
Mo., 03.04. Marina Etang Z’abricots, Fort de France, Martinique, wo ich seit Donnerstag abend liege.
Martinique ist wunderschön. Heftig grün, dschungelüberwucherte Berge und Schluchten, zerklüftet, Berg&Tal (kein Ort für Radfahrer, sorry, André) überall wachsen Bananen und anderes Grünzeug (die Felder sehen aus wie Hopfen, Drahtnetze hoch oben, aber keine Ahnung, welche Früchte darauf wachsen). Außerdem Zuckerrohr ohne Ende, hab ich aber nicht gesehen.
Die Marina it Etang Z’abricots liegt im Osten von Fort de France, etwas abgelegen. Und sehr ruhig. Aber es gibt dort einen Bäcker, einen Supermarkt, den schlechtesten Waschsalon der Antillen (Maschine wäscht ohne Waschmittel, drei von sechs Trocknern sind hors service), und einen Autoverleih. Auto gemietet, rumgefahren. La Trinité, Städtchen am Meer und Zugang zum Naturschutzgebiet auf der Halbinsel dahinter (nicht gesehen). Sainte Marie und der sandige Damm zu den davor aufragenden Felsen, Vogelschutzgebiet (Sterne de Douglass) und beliebtes Ausflugsziel.





Samstagabend ist Kirchgangszeit auf Martinique, alle im Sonntagsstaat. In Le Marigot Abendessen eingekauft (Brot, Käse, Wein), aus einem offenen Kirchenportal erklingt eine Arie (vom Band?) nach der Melodie der Choräle aus der Matthäuspassion (und von American Tune, P. Simon with a little help from John Sebastian). Gerührt ein paar Minuten gelauscht.

Die lange Auffahrt zum Montagne Pelée hinaufgekurvt, Vulkankegel, der 1902 und 1929 ausbrach und Saint-Pierre katastrophal zerstört hat . Mehrere Tausend Tote (trotz tagelanger Vorzeichen) und die weltweite Skandalmeldung im Mai 1902. Oben (ca. 800 m Höhe) leider Nebel und Regensturm. Berghotel war ausgebucht, im Auto übernachtet. Auch am nächsten Morgen raining sidewise (das Motto von Devon, GB), keine Lust auf die vier Stunden Wanderung zum Krater (le Chinois) im Nebel und Regen. Allerdings nehmen zahlreiche Läufer/Wanderer (winzige Sportrucksäcke mit Trinkwasser) den Parkplatz am Ende der Stichstraße als Ausgangspunkt bzw. Ziel ihre sonntagmorgendlichen Trainingseinheiten. Cascade Saut de Gendarme. Perfektes Ausflugsziel für Autofahrer, der Wasserfall in Regenwaldambiente gerade mal 50m vom Parkplatz entfernt.


Die D1, schmale Bergstraße hinab zum Meer, schlängelt sich pittoresk durch Regenwald, Steinschlag und vom Sturm herabgewehte Kokospalmenwedel und -nüsse am Wegrand und auf der Fahrbahn (und weggeschwemmte Straßenabschnitte).
Kaffee im Restaurant Kay Ti Jo am Straßenrand in Fonts St. Denis, es regnet Bindfäden, aber immer nur kurz. Frittierte Fischbällchen ausgegeben bekommen, auch ti rhum [petit rhum] (abgelehnt: ich muss noch fahren). Es ist erst 11 Uhr.
Saint-Pierre (dort wieder heiß und drückend) verbirgt seine Vergangenheit als Katastrophengebiet nicht. Ruinen (Gefängnis, Theater, Kaibebauung) mitten in der Stadt, noch immer schwarzgrau verrußt. Im Museum zum Ausbruch vom 8. Mai 1902 geschmolzene Glas- und Porzellanteller, verformte Glocke (im Erinnerungsraum mit den Namen von über 7000 nachgewiesenen Opfern), zusammengebackene Nägel, Scheren, Kabel.

