtung. Und auf der anderen Seite strahlt die Brücke von Cádiz höhnisch rosig herüber.