Ziemlich beeindruckend. Und zu seiner Zeit eine Weltsensation: Ein Häftling, der den Ausbruch in seiner Zelle tief unter den Felsen mit schweren Verbrennungen überlebt hat, wurde Teil des Programms von Barnums Greatest Show on Earth. Ein knappes Dutzend Wracks von Schiffen, die auf Reede oder in der Bucht warteten, liegen dort noch heute und bieten beliebte Taucherziele. Katastrophentourismus at its best. Piment für Lydie erstanden.

Stadtstrand von St.-Pierre im Norden: gutbesucht (Sonntag!), Picknicks im Schatten der (Tabak-?) Stauden am Straßenrand (Blätter machen schreckliche Flecken auf weißen Handtüchern!), schwarzgrauer Sand, herrlich temperiertes Wasser.
Im letzten Licht abenteuerliche Zufahrt (Wasserrinnen, halben Meter tief) und 20min Wanderung zu Mahagony-Bäumen (nicht gesehen) und Wasserfall Cascade d’Anba So. Ist hoch, fällt tief, führt aber wenig Wasser (zum Glück: ich hatte mitten auf dem Brückenüberlauf geparkt). Rückweg etwas eilig; Sorge vor der einbrechenden Dunkelheit, es ist inzwischen 18:00h. Und in den Tropen: Sonnenaufgang um sechs, Sonnenuntergang kurz nach sechs. Und dann sehr rasch. Ging aber alles gut, in Schoelcher (keine Ahnung, wie man das ausspricht) letzte Strahlen und nach 15 Min zurück in der Marina – Martinique ist herrlich abenteuerlich, aber nicht sehr groß.


Leere Flaschen wegbringen ist schwer – außer einer
Letzten Donnerstag früh das Dinghy rausgehoben und mit Gustave und Marlene gefaltet, ging so einfach wie nie. Schon um kurz vor elf an der Tanke, Gas leider ausverkauft, außerdem können wir dort nicht bleiben – zu viel Betrieb. André kommt erst exakt um elf (wie ausgemacht), aber da hatte ich schon zwangsweise abgelegt. Leere Gasflaschen am Kai vergessen. Also noch einen Schlenker zurück, Gustave übergibt vom Nachbarboot (und hat auch das schwarze Säckchen mit den Dinghy-Clips in der Einkaufstasche deponiert, danke!). André kann ich nur noch aus der Ferne grüßen. Schon in der langen Ausfahrt aus Le Marin den Motor abgestellt und hinausparadiert (riesige Motoryacht mit seitlich ausgeklappter Liegewiese: schick). Der kurze Schlag von le Marin herüber bot prächtiges Segeln, Seitenwind nur unter der Genua – entspannt. Und froh, allein zu sein.

Der Rocher de Diamant macht seinem Namen alle Ehre, hat eine Militärgeschichte aus den Napoleonischen Kriegen, die verrückten Engländer haben das Inselchen (schlangenverseucht) besetzt, mit Kanonen ausgerüstet und zum Kriegsschiff erklärt, waren auch kaum zu besiegen (Nelson hat in der Schlacht seinen Arm verloren. Übrigens derselbe Nelson, der zwar Trafalgar gewonnen, dabei aber sein Leben gelassen hat.) Nachmittags immer wieder Buchten mit Segelschiffen vor Anker passiert. Das mächtigste: STAR CLIPPER, fünf (sic!) Masten, Badeplattform größer als mein komplettes Schiffchen.

Aus der Bucht von Fort de France weht heftiger Gegenwind, früh die Genua dichtgeholt, ein paar Meilen weit eingefahren, aber dann doch den Motor gestartet.
Der Hafenmeister von Z’abricots behauptet am Funk, er könne mir keine Hilfe schicken, also alleine festgemacht (Heck zum Pier). Und ziemlich geschwitzt: Gegenwind presst die ELLI quer gegen den Steg, erst mit einer Hilfsleine zum Nachbarschiff ließ sie sich mit dem Bug in den Wind ausrichten und die Muringleine heben und festmachen. Später im Hafenbüro: Ein anderes Schiff fordert Hilfe an, der Hafenmeister sagt zu, hat aber keine Eile, tatsächlich aufzubrechen. Ich bin einfach zu naiv, er etwas träge. Aber supernett.
Und ich bin sehr froh, endlich wieder mit Landzugang zu liegen. Feistes Abendmahl im Kairestaurant Le Spice. (Fischbällchen, Entrecôte, Kokospudding zum Nachtisch, lecker. Zwei Gläser Wein.) Absacker? Käme jetzt gut. Sehr gefreut habe ich mich, als ich im Weinfach Gustaves letzten Rest Barbadosrum gefunden habe, Old Brigand, der laut den (zwei) Einheimischen (die ich getroffen hab) beste Rum der Insel. Aber: Der Rest des Whiskeys, den wir für den Half-way-Abend gekauft hatten, ist weg. Klar gehörte der uns allen. Aber Bescheid sagen wäre wohl drin gewesen, oder?
Am Freitag klar Schiff angefangen, geräumt und die abgeschorene Scheuerleiste (Hektik an der Tanke in Le Marin) wieder angedengelt. Und eingekauft (zwei Gasflaschen, Käse, Saft). Und das Auto vorbestellt.
Martinique ist super. Weil es europäisch ist. Doitscher Strom, doitsches Geld, doitsches Auto (Opel Corsa). Könnte sich der doitsche Spießer nicht besser erträumen.
À propos: Hab ich schon erwähnt, dass ich einen riesen Hals auf Boathitchhiker/Traveller habe? Kam bisher noch nicht so richtig rüber? Dann schreibe ich mir das jetzt vom Leib:
Modern wording
Traveller/Boathitchhiker U. versieht seine Nachtwachen, indem er liest. Und sich dabei nicht stören lässt. Die Segel schlagen, der Steuerautomat schuftet sich den Wolf, aber U. widmet sich unbeteiligt einer Lektüre. Hätte ich, ur-old school Spießer, der ich numal bin, gedacht, dass Traveller U. wohl ein perfektes A…loch sein muss. – Weit gefehlt! – »Er hat nur das falsche Boot erwischt.« (Es gibt Atlantiküberquerer, die keine Nachtwachen machen.). Feilscht ein Boathitchhiker um seinen Anteil an den nachgewiesen entstandenen Kosten (Guten Morgen, André; ich seh dein Lächeln!), dann war er eben auf dem falschen Boot. (Es gibt Skipper, die keine Kosten umlegen. Manchmal wird die „Crew“ sogar bezahlt – der feuchte Traum jedes Boathitchhikers!) Wie allerdings die Sprachregelung lautet, wenn der/die TravellerIn trotz Bezahlung ihren/seinen Job nicht macht, entzieht sich meiner Kenntnis. Finde ich aber sicher auch noch heraus.

„Ich mach mir die Welt, widewidew… wie sie mir gefällt!“ Pipi stellt eigentlich, genauer überlegt, die Urmutter aller Traveller avant la lettre dar: Hausbesetzerin, containert, akzeptiert keine Regeln, kommt ohne Geld aus (bis auf das Ersparte des Papas). Und wenn man die Traveller als nie erwachsen gewordene Elfjährige versteht, ergeben ihre Arroganz (gegenüber Touristen, oder sogar nur Hostel-Typen (der echte Traveller nächtigt für lau)) und ihr Stolz auf selbstgemachte Erfahrungen tatsächlich Sinn.
Regel 24: Boathitchhiker machen keine Fehler. Sie sind höchstens auf dem falschen Boot.
Ewige Weisheit, mühsam erlernt
Nur um das klar zu äußern: Ich hab enormes Glück gehabt mit meinen Hitchhikern: Gustave ist eine Seele von Mensch, ebenso Gawain, ohne den ich das hier nicht hätte schreiben können, Alba und Marlene haben auf der langen, engen Überfahrt für entspannte Stimmung gesorgt und ihre Jobs gemacht. André hat sich wirklich für das Schiff interessiert und mir mit seinen nüchternen Kommentaren den Verstand gerettet. – »Wir hatten eine wundervolle Überfahrt, das kann uns niemand mehr nehmen.« Das hab ich zu Gustave und Marlene zum Abschied gesagt und aus ganzem Herzen gemeint.
Wahrscheinlich ist es der pure Neid meinerseits, auf die jugendliche Unbekümmertheit, auf die Spontaneität und Bedürfnislosigkeit, auf die Lust am Leben (und am Weed). Allen Boathitchhikern wünsche ich jedenfalls alles erdenklich Gute. Nur eben ohne mich.

André hat bezahlt!
Di., 4.4., Le Marin (wieder). (Gestern, Mo., vier Stunden ELLI gestaubsaugt und aufgeräumt, vier Stunden Filmchen „geschnitten“ und diesen Blog geschrieben; abends in Städtchen: Fort der France ist herrlich abgerockt, Industriehafen, Imbissbuden, Vergnügungspark am Kai. Uralte Geschäftshäuser mit Schmiedeeisen-Baldachinen über dem Trottoir stehen noch verwahrlost mitten in der Fußgängezone. Und einen vorbedachten schweren Fehler gemacht:
Regel 25: »Geh NIEMALS, unter keinen Umständen, bei MCDonalds (oder Wurger King oder KFC) essen!«
Touristenweisheit
… weil nämlich die nächste, sehr einladend aussehende lokale Grillstation um die Ecke, am Fähr- und Busterminal und gut frequentiert ist.)
Eigentlich wollte ich heute früh nach Süden fahren und André irgendwo auf dem Weg treffen. Aber er war bereits um sieben in der Frühe in Etang Z’abricot! Und hat, nach stundenlanger Diskussion, zumindest seinen Anteil für die Atlantiküberquerung abgedrückt. [Er sieht das anders: Er hat Boathitchhiker getroffen, die über ihre Kostenbeteiligung für die Atlantiküberquerung geredet (gestrunzt? Wenn es Seemannsgarn gibt, gibt es dann auch Boathitchhikerboast?) haben. Demnach gibt es Yachten, auf denen man für € 80.- mitfahren kann. Geht so: Skipper kauft Reis, Nudeln, Tomatensoße (und gibt die aus), Hitchhiker kaufen jeder für sich, was sie wollen (Chips, Cola, Bier). Und rechnen sich die Welt schön … Außerdem: drei Wochen lang nur entweder Reis oder Nudeln mit Tomatensoße: da wäre ich sicher vom Schiff gesprungen. Jedenfalls: André sieht sich mit den € 200.- (für fünf Wochen) als angemessen finanziell beteiligt (womöglich großzügig aufgerundet) an.] Ich bin jedenfalls gottfroh, dass ich eine Crew hatte, die (zwar Geld für die unmöglichsten Dinge rausgeschmissen hat: Tofu in allen Arten und Formen, Miso-Konzentrat, Algenblätter, Trockenpilze (6 Tüten!), div. Mehle und (Kartoffel-)Stärken, Gewürze in allen Farben, aber) Wert auf abwechslungsreiche und gesunde Ernährung (Obst, Gemüse, Säfte) gelegt hat, auch wenn das etwas mehr gekostet hat. War André eben auf dem falschen Boot. Hätte das aber von Anfang an wissen bzw. erfragen können. Über die Finanzen haben wir früh, offen und ausführlich geredet. – Ähem: mein dicker Hals will einfach nicht abschwellen…

Jedenfalls bin ich wieder im blue-working-Büro in der Marina in Le Marin, klimatisiert, Kaffee frei, stabiles Internet: alles super. Und sehe mir später den Südosten der Insel an. Und bin für morgen abend mit André zum Bier verabredet. Denn eigentlich ist er ja supernett. Nur bin ich eben superstur.
Hier noch, wo ich jetzt gelernt hab, wie man You-Tube-Videos einbettet, noch zwei Filmchen: Celia segelt mit von Cádiz nach Marbella; und: Impressionen von einem Aussichtspunkt an der Küstenstraße bei Case-Pilote. Viel Spaß damit!
Lieber Ulrich,
Wir sind alle sehr erleichtert, dass du diese besondere Fahrt heil überstanden hast und freuen uns auf ein Wiedersehen!
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